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Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hallo Hans-Gert, 
Es widerstrebt mir eigentlich, bestimmte Dinge über die Mailingliste zu
klären, aber dies mag  hier ja anders gehandhabt werden, als ich es bisher
kannte. Jedenfalls hättest du auf eine ganz kurze private Nachfrage schnell
erfahren, dass ich schlicht davon ausgegangen bin, ich hätte dir bereits kurz
geantwortet (was ich wohl vergessen habe) ? und hätte dir mitgeteilt, dass ich
die von dir erwähnten Texte erst noch mal lesen muss, bevor ich dazu was sagen
kann. Eine Vorgehensweise, die ich in dieser Reihenfolge nur wärmstens
empfehlen kann? ;)
Was mir durchaus noch in Erinnerung geblieben ist von deiner Mail vom 23.9.
ist die Bemerkung, dass du meinen Text nur kurz überflogen hast ? was sich
dann auch aus dem Rest deiner Mail ergab? Nun stehe ich leider wieder vor
derselben Situation: Ich bekomme von dir eine Antwort auf einen Text von mir,
den du ganz offensichtlich nur überfolgen und/oder nur zum Teil gelesen hast.
Sollte mich dieser Eindruck nicht getäuscht haben, dann fände ich Ton und
Inhalt deiner Mai ? nun, sagen wir mal ? nicht angebracht?   

Auch wenn von mir womöglich einiges missverständlich formuliert und
dargestellt worden sein sollte: Wie kann man mir nach der VOLLSTÄNDIGEN
Lektüre (die vielleicht eine Zumutung sein mag, angesichts der ?unbotmäßigen?
Läge ? aber wenn man schon meint, darauf in dieser Weise antworten zu müssen,
dann gebietet dies meiner Meinung nach der Anstand?) meines ?Opus? vorwerfen,
ich jage einem ?dinglichen Informationsbegriff? nach, der weitgehend dem
Versuch der Informatiker entspräche, die Verbindung  zwischen Level 5 und 6
(Syntax und Semantik) im OSI-Modell zu verstehen?
Aber vielleicht steh ich gerade auf der Leitung und blick ich es einfach
nicht? dann solltest du es mir bitte einfach noch mal erklären?!
Ich von meiner Seite komme hier noch mal zu den einzelnen Schritten meiner
Ausführung zurück ? vielleicht kann das ja auch irgendwie zur Klärung beitragen:

 [A.] bezieht sich zunächst einmal auf die Diskussion um den Datenbegriff. Es
geht mir vor allem um den Hinweis, dass der Datenbegriff meiner Meinung nach
bei der Klärung der Begriffe ?Information? und ?Wissen? überflüssig ist und
die Trias ?Daten ? Information ? Wissen? daher irreführend. 

Unter [B] stelle ich dann zunächst einmal fest, dass wenn eine konkrete
Ausprägung von Form, die sich in ihren Eigenschaften als Form von anderen
Formen unterscheidet eine Bedeutung REPRÄSENTIERT bzw. sich ihr eine Bedeutung
ZUORDNEN lässt, es sich nach meinem Verständnis dann bei dieser Form um ein
Symbol handelt. (Alleine die Tatsache, dass ich den Symbolbegriff verwende,
zusammen mit dem Umstand, dass ich diesen weiter unten auf Ernst Cassirer und
seine Symboltheorie rückbeziehe, hätte dich eigentlich in deinem Bestreben,
mir einen dinglichen Informationsbegriff anzudichten, stutzig machen müssen?). 
Anschließend habe ich lediglich darauf hingewiesen, dass ich Informationen nur
für eine Untergruppe der SYMBOLE halte. Lediglich um die Besonderheit von
?Informationen? als Untergruppe der Symbole begrifflich und konzeptionell zu
fassen, halte ich einen deduktiven Ansatz, wie ich ihn zunächst unter B(3)
andeute, für NOTWENDIG. Jedoch weise ich dann unter C. explizit darauf hin,
dass und warum ich dies noch längst nicht für HINREICHEND halte, um den
Symbol- bzw. Informationsbegriff zu bestimmen: 

Unter [C] gehe ich darauf ein, WIE meiner Meinung nach eine konkrete
Ausprägung von Form, die sich  in ihrer Eigenschaft als Form von anderen
Formen unterscheidet, eine Bedeutung repräsentieren kann (bzw. wie sich einer
solchen Form eine Bedeutung zuordnen lässt). Ganz allgemein gesprochen halte
ich hier eine holistische Perspektive für angebracht (wodurch sich m.M. nach
ja gerade das einlösen lässt, was du im Zusammenhang mit Wissen eine
?individuell vermittelte Gesellschaftlichkeit? nennst). Was ich darunter
verstehe, wird dann ganz kurz angedeutet. 

