Message 12932 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT12855 Message: 35/50 L11 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox-de] Re: Schlaraffenland?



[Converted from multipart/alternative]

[1 text/plain]
Einer der Knoten von Ronald Laing als Muster kommunikativer Schwierigkeiten
zwischen Menschen ist zum Beispiel dieser:

    Es gibt etwas, was ich nicht weiß,
       das ich wissen sollte.
   Ich weiß nicht, was es ist, das ich nicht weiß
       und doch wissen sollte,
   und ich glaube, ich stehe dumm da,
       wenn ich es weder zu wissen scheine
           noch zu wissen, was es ist, das ich nicht weiß.
   Daher gebe ich vor, es zu wissen.
       Das ist nervenaufreibend,
       da ich nicht weiß, was ich vorgeben muß zu wissen.
   Daher gebe ich vor, alles zu wissen.

   Ich glaube, du weißt, was ich wissen sollte,
   aber du kannst mir nicht sagen, was es ist,
   weil du nicht weißt, daß ich nicht weiß, was es ist.

   Du magst wissen, was ich nicht weiß, aber nicht
       daß ich es nicht weiß,
   und ich kann es dir nicht sagen. Also wirst du mir alles sagen müssen.

Gruß, Hannes Emminger

p.s. ein Buchtippp: Andrew Keen, Die Stunde der Stümper (2007)


Von: Hans-Gert Gräbe <hgg hg-graebe.de>
Antworten an: liste oekonux.de
Datum: Sat, 03 Jul 2010 20:54:16 +0200
An: liste oekonux.de
Betreff: [ox-de] Re: Schlaraffenland?

Hallo Stefan,

leider konnte ich mich nicht zeitnah an der Debatte beteiligen. Hier
dennoch ein paar Bemerkungen.

Am 05/27/10 09:31, schrieb Stefan Merten:
Ich jedenfalls denke nicht, dass es keine Konflikte mehr geben wird.

Ich gehe da sogar noch viel weiter - Konflikte sind nach meinem
Verständnis das zentrale Strukturierungselement der Welt, alle
sichtbaren Strukturen sind "Waffenstillstandslinien" in dem einen oder
anderen Sinn. Die wirklich wichtigen (und interessanten) Konflikte
lassen sich auch nicht "lösen", sondern sind dauernde Gratwanderungen.
Viele dieser Konflikte treten auf als Zielkonflikte zwischen kürzer- und
längerfristigen Perspektiven und damit zwischen verschiedenen
Zeitebenen. Zeit ist - in dem Sinn - fraktal strukturiert.

Sowohl die Metapher "Schlaraffenland" als auch "Selbstentfaltung"
blenden diese Konfliktebene aus bzw. betrachten sie als sekundär.
Selbstentfaltung müsste dazu wenigstens im Plural, und zwar jenseits
eines "je ich", entwickelt werden. Bist du mit anarchistischen Ansätzen
nicht zufrieden, weil sie über die "je ich" Ebene nicht hinauskommen?

Ich denke aber sehr wohl, dass die Konflikte

* andere Gründe haben werden,

Ganz platt deswegen, weil die Profitinteressen weg sind. Das
ermöglicht, dass endlich sachlogische Gründe im Vordergrund stehen.

Hinter den Profitinteressen steckt /auch/ der Spagat zwischen
kurzfristigen operativen Interessen und langfristigen
investiv-reproduktiven. Da kommen dann, wenigstens im produktiven
Anlagekapital, auch die sachlogische Gründe zum Tragen. Das mit den
"anderen Gründen" verstehe ich deshalb nicht, wenn man nicht auf die
Formen, sondern auf die Inhalte der Konflikte abstellt.

In der Peer-Ökonomie (PÖ) wird dieser Konflikt zwischen operativen und
strategischen Interessen durch unmittelbare Kommunikation aufgelöst. Das
geht aber nur bis zu einer gewissen Größe  - einer (nicht nur) meiner
zentralen Einwürfe bei der Frage, in welchen Dimensionen PÖ überhaupt
funktionieren kann. In der PÖ-Theorie nicht beantwortet, so weit ich sehe.

* andere Verlaufsformen haben werden,

Weil der gesellschaftliche Rahmen, in dem diese Konflikte ablaufen
werden, anders sein wird.

