Re: [ox] Konkreteres zur Freien Gesellschaft?
- From: ulifrank <ulifrank t-online.de>
- Date: Wed, 07 Dec 2005 16:50:57 +0100
2. Versuch: beim erstenmal kam die mail wegen html- Anteilen offenbar
nicht durch. Entschuldigung, wenn doppelt !!!
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Hallo Christian,
danke für deine "Prinzipien"! Ich glaube auch, dass die relativ geringe
öffentliche Resonanz auf unsere Ideen daran liegt, dass wir zwar gute
Analysen aber zu wenig Antworten auf praktische Fragen zu bieten haben.
(christoph Spehr erzählte mal von einem Vergleich: Kapitalismuskritische
Literatur reiche aufgestapelt bis zum Mond- aber Bücher mit neuen Ideen
und praktischen Beispielen gerade mal bis zum Knie).
Ich finde deine Kriterien sehr schön und hilfreich. Das Problem bleibt-
wie kommen wir praktisch weiter...
Ich verwende immer weniger Zeit auf die Frage, wie "das" neue System
aussehen könnte (du machst ja auch den kritischen Einwand), sondern was
heute schon möglich ist - nicht im Sinne von Pragmatismus und Anpassung,
sondern von Schritten in die richtige Richtung.
Ich kritisiere auch nicht mehr die himmelschreiend ungerechte Verteilung
oder die Unverträglichkeit des Kapitalismus mit ökologischen Kriterien.
(das wird bereits relativ häufig thematisiert)
Mich interessiert vor allem der "Sozialcharakter" der Menschen dieses
gefährlichen Systems: Wie möchte ES die Menschen haben, wie SOLLEN sie
funktionieren. Und dann frage ich mich bei jeder konkreten Antwort,
inwieweit ich es schaffen kann, mich konkret ANDERS zu verhalten (oder
zu denken, zu fühlen usw.) Die FS-Bewegung ist für mich dabei natürlich
ein wunderschönes Beispiel.
Vielleicht lässt sich diese Methode weiter ausbauen, vielleicht hat auch
noch jemand Lust dazu:
1) Konkrete Zumutungen des Systems 2) konkrete Möglichkeiten, diese
konkreten Zumutungen des Systems in MEINEM Kopf, in meinem Leben
partiell ab/umzuschalten.
Das klingt zwar etwas subjektivistisch, politisch unkorrekt, wenn man
vom GROSSProjekt "Kapitalismuskritik" ausgeht, aber es ist m.E. das
beste, was wir zZt. machen können. Theoretische Arbeit (Wertkritik,
Oekonux usw) macht mir zwar weiterhin großen Spaß, aber ich glaube, dort
ist jetzt alles Wichtige gesagt worden. Der entsprechende Beitrag ist
(lobenswerterweise) in die Welt gesetzt.
Jetzt käme es darauf an zu erzählen, wie wir selber im Leben
weiterkommen (auf dem Weg, den du mit deinen Prinzipien umreißt)
Wer Nerv hat, kann auch den ganzen Text lesen - ich hänge ihn mal an.
Aber mir geht es vor allem um die konkreten Punkte hinter den
Nummerierungen im zweiten Teil als Beispiel für meine Vorgehensweise.
Wäre schön, von euch was dazu zu hören!
Uli
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Hört auf zu rechnen ! (...und zu tauschen!) (...und und...)
Wir wissen heute genug über Kapitalismus, jedenfalls genug, um uns auf
den Weg zu etwas besserem zu machen.
Es mag wissenschaftlich spannend sein, die Zumutungen des Kapitalismus
immer wieder neu zu skandalieren, das verhängnisvolle Wesen des Systems
immer genauer zu analysieren und seine Wirkungen in alle Verästelungen
hinein zu verfolgen. Aber es muss uns doch auffallen, wie wenig sich die
Leute dafür interessieren. Obwohl viele sagen: "So kann es nicht
weitergehen!", werden wir Linken kaum zu Rate gezogen. Das liegt
sicherlich nicht an unserer theoretischen Schwäche, sondern daran, dass
wir offensichtlich keine attraktiven Lösungen zu bieten haben: weder
Strategien für einen Paradigmenwechsel, noch emanzipatorische Modelle
für den Alltag ("Die Christen sehen mir nicht erlöst genug aus" soll der
Atheist Nietzsche mal spöttisch gesagt haben).
