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[ox-de-raw] Re: Assoziationen und anderes



Hallo Stefan und Jac,

Stefan Meretz wrote:
Ok, dann empfehle ich diese einschlägige Referenz, die du bestimmt in
 der Uni-Bibliothek bekommen kannst: Ute Holzkamp-Osterkamp, 
Motivationsforschung 2, Campus, 1976. ...

Danke für den Hinweis. Am Freitag hatte ich, nach unserer
WAK-Leipzig-Runde zu "Christ sein heute", noch Gelegenheit mit Kurt
Fleming (Stirner-Archiv Leipzig) kurz zu dem Thema zu sprechen. Er
machte darauf aufmerksam, dass es da Ost- und Westausgaben gäbe, die
gerade an der Stelle differierten. Weißt du da was Näheres?

Eine explizite Auseinandersetzung um diese Theorien halte ich in
dieser Liste dennoch für off-topic. Deswegen habe ich mich nie zur
Psychoanalyse geäußert. Stattdessen habe ich stets versucht, eng an
der Sache zu argumentieren, ohne die grundlegenden Fragen explizit
anzugehen. Das hat natürlich schnell seine Grenzen.

Wir haben - und das wird immer deutlicher - offensichtlich sehr
verschiedene Vorstellungen darüber, was Oekonux ist und was es als
Diskussionszusammenhang zu leisten vermag. Du scheinst einen stärker
akademischen Anspruch mit den hier stattfindenden Diskussionen verbinden
zu wollen, während für mich ein solcher Anspruch nicht besteht. Ich
nutze die Diskussionen hier - ein Stück weit in klassischer FS-Manier -
zum besseren *eigenen* Verständnis der Umbruchprozesse der heutigen
Zeit. Kurz, ich verstehe mich (auch) hier als Dilettant. Die mich
interessierenden Fragen stellt meine Praxis - und da merke ich, dass ich
mit Phänomenen konfrontiert bin, die sinnvollerweise nicht ohne
Psychoanalyse "dekodiert" werden können. Das sind vor allem Fragen, die
zentral für die Selbstentfaltungsthematik stehen und somit im Scope der
Liste (neben der Tatsache, dass sie auch die Oekonux-Praxis tangieren -
Verweis auf unseren aktuellen flame). Insofern wird man die
Psychoanalyse in der einen oder anderen Form nicht draußen lassen
können. Dass es nicht sonnvoll ist, hier eine *akademische* Debatte zu
dem Thema zu führen, d'accord.

Übrigens zeigt m.E. die ganze bisherige ox-Geschichte, dass ein
akademischer Anspruch das Projekt in seiner derzeitigen Form
überfordert. Hier ein "Forschungsprogramm" in dem von dir anderenorts
thematisierten Sinne aufsetzen zu wollen bedürfte einer großen
Anstrengung. Vielleicht wäre es sinnvoller, umgekehrt (organisiert) den
Weg in bestehende akademische Diskurse zu suchen.

Aus diesem Unterschied folgt auch die sehr verschiedene Bewertung
assoziativer Argumentationen - abgesehen davon, dass ich nicht
nachvollziehen kann, dass solche nur als Exemplifizierung einer
ansonsten schon fertigen Theorie nützlich sind. All meine (und in dem
Fall wirklich akademische) Erfahrung besagt, dass gerade in der Phase
der Theorie*bildung* assoziatives Denken eine sehr zentrale Rolle spielt.

... aber meine Sicht ist eben diese. Ich habe null Chance, so einen
Assoziationshaufen in endlicher Zeit auseinander zu nehmen, um eine
Klärung anzustreben, weil jeder Versuch von einer neuen
Assoziationswelle erschlagen wird.

Ich verwende Assoziationen im Diskurs, um einen Diskursfaden zu spinnen
nach dem bekannten Prinzip "rough consensus and running code". Dabei
kann ich natürlich nicht davon ausgehen, dass meine Assoziationen so
aufgenommen werden wie sie gemeint waren. Es gibt dabei ein ganz
normales "Fehlerrauschen" in der Kommunikation, das inhaltlich durch
Nachfrage bzw. einfache Reaktion weiter geschärft werden kann. Denn
selbst aus der Reaktion der Gegenseite kann ich ja versuchen mir ein
Bild zu machen, ob meine Assoziation so angekommen ist wie gedacht. Um
dann zu entscheiden, ob und ggf. wie der gemeinsame Kontext weiter zu
schärfen ist.

Oben nimmst du wieder ein Beispiel (Baum) und versuchst daran mir etwas 
klarzumachen. 

