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Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Stefan,
deinen Ausführungen unten könnte man eine Passage im Wikipedia-Artikel zum
Begriff "Information" entgegensetzen, den ich jetzt mal in seiner ganzen Länge
hier zitieren möchte (da der Artikel sich im Laufe der Zeit verändern kann,
wäre es sonst später im Mail-Archiv u.U. schwer nachvollziehbar...):

/Zitat/
Der Begriff Information ... [wird] oftmals im alltäglichen Sprachgebrauch auch
in den Naturwissenschaftenin in einer metaphorischen Weise benutzt. Eine
direkte Übernahme des Begriffes Information in naturwissenschaftlichen
Theorien, so wie er in den Ingenieurswissenschaften benutzt wird, ist aber
nicht zulässig. Grund hierfür ist, dass die Ingenieurwissenschaften letztlich
auf den Menschen ausgerichtet sind und deswegen der Mensch als Benutzer oder
Erzeuger künstlicher Systeme selbst Teil der Betrachtungen sein kann, womit
die verwendeten Begriffe oftmals eine zielgerichtete und auf menschliches
Bewusstsein ausgerichtete, teleologische Komponente enthalten. Demgegenüber
ist es Ziel der Naturwissenschaften, die Natur möglichst unabhängig vom
Menschen zu beschreiben. Somit müssen bei Übernahme informationstheoretischer
Begriffe diese erst in einer von teleologischem Ballast befreiten Version neu
definiert werden. So wird beispielsweise unter dem Begriff "Genetischer Code"
in der Genetik eine Menge von Regeln verstanden, welche rein
physikalisch-chemische Prozesse beschreibt, durch welche DNA-Strukturen in
Protein-Strukturen übertragen werden, und natürlich nicht eine Vereinbarung
von bewussten Wesen über die Verwendung von Symbolen zum Austausch von
Botschaften, wie der Begriff "Code" in der Informationstheorie meist
verstanden wird. Der Verzicht auf solche teleologischen Begriffe in den
Naturwissenschaften hat dabei nicht zum Ziel "teleologische Welterklärungen"
von vornherein auszuschliessen, sondern dient dazu Fehlschlüsse zu verhindern,
bei denen nur scheinbar neue Erkenntnis aus einer naturwissenschaftlichen
Theorie gewonnen wird, welche aber in Wirklichkeit durch inadäquaten Gebrauch
der Begriffe vorher in die Theorie hineingeschmuggelt wurde. Insbesondere ist
dies ist auch eine Methode welcher sich diverse Pseudowissenschaften ganz
bewusst bedienen. So warnte beispielsweise der Wissenschaftphilosoph Wolfgang
Stegmüller vor einem Wiederaufleben des Neovitalismus durch unangemessenen
Gebrauch informationtheoretischer Begriffe in der Biologie.
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Information)
/Zitatende/

Wenn ich Eingangs im Konjunktiv gesprochen habe, dann deshalb weil es mir hier
 und zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung
mit diesem strittigen Punkt geht. Ich wollte nur deutlich machen, dass sich
gegen dein Vorgehen, hier Analogien zwischen allem möglichen aufzumachen, u.U.
erhebliche Einwände formulieren ließen. 
Worauf ich auch hier eigentlich hinaus möchte ist lediglich die Frage, ob es
nicht sinnvoller wäre, das Thema etwas grundlegender und systematischer
Aufzurollen. Einen diesbezüglichen Vorschlag hab ich ja in meiner vorletzten
Mail gemacht...
Denn wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass hier ganz unterschiedliche
Paradigmen aufeinander prallen. Ein sinnvoller Diskurs scheint meiner Meinung
nach nur dann gewährleistet, wenn wir erst mal die Basisannahmen der
unterschiedlichen Paradigmen eingehender beleuchten und erörtern. Anschließend
erledigen sich einige Punkte von selbst, die im Moment einen produktiven
Diskurs einfach nicht zustande kommen lassen... Oder wie siehst du das?
schöne Grüße,
Stephan


Stefan Merten <smerten oekonux.de> schrieb:

-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Hi Hans-Gert et al!

Ich mache erst mal noch ein bisschen mit einfachen Antworten weiter,
aber ich versuche nur noch die wichtigsten Stellen zu bearbeiten.
Vieles habe ich ja auch schon gesagt - wiewohl sich meine Gedanken um
diesen Komplex immer noch umstrukturieren.

Auf Janich gehe ich nicht mehr ein, weil ich seine Definition -
zumindest in der von Hans-Gert dargestellten Variante - für den
Oekonux-Diskurs für völlig ungeeignet halte.

3 weeks (25 days) ago Hans-Gert Gräbe wrote:
Stefan Merten wrote:
Die Bildung von Proteinen aus DNA hat m.E. dagegen sehr wohl etwas
mit Information zu tun ...

