Message 09885 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT09866 Message: 6/14 L3 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Die sinkenden Grenzkosten der Information



Hallo Franz!

Wenn die Art und Weise, wie meine Wiedergabe eurer Diskussion
rübergekommen ist oder meine Äußerungen zur OSE unpassend waren,
entschuldige ich mich; es ist allerdings schon so, daß mir viel wohler
wäre, wenn wir ab und zu von dem heiligen Ernst, mit dem hier diskutiert
wird, abrücken könnten. In den alten Oekonux-Archiven von 1999 entdecke
ich eine Lockerheit, die heute abhanden gekommen ist; die gehört aber
dazu, wenn man das macht, was man “wirklich, wirklich will”.

Ich habe die Oktoberrevolution aus zwei Gründen bemüht: zum Einen, weil
ein Kernmuster von damals – das Zusammentreffen von bürgerlicher
Revolution und darüber hinausführender Emanzipation (oder zumindest des
Anspruches darauf) – auch heute vielfach relevant ist; sei es auf Grund
der (aus sehr verschiedenen Blickwinkeln nachvollziehbaren) Wahrnehmung,
daß wir offenbar einen Rückfall in vorbürgerliche Verhältnisse erleben,
sei es wegen der eigenen Erfahrung bei der Überwindung verkrusteter
Zustände in den realsozialistischen Ländern. Zum Anderen, weil eines der
größten ungelösten Probleme, das ich auch im Zusammenhang mit der "Neuen
Arbeit" sehe, und die endlose Eigentums- und Lizenzdebatte zeugt davon,
die theoretische und praktische Handhabung der Kleinproduktion ist, und
heutige Forschungsergebnisse zum Kriegskommunismus (hier vor allem auch
zu der Frage: ist ein unmittelbarer Übergang von einer archäischen
bäuerlichen Subsistenzgemeinschaft zur Neo-Subsistenz möglich?), auf die
ich verwies, in diesem Zusammenhang möglicherweise neue Erkenntnisse
bringen könnten.


Insofern glaube ich nicht, daß unsere Bedenken unbedingt als
Borniertheit zu bezeichnen sind. Wenn Christoph Spehrs Charakterisierung
zutrifft, daß die Umsetzung der neoliberalen Doktrin eine strategisch
langfristig geplante und umsichtig durchgeführte Revolution ist, dann
erleben wir ja gerade wieder, wie es aussieht, wenn ein einfaches Schema
ohne Bedenken, ohne Erwägung der Nebenwirkungen (oder gar in bewußter
Inkaufnahme der sozialen Kosten, was ich hier allerdings in der Tat
niemandem unterstelle) allen Menschen auferlegt wird.

Es gibt einen weiteren Grund, der die Oktoberrevolution und ihre
Auswirkungen für mich interessant macht. Wolfgang Fritz Haug (wie auch
andere, z.B. Wolf Göhring) betont immer wieder, daß die
Oktoberrevolution vor allem deshalb scheiterte, weil die heutigen
technischen Mittel nicht zur Verfügung standen. Ich bin davon heute
nicht mehr ganz so überzeugt wie noch vor einiger Zeit. In Georg
Kneplers "Macht ohne Herrschaft" heißt es dazu:

"Aber auch die von manchen Marxisten vertretene Auffassung, Kapitalismus
sei gesetzmäßig entstanden, da für eine herrschaftsfreie Formation die
Zeit noch nicht reif sei, läßt sich nicht halten. Zwei
ineinandergreifende Voraussetzungen für eine vernünftigere
Gesellschaftsordnung waren seit dem Ende des 18. Jahrhunderts durchaus
gegeben [...]"

Was aber mit den heutigen technischen Mitteln machbar ist, das ist unter
anderem die Untersuchung folgender Formel: Produktion/Produktionsplanung
+ Oekonux = "Neue Arbeit" ?

Es gibt (und das vor allem im Oekonux-Zusammenhang) zur "linken" Seite
einige Vorarbeiten, auf die man sich stützen kann: Dunkhase auf der 1.
Oekonux-Konferenz, Mossakowski auf der 3., und noch viele andere; es
gibt aus siebzig Jahren Erfahrung mit Ansätzen nichtkapitalisitscher
Wirtschaftsweise reichlich empirisches Material, dessen Auswertung,
soweit mir bekannt ist, noch kaum erfolgt ist. Und es gibt heute ein
großes Repertoire an Techniken zur Informationsaufbereitung, zu deren
Anwendung vor zehn Jahren noch ein gewaltiger Kapitalbedarf erforderlich
war, die sich heute dank der sinkenden Grenzkosten der Information und
nicht zuletzt dank der freien Software bereits im stillen Kämmerlein
nachvollziehen lassen. Hier lassen sich Simulationsmodelle entwickeln,
die eine Überprüfung der Bedingungen, unter denen "meine" Formel
funktionieren könnte, ermöglichen. Und wenn das virtuell funktioniert,
kann man - vielleicht - daran gehen, unter sorgsamer Auswahl der
Rahmenbedingungen, diese Modelle in der Praxis umzusetzen.

Viele Grüße

Stefan



________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT09866 Message: 6/14 L3 [In index]
Message 09885 [Homepage] [Navigation]