Ich versuchte an einem zunächst einfachen Beispiel klarzumachen, wie ich
Begriffsbildung verstehe. Insbesondere den Unterschied zwischen "Baum"
(konkret-allgemeiner Begriff im Singular) und "je Baum" (dessen
Extension - Plural).

Die Irre oben ist die Gleichsetzung von Bäumen und Menschen: "je
Baum" = "je ich".

Irre? Mein Aussage(versuch) war, dass diese Begriffe *beide* dem eben
beschriebenen Bildungsschema folgen.

Der allgemeine Standpunkt erster Person ist weder singular, noch plural. 
Das ist es, was ich versuche begreifbar zu machen. Es ist - wie Benni 
das mal so nett formuliert hat - so eine Art neuer "vierter Person", 
die es in der deutschen Sprache nicht gibt.

Den absolut künstlichen Charakter dieser Hilfskonstruktion einer
"vierten Person" hat Jac schon klar auseinandergenommen. Ich will nur
noch mal betonen (hat Jac auch schon gesagt), dass diese ganze
Spezialkonstruktion nicht benötigt wird, wenn an der Stelle relationale
Kategorien verwendet werden, Gesellschaft also aus *Beziehungen* und
nicht aus *Individuen* aufgebaut gedacht wird.

Die Bedeutung relationaler Kategorien hatten wir vor einem Jahr am
Begriff "Information" (sogar eine Trias nach [Fuchs-Kittowski]) schon
mal intensiv auf dem Tisch.

Aber mein Standpunkt als Subjekt ist etwas höchst Individuelles,
das den Standpunkt aller anderen als Subjekte nur *in meiner
Wahrnahme* einschließen kann.

Nein, es geht gerade nicht um die Anderen in deiner Wahrnahme, es geht 
auch nicht um deinen Standpunkt als Subjekt, sondern es geht um den 
_allgemeinen_ Standpunkt erster Person, eben "je mich" - das ist etwas 
anderes. Es geht um den Standpunkt erster Person, der alle einzelnen 
Subjekte begrifflich einschließt - und nicht ausschließt, wie im Falle 
von "ich", oder identitär gleichmacht, wie im Falle von "wir".

Das habe ich noch immer überhaupt nicht begriffen. Und ich frage da
wirklich explizit nach, um zu verstehen, was du hier meinst. Denn der Satz

Die bürgerliche Gesellschaft stellt dafür genuin keine Denkmittel 
bereit. 

hilft ja nicht weiter, wenn wir nicht am Punkt landen wollen, der da
lautet "das versteht nur Stefan". Gleichwohl können wir das natürlich
erst mal so stehen lassen, wenn du akzeptieren kannst, dass ich diesen
für mich mysteriösen "allgemeinen Standpunkt erster Person" als
logisches Begründungsargument nicht gelten lasse. Es kann übrigens gut
sein, dass ich an einer solchen Stelle sage "Ist mir trotzdem
plausibel", weil ich dein begründendes Argument durch eines von mir
ersetzt habe (vielleicht so was wie "relationale Kategorie"), das du
nicht als begründendes Argument akzeptieren würdest.

Stefan, ich habe das hier mal so ausführlich ausgebreitet, da es nach
F.O.Wolf neben und vielleicht sogar noch vor den Herrschaftsformen um
eine "Revolution der kulturell geprägten Kommunikationsformen" geht. Und
da kann es nicht schaden, eine solchen Akt der "failed communication"
wie gerade zwischen uns geschehen(d) auch diskursiv zu analysieren.

Nahegelegt ist stets ein exklusives Denken: Ich und der Andere, der
nicht "ich" ist. Dagegen müssen wir IMHO denkend Widerstand leisten,
was zugegeben nicht einfach ist. Es geht darum, das in der Freien
Software ansatzweise praktizierte Inklusionsmodell auch begrifflich
denkbar zu machen: Ich und der Andere, der "ich" gleich mir ist: "je
ich". Selbstentfaltung, die die Entfaltung der Anderen zur 
Voraussetzung hat und umgekehrt.

Ich staune, dass man so was schreiben kann und drei Absätze weiter

Ich bin fasziniert, mit welcher Coolness du die Dinge in ihr Gegenteil 
verkehrst. Ich habe mich gegen einen dreisten Versuch, einen Vortrag 
von mir durch dich per Ko-Referat zur eigenen Selbstdarstellung zu 
destruieren, verwahrt und mir herausgenommen, nicht auf deine 
Wasserstands-Assozationen einzugehen. "Instrumentell" war dein 
Verhalten, meinen Beitrag inhaltlich unberührt in Anspruch zu nehmen, 
um deine Assoziationen dort dranzuhängen. Und wenn dir aufgefallen ist, 
bin nicht nur ich nicht darauf eingegangen (du tust so, als ob es meine 
Pflicht wäre, jeden Beitrag zu kommentieren), sondern alle anderen auch 
nicht. ...

