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Re: [ox-de] Ökonux und Politix



Lieber Ludger,

ich entschuldige mich vorab für den scharfen Ton meiner Antwort, aber mich regt das schlicht auf. Und sage mit Luther: Hier stehe ich und kann nicht anders.

Am 04/28/10 21:17, schrieb Ludger.Eversmann t-online.de:
Auf Franz' Dorf-Wiki habe ich einen Kommentar von Frithjof gesehen,
ganz enthusiastisch über die Dorf-Community im allgemeinen, und dass
es möglicherweise bald möglich sei, etwa 80% des gewöhnlichen Bedarfs
eines solchen Dorfes da lokal und intern auch herzustellen.

Ich glaube das ist es genau worum es geht: es wird gelingen müssen,
solche kommunalen oder auch politischen oder sozialen,
organisatorischen Einheiten zu finden oder zu entdecken, die genau
dazu in der Lage sind: sich mit Hilfe all dieser technischen Helfer so
weit wie möglich selbst zu erhalten und zu versorgen, ...

Hierfür müsste man endlich mal klären, auf welchen *Voraussetzungen* das überhaupt möglich ist. Irgendwie ist da ja die gesamte Industriegesellschaft (die Computer, das Internet, Basismaterialien der veschiedensten Art, aus denen dann, "lokal und intern" die vielen Dinge des persönlichen Bedarfs hergestellt werden) vorausgesetzt. Dass bei letzterem heute eine ganz entscheidende Flexibilisierung möglich ist, das steht auch für mich außer Frage. Aber das berühmte "Druckerproblem", das für Stallman am Anfang der GNU-Story stand, ist ja gerade *keines* der Autarkie, sondern allein eine Frage der sinnvoll ausbalancierten Handlungsoptionen auf verschiedenen (gesellschaftlichen) Handlungsebenen.

Der Blick auf die "technischen Helfer" verliert aus dem Auge, dass diese nicht voraussetzungslos vorhanden sind, sondern hier ebenfalls Reproduktionskreisläufe zu stabilisieren sind.

Es kann gut sein, dass man auf kommunaler Ebene *anfangen* muss, die Ökonomie den Ökononem und die Politik den Politikern zu entreißen und zur eigenen Sache zu machen, aber bitteschön dann auch mit dem erforderlichen Sachverstand.

Wir hatten dazu hier vor vielen Jahren eine - heute gut vergessene - Diskussion über Kooperenz http://www.opentheory.org/ko-kurrenz/text.phtml

Leider ist die Diskussion über Peer-Ökonomie aus meiner Sicht in einer massiven Sackgasse, so lange sie sich als Allheilmittel gegen alle Übel der heutigen Zeit präsentiert - wie noch einmal von Christian Siefkes letzte Woche hier in Leipzig vorgetragen. Einen Fork kann ich eben zur Not in einem Software-Projekt machen, nicht aber in der Realität, wenn es darum geht, ein Haus zu bauen. Nach dem Fork stünde nämlich dann (wenigstens) eine Investruine rum. Du kannst dem natürlich entgegenhalten "Nu schto?" - aber das ist nicht wirklich seriös. Um diese Fragen machen die PÖ-Leute seit Jahren einen weiten Bogen.

mit allem was man zu einem komfortablen Leben so als notwendig und
wünschenswert erachten mag, inklusive der wichtigen, und vollkommen
unverzichtbaren Dinge. Und solche Einheiten werden sich
möglicherweise wieder mit anderen verbinden oder vernetzen, und auf
einer anderen, höheren Ebene in diesem Sinne kooperieren.

Ein konfliktfreies privates Leben, wie es der MWW (als Instanz der Kurzschen Warenmonade) täglich vor seinem Computer er- und auslebt, der aufs Wort hört - besser als jeder Hund - und auch im intersubjektiven Bereich lösen sich die Konflikte auf wundersame Weise auf - "solche Einheiten werden sich möglicherweise wieder mit anderen verbinden oder vernetzen, und auf einer anderen, höheren Ebene in diesem Sinne kooperieren" - allein die Passivform dieser Aussage spricht Bände.

Nein, ich denke, die Quelle der Denkfigur ist mehr als deutlich auszumachen, und dann träumt der MWW weiter:

Was möglicherweise bald viel wichtiger werden könnte: die Grundzüge
der Ökonux-Ideen zu Politix werden zu lassen. Und zwar meine ich damit
ein richtiges politisches Programm, das möglicherweise auch zu einem
Parteiprogramm werden könnte, einer Partei, die man wählen, und die
Mehrheiten erringen könnte. (oder gibts sowas vielleicht schon?)

Die Piraten? Wenigstens hier in Leipzig gehen die auch gerade den Weg alles Irdischen und zerfetzen sich in internen Rangeleien, weil es mit den Konflikten und der Konfliktfähigkeit eben doch nicht so weit her ist ... Dieser Politisierungsprozess ist gleichwohl spannend, aber nicht wegen der Partei, sondern wegen der Leute. Alter Streitpunkt hier mit mir - sollen Ideen oder Leute im Mittelpunkt der Theorie stehen.

Denn: möglicherweise gibts wirklich demnächst mal Krisen eines
Ausmasses, das den schlimmsten apokalyptischen Vorstellungen Norbert
Wieners dann auch tatsächlich nahe kommt, die er mal sich ausgemalt
hat für den weiteren Entwicklungsgang des ökonomischen
Wertäquivalents, ...

Da gibts gelegentlich Leute bei uns in der Straße, die eine Zeitschrift kostenlos anpreisen, in der stehen ähnliche Schreckensszenarien, und die haben ähnlich lachende Menschen auf den Seiten, auf denen sie ihre bessere Welt beschreiben.

