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Re: [ox] Re: Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Hans-Gert, StefanMz, Stephan, alle!

Wieder mal eine Multi-Antwort.

4 months (149 days) ago Hans-Gert Gräbe wrote:
Ich beziehe mich insbesondere auf den längeren Text von Stephan Eissler
vom 15.02.

Leider hast du dich nicht technisch darauf bezogen - d.h. kein Reply
gemacht. Ausser dass die Zusammenhänge auf diese Weise nicht mehr in
deiner Antwort enthalten sind, führt das dazu, dass dieser Sub-Thread
jetzt vom Haupt-Thread abgerissen ist :-( . Das wiederum hat dazu
geführt, dass ich ihn erst jetzt zur Kenntnis nehme. Suboptimal...

Es geht um den Wechsel von der
Sozialisation produktiver Arbeit zur Wissenssozialisation als
Leitsozialisation der Gesellschaft.

Darauf gehe ich später nochmal ein.

2) Ein ganzer Teil der insbesondere von StefanMn vorgebrachten
Überlegungen zu Daten, Information und Wissen ist bereits vor gut vier
Jahren in der Diskussion um Torsten Wöllerts Projekt
http://www.opentheory.org/wissenstendenz enthalten und krankt an einem
grundlegenden Defizit: Sie berücksichtigt nicht, dass "Wissen" nicht
nur beschafft, sondern auch angeeignet werden muss.

Nun, dann hast du meine ursprünglichen Definitionen aber gründlich
nicht verstanden. Wenn ich Wissen als rein individuelle Kategorie sehe
- ich nenn das jetzt mal individuelles Wissen - dann gibt es gar kein
nicht-angeeignetes Wissen. Denn nur durch Aneignung - also durch den
Transfer in die Hirnwindungen - wird nach diesen Begriffsdefinitionen
Information zu Wissen.

Erst in der
zweiten Phase entscheidet sich, ob es für die eigene Kompetenz
wirklich "nützlich" ist.

Kompetenz ist wieder ein neuer Begriff. Er bezeichnet m.E. die
Fähigkeit etwas zu tun.

Genau darum geht es auch bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um
die Begrifflichkeit "geistiges Eigentum". Die ökonomisch verortete
Seite möchte die Beschaffungshürden möglichst hoch ansetzen, die an
der Wissens-Sozialisation interessierte (Stichwort etwa "Göttinger
Erklärung", http://www.urheberrechtsbuendnis.de) möchte diese für
"Phase 2" äußerst hinderliche Hürde möglichst schleifen. Dasselbe
verfolgt im Prinzip Stallman mit der GNU-Philosophie.

*Gerade* wenn du von Aneignung von Wissen sprichst würde ich dem
letzten Satz *heftigst* widersprechen. Es geht doch bei Freier
Software nicht in erster Linie darum, dass aus fremder Leute Code
gelernt werden kann. Ginge es nur um's Lernen wäre die GPL die ganz
falsche Lizenz und Tanenbaums Minix-Lizenz wäre die bessere gewesen.
Es geht bei Freier Software doch viel mehr auch um die "unwissende"
Anwendung der als Programm-Code vorliegenden Information. Vielleicht
einer der Kernaspekte einer neuen Qualität, den ich hier in der
Debatte versuche zu vertreten. Eben weil hier Information pur wirksam
wird - ganz ohne (individuelles) Wissen und persönliche Aneignung.

Die Argumentation sollte hier nicht hinter Eben Moglens "dotCommunist
Manifesto" zurückgehen.

Und das heißt?

3) Über den Informationsbegriff "einfach mal so" zu reden, ohne
minimale Denkstandards überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, halte ich für
wenig produktiv. Der Begriff ist derart zentral philosophisch
durchdekliniert, dass wir uns vor der Debatte über ein Minimum an
"gesetzten" Argumenten verständigen sollten. Ich nehme an, da stimmt
mir insbesondere StefanMz zu.

