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Assoziationen und anderes (Re: [ox-de] Re: Nochmal: gesellschaftliche Natur)



Hallo Hans-Gert,

Am Sunday 24 September 2006 19:48 schrieb Hans-Gert Gräbe:
Der körperliche Mensch _ist_ ein gesellschaftlicher Mensch. Aber
wie ich anderenorts
(http://www.opentheory.org/ko-kurrenz/text.phtml#2.1.2) lesen
musste, bist du gar nicht dieser Meinung.

Wie bitte? Was liest du da raus?

Du meinst wohl "wo". Aus diesem Satz der o.g. Referenz: "Das
Individuum ist daher nicht das gesellschaftliche Wesen, sondern nie
etwas anderes als die Einzelinstanz einer Gemeinschaft."

Ich verstehe nicht, wieso du hier offensichtlich ein
Gleichheitszeichen zwischen "körperlicher Mensch" und "Individuum"
setzt - zumal in der Semantik von (ruben-98) an der von mir zitierten
Stelle, wo ja die Begriffe "Individuum" und "Person" genauestens
untersetzt sind.

Warum klärst du die Bedeutung nicht einfach auf, statt neue Vermutungen 
zu äußern?

Möchtest du das Verhältnis von Holzkamp zur Psychoanalyse
diskutieren?

Ja, das interessiert mich sehr.

Ok, dann empfehle ich diese einschlägige Referenz, die du bestimmt in 
der Uni-Bibliothek bekommen kannst: Ute Holzkamp-Osterkamp, 
Motivationsforschung 2, Campus, 1976. Darin Kapitel 5: "Psychoanalyse: 
Inhaltliche Kritik ihrer Grundbegrifflichkeit und Herausarbeitung ihres 
Erkenntnisgehaltes als Weiterentwicklung der kritisch-psychologischen 
Gesamtkonzeption", S. 184-484.

Wir haben hier ein gewisses Dilemma. Die Diskussion um im weitesten 
Sinne "psychische Phänomene" hat immer die jeweilige Theorie  dazu - 
und sei es eine Alltagstheorie - im Hintergrund. Eine explizite 
Auseinandersetzung um diese Theorien halte ich in dieser Liste dennoch 
für off-topic. Deswegen habe ich mich nie zur Psychoanalyse geäußert. 
Stattdessen habe ich stets versucht, eng an der Sache zu argumentieren, 
ohne die grundlegenden Fragen explizit anzugehen. Das hat natürlich 
schnell seine Grenzen.

Annette und du hatten die kategoriale Ebene ja dankenswerter Weise
noch mal deutlich auseinandergepuzzelt. ... Wieso meinst du, dass
derartige intersubjektive Interaktionen in deinen Überlegungen zu
"je meine Selbstentfaltung" mit den Instanzen quasi automatisch
mitgedacht sind?

Eine Psychologisierung halte ich genauso inadäquat wie eine
informatische Analogiebildung. Trotzdem der Versuch einer Antwort:
Das konkret-allgemeine "ich" _ist_ das "je ich". Weil ich vermute,
dass diese kurze Antwort - obwohl vollständig - nicht ausreicht,
dazu ein paar Erläuterungen. ...

Zunächst: Ich kann nicht nachvollziehen, wieso du meinst, dass
Informatik und insbesondere Objekt-Modellierung nichts mit
Philosophie und insbesondere mit Konkret-Allgemeinem und
Abstrakt-Allgemeinem zu tun haben.

Weil du nicht philosophisch, sondern gegenstandsbezogen argumentierst. 
Eine solche Hoppladihopp-Übertragung auf Realzusammenhänge kann ich nur 
als unzulässige "Informatische Analogiebildung" zurückweisen und werde 
das auch weiterhin tun.

