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[ox] Konkreteres zur Freien Gesellschaft?



Hallo allerseits,

angeregt durch eigene Überlegungen zu dem Thema und einige Gespräche beim
lezten GNU-Stammtisch (http://www.jansson.de/seminar/infos.html --
hallo, ihr ;-), würde mich mal interessieren, wie es hier mit etwas
konkreteren Vorstellungen zur Freien Gesellschaft (bzw. GPL-Gesellschaft,
um den Namen geht's mir hier weniger als um die Sache) aussieht.

Das Stichwort fällt ja des öfteren, bleibt aber meist recht vage. Aus dem was
ich dazu bislang dazu an Texten gefunden habe (z.B.
http://www.opentheory.org/ox_osjahrbuch_2005/text.phtml,
http://www.oekonux.de/texte/zukunft/inhalt.html,
http://www.oekonux.de/texte/neuegesellschaft/inhalt.html,
http://www.oekonux.de/texte/meilenstein/paper.html ), gehen schon einige
Grundprinzipien hervor:

- keine künstliche Knappheit + Überwindung des Tauschprinzips:
  Informationen, Infrastruktur und Güter stehen, soweit möglich, frei zur
  Verfügung. Freies, voneinander unabhängiges, Geben und Nehmen tritt an
  die Stelle von Tausch und Geld.

- keine Entfremdung: Aktivitäten finden aufgrund intrinsischer Motivation
  (Selbstentfaltung, Lust am Tun u./o an der Anerkennung durch andere
  etc.) statt, auf externe Anreize (Geld, Zwang) wird nach Möglichkeit
  verzichtet.

- Kooperation + Selbstorganisation: die Menschen organisieren ihre
  Aktivitäten in freien Zusammenschlüssen ("Projekten"), die ihre Ziele
  und innere Struktur selbst festlegen. Ist gar keine andere Verständigung
  mehr möglich, bleibt immer noch der Ausstieg ("Forking") als
  Fallback-Lösung.

Ich denke dass man mit diesen Prinzipien tatsächlich schon weiter kommen
kann als die meisten Leuten heute denken würden, insbesondere auch was die
Frage der materiellen Produktion (die "Brötchenfrage")
betrifft. Offensichtlich gibt es genug Menschen, denen es Freude macht,
andere (die sie meist gar nicht kennen), mit guter freier Software oder
mit guten freien Wikipedia-Artikel zu versorgen, warum sollte es nicht
auch genügend Menschen geben, denen es Freude macht, ihre Nachbarschaft
mit guten frischen Brötchen und Backwaren zu versorgen? Die Geschmäcker
und Fähigkeiten sind glücklicherweise verschieden, und Menschen machen
normalerweise das gerne, was sie gut machen -- während mir selbst schon
Gartenarbeit ein Graus ist, kenne ich Leute, die ausgesprochen gerne
Bauern sind, und nur unglücklich darüber dass ihnen das heutige System da
so viele Hürden in den Weg legt, dass sie kaum überleben können.

Andererseits bleiben natürlich immer noch einige zentrale Fragen offen,
insbesondere fallen mir da zwei Themenbereiche ein, die immer wieder als
Knackpunkt genannt werden:

1. unangenehme Arbeiten: was macht man mit unangenehmen Arbeiten, die
   nun wirklich gar keineR machen will, wie z.B. (vermutlich) Müllabfuhr,
   Kloputzen u.ä.?

2. natürliche Knappheit: dass künstliche Knappheit vermieden wird (z.B. durch
   Verzicht auf Monopolgesetze wie Copyright etc.), nehme ich mal als gegeben
   an, aber wie sieht es bei natürlicher Knappheit aus? Sprich wie werden
   Dinge verteilt, die nicht in beliebigen Mengen produziert werden können,
   z.B. Wohnungen? (Genug attraktiven Wohnraum für alle kann man
   produzieren, aber vermutlich würden doch mehr Menschen z.B. Meer- oder
   Seeblick bevorzugen als tatsächlich bekommen können.)

Die einzige konkrete Antwort, die ich im diesem Kontext kenne, ist Franz
N.s Vision der Globalen Dörfer
(z.B. http://www.oekonux.de/texte/globdorf.html ). Die finde ich zwar
spannend, aber vielleicht schon wieder zu spezifisch -- sie beschreibt
eine bestimmte Variante einer Freien Gesellschaft, während es mir
wünschenswert scheint, auch eine Art Rahmen abzustecken, innerhalb dessen
sich Freie (und an Prinzipien der FS-Bewegung angelehnte) Gesellschaften
bewegen könnten.

Außerdem sind die Globalen Dörfer doch recht stark am Gildenwesen und am
Subsistenzprinzipien orientiert, was mir ein gewisser Widerspruch zum
FS-"Spirit" zu sein scheint, der eher auf freie Kooperation und globale
Zusammenarbeit setzt. Zudem gibt es weiterhin Geld, was zweifellos seine
Vorteile hat (Geld ist ein sehr praktischer Allokationsmechanismus),
andererseits aber in einem gewissen Widerspruch zu der revolutionären Neuerung
der Freien Software steht, auf das Tauschprinzip gerade zu verzichten (Tausch
ohne Geld ist möglich, aber unpraktisch; Geld wird dagegen völlig sinnlos,
wenn man nichts mehr dafür kriegen kann bzw. muss).

Ich glaube dass man auf diese Fragen durchaus tentative Antworten
formulieren kann, kenne bislang aber wenig in diese Richtung und wäre
deswegen für weitere Pointer und Diskussionsbeiträge dankbar. Meiner
Meinung nach ist es wichtig, sich solche Fragen zu stellen, nicht weil
sich die künftigen "Bewohner" einer solchen Gesellschaft unbedingt an
unsere Antworten halten werden (die werden ihre eigenen Entscheidungen
treffen), sondern weil solche Lücken gern dazu führen dass sich potenziell
Interessierte an solchen Alternativvorstellungen dann noch wieder
enttäuscht abwenden.

Ciao
	Christian

--
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Was ist der Sinn einer Sig.?

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