Da habe ich - gerade nach der hier schon erlebten Debatte - ganz große
Schwierigkeiten mit. Vor allem damit, Inhalte aus anderen Diskursen
hier einfach als gesetzt anzunehmen. Erstens verfolgt nicht jeder hier
diese Diskurse, zweitens finden diese Diskurse in einem bestimmten
Kontext statt, der dem hiesigen gar nicht entsprechen kann und
drittens finde ich es ohnehin schwierig, etwas unhinterfragt zu
übernehmen.

Davon abgesehen scheinen mir da auch heilige Kriege en masse geführt
zu werden - insbesondere um den Begriff "Information". Auch dein
Bedürfnis hier Dinge als "gesetzt" annehmen zu wollen, deutet mir auf
Dogmatik hin. Mich interessiert das nicht die Bohne. Mir scheint es
vielmehr sehr wichtig, die verschiedenen Positionen mal nebeneinander
zu stellen. Wäre nicht an allen was Richtiges dran, gäbe es nämlich
keine heiligen Kriege. Dazu andernmails (und evt. erst morgen) mehr.

Ein paar Zitate aus dem Aufsatz Klemms:
<zitat>Information, forderte Janich, müsse zwingend auf das
"Verständnis gelingender menschlicher Kommunikation" aufbauen und
deshalb von der Lebenswelt her verstanden werden. Das technisch
geprägte (und hier auf der Liste sehr präsente - HGG)
Informationsverständnis wäre damit - so Janich - "vom Kopf auf die
Füße" gestellt. ...

Wie bemerkt geht es mir nicht darum um Worte zu streiten. Worte sind
für mich Hilfsmittel, um Begriffe zu bezeichnen - nicht mehr. Wenn
jemensch es "zwingend" findet das Wort Information an Menschen zu
ketten, dann würde ich das so ganz ohne Begründung für ein Dogma
halten - und ich mag keine Dogmen.

Es kann ja zweifellos Sinn machen, einen solchen, für mich
eingeschränkten Begriff von Information zu verwenden. Es muss dann
aber angegeben werden,

* in welchem Bereich die Einschränkung Sinn macht,

* wie andere Phänomene bezeichnet werden sollen, die ich erst mal
  unter Information subsummieren würde

Weiter folgt viel Substanz zum Thema (die Genese des
Informationsbegriffs über die Jahrhunderte als verschiedene Varianten
des "informare", des In-Form-Bringens, des Formbegriffs überhaupt,
mit einer großen Vielfalt von ontologischen und gnoseologischen
Aspekten in unterschiedlichen Wichtungen), die ich hier nicht
ausbreiten möchte

Auch das finde ich nicht so rasend spannend für diese Debatte. Mir
geht es vielmehr darum die vorfindlichen Phänomene zu erkennnen, zu
sortieren (aka Begriffsbildung) und im Hinblick auf die Oekonux-Themen
zu verstehen und weiter zu denken. Ob wir zu einem Phänomen jetzt
"Information" oder "Hutzliputzli" sagen ist mir dabei relativ egal -
so lange klar ist, was gemeint ist. Daran hapert's aber nach meiner
Wahrnehmung (sic!) noch gewaltig.

4 months (149 days) ago Stefan Meretz wrote:
Das Aneignungsargument hast du schon in mehreren Kontexten gebracht.
Ich habe immer drüber hinweggelesen, weil ich nicht weiss, worauf du
hinaus willst. Ich frage jetzt Mal:

Ich verstehe nicht, warum du Vergegenständlichung und Aneignung überhaupt
trennst. IMHO ist das _ein_ Prozess: Du kannst heute kaum mehr Wissen
einfach so "aufnehmen", sondern jede Aneignung ist immer mit
Vergegenständlichung verbunden, so wie jede Vergegenständlichung die
Aneignung zur Vorausetzung hat. (Vergegenständlichung meint dabei nicht
"in-Stoff" bringen, sondern allgemein "in-Form" bringen). Oder?

Nachdem ich gestern auch nochmal die Mails von Stephan gelesen habe:
Ist diese Vergegenständlichung im weitesten Sinnd das, was Stephan als
Codierung versteht? (Handreichung zu der Frage in der bereits
angekündigten anderen Mail).

