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[ox-de-raw] Re: Erkenntnisinteresse (was Re: [ox-de] Re: Nochmal: gesellschaftliche Natur)



Stefan Meretz (2006-09-24 17:14 [PHONE NUMBER REMOVED]):
Hallo El Casi,

danke für die Ventilation der mögliche Bedeutungshöfe rund um eine 
schlichte Aussage wie der der "krankmachenden Gesellschaft" sowie 
der "kollektiven Psychotherapie". An dieser Stelle befrage ich mich und 
dich nach meinem und deinem Erkenntnisinteresse. Mir entgleitet es bei 
solchen Maildiskussionen sehr schnell. Urspünglich wollte ich mit 
meiner (vielleicht naiven) Mail vom 6.7.06 (Referenz: 
http://www.oekonux.de/liste/archive/msg11910.html )
auf solche "Fragen, die gestellt werden müssen" hinaus.

Damals haben nicht sehr viele Menschen geantwortet, eine Zusammenfassung 
meinerseits steht noch aus. Wenn ich nun deine ausführliche und 
sorgfältige Er- und Abwägung einer an sich schlichten Aussage lese, 
dann frag ich mich - also eigentlich dich, weil ich es nicht 
beantworten kann - "Warum macht sich der El Casi diese bewundernswerte 
Mühe?"

Die Antwort ist nicht schwer:  nicht der winkende Erfolg animiert
mich zur Mühe, sondern der Spaß an der Mühe selbst.

Gut, das beantwortet Deine Frage nicht.  Aber die hast Du
eigentlich selbst schon beantwortet:


Es reicht überhaupt nicht hin, etwa mit einer theoretischen
begrifflichen Verdichtung wie der "gesellschaftlichen Natur des
Menschen" zu operieren ...  

[...] Die Denkform, die das Beziehungherstellen von Polarem
überschreitet, nennt Hegel Begriffslogik.  Eine Gesellschaft,
die ihre Mitglieder wie Objekte (oder im Wortsinne "Subjekte" -
Untergeordnete) behandelt, braucht so ein Denken nicht. Deswegen
ist begriffslogisches Denken so selten, so schwer zu erklären
und so schwer zu erringen. Ich breche mir ja auch jedesmal einen
ab, es selbst zu verstehen.  Aber wir brauchen es eigentlich.
[...]

Und genau darum ist es mir zu tun.  Deshalb scheint es so, daß ich
einem Entweder-Oder ein Sowohl-Als-Auch entgegenhalte, einem
Sowohl-Als-Auch aber ein Entweder-Oder. Vielleicht scheint es auch
nicht nur so ;-)  Aber genau das ist mein Fokus: Mein Verstehen zu
entwickeln zu dem, was Du (nach Hegel) Begriffslogik nennst.  Dazu
braucht man meines Erachtens keine neuen Worte, keine neue Sprache
-- jedenfalls nicht in dem Maße, wie das manchmal vermutet und als
Ausrede benutzt wird.  Die existierende Sprache bietet sehr viel
Gelegenheit, Abbilder dieser Logik zu entdecken. -- Man muß sie
nur zu deuten wissen, das heißt, man muß versuchen, sie *so* zu
verstehen, denn man kann sie auch locker anders verstehen und dann
darauf "rumhacken".

Wenn ich also eine Aussage, einen Satz oder einen Ausdruck hin-
oder herwende, versuche ich nicht, seine Bedeutung zu wenden,
sondern zu (in Richtung "Begriffslogik") zu erweitern.  Diese
Logik, oder besser diese Art des Verstehens spiegelt sich in den
einzelnen Sätzen genauso wenig wieder, wie in einem Beispiel oder
einer Assoziation.  Und genauso viel.  Es liegt, wie so oft, alles
im Auge des Betrachters. Naja, im geistigen Auge.

Zum Beispiel ist Deine Kritik am Wort Prägung in meinen Augen auch
nur in einer oberflächlichen Sicht der Münzen berechtigt: 

Es sind kleine Worte, die ganze Verhältnisse zu scheitern
bringen können. Mein Wort hier ist das der "Prägung". Es kommt
aus der Münzerei oder Verwandtem und ist für eine Beschreibung
des Verhältnisses von Mensch und Gesellschaft unangebracht (weil
im strengen Sinne falsch, aber wer benutzt es im Alltag nicht).
"A prägt B", nein, so ist es nicht.

Du siehst hier nur die Wirkung einer Kraft mittels Unter- und
Oberstempel auf ein Stück Metall. Aber nicht die Kraft, der die
Stempel zu verdanken sind.  Woher kommen die? Ist dies nur eine
mechanische Kraft? Sind Münzen wirklich nur ein Produkt von
Prägestempeln?  Welchen Sinn hat ein Prägestempel ohne Münze?
Prägt nicht -- jetzt schon im übertragenen Sinne -- die Münze den
Prägestempel?  Sind Münze und Stempel nur tote Dinge in einem
mechan(ist)ischen ``Zusammenhang'', so wie Du sie hier darstellst?
Ich glaube nicht daß eine solche Betrachtungsweise einem
Verständnis der Münze, die ja nunmal kein Naturphänomen ist,
dienlich wäre.

Und wenn das Prägen für mich generell eine kompliziertere
Erscheinung ist, als in Deiner Darstellung zum Ausdruck kommt,
dann ist die Übertragung dieses Ausdrucks auf gesellschaftliche
Zusammenhänge nicht mehr gar so unsinnig, scheint mir:  Wenn ich
also die Individuen als Subjekte des ``automatischen Subjekts''
bezeichnet und als von diesem wesentlich *geprägt* gekennzeichnet
habe, geht das durchaus über das Verhältnis zwischen Münze und
Prägestempeln, wie es sich aus Sicht der Münze darstellt, hinaus.

Auch in diesem Beispiel spielt also die *Betrachtungsweise* eine
wesentliche Rolle, und diese Betrachtungsweise zu
veranschaulichen, ist der Zweck von Beispielen oder
Illustrationen.  Ein Beispiel, eine Analogie steht nie für sich
selbst, sondern dient der Schärfung der Betrachtungsweise --
durchaus im kategorialen Sinne.  Deshalb meinte ich, daß nicht
eine Analogie an sich schlecht sein kann, sondern daß nur das
Verständnis der Analogie ``begrenzt'' oder gar unsinnig sein kann.
Ohne Analogisieren kann man nicht vergleichen. Und ohne
Vergleichen kann man nichts unterscheiden.  Sätze wie "Das kann
man doch nicht vergleichen!" setzen also implizit einen Vergleich
voraus und verbieten gleichzeitig dessen Begreifen, also seine
begriffliche Formulierung.

Du schriebs noch, Beispiele könnten nur illustrieren, aber nicht
erklären.  Dazu möchte ich zu bedenken geben, daß man, selbst wenn
man alles erklären kann, noch längst nicht alles verstanden /
begriffen hat.  Die ``Erklärung'' ist in meinen Augen auch nur ein 
durchgangsstadiummäßiges Mittel zum Begreifen.  Eines -- neben dem
Assoziieren (Beziehung zum Konkreten), dem Vergleichen und
Illustrieren... usw ;-)

Grüße,
El Casi.



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