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[ox-de] Re: Wert etc. (was: [ox-de] Re: [ox-de] Re: [ox-de] Vorstellung - neu im Club)



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Hallo Stefan und alle andern,

ja da gibts ja auf einmal ne Menge zum dazu sagen!

Weiss ich ja gar nicht wo ich anfangen soll. Eine Frage wär zum
Beispiel: sage ich Sachen, die gewissermassen ja auch Theoriestücke
sind, oder sage ich erst mal was dazu ob und wie Theorie überhaupt
gefragt und gebraucht ist?

Ich will gerne auch dies noch mal vorweg sagen: ich bin heilfroh dass
es Euch gibt und dass ich Euch entdeckt habe, soweit ich die Lage
überblicke in der wir stecken (genau Stefan: zum 3. oder 4. mal in der
Geschichte! klingt jetzt vielleicht bischen dramatisiert, aber
irgendwie ist da schon was dran...) seid Ihr genau auf dem richtigen
Trip, mit diesem Forum und den hier vertretenen und sich entwickelnden
Ansätzen und Einschätzungen, und ich finde ja auch Christians Slogan
"Beitragen statt Tauschen" genau mit dem Nagel auf den Kopf also
jedenfalls genau getroffen, Punktlandung, das ist genau der Punkt,
finde ich, und daraus kann man - theoretisch - den ganzen Rest
eigentlich entwickeln und ableiten, aber - da gehts dann eben los mit
der Theoriebildung, welche Weisheiten hat man denn, woher, auf was
will man sich verlassen können, was gilt, z B: gibt es so Art Axiome,
so Grundsätze? muss es die geben, sollte es die geben? wenn ja - wo
kommen die her? das Problem mit den "ersten Sätzen" ist ja in den
meisten Theorien so was ganz besonders heikles, aber - so würde ich
das jedenfalls einschätzen - kommt man da irgendwann nicht mehr drum
herum, und dann ist es auch ganz gut sich anzuschaun oder angeschaut
zu haben wie das in anderen Wissenschaften bzw. natürlich insbesondere
der Wissenschaftstheorie so aussieht, denn die machen ja den ganzen
Tag nichts anderes als sich um sowas Gedanken zu machen, und - so seh
ich das jedenfalls - überhaupt nicht nur Mist, da ist durchaus was
Brauchbares dabei. 

OK. Also jetzt mal hierzu, zu den zwei Fronten, da hatte ich auf
Keimform schon mal auf den Telepolis-Artikel von Tomasz Konicz
verlinkt (also hier http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32551/
1.html ), ich finde da ist wirklich alles drin, tutto kompletto, wieso
denen nun partout nix anderes mehr einfallen will als
Finanztransaktionen, wieso es Produktivitätssteigerungen geben muss,
und wieso die nicht an die Beschäftigten weitergegeben werden, wie das
auf der anderen Seite das Drama wieder verschärft etc, wieso das alles
nur mit Verschuldung weitergehen kann, und wieso die ihre Schulden
jetzt von einem Land ins anderes schieben müssen.   
Hierzu:

"Hier gibt es sogar zwei Fronten. Die immer weniger notwendige
menschliche Arbeitskraft ist die eine. Aber die immer schlechter zu
unterbindende Ausreichendheit tötet die Knappheit praktisch. Und ohne
Knappheit keine Ware."

Was die Knappheit tötet ist sogenannte Marktsättigung. Da gibt es ja
die Gossenschen Sättigungsgesetze. Die Neo-Klassiker bestreiten das ja
dass es das geben kann - das ist ja der Kardinalstreit unter den
Ökonomen. Es gibt bis heute keine ökonomische Theorie, die sowohl
Sättigung als auch den "technischen Fortschritt" in ihr Modell
einbinden kann, wird einfach ausgeblendet. J. M. Keynes war ja einer
der ganz wenigen die das nicht gemacht haben, und der hat ja für die
1970er Jahre genau das vorausgesagt, was ja dann auch genau
eingetreten ist, und was bei Konicz sehr schön beschrieben ist:
allmähliche Marktsättigung auf den wichtigen und die Entwicklung
treibenden Märkten, und allmählich fing das damals an dass die
Prozessinnovationen ("Rationalisierungen") die Produktinnovationen
überholt haben, ergo: Fall der Profitrate, und (relativ) immer weiter
steigende Arbeitslosigkeit, und daher immer grösserer Druck auf die
Löhne. - Keynes hat eben daraus gefolgert, dass die Rettung die immer
weiter fortschreitende Arbeitszeitverkürzung sein müsste. Ganz falsch
ist das ja m. E. nicht, aber irgendwann funktioniert das nicht mehr...
 und dann muss eben was ganz anderes kommen. Und was das ist, da finde
ich, das wird im Moment gerade hier ausgebrütet.