Es lohnt gegenwärtig nicht, sich zu viele Gedanken über die "Abschaffung
des Systems" zu machen. Das System funktioniert erschreckend zuverlässig
weltweit. Wer nicht an Verschwörung glaubt, hat keine Lösung für einen
grundlegenden Wechsel. Das traditionelle Klassenkampf- Modell wird
zusehends uninteressant: Es gibt keine Klasse (mehr), die für die
„Revolution“ prädestiniert wäre. Auch eine „Aneignungsbewegung“ ist
nirgendwo in Sicht: Wer soll wem was wegnehmen? Und außerdem: die
Strategie, von oben das System zur ändern und dann die Menschen in das
neue System hinein zu sozialisieren , hat sich ja als historischer
Irrtum erwiesen. Und es wäre kontraproduktiv: wir wollen den Menschen
keine neue Struktur auf oktroyieren und sie belehren; wir, Kinder der
bürgerlichen Freiheit, wollen selber nicht mehr funktionalisiert werden
und andere funktionalisieren.
Wir müssen und können also nur dort anfangen, wo wir selber stehen. Wir
können Experimente machen, Räume schaffen für neue Erfahrungen, neue
Denk- und Verhaltensmuster versuchen und diese auswerten und austauschen.
Wie viel Theorie ist nötig, um Kapitalismus zu begreifen ? Haben wir
genug verstanden, wenn wir uns klar darüber werden, dass unser Denken,
Handeln und Fühlen seit 400 Jahren in einem Zwangs- und
Verführungssystem gefangen ist, nämlich in dem Gefängnis der Geld-
Logik. Um 1600 herum schloss sich dieser Käfig, an dem die Menschen
schon seit Jahrhunderten gebaut hatten. Von Europa ausgehend breitete
sich ein neues Lebensgefühl aus, aber nicht zufällig: In dieser Zeit
bekam das Alltags- Leben eine neue unerbittliche Grundlage, nämlich die
endgültige und evidente Abhängigkeit aller Menschen vom Geld. Das neue
Lebensgefühl besteht in der unausweichlichen Erfahrung, dass ab jetzt
alles etwas kostet, dass das Leben der Menschen auf der Logik ständiger
Berechnung, unerbittlich auf Leistung und Gegenleistung beruht, dass
gesellschaftliche Teilhabe individuell „verdient“ werden muss. Diese
neue Erfahrung hat sich in alle Tiefen der menschlichen Lebensäußerungen
eingegraben, sie lässt sich in der Philosophie, der Mathematik, sogar
der Musik usw. nachweisen. Und das verhängnisvolle daran ist, dass diese
Prägung so erfolgreich ist, so selbstverständlich und völlig natürlich
erscheint, dass man sich eine Alternative nicht einmal mehr vorstellen
kann. Dass alles etwas kostet, seinen Preis hat, sich lohnen, sich
rentieren muss, dass man alles in das unsichtbare Koordinatensystem des
„Werts“ einsortieren muss, ist seitdem derart normal geworden, dass
unser Denken regelrecht blockiert ist. (vergl.: Eske Bockelmann: im Takt
des Geldes)
Aber: genau dieser Zustand der Phantasielosigkeit und Lähmung ist es, an
dem wir politisch ansetzen müssen. Alles, was uns aus der neoliberalen
Misere TINA (There is no Alternative) herausführen könnte, ist das
Programm. Jeder Ansatz, jede Erfahrung, jedes Experiment, das die
Selbstverständlichkeit der Geldlogik praktisch in Frage stellt, soll uns
willkommen sein, irgendeine neue Erfahrung von vorn herein
auszuschließen würde uns ärmer machen. Wir wissen nicht den richtigen
revolutionären Weg, also empfiehlt es sich, mit den Erfahrungen der
anderen konstruktiv umzugehen und nicht immer wieder in den alten Fehler
der Linken zu verfallen sich im "Kampf um die richtige Linie" auf zu reiben.