Letztlich läuft es für mich darauf hinaus, dass sich  ein Symbol (bzw. eine
Information) tatsächlich aus der folgenden Dualität konstituiert:
(1) NOTWENDIGE Bedingung dafür, dass etwas Symbol bzw. Information sein kann
ist eine sinnlich wahrnehmbare Form, die sich in ihrer Eigenschaft als Form
von anderen Formen unterscheiden lässt (denn wo nichts ist, da ist keine
Information); 
(2) HINREICHENDE Bedingung dafür, dass etwas ein Symbol bzw. Information sein
kann ist die Bedeutung, die diese Form repräsentiert bzw. die ihr von Menschen
zugeordnet wird. Mit dem Zitat Cassirers in Fußnote 2 versuche ich noch mal zu
illustrieren, was ich damit meine. 
Mit dem Zitat sollte auch deutlich gemacht werden, dass man zwar gerade bei
Informationen aufgrund der Spezifik ihrer sinnlich wahrnehmbaren Form
(aufgrund ihres systematischen Aufbaus) häufig leicht erkennen kann, DASS es
sich um eine Information handelt, man aber lediglich aufgrund der sinnlich
wahrnehmbaren Form noch nicht sagen kann, um WAS für eine  Information es sich
dabei handelt (um zu verstehen was ich meine, nehme man nur ein chinesisches
oder arabisches, finnisches Buch zur Hand?). 
Nur insofern mache ich mich also tatsächlich des Vorwurfs schuldig, einem
?dinglichen Informationsbegriff? anzuhängen. Damit würden wir jedoch auf einer
Ebene diskutieren, auf der die ganze Diskussion m.M. nach absurd wird, da es
jenseits aller Dinglichkeit keine Information sondern nur ?Nichts? gibt.

Im Übrigen stimme ich dir völlig zu, wenn du im Zusammenhang mit dieser
Diskussion auf die Linguistik und die Hermeneutik verweist (auf die ich ja in
meiner Mail auch noch zu sprechen kam ? aber soweit bist du vielleicht nicht
vorgedrungen??), da man in diesen Disziplinen einiges wissenswertes zu dem
Thema erfahren kann. Ich kenne mich zwar mit dem OSI-Modell nicht sonderlich
gut aus und kann eigentlich nur vermuten, was du mir oben an Gemeinsamkeit mit
den Informatikern unterstellen wolltest, aber ausgehend von einem solchen
holistischen Ansatz, wie ich in derzeit präferiere, würde sich zwingend
ergeben, dass sich alleine aus Level 5 (der Syntax) nie der Level 6 (die
Semantik) vollständig erschließen lassen wird. 

schöne Grüße
Stephan


Hans-Gert Gräbe <graebe informatik.uni-leipzig.de> schrieb:

Hallo Stephan,

du scheinst die Form des großen Opus zu bevorzugen, allerdings gebe ich 
zu bedenken, dass es den Aufwand vielleicht nicht lohnt, wenn bereits 
die grundlegende Herangehensweise Kritik findet. Über Konklusionen aus 
einer falschen Prämisse oder einem für unzureichend gehaltenen Ansatz zu 
räsonnieren macht keinen Spaß. Du findest das phänomenologisch vielfach 
auf OpenTheory: Eine intensive Debatte um die ersten 5 Absätze und das 
wars an Aufmerksamkeit.

Die Debatte verebbt auch deshalb schnell, weil sie vom Autor des 
Aufsatzes nicht ernst genommen wird. Meist sind es letzte Fragen, die 
keiner Antworten mehr für würdig befunden werden. Und mit Texten 
zugeschüttet zu werden ohne Reaktion auf substanzielle Argumente erhöht 
auch nicht gerade die Lust auf Argumentation. So liegen meine 
Bemerkungen zu deiner "Hacker-Ethik" vom 23.9. auch noch auf dieser "Halde".

Du hörst sicher einigen Frust aus diesen Bemerkungen heraus, der auch 
darin wurzelt, dass du genau das machst, was Janich (und Klemm) vehement 
kritisieren: einem dinglichen Informationsbegriff nachjagen. Dass du 
dabei massenhaft Autoritäten zitierst macht die Sache nicht plausibler, 
sondern ist Ausdruck genau der von SMz detaillierter beschriebenen 
Kontroverse.

Informationen
sind immer Eigenleistungen einer unterscheidenden Einheit, d.h. niemals von
außen gegeben; draußen oder in der Umwelt des Systems gibt es für das System
zunächst ein unspezifisches Rauschen, das nur potentiell informativ ist.



bestreite ich entschieden. Strukturierende Wahrnahme derart von der 
Realität abzukoppeln halte ich für extrem unproduktiv und genau das wird 
auch in der Lebenskunstdebatte zentral kritisiert.