Da auch El Casi hier noch einmal nachgehakt und -gefragt hatte,

Also für mich bleibt die Frage auch nach Deinen Erläuterungen
offen:  denn die Erläuterungen führen diese konkreten Beziehungen
nicht begrifflich aus, ...

will ich mal mein Verständnis des philosophischen Hintergrunds
genauer ausführen. Es ist allerdings (schon wieder) eine assoziative
Argumentation, denn, Stefan, ich kann deine Aversion gegen
assoziatives Denken nicht nachvollziehen

Ich habe nicht grundsätzlich Aversionen gegen Assoziationen, sondern 
begründe meine Ablehnung immer an der Sache. Und deine Assoziationen - 
nach meiner Wahrnehmung (um das mal wieder einfließen zu lassen) - kann 
ich nur als beliebig, willkürlich und eklektisch bezeichnen. Ein 
Beispiel zur Illustration: Wenn ich sage: "Ich nehme den Weg über den 
Berg", dann antwortest du: "Wieso, geh doch zu Fuß, das ist kürzer". 
Darauf kann ich nur antworten: Das ist eine Assoziation, die IIRC 
unsinnig ist. - Aber es kann natürlich sein, dass es zu Fuß wirklich 
kürzer ist als über den Berg und ich das nur nicht kapiere. Allerdings 
fand ich noch niemanden, der mir deine Assoziationen erklären kann.

Wir reden über verschiedene Dimensionen, Themen, Ebenen, was auch immer, 
jedenfalls reden wir aneinander vorbei. Meine Vorschläge, das zu 
klären - etwa nicht assoziativ, sondern zur Sache zu reden - werden von 
dir zurückgewiesen. Na gut, aber dann wirst du verstehen, dass mir dann 
bald nix mehr einfällt.

wie im Übrigen auch nicht 
deine spezielle Sicht auf die philosophischen Kategorien
"Abstrakt-Allgemein" und "Konkret-Allgemein". Sind beides doch
Abstraktionen (und damit zugleich Reduktionen - es wird ja *von
etwas* abstrahiert), denen assoziatives Denken vorausgeht. Bevor ich
"Baum" denken kann, muss ich schließlich eine assoziative Verbindung
zwischen verschiedenen realen Gewächsen herstellen. Um dann das
Gemeinsame als Abstrakt-Allgemeines
(intentional) abzuheben. Erst dann kann ich das Abstrakt-Allgemeine
in die Welt als Konkret-Allgemeines zurück abbilden und überall da,
wo "je Bäume" sind, diese auch als solche erkennen. Aber auch hier
ist der konkret-allgemeine Baum (Singular) *nicht* der "je Baum"
(Plural), sondern beide Begriffe stehen in einem extensionalen
Verhältnis zueinander.

Und genauso stehen "ich" und "je ich" für mich in einem extensionalen
Verhältnis und sind nicht identisch. Wobei "ich" - derselben Linie
wie eben für "Baum" beschrieben folgend - eine Abstraktion ist, die
das Gemeinsame der Selbsterkenntnisprozesse der Menschen benennt und
dabei - selbstverständlich - von gewissen Differenzen absieht.
Allerdings nicht von allen, so wie verschiedene Objektinstanzen
derselben Klasse verschiedene Werte desselben Attributs haben können,
das "je ich" aber dann auf die gemeinsame Existenz des Attributs
abstellt und die (gemeinsamen) Mechanismen, wie das Attribut zu
seinem Wert kommt, und nicht auf die "je Werte" selbst.

Ok, da hast wieder so einen assoziativen Gedankenhaufen gebaut, der klug 
klingt, aber (nach meiner Sichtung), eine Menge unterschiedlicher 
Fragmente einfach assoziativ zusammenmischt. Durch Assoziationen wie 
dem "je Wert", den du aus dem "je ich" nimmst (der bekanntermaßen den 
Subjektstand redbar machen soll, mehr nicht), entwertest du die 
ursprüngliche Bedeutung und bindest das Ganze mit einer informatisch 
aufgeladenen Klammer (mit all den Klassen, Attributen, Existenzen, 
Objekten, Intensionen, Extensionen usw.) in einer Weise so zusammen, 
dass sämtliche spezifischen Qualitäten wegassoziiert sind: "Sind nicht 
irgend alles Assoziationen und Abstraktionen?"

Das muss aus deiner Sicht total ungerecht klingen, mir klar, aber meine 
Sicht ist eben diese. Ich habe null Chance, so einen Assoziationshaufen 
in endlicher Zeit auseinander zu nehmen, um eine Klärung anzustreben, 
weil jeder Versuch von einer neuen Assoziationswelle erschlagen wird. 
Oben nimmst du wieder ein Beispiel (Baum) und versuchst daran mir etwas 
klarzumachen. Beispiele erklären jedoch nichts, im Gegenteil, sie 
führen in die Irre, verwendet man sie zur Erklärung und nicht zur 
Illustration von Erklärtem. Die Irre oben ist die Gleichsetzung von 
Bäumen und Menschen: "je Baum" = "je ich".