Wenn wir auch zur Zeit keinerlei Chancen haben, das System als ganzes
um/abzuschalten, so können wir doch etwas tun, nämlich anfangen, das
System im Kopf ab/umzuschalten. Wir können den vom System erzeugten/
unterstützten Sozialcharakter beeinflussen, abändern, indem wir uns
selber zu verändern versuchen:
Es gibt z.B. Leute, die bewusst ihre Arbeitszeit reduzieren, auf
bestimmte Aufdringlichkeiten unserer Wirtschaft verzichten- z.B.
Fernsehen, Auto -, die unspektakulär neue Wohnformen ausprobieren (Öko-
Siedlungen, Wohn-, Hausgemeinschaften), die Veranstaltungen, Treffpunkte
organisieren, Selbsthilfegruppen, Interessengemeinschaften, Initiativen
gründen usw.).
Außerdem gibt es offensichtlich eine Menge künstlerisch – kultureller
Initiativen vielfältigster Art (z.B. Die evolutionären Zellen in
Frankfurt, die neulich ein Preisausschreiben für „ selbst beauftragtes
Gestalten von Gesellschaft“ veranstalteten, das Büro für integrative
Kunst in Nürnberg/ Erfurt, die sich gerade mit dem Problem schrumpfender
Städte befassen, Otium in Bremen, ein Verein ehemaliger
Entwicklungshelfer, die ein anderes Zeitgefühl reflektieren usw.)
Fast automatisch kommen diese Initiativen und ExperimentatorInnen früher
oder später an die Grenzen der Geld-/ Verwertungs Logik, geraten in
Konflikt mit ihr und müssen sich so auch mit dem Problem der
Grenzüberschreitung beschäftigen. Viele, fast alle dieser (hoffentlich!)
ganz unterschiedlichen Ansätze und Experimente werden ihre spezifischen
neuen Erfahrungen machen, zu deren Vernetzung wieder andere beitragen
könnten, so dass ein immer größerer Schatz an Bausteinen für eine neuen
Welt entsteht. Entscheidend ist, dass diese Bausteine unser Bewusstsein,
unsere Umgebung und damit die Gesellschaft zu ändern beginnen.
Versuchen wir das alte System Schritt für Schritt im Alltag
abzuschalten, nicht aus moralischen Gründen, aus Pflichtgefühl, oder um
der Welt etwas beweisen zu wollen, bewusst, vom Kopf und unseren klaren
Gefühlen aus. Tun wir das, was uns freier und zufriedener macht, was uns
Anerkennung und Liebe derer verschafft, an denen uns liegt. Warten wir
nicht auf bessere Zeiten, neue Parteien, allerneueste wissenschaftliche
Ergebnisse oder gar den Zusammenbruch des Systems!
Es geht darum, die eigene Handlungsfähigkeit (Klaus Holzkamp-
Grundlegung der Psychologie) auszubauen, Schritte zu gehen, die aus den
Zwängen und Verführungen des Systems herausführen, Spielräume,
Vernetzungen, eine neue Kultur der _Großzügigkeit_ - selbstbeauftragt,
antipädagogisch und antipolitisch zu schaffen, z.B.
1.
„unter seine Verhältnisse“ leben. Dieser scheinbare Verzicht auf einen
Teil dessen, was man kaufen könnte, „was einem zusteht“, soll nicht
Askese glorifizieren oder Ablehnung konkreten gesellschaftlichen
Reichtums bedeuten, sondern die Zwänge und Abhängigkeiten verringern,
die durch die Bedienung der Geldlogik entstehen
(Beschaffungsprostitution, Schulden, Erpressbarkeit, Arbeitsstress). Der
Abstand zwischen Rücken und Wand läßt sich vergrößern, auch wenn die
Wand wie Beton steht.
2.
Das gesellschaftliche Korsett der ständigen gegenseitigen Berechnung
(Leistung/ Gegenleistung, Äquivalent- Tausch) mag historisch notwendig
oder sinnvoll gewesen sein. Jedenfalls ist es kein Naturgesetz und wird
objektiv (angesichts der explosionsartigen Steigerung der Produktivität)
immer unsinniger und hinderlicher. Wir haben die Voraussetzungen, erste
Schritte in eine menschenwürdige Kultur der Großzügigkeit zu wagen.