Es ist ein Transformationsprozess der einen Einweißstrukturen in andere 
Eiweißstrukturen unter der katalytischen Wirkung dritter 
Eiweißstrukturen, der unter bestimmten äußren Bedingungen abläuft. Ist 
jeder solche Transformationsprozess automatisch ein Informationsprozess? 
Wenn nein, wo ist die Grenze?

Gut das du nochmal nachfragst, denn wo die Grenze ist, ist sicher eine
wichtige und auch gute Frage. Wahrscheinlich gibt es keine harte
Grenze und auch hier liegt sicher vieles im Auge des Betrachters.
Dennoch will ich es mal versuchen.

Die Grenze würde ich dahin legen, wo der Informationsanteil eines
Prozesses die anderen stofflichen Effekte in seiner Bedeutung
überwiegt. Bei "in seiner Bedeutung" liegt wohl das Auge des
Betrachters und wohl insgesamt muss die Perspektive mit angegeben
werden.

Nehmen wir eine CD, weil es an der einfacher sichtbar wird, als an
DNA. Die Stofflichkeit der CD tritt gegenüber der informatorischen
zurück. Oder besser hinter den Aspekt des Datenträgers. Die
Stofflichkeit der CD ist vielmehr nur dahin gehend von Intersse, ob
sie der Aufgabe der Datenspeicherung nützlich ist oder nicht. Bei der
CD ist dies auch deswegen klarerweise so, weil sie eben nicht als
Bierdeckel produziert wird. Der Zweck der Produktion ist vielmehr
einen Datenträger herzustellen.

Ähnliches würde ich für die DNA behaupten. Ihr wesentliches
Anwendungsgebiet in einem lebenden Organismus ist eben nichts, was
ihrer einfachen Stofflichkeit entspringt. Dann wäre sie nicht
wesentlich von Fetten oder anderen biologischen Stoffen unterschieden.
Nein, die DNA bewahrt Daten auf, die einen Unterschied für die
Prozesse machen, in denen die DNA vorkommt. Die in der DNA
aufbewahrten Daten werden also in diesen Prozessen zu Information.

Um was es hier letzlich geht, ist rauszukriegen, wie wir die
stoffliche Repräsentation von Daten / potentieller Information von der
nicht-stofflichen Idee separiert kriegen. Da gibt es bestimmt
Grauzonen, aber deswegen würde ich nicht drauf verzichten.

- Hat Sprache etwas mit Bewußtsein zu tun? (Egal ob verbale
 Sprache oder Sprache, die sich auf irgendwelche anderen Zeichen
 stützt...)

Nicht mit dem, was ich als Bewusstsein bezeichnen würde. Sonst gäbe es
z.B. keine unbewussten Äußerungen wie z.B. Körpersprache - die aber
sehr wohl verstanden werden kann - bewusst und unbewusst.

Nun haben wir die ganze Bandbreite von Kommunikation auf dem Tablett, 

Nein. Die Anwendung einer Sprache ist auch ohne Kommunikation möglich.
Körpersprache äußerst du auch, wenn kein Kommunikationspartner da ist.
Selbstgespräche teilen per Definition keinem Kommunikationspartner
etwas mit. Nein, Information an Kommunikation zu ketten ist m.E.
Quark. Kommunikation hat vermutlich etwas mit Information zu tun -
genauer: mit der Codierung von Information zu Daten, die gemessen
werden und über mehrere Stufen wieder zu Information bei einem
Kommunikationspartner werden können. Aber umgekehrt ist das keineswegs
zwingend.

Die 
unbewusste Körpersprache ist ja nur im Zusammenspiel mit einer 
Gegenseite interessant, die in der Lage ist, diese Sprache zu "lesen". 

Interessant vielleicht. Aber sie verschwindet nicht ohne
Kommunikationspartner.

3 weeks (24 days) ago Hans-Gert Gräbe wrote:
Stefan Merten wrote:
Um es mal an einem analogen Beispiel fest zu machen: Du möchtest etwas
über Kultur als Phänomen beim Menschen wissen und blendest alles außer
der Kultur des weißen Mannes aus - derweil du dich selbst als weißer
Mann begreifst. Wie du aus dieser Perspektive jemals auf der
Ausgangsfrage adäquate Antworten kommen willst, ist mir schlicht
rätselhaft. Vielmehr müsste es darum gehen, *alle* Kulturen in den
Blick zu bekommen. Oder eben *alle* Wissensformen. Danach oder auch
während der Betrachtung macht Differenzierung dann Sinn.

Aber es kann doch trotzdem - insbesondere für den weißen Mann - durchaus 
sinnvoll sein, *zunächst* die ihm aus eigener Erfahrung auch praktisch 
bestens bekannte Kultur des weißen Mannes genauer zu studieren und in 
diesem Studium Instrumentarium und Fragestellungen zu schärfen, oder? 