Das ist, denke ich, so wie es da steht eine Tautologie. Allerdings ist
bei einem solchen Herangehen - Verlaufsformen _innerhalb_ von Rahmen -
die Frage, was ist Rahmen (also wohl, innerhalb des betrachteten
Ansatzes, eher statisch) und was ist Verlaufsform.  Auch hier schlägt
die Granularität und Fraktalität von Welt zu.  Der (selbstredend
gesellschaftliche) sachlogische Rahmen des o.g. Konflikts zwischen
operativen und strategischen Dimensionen ändert sich mitnichten.  Aus
dieser Perspektive ist es spannennd, nach _anderen_ Verlaufsformen im
_selben_ gesellschaftlichen Rahmen nachzudenken.

Mehr zu solchen gegensätzlichen Perspektiven aus verschiedenen
Zeitrastern siehe mein Aufsatz "Wie geht Fortschritt?"
http://www.hg-graebe.de/EigeneTexte/fortschritt-10.pdf

* andere Akteure haben werden.

Die realen ProduzentInnen werden hier eine sehr viel größere Rolle
spielen - einfach weil es keine Verwerter mehr gibt, die sich in den
Vordergrund schieben. Und die NutzerInnen werden auch eine größere
Rolle spielen, da es ja deren Nutzen ist, der gesteigert werden
soll.

und sie werden da *ganz anders* ausgetragen als in der
Tauschgesellschaft. Was für mich immer der wichtigste Aspekt ist: Die
Governance in Peer Production bezieht sich stets auf das Ziel des
jeweiligen Projekts - und das ist bei Peer Production stets die
Maximierung des Nutzens.

Nach meinem Verständnis verschiebt sich "schlicht" die Bedeutungslinie
zwischen (operativ) produktiven und (strategisch) reproduktiven
Aspekten. Die klassische (kapitalistische) Tauschwirtschaft verbannt die
reproduktiven Aspekte in die Privatsphäre der Unternehmer (bzw. -
Wertabspaltung - in die Privatsphäre familiärer Zusammenhänge). Das
ändert sich - die Reproduktion der Produktionsbedingungen in
kooperativen bzw. kollaborativen Strukturen gewinnt an Bedeutung und
damit auch Formfragen derselben.

Damit verlassen wir vielleicht die "Tauschgesellschaft" im engeren
Sinne, dass damit auch der Kapitalismus automatisch am Ende ist, kann
ich nicht erkennen.

HGG: Was ist "der Kapitalismus" und "Alternativen" angesichts der
Marxschen Aussage, dass sich diese Gesellschaft mit all ihren
Institutionen dauernd transformiert?

SMn: Die Frage stellst du nicht ernsthaft - oder? Der Kapitalismus
ist durch abstrakte Arbeit und durch eine Vergesellschaftung über
den Äquivalententausch gekennzeichnet. Und das hat bisher keine
Transformation auch nur entfernt angetastet.

Doch, das meine ich sehr ernst. Die kapitalistische Gesellschaft hat
sich etwa alle 50 Jahre sehr grundlegend transformiert und
offensichtlich sind wir Zeuge eines weiteren solchen
Transformationsprozesses. Ob Kapitalismus bzw. die Wertkategorie
wirklich allein und dauerhaft auf "abstrakte Arbeit und
Äquivalententausch" zu reduzieren ist oder nicht doch der
Machtförmigkeit von Herrschaftsstrukturen und Ausbeutung als
strukturellem (nicht-personalem) Phänomen eine (wenigstens)
komplementäre Bedeutung zukommt, und ob mit "abstrakter Arbeit und
Äquivalententausch" nicht doch in allgemeinerem Sinne eine
Auseinandersetzung um ein gesellschaftliches Aufwandsmaß (im Sinne der
oben entwickelten "Konfliktlinien") stattfindet, die mit jeder neuen
kapitalistischen Welle auch neue Formen annehmen, das wäre genauer zu
untersuchen. Ich sehe bisher nur, dass bei allen Detaildebatten um PÖ
die Wertkategorie aus allen Knopflöchern hervorlugt.

In der Frage eines Übergangs bin ich relativ agnostisch. Der wird
irgendwie ablaufen. Wichtiger ist für mich, ob die historischen Ziele
da klar genug sind und die historischen Kräfte stark genug. Das steht
für mich außer Frage.

Zustimmung. Im Sinne des Obigen bleibt zu fragen "welcher Übergang".
Auch in *der* Frage bin ich relativ agnostisch.

Viele Grüße,
Hans-Gert
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[2 text/html]
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT12855 Message: 35/50 L11 [In index]
Message 12932 [Homepage] [Navigation]