Warten wir nicht, bis „die Wirtschaft“ uns das erlaubt oder nahe legt.
Unserer Wirtschaftssystem lebt von „Knappheit“: freie Güter lassen sich
nicht verkaufen, alles muss etwas kosten. Also können nur wieder wir
selber umschalten, im eigenen Interesse: Großzügigkeit erleichtert das
Leben, verschafft Anerkennung, macht attraktiv, stärkt Freundschaften,
verändert unsere Umgebung, trägt also durch ihre Ausstrahlung zu einem
neuen Lebensgefühl bei.
3.
Emphatie entwickeln, d.h. zu fragen aufhören, wie ich den anderen für
mich nutzen kann, sondern ihn gleichberechtigt in das eigene Leben
respektvoll einbeziehen (oder auch nicht: seine Bedürftigkeit ist nicht
wichtiger als meine eigene). Der Liberalismus sieht den Menschen als
Einzelwesen, dass sich nur aus Eigennutz mit anderen vergesellschaftet.
Versuchen wir statt dessen, die Unterstützung, Hilfe, Anregung durch die
anderen zu entdecken. Wie spannend und bereichernd kann gerade die
Eigenwilligkeit, Unbrauchbarkeit der anderen für mich sein. Natürlich
achte ich auch auf mich selbst: wer mit sich selber zufrieden ist, kann
es auch den anderen gut gehen lassen.
4.
Bedürftigkeit zulassen und ausdrücken. Das liberale Spiel geht so, dass
ich nicht offen von meinen Bedürfnissen und Interessen rede: Das könnte
die Preise für mich verderben. Ich soll ich mich wie ein erfolgreicher
Geschäftsmann verhalten, der sein Geschäftsgeheimnis hütet und zu pokern
lernt. Beginnen wir mit dem Gegenteil: Aufgeben der typisch männlichen
Herrschafts- und Überlegenheits- Attitüde. Verletzlichkeit, Dankbarkeit,
Abhängigkeit zeigen, nicht alles beherrschen und technisch lösen wollen,
eigene Bedürfnisse nicht über juristische Ansprüche und die Zwangslogik
des Geldes regeln.
5.
Kommunizieren. Unbehagen äußern, sich abgrenzen lernen, Ansprüche
zurückweisen, Respekt und Toleranz lernen, Selbstwertgefühl entwickeln
usw.- Verhaltensweisen, die heute für den Intimbereich „Familie“,
Freundschaft usw reserviert sind oder in Crash-Kursen zur Mitarbeiter-
Schulung im Interesse der Firma an-trainiert werden. “draußen herrscht
Krieg“ nannte das mal ein Banker in einer Kirchentags- Diskussion.
Fangen wir an, diese Aufteilung der Welt in Geschäft und Privatsphäre zu
durchbrechen und auch dann freundlich und zugewandt zu sein, wenn es
„nichts einbringt“ (also kein Geld, keinen Vorteil). Dann können wir
über alles offener reden, auch über unsere Schwächen, Zweifel,
Enttäuschungen, können Ermüdungs- Phasen bewusst wahrnehmen, analysieren
und Erfahrungen ernsthafter austauschen.
6.
„Guten Umgang“, Kontakte pflegen. Suchen wir uns unsere Verwandschaft
selber aus (Handy/ Internet helfen dabei): wir sind als Menschen auf
andere angewiesen, sie machen uns erst zu dem, was wir sein können!
Deshalb brauchen wir nicht zu allen nett zu sein oder ständig daran
denken, welche „Beziehungen“ uns mal nützlich sein könnten. Überhaupt
könnten wir damit aufhören, Kontakte unter die Frage der Äquivalenz und
Berechnung zu zwingen, „was haben wir davon?“, „was bringt's?“ Die neuen
Kommunikationstechnologien erlauben uns die nahezu freie Auswahl, mit
wem wir zusammen sein wollen - unabhängig von der Großgesellschaft.
Diese neue Wahl-Freiheit sollte uns aber nicht zu „wählerisch“ werden
lassen- sonst wird´s schnell langweilig oder nie was... die guten
(interessanten) Seiten des/der anderen herauszufinden ist spannend.