Warum meinst du, dass deine Argumentation qualitativ anders ist als deren Argumentation?

Also die aktuellen Krisenherde (Griechenland, Spanien und Portugal)
sowie eine auch schon seit längerem sich anbahnende neue US-
Immobilienkrise lassen einem doch ein wenig den Schaum vom Bier
zittern, muss ich sagen.

MWW halt. Bei anderen (den Betroffenen) zittert nicht nur der Schaum vom Bier. Ich denke, präziser kannst du den Kleinbürger nicht raushängen lassen.

Und ich habe so das Gefühl, dass es nicht schlecht sein könnte, wenn
man dann wenigstens in ganz groben Zügen mal die Architektur, den
groben Plan eines "Systems" in der Tasche hätte, wie der Laden denn
auf Dauer, mit auch noch so viel und noch so smarter und potenter
Automation laufen kann; die Züge einer ökonomischen Ordnung also, die
- wie der Aachener Ökonom Karl Georg Zinn das genannt hat -
Stagnationsstabilität besitzt, also Stabilität auch bei denkbar
vollständiger Automation, auch bei denkbar kompletter
"Arbeitslosigkeit" (im Rahmen des automatentheoretisch möglichen
natürlich!)

Fein. Die Defekte der heutigen Industriemaschine bekommen wir in den Griff, indem wir sie in eine noch mächtigere einbauen (oder wie darf ich das mit dem Plan verstehen?). Und du und deinesgleichen sind die Architekten? Sorry, vielleicht geht da der Ossi mit mir durch, zumal ich gerade in der LINKEN erlebe, wie sich die alte Garde reproduziert hat und die Kommandohöhen der "Architektur" fest in den Händen hält.

Ich glaube es muss auch mehr Aufmerksamkeit für diese Ideen geschaffen
werden, auch für die Ausweglosigkeit des "Kapitalismus", um das
Interesse zu schärfen für Alternativen;

Was ist "der Kapitalismus" und "Alternativen" angesichts der Marxschen Aussage, dass sich diese Gesellschaft mit all ihren Institutionen dauernd transformiert? Sind wir derzeit Zeuge allein einer solchen Transformation oder gibt es wirklich Elemente, die darüber hinausweisen? Ich habe oft genug aufgezeigt, dass sich auch die Peer-Ökonomie-Ansaätze durchaus *innerhalb* einer sich wandelnden Wertform bewegen. Gerade die Stellen, wo Siefkes dann doch mal aus den Nebelschwaden seiner Höhenflüge in die Gefilde der realen Fragen abtaucht (passierte in Leipzig leider nicht) oder gar zwei, drei Formeln bemüht, zeigen das sehr deutlich auf.

Wenn Altvater vom "Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen" schreibt, dann bedeutet das ja noch nicht, dass der Kapitalismus damit wirklich am Ende ist. Meine weitergehenden Thesen ("pubertäre Form ...") will ich hier gar nicht erst ins Spiel bringen.

und die Erkenntnis durchzusetzen dass es tatsächlich keine anderen
tragfähigen Alternativen gibt, die einen echten Fortschritt
darstellen.

Was ist Fortschritt, gar "echter Fortschritt"? Wer legt da das Maß an und warum ist dieses das korrekte? Mit welcher Berechtigung? Siehe meinen Aufsatz "Wie geht Fortschritt?", der in vielem auch eine Replik auf Cromes kurzes Kapitel (8 Seiten) gleichen Namens in dessen Pamphlet "Sozialismus im 21. Jahrhundert" (über 200 Seiten) ist.

Es müsste mehr Aufwand in Forschungen gesteckt werden, wie so etwas
wie eine sich selbst versorgende kommunale Einheit realisiert werden
könnte, da müsste m. E. richtig Power hineinwandern, damit das alles
schnell genug voran geht, bevor rundherum das "Alte" eben seinen
Geist aufgibt, und dann möglicherweise gar nichts mehr geht. Also
bischen mehr Dampf kann bestimmt nicht schaden.

Ah ja, allein die Umstände sind andere. Dumm gelaufen?

Siehe auch meine Kritik von Fleissners Thesen, http://www.dorfwiki.org/wiki.cgi?HansGertGraebe/RohrbacherKreis/Dahlen-09/Fleissner-Thesen-09, in meinem Aufsatz "Wie geht Fortschritt?", die ähnlich kategorisch-imperativ daherkommen wie deine Thesen.

Ich denke das müsste u. a. an Universitäten passieren, in all diesen
öffentlichen Foren die es so gibt, Frithjof hatte ja mal recht viel
Aufmerksamkeit, aber das ist wohl wieder abgeflacht, ja warum
eigentlich?

Ah ja, an denselben Orten, die eh schon durch massive Defizite glänzen? Die aktuellen Kürzungen in diesem Jahr um 20% (bei Hilfskraftmitteln an der Uni Leipzig sogar 50%) zeigen, welche Beben die Finanzkrise gerade in diesem infrastrukturellen Bereich auslöst.

Also - ich finde es muss mehr passieren, grössere theoretische
Geschlossenheit, Schärfe und Brillianz, und grössere pragmatische
Entschlossenheit und Kraft, um Kräfte binden und bündeln zu können.

Ah ja, "Geschlossenheit", "Entschlossenheit" - offensichtlich kennst du den einzig richtigen Weg. Vielleicht brauchen wir in einer Zeit der großen Suche eher das Gegenteil davon?

Viele Grüße,
Hans-Gert
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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