Zweiter nachfragender Einwand: Ist Wissen bei dir eine individual-
oder eine gesellschaftstheoretische Kategorie? Du sprichst meistens von
der individuellen Aneignung - IMHO kann der Begriff "Wissen" aber nur
gesellschaftstheoretisch adäquat gefasst werden.

Was die Frage aufwirft: Adäquat wofür? Das finde ich eine wichtige
Frage. Mir scheint, das das eine Wort "Wissen" nicht ausreicht, um
alles abzudecken, was einem vielschichtigen Begriff von Wissen adäquat
wäre.

4 months (149 days) ago Stephan Eissler wrote:
Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org> schrieb:
Zitiere Hans-Gert Gräbe <graebe informatik.uni-leipzig.de>:
1) Ich stimme Stephan Eissler zu, dass der Begriff einer
XY-Gesellschaft unter formationstheoretischen Gesichtspunkten nur
sinnvoll ist, wenn bei der Ausprägung der Semantik dieses Begriffs
(und darum muss es dann auch gehen) das qualitativ Neue der
aufkommenden Gesellschaft sichtbar wird. Erst auf _dem_ Hintergrund
gewinnt auch die ganze Keimformdebatte neben ihrer phänomenologischen
dann auch _inhaltliche_ Substanz.

Auch das reicht IMHO noch nicht hin, denn die verlängerte Frage lautet:
Neue Qualität - in Bezug auf welche Dimension?

Lass mich mal sagen: Eine neue Qualität in Bezug auf das Soziale.

Für mich wäre die neue Qualität vor allem in der
Produktivkraftentwicklung. Diese wiederum hat dann mehr oder weniger
heftige Auswirkungen auf die Gesellschaftsform. Die GPL-Gesellschaft
wäre die heftigste.

Aber ist das nicht ein wenig zu allgemein?! Gut, dann nehmen wir eine
Dimension "D" durch die sich lediglich ein Teilaspekt des Sozialen (und damit
des gesellschaftlichen) bestimmt. Wenn es sich aber bei D um eine neue
Qualität handelt, und sich bei D um ein Teilaspekt des Sozialen handelt, dann
wird das qualitativ Neue doch zwangsläufig Auswirkungen auf andere Dimensionen
des Sozialen haben, die aufgrund dessen zwangsläufig nach und nach
rekonfiguriert werden müssen.
Um zu verdeutlichen was ich meine, stelle ich mal Folgende Frage: In Bezug auf
welche Dimension stellt der Kapitalismus etwas qualitativ Neues im Vergleich
zum Feudalismus dar? Kannst du das auf eine einzige Dimension einschränken?

Auch wenn ich mir deine Nachfrage ansehe, finde ich
Produktivkraftentwicklung immer noch einen wichtigen Punkt. In der
heraufziehenden Gesellschaftsform sind zwei wesentliche Parameter
hinsichtlich Information wesentlich verändert:

* Information ist von jeglicher Stofflichkeit abgelöst wie nie zuvor

  Das Internet ist dafür wohl die bekannteste Chiffre.

* Information kann in ihrer entstofflichten Form *direkt*
  operationalisiert werden

  Also insbesondere ohne Zwischenschalten von Menschen, die sich die
  Information erst aneignen müssten, also zu individuellem Wissen
  machen müssten, um die so gewonnene Kompetenz in Tätigkeit
  umzusetzen.

  Das ist historisch neu und ist auch eine Qualität, die über die
  Vergegenständlichung von Handwerks- / technischem Wissen in
  klassischen Maschinen hinaus geht.

Beide Phänomene haben durchschlagende Wirkung auf die
Produktivkraftentwicklung.

Und wo ich gerade so schön dran bin ;-) : Jede Begrifflichkeit, die
diese beiden Phänomene nicht adäquat reflektieren kann, halte ich für
die Debatte bei Oekonux wenig interessant.

4 months (148 days) ago Hans-Gert Gräbe wrote:
SMz: Auch das reicht IMHO noch nicht hin, denn die verlängerte Frage lautet:
Neue Qualität - in Bezug auf welche Dimension?