7.
Ressourcen verbinden: Um den aktuellen „Terror der Ökonomie“ (Vivien
Forrester) zu mildern, die noch nicht vermeidbare Abhängigkeit von der
herrschenden Ökonomie zu verringern, könnten Menschen ihre Ressourcen
vernetzen und gegenseitig nutzbar machen, zB. bei der Gasthäuser- Idee:
Menschen mit viel Platz laden nomadisch lebende ein, ein Zeit lang ihre
Ressourcen zusammen zu tun: die NomadIn hat eine Unterkunft, die
Hausbesitzerin wird bei der Erhaltung ihres Hauses unterstützt: für alle
Beteiligten ein „Gewinn“: Interessanteres Leben, neue Impulse, lebendige
Vernetzung durch die Nomaden. Teilen läßt sich so als neue Lebens-
Qualität ausprobieren. Unter diesem Aspekt hätten auch Tauschringe,
Umsonst-Läden usw eine wichtige unterstützende Funktion
8.
Das Abenteuer, Neue in den Vordergrund stellen und nicht die Mühe. Sich
nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anfang anstrengend ist und echte
Pionierleistungen verlangt. Gut ist, sich Tricks auszudenken, wenn aus
Frust die Berechnungslogik sich wieder meldet: Sich z.B. lieber fragen,
was ich bei einem schwierigen Kontakt, bei einer anstrengenden neuen
Erfahrung selber lernen konnte, statt zu fragen, ob es sich für mich
rechnerisch lohnte. Immer daran denken: Rebellion macht auch Spaß und
stärkt das Selbstbewusstsein.
9.
Möglichst wenig Leistungen der bürgerlichen Institutionen in Anspruch
nehmen. Je mehr man sich darauf einlässt umso stärker färben diese ab.
Es sind, wie wir wissen, keine „neutralen“ Instanzen, sondern Funktionen
des bestehenden Systems, die es unterstützen, absichern und sogar aktiv
gestalten. Z.B. wäre zu überlegen, den „Rechtsweg“ grundsätzlich zu
vermeiden. Interessenkonflikte könnte man anders lösen z.B. spielerisch,
durch auslosen, ein Versöhnungsfest o.ä. (Beispiel: Zwei Software-
Unternehmer entschieden neulich einen Rechtsstreit durch ein offizielles
Arm- Stemmen. Beide stellten dabei fest: „... viel Zeit und hohe Kosten
gespart!“).
10.
Standbein- Spielbein: Sich klar darüber sein, dass die Ablösung aus der
Geldlogik sehr schwierig ist, weil es sich dabei nicht um ein
eingebildetes, ideologisches Problem handelt, sondern unserer Welt
definitiv und grundlegend vom Geld bestimmt wird. Vorläufig dürfte
niemand in der Lage sein, die Geldlogik vollständig zu verlassen. Der
Ausstieg kann immer nur partiell sein, d.h. auf der „Standbein“-Ebene:
Wo die Zumutungen des Systems nicht vermieden werden können, sollte man
diese nicht verdrängen oder gar legitimieren oder schön reden, sondern
genau analysieren, ihre Wirkung auf das eigene Leben und andere Menschen
möglichst schonungslos nachvollziehen und dann mit klarem Bewußtsein und
innerer Distanz aktiv die eigenen Grenzen setzen: Wie weit fühle ich
mich gezwungen, mitzumachen, wo setze ich welche Grenze. Kleine
Heldentaten sind auch viel.
11.
Nicht missionieren und niemand belehren, sondern mit sich selber und den
anderen besser umzugehen versuchen – vielleicht strahlt diese neue
Lebensqualität aus...
Was ist „politisch“ daran?
1.
Für die zukünftige Gestaltung einer besseren Gesellschaft brauchen wir
solche Individuen. Wenn die lähmende Alternativlosigkeit und der
unästhetische Populismus des Neoliberalismus für die Menschen
uninteressant werden, brauchen wir all die Phantasie, Selbständigkeit
und Großzügigkeit, die wir heute bereits experimentell lernen und
austauschen können. Es war der tödliche Fehler des real existierenden
Sozialismus, diese Kreativität der Menschen systematisch zu
unterdrücken, statt sie zu fördern und auf sie zu setzen. Hätten die
Menschen hinter ihrem System gestanden, hätten auch ökonomische Probleme
das Projekt nicht völlig verderben können.