Wieso ist es so wichtig dass nicht mehr getauscht wird:

"Im Kern geht es um die Verwertung von (abstrakter) Arbeit. Abstrakt
ist die Arbeit, weil sie von dem konkreten Gegenstand abgelöst ist. Es
ist egal, womit ich meine Brötchen oder meinen Profit mache.

Peer Production braucht konkrete Arbeit - es ist eben nicht egal in
welchem Peer-Production-Projekt ich mich engagiere.

Die Verwertung (abstrakter) Arbeit funktioniert immer schlechter -
weswegen die Finanzblasen aufgeblasen werden müssen. Glücklicherweise
wächst das Rettende auch..."

Abstrakt werden die Dinge die getauscht werden (Waren, also Güter und
auch die Arbeit) dadurch, dass im Moment des Tauschens, also des
Erwerbs oder Besitzwechsels von den restlichen Eigenschaften einer
Sache abstrahiert wird, und nur der Tauschwert interessiert.
Man sollte sich klarmachen, dass diese Ausweitung der Märkte, also des
Handels (durch Aufhebung von Zöllen und allerlei Vorschriften wie
Gewerbe- und Zunftordnungen etc.) zu Beginn des Kapitalismus ja
durchaus wohlstandserweiternd waren (es gab mehr billige Sachen für
alle!), sieht Charlie Marx ja auch so. Es ist also nicht irgendwie ein
Fehler da im System mit der abstrakten Arbeit und dem abstrakten Wert.
Schwierig wird es erst, wenn der Kapitalismus reif geworden ist - wenn
eben das eintritt, dass die Sachen so langsam alle da sind, also
dieses ganze Problem mit Überangebot an Arbeit und Sättigung, und vor
allem - ist es ja! - Überangebot an Kapital. Das ist ja das groteske
was so hinterlistig verschwiegen wird: dass dieser Überschuldung von
der alle reden ein Überangebot an Kapital gegenübersteht; wir haben
das Schuldenproblem, weil ein paar findige Trixer diese diversen
Ideen hatten wie man den riesigen Kapitalströmen noch wieder zu
Verzinsung verhelfen kann. Irgendwann haben die die ganze Welt ge-
bzw. verkauft, Luft, Wasser, Sonnenlicht, der Pabst - alles weg per
Cross Border Leasing, muss alles zurückgeleast werden...            

Also: solange es diese hochspezialisierte Arbeitsteilung, diese
extreme gesellschaftliche Arbeitsteilung und Spezialisierung in der
Erzeugung der (meisten) wichtigen Güter und Dienstleistungen gibt,
kann man ja auf Tausch nicht verzichten - wenn der eine nichts anderes
kann als ultraharte Zahnräder herzustellen, und der andere nichts
anderes als TetraPak-Verpackungen - dann bleibt denen nichts anderes
übrig als sich auf einen grossen Markt zu stellen und zu sehen, dass
sie ihr Zeug los werden, möglichst gegen ein Tauschmittel, von dem sie
sicher sein können dass es ihnen jederzeit wieder abgenommen wird. Das
ist eben Geld. Solange die ganze Produktion so läuft, dass es lauter
Spezialanbieter gibt, die darauf hoffen genau ihre "Nische" gefunden
zu haben wo sie dann "besser" (weil schneller, billiger, qualitativ
besser) sind als andere, die sich eben nicht spezialisiert haben, kann
man nichts anders machen als zu tauschen. Wenn man das aber nicht
machte, und jeder seinen Eigenbedarf herstellen würde, gäbe es einen
dramatischen Rückschritt und Rückfall in der Güterversorgung, wir
wären alle arm und kümmerlich gekleidet und sässen auf selbstgesägten
Sofas und müssten auf selbstgeschmiedeten Fahrrädern rumfahren... und
den ganzen Tag den Garten umgraben. (fragt Frithjof Bergmann!)