Ich kann da wiederum nur an einzelnen Aussagen ansetzen, und eng 
umrissen zu Sache argumentieren - unter Ausblendung anderer Last.

Mit diesen allgemeinen "ichs" ist generell "unsereiner" vom
Standpunkt erster Person gemeint. Dieser allgemeine Standpunkt
erster Person ist je mein Standpunkt als Subjekt, der den
Standpunkt aller anderen als Subjekte mit einschließt.

Hier etwa kommt in deiner Argumentation unvermittelt der Plural auf
den Tisch, um im nächsten Satz sofort wieder in den Singular ("Dieser
allgemeine Standpunkt erster Person") zu verfallen.

Der allgemeine Standpunkt erster Person ist weder singular, noch plural. 
Das ist es, was ich versuche begreifbar zu machen. Es ist - wie Benni 
das mal so nett formuliert hat - so eine Art neuer "vierter Person", 
die es in der deutschen Sprache nicht gibt.

Aber mein 
Standpunkt als Subjekt ist etwas höchst Individuelles, das den
Standpunkt aller anderen als Subjekte nur *in meiner Wahrnahme*
einschließen kann.

Nein, es geht gerade nicht um die Anderen in deiner Wahrnahme, es geht 
auch nicht um deinen Standpunkt als Subjekt, sondern es geht um den 
_allgemeinen_ Standpunkt erster Person, eben "je mich" - das ist etwas 
anderes. Es geht um den Standpunkt erster Person, der alle einzelnen 
Subjekte begrifflich einschließt - und nicht ausschließt, wie im Falle 
von "ich", oder identitär gleichmacht, wie im Falle von "wir".

Die bürgerliche Gesellschaft stellt dafür genuin keine Denkmittel 
bereit. Das liegt nach meiner Einschätzung an der gesellschaftlichen 
Praxisform des isolierten Einzelnen, der Monade, des isolierten 
Privatproduzenten, der scheinbar seine Gesellschaftlichkeit erst im 
Nachhinein (nach der Produktion in der Zirkulation) realisiert. Das ist 
eine Form der "ungesellschaftlichen Gesellschaftlichkeit", die sich in 
den entsprechenden gesellschaftlichen Denkformen niederschlägt - auch 
in dieser Liste. Nahegelegt ist stets ein exklusives Denken: Ich und 
der Andere, der nicht "ich" ist. Dagegen müssen wir IMHO denkend 
Widerstand leisten, was zugegeben nicht einfach ist. Es geht darum, das 
in der Freien Software ansatzweise praktizierte Inklusionsmodell auch 
begrifflich denkbar zu machen: Ich und der Andere, der "ich" gleich mir 
ist: "je ich". Selbstentfaltung, die die Entfaltung der Anderen zur 
Voraussetzung hat und umgekehrt.

Sofern der Standpunkt erster Person nicht hintergangen, der
Subjektstandpunkt des Anderen also nicht negiert, sondern voll
akzeptiert wird, ist das Verhältnis zwischen diesen ein
intersubjektives. Ein instrumentelles Verhältnis hingegen liegt
vor, wenn der Subjektstandpunkt hintergangen oder negiert wird, der
Andere also nicht wie "meinereiner" ... behandelt wird.

*Genau* darum ging es mir - dass dieser "Standpunkt erster Person" in
*diesem* Sinne als konkret-allgemeine Kategorie (in seiner
Extensionalität als "je ich") gedacht dazu führt, dass die
Beziehungen zwischen Menschen "von den Enden her" und damit
automatisch instrumentell gedacht werden.

So. Das kommt raus, wenn man herumassoziiert und aber nicht den Inhalt 
ernst nimmt oder nicht versteht, sondern ihn um 180 Grad verdreht.

Es geht darum, nicht das Ich zu 
konstruieren, sondern die Beziehungen. Gehst du vom  "Standpunkt
erster Person" aus, dann steht - ob du das willst oder nicht - dein
Ich im Mittelpunkt und das "Andere Ich" wird - mit allen Konsequenzen
- nur peripher, eben insofern es deiner Entfaltung dient,
wahrgenommen.