2.
Sonst bleibt bloß das Warten auf die Veränderung... Wir wissen nicht, wo
der Hauptschalter des Systems zu finden ist, ob es überhaupt einen gibt
und wer an diesen Schalter herankommen könnte. Aber das System ist
bereits selber dabei, sich abzuschaffen. Von den beiden elementarsten
Funktionen her gerät die Systemlogik in Widersprüche: Arbeit und Geld.
Die gegenwärtige Krise äußert sich ja nicht als Mangel konkreten
Reichtums- sämtliche Firmen und Läden quellen über von Waren- sie
könnten locker die vielfache Menge ausstoßen. Auch „Arbeitskräfte“
drängeln sich unübersehbar in der Warteschlange. Die vielen Arbeitslosen
werden zur Produktion des konkreten Reichtums offensichtlich nicht
gebraucht. Und auf der anderen Seite jammern sämtliche Produzenten über
mangelnde Kaufkraft, also das Fehlen von Geld bei den (potentiellen)
Konsumenten. Wie attraktiv kann unser System bleiben, wenn es weder
genügend Geld noch „Arbeitsplätze“ schafft.
Während die VWL verzweifelt auf die nächste Kondradieff- Welle wartet,
können wir schon heute umschalten: nicht das System (s.o.) aber unser
Bewusstsein: wir können schon für das System der Zukunft trainieren,
können uns mental auf eine neue Logik vorbereiten. Dabei sollte uns das
alte System gleichgültig werden. Entwickeln wir unsere eigenen Normen
und Lebensvorstellungen. Wenn der alte Mechanismus noch einige Zeit vor
sich hin dümpelt, wenn wir dabei unüberzeugt noch ein Weilchen
mitmachen- umso besser: Eine bessere Welt kann niemals automatisch
zustande kommen. Wir brauchen vielmehr möglichst viele gut vorbereitete
und erfahrene Individuen...
3.
Immerhin gibt es schon zwei neue und ziemlich erfolgreiche
gesellschaftliche Entwicklungen, die in die richtige Richtung weisen
könnten: Die Freie Software –Bewegung und die „all-inclusive-Idee“.
Die Freie- Software- Bewegung beweist im High-Tech- Bereich, dass ein
hervorragendes Produkt frei und nicht als Ware hergestellt werden kann.
Freiwillige, von der selbst gestellten Aufgabe begeisterte Menschen auf
der ganzen Welt sind daran beteiligt. Sie „arbeiten“ nicht für Geld,
sondern aus sachlichem Interesse, um Anerkennung zu bekommen oder weil
es ihnen Spass macht. Jeder Konsument kann diese freien Güter frei
nutzen, er ist den Produzenten nichts schuldig- sie taten es ja für sich
selber. Es handelt sich dabei also weder um „tauschen“, noch um
„schenken“. Es gibt keinerlei Verpflichtungen, Gegenrechnungen,
Ansprüche usw. Es ist auch kein Kampfmodell oder irgendeine Forderung an
irgend jemand: etwas neues kommt in die Welt und niemand muss etwas
weggenommen werden.
Und wie es sich anfühlt, wenn man alles frei nutzen kann, ohne sich um
Preise kümmern oder irgend eine Gegenleistung erbringen zu müssen, kann
man heute schon beim all-inclusive-Urlaub, am freien Buffet oder dort,
wo es schon eine Flatrate (Pauschale) gibt, ausprobieren: In diesen
Freiräumen (für die man heute leider noch Eintritt bezahlen muss) geht
es nur noch um konkrete Bedürfnisse, um die eigentliche Frage, was gut
und sinnvoll für mich ist, was mir Zuwendung und Anerkennung von anderen
verschafft, wie ich meinen gesellschaftlichen Platz finde usw.- das
formale Kriterium der Rentabilität, der ständigen Berechnung fällt
einfach weg... So soll es werden!
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