Erst wenn es diese Art von Produktion gibt, in der die Spezialisierung
nur noch eine Spezialisierung des Wissens ist, das dann irgendwo
öffentlich und "OPEN" abgelegt und ganz einfach öffentlich zugänglich
gemacht werden kann, kann man so langsam anfangen, auf den Tausch von
fertigen Waren gegen Geld zu verzichten, weil die Sachen dann eben
nicht mehr aus Fabriken mit Arbeitern und mit einer Marketing-
Abteilung und einem Finanzvorstand kommen, sondern aus solchen
Maschinen, die "selber" überhaupt kein "Fachwissen" mehr haben müssen,
sondern einfach so ein STL-File abarbeiten, das aber dieses ganze
know-how enthalten muss das notwendig ist, um irgendein taugliches
"Gut", einen Gebrauchsgegenstand, herzustellen.  Natürlich befinden
wir uns mit dieser Technologie ganz am Anfang, natürlich ist das alles
noch weit weg, natürlich müssen diese Maschinen gepflegt und gewartet
und vor allem auch gebaut werden, aber diese Technologie ist - finde
ich - der "Keim" sozusagen für was Neues, und m. E. genau dieses neue
Produktionsmittel das der Kapitalismus sich ausbrüten muss, um eine
neue; "höhere" Form der Organisation und Vergesellschaftung zu
verwirklichen. Das - und die Netz-Technologie zur Vergesellschaftung,
sowie natürlich die Software zur Steuerung - ist das Rettende, das
eben auch wächst, und dazu gehören dann sicher auch Menschen mit einem
"neuen" Bewustsein: die eben in der Lage sind über den Tellerrand zu
schaun, also auf das Ganze, die verantwortlich denken können, die
nicht mehr so sehr von der Furcht vor Knappheit und materiellem
Mangel geprägt sind, und daher einfach kooperativer und
selbstständiger und weniger hierarchiegläubig und sozialer "gepolt"
sind.        

Also nochmal hierzu:

"Ich denke nicht, dass jeder alles selber direkt herstellen können
muss. Ich sehe keinen fundamentalen Grund, warum es kein Verteilsystem
für materielle Güter geben darf."

Das "Selber herstellen" ist ja unter diesen Bedingungen was ganz Neues
und irgendwie ja auch nicht "selber" herstellen - man zapft ja nur ein
im Grunde öffentliches System an. Wenn man sich das mal so zu Ende
denkt - das RepRap-Projekt, MakerBot, universale digitale Fabrication,
Gershenfelds Replicator - dann ist das Ding am "Ende", also am Ende
der Produktionskette, das Ding beim Verbraucher, also der Fabber
selber - ja so gut wie kostenlos, hat sich selbst repliziert, ist da,
kosten- oder ziemlich anstrengungslos, jedenfalls recht einfach zu
haben, und spuckt dann die Sachen aus. Mir ist klar wie weit weg und
utopisch das ist, wenn man sich anschaut dass die Dinger heute mal
gerade Eierbecher oder lustige Schattenrisse fabrizieren können, aber
- trotzdem ist das der Kern, das Internet der Dinge, das Kopieren-
Können von Sachen, von Fahrrädern. Deshalb hat der Satz "Copying is
not Theft" diesen speziellen (historischen!) Sinn. Erst wenn diese
Technik da ist, macht es Sinn drüber nachzudenken dass man sowas - z B
Herstellen von Fahrrädern - als gemeinschaftliches Projekt angehen
könnte - hat bei einer konventionellen Fabrik hätte es eben keinen
Sinn!         

Ja und dazu:

"Das wäre natürlich toll, wenn wir da einen größeren Beitrag leisten
könnten. Aber ich sehe durchaus immer mal wieder, dass die
Oekonux-Diskussion doch einige Leute zum Nachdenken gebracht hat. Das
finde ich gut :-) ."

Das Thema (grösserer Theorie-Beitrag) juckt mich natürlich deshalb so,
weil ich da schon paar Jahre reingesteckt habe, obwohl ich durchaus
oft den Eindruck habe dass die Dinge sich sowieso entwickeln wie
sie "wollen"... aber dann anderereits wieder: Adam Smith's "Wealth of
Nations" war gewissermassen die Theorie zum beginnenden Kapitalismus -
also ich fände es nicht schlecht, irgendwo in einem systematischen
Ganzen mal zusammengefasst und abgelegt zu haben, was es denn mit dem
auf sich hat was in unserer Gegenwart so gerade alles passiert, und
vor allem: wo es - im besseren Fall - auch hingehen könnte, oder
jedenfalls sollte, nach übereinstimmender Auffassung.  

Also dass die Ökonux-Liste einige Leute zum Nachdenken gebracht
hat, schätz ich auch mal, ist mir ja selbst so gegangen, und finde ich
auch gut, ganz klara fall!  

Grüsse allerseits, 
Ludger  
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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