Was bei dir erfahrungsgemäß dazu führt, dass du Leute abqualifizierst
und Äußerungen von anderen als "unverbindliches Palaver" betrachtest:

  > das Internet (an den Stellen, wo es wirklich Informationen enthält 
  > und nicht nur unverbindliches Palaver)

Es ist in der Tat ein Wesenszug des weißen Mannes so auf die Welt zu
gucken. Dass für die übergroße Mehrheit der Menschheit z.B. die Texte
des weißen Mannes ebenso unverbindliches Palaver sind, will der weiße
Mann dann nicht wahrhaben. Auf genau dieser eingebildeten
Überlegenheit des weißen Mannes gründet sich die breiteste Blutspur
der Menschheitsgeschichte.

Insbesondere, wenn man sich vorab dieser Beschränkung selbst *bewusst* 
ist.

Dann warte ich gerne auf den Tag wo ich bei dir auch nur das leise
Gefühl einer solchen Bewusstheit habe. Bis dahin würde ich dir
empfehlen, dich mal auf andere Kulturen einzulassen. Das relativiert
einiges.

Was ist eine Datenspur?

Eine Datenspur ist das, was Tun oder sogar Sein in Raum und Zeit 
hinterlässt. Das, was die Spurensicherer der Kripo aufdecken, woran die 
Biene den Honig erschnuppert, das Faltungsmuster im Stein als Resultat 
einer Gebirgshebung etc.

Ok. Um es mal mit ganz frühen Definitionsversuchen zu fassen:
Wechselwirkungen, die in irgendeiner Weise später als Daten messbar
sind und damit Auskunft über / Hinweise auf Vergangenes geben. Right?

Werden sie erst durch das Messen zu Daten?

Nein. Wechselwirkungen werden nicht zu Daten, weil sie zu einer
anderen begrifflichen Kategorie gehören. Daten beziehen sich aber auf
Wechselwirkungen. Also: Ohne Wechselwirkung keine Daten aber sehr wohl
Wechselwirkung ohne Daten.

In meiner Begrifflichkeit 
nicht, denn Messen ist ja schon an Subjekte gebunden, welche die 
Datenspur aufnehmen. Also potenziell messbar? Aber was ist das nicht?

Richtig. Alles, was nicht Rauschen ist, sind Wechselwirkungen, aus
denen durch Messung Daten erzeugt werden können.

Ok. Aber ungemessene Datenspuren sind in keiner Weise relevant. Right?

Was ist mit ungemessenen, aber potenziell messbaren Datenspuren?

Das bleiben einfach Wechselwirkungen.

Wie ist 
hier der Zusammenhang zum Unterbewussten, falls Messen bei dir ein 
Bewusstseins-Akt ist?

Ist es für mich nicht.

Da glaube ich mich mit dem Begriff der Leitsozialisation weiter.

Was die Verbindung zum OHA-Phänomen betrifft, so kan ich dazu wenig 
sagen, weil ich noch nicht so recht verstanden habe, was sich dahinter 
verbirgt.

Schade. Mir deucht, deine Sozialisation hat viel damit zu tun. 

Das nehme ich ebenfalls an. Wäre zu explizieren. Vielleicht wäre es 
sinnvoll, auch mal einen Diskussion-Thread zu OHA im Wiki zu beginnen.

Das wäre es auf jeden Fall. Mir graut allerdings vor der Menge von
Material, die dazu zu sichten wäre.

Nein, für eine theoriehaltige Debatte ist dieser Satz gänzlich
ungeeignet. Es muss vielmehr darum gehen, welcher Gebrauch von
Informationen für welche Menschen zu einem bestimmten historischen
Zeitpunkt für welche Ziele sinnvoll ist.

Genau einen solchen instrumentellen Zugang halte ich für zu eng, weil er 
die Menschen letztendlich entmündigt.

???

Deine Formulierung suggeriert die Kette Sinn -> Ziel -> Information, 
besonders in der Betonung "zu einem bestimmten historischen
Zeitpunkt". Wo kommen in so einem Verständnis Sinn und Ziel her

Einfach aus den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen. Diese sind
durch die je bestimmte historische Situation mitbestimmt.

Information (bei Kant "Gebrauch der Vernunft") steht _auch_ am Anfang 
dieser Kette, und zwar als "öffentlicher Gebrauch im Raisonnieren", am 
Ende der Kette dagegen als "privater Gebrauch" als Vorstufe des 
Handelns. Das "Raisonnieren" ist ein gutes Stück sinn- und zielfrei und 
gerade in dieser Sinn- und Zielfreiheit Quelle von Mündigkeit.

Andernorts würdest du das wahrscheinlich "unverbindliches Palaver"
nennen...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


-- 
Stephan Eissler
Institut für Politikwissenschaft
Lehrstuhl für politische Wirtschaftslehre
Melanchtonstraße 36
72074 Tübingen
Telefon 07071-309124
www.wissen-schaft.org


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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