Das geschieht in deinem Kopf, weil du über die nahegelegte Form dieser 
bürgerlichen Gesellschaft nicht hinausdenken kannst oder willst. Du 
kannst nur Exklusion denken. Es ist kein Wunder, wenn dir *vor diesem 
Hintergrund" der Wert (der diese Hölle und ihre Denkform erst erzeugt) 
wie die zivilisatorische Rettung erscheinen _muss_ - ich kann es 
gedanklich nachvollziehen.

Da ich davon ausgehe, dass du dich auch entsprechend deinen
theoretischen Einsichten verhältst, ist deine Erwiderung auf meinen
"Erfahrungsbericht" für die konkrete Praxis "Hütten" eine perfekte
Illustration meiner Ausführungen - dass du mir, aus deinem im "je
ich" und damit (war ja eine konkret-spezielle Situation) "ich"
wurzelnden Entfaltungsanspruch *bewusst* meinen Entfaltungsraum nicht
gelassen hast (ich war halt "dreist" etc.) und dabei durchaus
instrumentell ("ignorieren", "ansonsten in größtmöglicher Klarheit
argumentieren") vorgegangen bist.

Ich bin fasziniert, mit welcher Coolness du die Dinge in ihr Gegenteil 
verkehrst. Ich habe mich gegen einen dreisten Versuch, einen Vortrag 
von mir durch dich per Ko-Referat zur eigenen Selbstdarstellung zu 
destruieren, verwahrt und mir herausgenommen, nicht auf deine 
Wasserstands-Assozationen einzugehen. "Instrumentell" war dein 
Verhalten, meinen Beitrag inhaltlich unberührt in Anspruch zu nehmen, 
um deine Assoziationen dort dranzuhängen. Und wenn dir aufgefallen ist, 
bin nicht nur ich nicht darauf eingegangen (du tust so, als ob es meine 
Pflicht wäre, jeden Beitrag zu kommentieren), sondern alle anderen auch 
nicht.

Am Anfang in der Eröffnungsrunde hattest du dich beklagt, dass nie so 
recht jemand auf deine Theorien einginge und dir gewünscht, in Hütten 
solle doch das mal ernsthaft geschehen. Hast du dich mal gefragt, warum 
das nicht geschieht? Ich kann nur für mich sagen: Ich kann mit 
assoziativen (Ko-)Referaten nichts anfangen. Das ist für mich keine 
akzeptable theoretische Praxis.

Bitte - ich bemerke das alles ohne jede Bitterkeit; mir geht es
einzig darum, das alles zu analysieren und einen Punkt in deiner
Theorie anzugreifen, der dich zu einer solchen mir gegenüber
ignoranten Praxis führt, die ich - mit Blick auf ihre intersubektive
Dimension - mit dem (provokanten) Wort "ausbeuterisch" bezeichnet
habe.

Sehr schön. Dann bitte nimm zur Kenntnis, dass ich dein Verhalten als 
ignorant, destruktiv und ausbeuterisch empfinde. Bislang bin ich aber 
darüber hinweggegangen - es ist ja auch nicht so selten in dieser 
Gesellschaft, als dass ich mich da jedesmal mit befassen müsste. Es ist 
aber interessant, dass ich in dem Moment, wo ich das nicht mehr 
übergehe, sondern explizit anspreche, spiegelbildlich mit eben jenem 
Vorwurf konfrontiert werde. - Na, was sagt die Psychoanalyse dazu?
Ich bemerke das auch ohne Bitterkeit, sondern betrachte es eher wie 
Spock: "fazinierend".

Und es wäre mir auch weitgehend egal, wenn es ein spezifisches, 
nur an dere einen Stelle zu beobachtendes Phänomen wäre. Das könnte
man dann mal bei einem Bier besprechen. In unserer Praxis sehe ich
aber dieses "Phänomen C" allgegenwärtig und hinter jeder Ecke
lauernd, dass keiner - ich selbstverständlich eingeschlossen - davon
verschont wird.

"Selbstverständlich eingeschlossen" - aber wer zuerst "analysiert", hat 
gewonnen?

Ciao,
Stefan

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