Sehr schön. Dann bitte nimm zur Kenntnis, dass ich dein Verhalten als 
ignorant, destruktiv und ausbeuterisch empfinde. Bislang bin ich aber 
darüber hinweggegangen - es ist ja auch nicht so selten in dieser 
Gesellschaft, als dass ich mich da jedesmal mit befassen müsste. Es ist 
aber interessant, dass ich in dem Moment, wo ich das nicht mehr 
übergehe, sondern explizit anspreche, spiegelbildlich mit eben jenem 
Vorwurf konfrontiert werde. - Na, was sagt die Psychoanalyse dazu?
Ich bemerke das auch ohne Bitterkeit, sondern betrachte es eher wie 
Spock: "fazinierend".

Das ist eine klare Aussage, besonders, wenn ich bedenke, dass ich
versucht hatte, dir darzustellen, dass meinerseits dieses "Spotlicht"
nicht von ungefähr kam. Würde mich schon mal interessieren, wie weit
sich dein Urteil "ignorant, destruktiv und ausbeuterisch" auf mein
ganzes Wirken in Hütten und vielleicht auch noch in dessen Vorfeld
erstreckt.

Jac schreibt
Vorsicht! Ihr streitet um die Macht der Definition, wer wem zuzuhören
 hat und wer inhaltlich ist und wer eben nicht...

Ja, das trifft es ziemlich genau. Aber du wirst meinen Eifer in dieser
Sache vielleicht entschuldigen, wenn ich zu bedenken gebe, dass ich
nicht auch noch von dem Kakao zu trinken gedenke, durch den ich gezogen
werde.

Hütten hätte auch ganz anders laufen können - klassisch organisiert mit
vorab ausgesuchten Vorträgen etc. Dann würden wir über all das hier
nicht reden, weil dann die Sachen, die mir wichtig gewesen und im
Vorfeld sichtbar waren (etwa die Debatte um Bennis "Bedeutungswirbel",
Stefan Mertens Kommentar, dass man wohl eher über "No Work" sprechen
müsse, der Thread mit Wolf Göhring und - last not least - die Thematik
meines mawi-Papers), auch angemessen vorgekommen wären.

Wir haben im Vorfeld anders entschieden, uns als Organisatoren zurück zu
nehmen und OpenSpace-Techniken einzusetzen, um maximale Partizipation zu
erreichen. Und ich bin Annette *sehr dankbar*, dass es - weitgehend auf
ihre Anregung hin und ihre praktischen Erfahrungen nutzend - so gekommen
ist und ich die Erfahrungen sammeln konnte, die ich gesammelt habe. Und
der Kern dieser Erfahrung, die ich hier am konkreten Beispiel ausbreite,
lautet für mich: Die so entstehenden Freiräume werden nicht vorsichtig
und respektvoll gemeinsam gestaltet, sondern schlicht annektiert. Die
"Schlacht an der Pinwand" am Freitag abend war eine praktische
Lehrvorführung, wie der "Streit um die Macht der Definition, wer wem
zuzuhören hat," unter Leuten geführt wird, die es eigentlich besser
wissen sollten. Um es drastisch zu sagen: Auch da galt "Wenn du nicht
ausbeutest, dann wirst du ausgebeutet".

Das, was in der Google-Gruppe h06-auswertung dazu zusammengetragen
wurde, ist von keinem dieser "Selbstdarsteller" auch nur angeschaut
worden. Dass Annette dies gegenüber dem inhaltlichen Gewinn (den ich
auch für mich in keiner Weise in Abrede stelle) als zweitrangig
betrachtet und eigentlich "unter den Teppich kehren will" nehme ich zur
Kenntnis. Dass auch noch andere Leute in Hütten überfahren wurden und
mit ähnlichem Groll im Bauch gingen, das weiß ich von wenigstens einer
weiteren Person - in dem Fall sogar ein Diskussionsleiter.

Ich glaube aber, wir tun Oekonux keinen Gefallen, wenn wir da
stillschweigend drüber weg sehen. Die geringe Integrationskraft von
Oekonux für andere Ansätze ist mehrfach - vor allem auch von außen -
diagnostiziert worden. Ich sehe eine Quelle dieser fehlenden
Integrationskraft genau an der bezeichneten Stelle.

Viele Grüße, hgg

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe




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