Dazu muss die begriffliche Semantik aber vorher geschärft, sozusagen ein
"Glossar" erstellt werden.

Dazu andernmails mehr.

HGG: Es geht um den Wechsel von der
Sozialisation produktiver Arbeit zur Wissenssozialisation als
Leitsozialisation der Gesellschaft.

SMz: Siehst du, hier hast du implizit die Dimension, bzgl. derer du die
Qualität betrachtest, mit drin: "Sozialisation". Allerdings weiss ich
nicht wirklich, was du damit meinst: Was ist denn "Sozialisation
produktiver Arbeit"?

Damit meine ich das "Aufsaugen dieser individuellen Arbeiten durch den
Gesellschaftskörper", wie wohl Marx geantwortet hätte,

Ok, dann nochmal ausgeschrieben: Es ginge um den Wechsel des
Aufsaugens individueller Arbeiten durch den Gesellschaftskörper zum
Aufsaugen von Wissen durch den Gesellschaftskörper? Habe ich das
richtig verstanden? Worin unterscheidet sich jetzt genau Wissen von
individueller Arbeit? Ich muss gestehen, ich bin ein wenig verwirrt
:-/ .

was im Kern die
Konfrontation und Anerkennung des je privaten Mühe- und Nutzenkalküls,
der mit dieser Arbeitsleistung verbunden ist, mit einem
durchschnittlichen gesellschaftlichen Aufwand, oder sagen wir
allgemeiner einem "state of the art", bedeutet.

Anerkennung? Was macht diese doch recht psychologische Kategorie hier?

Ein recht subtiles
Verhältnis, das du wohl als Dichotomie "personal-gesellschaftlich"
reflektierst. Es ist ein Verhältnis, welches heutige Realität (der
privaten konkreten Arbeiten) mit aus dem Vergangenen gespeisten
Erwartungen (genau so ist der "state of the art" ja beschaffen)
konfrontiert und so Zukunft vorstrukturiert. Diese Erwartungen haben
ihre Wurzeln in Erfahrungen, die selbst wieder aus privaten konkreten
Arbeiten erwachsen sind, aber einer langwelligeren Dynamik unterliegen
als ebendiese privaten konkreten Arbeiten. Also ein typischer
Mehrskalen-Effekt, der sich methodisch zB. in einem Gerüst von Mikro-
und Makroevolution im Sinne der Hyperzyklen reflektieren lässt.

Ein solcher Zugang macht dann zumindest auch deutlich, was ich lange an
deinem Zugang kritisiere: Es ist durchaus sinnvoll, das
Mehrskalenverhältnis wie bei den "Hyperzyklern" als Summe von
Zwei-Skalen-Verhältnissen zu studieren, da sieht man schon eine Menge
mehr als beim klassischen Ein-Skalen-Zugang, aber die Dynamiken der
realen Welt sind vielfältiger skaliert als eine Dichotomie
"personal-gesellschaftlich" zu erfassen vermag.

Auf meinen Skalen dreht sich auch schon alles @_\ ! War das jetzt
irgendwie wichtig? Dann erkläre es doch bitte mal.

Du kannst heute kaum mehr Wissen
einfach so "aufnehmen", sondern jede Aneignung ist immer mit
Vergegenständlichung verbunden,

Das verstehe ich in dem Licht überhaupt nicht, Aneignung ist in _diesem_
Sinn ja eher "Entgegenständlichung". Aber das hat etwas mit Syntax und
Semantik (von noch weiter drüberliegender Pragmatik oder gar Hermeneutik
will ich gar nicht reden) zu tun, wo du mir sicher zustimmst, dass die
"Vergegenständlichung" - jenseits ihrer kontextuellen Einbettung -
ausschließlich syntaktischen Charakter hat; mit einem chinesischen Buch
kann ich nichts anfangen, weil ich kein Chinesisch kann, auch wenn da
was ganz Tolles über Open Source drinstehen sollte.

D.h. du würdest in diesem Punkt Stephan zustimmen, dass (meine
Information/dein nicht angeeignetes Wissen) in einer Codierung
vorliegt, die einer Syntax gehorchen muss. Richtig?


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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