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Re: [ox-de] Python und SW-Engineering (was: Gibt es ein Macht-Vakuum?)



Hallo El Casi,

du schreibst am 9.8. als Antwort auf Stefan Seefeld
http://www.python.org/doc/essays/cp4e/

Hmm, meine Erfahrung ist eigentlich, dass die Schwierigkeit schon 
beginnt, eine etwas komplexere Task strukturiert zu
algorithmisieren. Es mangelt oft schlicht am Vermögen logisch zu
denken. Und wenn es gar ans (konzise) Modellieren geht, dann wirft
auch ein großer Teil meiner Informatikstudenten (im 4. Semester -
SWT-Praktikum) das Handtuch. Da hilft eine (weitere) einfache
Sprache auch nichts.

Hm. Da hilft eine weitere einfache Sprache auch nicht. Klar ist löst
kein Instrument irgendein Problem. Aber ob es nicht hilft? Zumindest
_kann_ doch durch Hilfsmittel vieles ermöglicht werden, was ohne sie
nicht möglich ist, auch wenn es nicht wirklich das Mittel ist, das da
hilft.

Als Parallelbeispiel provoziert Dein Schlußsatz bei mir Vergleiche,
etwa der Art:

- Das Geld nimmt einem auch nicht die Entscheidungen darüber ab,
  was man produzieren und konsumieren möchte, und wie das zu
  organisieren ist.  
  
  Aber die Möglichkeit, Geld als unverselles Maß im Tausch zu
  betrachten, als universelles Zahlungsmittel und so weiter, senkt
  die Transaktionskosten der Koordination und macht damit
  Kooperation in einem Ausmaß, in einer Form und in einer
  Komplexität möglich, wie es vorher nicht vorstellbar war.
  Denn es vereinfacht den Zugang zu solchen Entscheidungen...

- Das Buch nimmt einem nicht die Wissensaneignung ab, -- die
  Sprache, die Mailing-Liste nicht die Kommunikation.  Dennoch
  wirst Du wohl nicht bestreiten, daß all diese Dinge geradezu
  revolutionäre Auswirkungen auf die Tätigkeiten haben, die sie
  einem nicht abnehmen.

Ich stimme dir weitgehend zu, möchte aber die Aufmerksamkeit auf noch
einen anderen Aspekt derselben Überlegung richten: In beiden Fällen ist
es doch so, dass diese Mittel komplexe Interaktionsformen einerseits
ermöglichen, sich damit andererseits aber auch der Fokus von
"Nichttrivialität" verschiebt. Transaktionsgestaltung (Geld) bzw.
Vervielfältigungsmöglichkeit (Buch - ich denke etwa an den Aufwand
mittelalterlicher klösterlicher Schreibstuben) trivialisieren sich und
machen damit deutlich komplexere Transaktionen möglich, im ersten Fall
etwa Business Engineering oder im zweiten z.B. so was wie eine
Zeitschriftenszene.  Die Aufmerksamkeit richtet sich also auf die
nächsthöhere "Protokollebene" im Sinne des OSI-Modells (bzw. dessen
Fortschreibung über Ebene 7 hinaus). Oder des Stufenmodells von CMMI, wo
die Implementierung jeder vorherigen Stufe erforderlich ist, um über die
Aufgaben der nächsten Stufe überhaupt *sprechen* zu können.

Insofern richtete sich meine Bemerkung auf den Aspekt, dass Python als
ein "weiterer Programmierbaukasten" thematisch so ähnlich liegt wie die
Frage, welchen Typ das Mietauto hat, das ich mir ausleihe, wenn ich eins
brauche. Während die Mietautoszene erst mit der Allgegenwart von Autos
überhaupt entstanden ist.  Okay, die Analogie hinkt gewaltig, aber die
Fragen heute in der SW-Produktion sind doch
(1) wie kriege ich die Code-Teile aus verschiedenen Sprachen vernünftig
zum Zusammenspiel (.NET ist ja nicht nur ein M$-Produkt, sondern auch
ein - in Maßen offenes - Framework, zu dem es mit dem Mono-Projekt sogar
wenigstens eine freie Referenzimplementierung gibt) und
(2) - das war mein Fokus - die Schwerpunktverschiebung hin zu vernünftig
strukturierter Programmierung und insbesondere konsistenter
vorangehender *Modellierung*, wobei die Zielsprache, in der das dann
implementiert wird, mehr oder weniger egal ist.
Wir sind gerade an einem Projekt mit BMW dran, wo diese Art der "model
driven architecture" sehr deutlich wird. Es wird erst ein
architekturunabhängiger Entwurf gemacht und dann an Hand einer
Blueprint-Liste von im Haus gepflegten Plattformen entschieden, wie das
genau umgesetzt wird. Setzt natürlich Informatiker voraus, die
vernünftiges Coden einfach *beherrschen*, egal in welcher Sprache, und
die entsprechenden Architekturkonzepte *kennen*, was ich von einem Teil
unserer Studenten selbst im Hauptstudium nicht behaupten kann.

Um den Bogen zu unseren Debatten zu schlagen: Es geht nicht darum, Geld-
und Wertförmigkeit abzuschaffen, sondern deren trivialisierendes
Potenzial herauszupräparieren und ansonsten zu verstehen, dass sich in
einer nachkapitalistischen Gesellschaft in dem beschriebenen Sinne die
zentralen "Schauplätze" einfach verschieben werden. Und in der
Verschiebung wird nach meinem Verständnis Geld als Kommunikationsmittel
zu einer wichtigen Nebensächlichkeit werden und die heutige
Hypertrophierung des Geldes aufgehoben sein.  Da stehen uns zwar noch
ein paar gewaltige Auseinandersetzungen bevor - mit ihrem Zentrum im
politisch-juristischen Bereich, wie ich neulich in Replik auf crox noch
einmal zitierenderweise ausgeführt habe - aber mein historischer
Optimismus in der Frage ist ungebrochen.

Genauso wie eine Sprache weder ihre Aneignung noch das Denken und
Fühlen und Kommunizieren ersetzen kann, erfordert eben auch eine
Computersprache ein gewisses Umfeld, um gebraucht werden zu
können.  Gäbe es sie aber nicht, gäbe es warscheinlich auch das
Umfeld nicht (lange), in dem sie gebraucht werden könnte. Oder?

Oder umgekehrt, und in unserem Fall vielleicht historisch korrekter, das
Umfeld (die mit konkreten Programmierprojekten konfrontierten IT-ler)
schafft sich seine Mittel.  Die Erfordernisse der
Produktivkraftentwicklung schlagen auf die Formen der
Produktionsorganisation - hier die Schaffung adäquater Werkzeuge - durch.

Viele Grüße, hgg

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

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Kontakt: projekt oekonux.de



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