Was du dann über Information schreibst entspricht weitgehend dem (eben 
von Janich kritisierten) Versuch der Informatiker, die Verbindung 
zwischen Level 5 und 6 (Syntax und Semantik) im OSI-Modell zu verstehen.

Wie weit die gesellschaftliche Praxis der Informatik selbst inzwischen 
über diese Konzepte hinausgegangen ist, siehst du an der Killerwirkung 
von XML, der die (mE triviale) Idee der Auszeichnung semantischer 
Einheiten durch Markup zu Grunde liegt. Und nachdem hier 
_Beschreibbarkeit_ möglich ist, wird nun fleißig beschrieben und so die 
konzeptionelle Seite auf konkrete Inhalte angewendet, also konkrete 
Beschreibungen in dieses universelle Format überführt. Das Zusammenspiel 
zwischen abstraktem Standard und konkreten Inhalten ist dabei ein sehr 
subtiles, wie du an der Geschichte der XML-Standardisierung ablesen 
kannst. Dass Semantik um Größenordnungen vielfältiger strukturiert ist 
als du mit deinem Symbolansatz auffangen kannst, wird dabei wie 
selbstverständlich vorausgesetzt.  Und dass die "Symbolisierung" selbst 
ein kollektiv lebensweltlicher Prozess des Ringens ist.

Inzwischen redet man von "semantic web" und Ontologien, mit dem das 
Generieren von Begriffswelten ein Stück weit denkerisch durchdrungen 
werden soll. Die Sachen (RDF etwa) gehen zwar derzeit nicht viel über 
den ER-Ansatz hinaus, aber spannend ist dabei, dass Begriffe und Daten 
auf einheitliche Weise referenziert werden sollen.

Aber vielleicht sollten die Informatiker auch mal die Linguisten fragen, 
  was die zum Thema zu sagen haben, da dort Pragmatik und Hermeneutik 
seit langem zum täglichen Brot gehören. Ein Abglanz davon wird in der 
Computerlinguistik sichtbar, wenn es um die Analyse von Textkorpora geht 
oder um automatisches Übersetzen.

Davon sind _alle_ lebensweltlichen Zusammenhänge betroffen; die von dir 
perpetuierte Hypertrophierung des Symbolanalytikerdaseins entbehrt nach 
meinem Verständnis schlicht der faktischen Grundlage, wenn man von einem 
adäquaten Wissensbegriff ausgeht. Trotzdem bist du damit in guter 
Gesellschaft auch auf der Seite der Linken, wo im PDS-"Braintrust" sogar 
die Vision einer "Klasse der Informationsarbeiter" diskutabel ist 
(Dietmar Wittich) und Eingang bis ins aktuelle Parteiprogramm gefunden 
hat.  Der Ansatz geht aber davon aus, dass eine Spezialisierung wie 
heute in "Kopfarbeiter" und "Handarbeiter" Bestand haben, Denken also 
eine elitäre Tätigkeit sein bzw. bleiben wird, während ich viele gute 
Gründe aufgeführt habe, dass diese Wissensgesellschaft unter anderer 
Perspektive als Kompetenzgesellschaft charakterisierbar ist, weil in 
einer solchen Wissensgesellschaft (in der also die Sozialisation des 
Wissens die Leitsozialisation sein wird) Kompetenz ein zentrales 
lebensweltliches Agens sein wird.

Dass das ganz tief mit Herrschaftsthemen verwoben ist, sei hier nur in 
Parenthese bemerkt (ist im Mawi-Paper ein Stück weit asugeführt). Über 
die Gründe, warum "das geschwächte und der Realität immer hörigere 
Bewusstsein mittlerweile die Fähigkeit verliert, jene Anspannung der 
Reflexion zu leisten, die ein Begriff von Wahrheit fordert, der nicht 
dinghaft und abstrakt der bloßen Subjektivität gegenübersteht, sondern 
sich entfaltet durch Kritik, kraft der wechselseitigen Vermittlung von 
Subjekt und Objekt" (Adorno, Gesammelte Schriften 10.II, S. 583), wäre 
also gesondert zu sprechen (was in Chemnitz geschehen soll); den Fakt, 
dass es so ist, wirst du sicher nicht in Abrede stellen. Diese 
wechselseitige (!!!) Vermittlung von Subjekt und Objekt muss in einer 
Theorie der Information aber als Mindestes sichtbar werden.

So viel für heute. Viele Grüße, Hans-Gert

-- 

   Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
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