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Re: [ox] Konkreteres zur Freien Gesellschaft?



Hallo Leute!

Ja, da ist was dran. Es ist vielleicht weniger wichtig, sich zu fragen,
wie eine Gesellschaft aussehen würde, die ganz ohne Tausch- und Geldlogik
auskommt, sondern eher wie man die schon klar erkennbaren bestehenden
Tendenzen zum Überwinden dieser Logik bzw. insbesondere ihrer negativen
Aspekte (künstliche Knappheit, wo keine nötig ist; entfremdete, fremdbestimmte
Arbeit; Ausgrenzung von Menschen, die nicht genug zum Tauschen anzubieten
haben, weil sie z.B. keine Arbeit finden etc.) ausbauen und verstärken kann.
Vielleicht wird am Ende eines solchen Prozesses die Tauschlogik völlig
verschwunden sein, oder aber sie wird sich auf Bereiche zurückgezogen haben,
wo sie Sinn macht und keinen Schaden anrichtet. Wir wissen es noch nicht, und
heutige Antworten auf diese Frage könnten natürlich nur spekulativ ausfallen.

Gut gesagt, dem kann ich mich nur anschließen.

Andererseits aber ist so eine eine graduelle Entwertung, eine anmähliche
"Verschiebung der Übergangszone" natürlich mit ganz praktischen Problemen
verbunden, insbesondere für Leute deren Lieblingsbeschäftigungen/Stärken schon
entwertet wurden, während sie ihrerseits aber noch Geld zum Überleben brauche.

Damit kommen wir vielleicht wieder zur Grundfrage nach der Einbettung richtiger Ideen ins
falsche System, also "Abschottung oder Integration" oder "FSF vs. OSI".
Ich für meinen Teil kann mir sehr gut "semikapitalistische" Mischformen vorstellen, da ich der Meinung bin,
dass das Freie System einfach das stärkere ist und wir somit nur die Keimformentwicklung beschleunigen.

Eine meiner (vielen) Schnapsideen wäre beispielsweise eine "offene Softwarefirma", bei der jeder
sich als Programmierer anmelden darf. Jedes Unternehmen könnte dann Programmieraufträge
einreichen und sagen, was es dafür bereit wäre zu bezahlen. Die Programmierer arbeiten dann, woran sie
Lust haben, soviel sie wollen. Sobald ein Projekt abgeschlossen ist, wird das Geld dann gemäß den "Arbeitsanteilen"
(ja, wie genau man die definieren und messen kann weiß ich leider auch noch nicht...) aufgeteilt, und die Software
bekommt eine Tripellizenz - kommerziell für den Auftragsgeber, GPL oder noch restriktiver (z.B. "die Software darf in keinem
Unternehmen eingesetzt werden") für die Community und etwas dazwischen für die "offene Firma" selbst. Über die Zeit
könnte so eine gewaltige Bibliothek anwachsen, die aber im Vergleich zu SF und co. deutlich besser integriert wäre, also
keine 100.00 Einzelprojekte, die immer wieder das Rad neu erfinden, sondern ein sich ständig verbessernder gemeinsamer Kern, der auf Dauer ein Höchstmaß an Effizenz bewirkt.

Ähnliche Geschichten kann man sich sicher auch für alle anderen Bereiche einfallen lassen, z.B. Musik-Organisationen, die
sowohl Tauschbörsen als auch Viva (inklusive Jamba-Klingeltöne und den ganzen Dreck) bedienen, und somit etwas nicht-entfremdeter werkeln und trotzdem dabei Geld verdienen.

Vielleicht lässt sich mit solchen Kniffen ein stufenloser Übergang in die Wege leiten?

Dass Musiker, die gehofft haben, mit Albumverkäufen genügend Geld zu verdienen
zu damit einigermaßen über die Runden zu kommen, nicht gerade glücklich sind,
wenn sie ihr Werk in Tauschbörsen wiederfinden, kann ich gut verstehen.

Also ich würde sagen, dass Tauschbörsen ein optimaler Werbeträger gerade für unbekannte
Musiker sind, darum würde ich vermuten, dass unterm Strich wahrscheinlich deutlich mehr Leute
Platten kaufen werden, auch wenn man sich dabei immer bestohlen fühlt.
Das erinnert mich spontan an eine schwedische Studie, die kürzlich ergeben haben soll, dass Sony&co
in Wirklichkeit ebenfalls von Napstar profitiert haben - dieses "Das-kostet-uns-Milliarden-Geheule" 
basiert ja schließlich auf der irrigen Annahme, dass jeder der ein Lied zieht sonst die CD gekauft hätte...

Ja, knappe Resourcen für Projekte könnten auf diese Weise verteilt werden,
aber ich denke, im Privatleben sollten sowas möglichst weitgehend vermieden
werden, damit keine Bittsteller-Kultur entsteht. Die Möglichkeit, sich einfach
nehmen oder kaufen zu können, was man will, ohne dass einem andere reinreden
können, ist eine wichtige Errungenschaft, die man nicht leichtfertig opfern
sollte. Im Kapitalismus hat man im Allgemeinen diese Möglichkeit, sofern und
soweit man sie sich leisten kann, und bei der Freien Software hat man sie
praktisch unbeschränkt.

Wenn man dagegen erst einen Antrag stellen muss mit Begründung, warum man
etwas bestimmtes will, und dann hoffen, dass die anderen das akzeptieren, dann
ist das latent immer erniedrigend. Derartige Situationen hat man heute z.B.
bei der Aufnahme in WGs, wo man intensive "Passt die/der auch zu
uns?"-Gespräche über sich ergehen lassen muss. Klar, in solchen Fällen geht es
nicht anders, aber ich finde es doch gut, dass es noch die Alternative gibt,
sich einfach eine eigene Wohnung zu mieten, ohne dass einem jemand reinreden kann.

Die allgemeine Frage nach der gegenseitigen Kontrolle in der Verteilung öffentlicher Resourcen sollten wir
vielleicht weiter vertiefen. Einerseits löst die Vorstellung einer Behörde, an die man begründete Anträge
stellen muss, bei mir sofort die Assoziationen "Trabi" und "Hartz IV" aus - so etwas braucht unsere Utopie
nun wirklich nicht! Andererseits ist mein Vertrauen darin, dass jeder sich von allein nur soviel aus dem Topf nimmt,
dass die anderen auch genug haben, derzeit auch nicht besonders groß...
Eine Hoffnung wäre, dass der Mensch nach und nach in die Umsonstwirtschaft hineinwächst und sich wirklich
vom "Parasiten" zur "Pflanze" entwickelt.
Ansonsten muss man wohl doch an einem Tauschmedium wie Geld festhalten. In diesem Fall wäre ich aber für
die Abschaffung der Verzinsung (und auch der Inflation, wenn das möglich ist).



Viele Szenarien ließen sich wahrscheinlich nach der Regel "Besondere Wünsche
erfordern besondere Projekte" behandeln, entsprechend Raymonds "scratching an
itch"-Motto. [...]

Klar, das Motto "Wenn es etwas nicht gibt, was du gerne hättest, hilf mit beim erstellen"
ist wohl eine Art Vorbedingung für das Funktionieren einer Freien Gesellschaft.

Beste Grüße,
Benjamin
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