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Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Liste!

Übers Wochenende hab ich einige meiner Gedanken zusammengefasst, die ich mir
zum Thema ?Wissen und Information? gemacht habe. 

Ausgehend von meinem Verständnis von Wissen und Information, zu dem ich dann
gleich kommen werde, ist es zunächst einmal hilfreich zu klären, WOFÜR wir die
Begriffe brauchen. Wir versprechen uns von der Klärung dieser Begriffe
wichtige Impulse für die Klärung der Frage ?Wissens- und/oder
Informationsgesellshaft?. Wir brauchen also die Begriffe Wissen und
Information zur Verständigung über Fragen, die Soziales im Allgemeinen und
Gesellschaft bzw. gesellschaftliche Entwicklung im besonderen betreffen. Die
Klärung dieser Frage scheint mir deshalb wichtig, weil es meiner Meinung nach
zwei grundlegend verschiedene Begriffstraditionen gibt, wenn man sich mit den
schwierigen Begriffen Wissen und Information auseinandersetzt.

Kommen wir zunächst kurz zu der, seit Mitte des 20. Jahrhundert immer
dominanter werdende, naturwissenschaftlich/technische Begriffstradition, die
mehr oder weniger quer zu einem Begriffsverständnis steht, dass dem Gegenstand
des sozialen gerecht werden kann.  


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# technisch/naturwissenschaftliche Begriffstradition #
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Vorweg dazu folgendes: Die Verständigungsprobleme, denen wir uns heute
gegenüber sehen, wenn wir nach adäquaten Begriffskonzepte für ?Wissen? und
?Information? suchen, rühren nicht zuletzt daher, dass in den letzten 60
Jahren die Begriffskonzepte der Informationstechnik sehr erfolgreich in die
Gesellschaft diffundieren konnten. Die Gründe für den Erfolg sind vermutlich
gleichermaßen in der rasant zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der
digitalen Informationstechnik zu sehen, wie auch in den relativ simplen
Konzepten, die den informationstechnischen Begriffkonzepten zugrunde liegen.
Allerdings scheint inzwischen häufig in Vergessenheit geraten, dass die
Konzepte für die Begriffe ?Daten?, ?Information? und ?Wissen? in der
Informationstechnik nur für einen sehr begrenzten und sehr speziellen
Gegenstandsbereich entwickelt wurde: Für das prozessieren von Signalen in
digitalen IKT. Dies kommt in folgendem Zitat sehr schön zum Ausdruck:
?Der Informationswert einer Nachricht besteht darin, dass sie bei einem
Anwender eine bestehende Unsicherheit über Umweltzustände reduziert. Dies
geschieht dadurch, dass die eintreffende Nachricht eine Auswahl aus den vom
Empfänger vorab für möglich gehaltenen Zuständen darstellt. Auf den Inhalt der
Nachricht kommt es dabei zunächst nicht an. ?Frequently the messages have
meanings; that is they refer to rare entities. These semantic aspects of
communication are irelevant to the engineering problem. The significant aspect
is that the actual message is one selected from a set of possible messages?
(Brandt/Volkert 2003 zitieren hier Shannon/Weaver 1949:3). [Fußnote 1]

Ganz wesentlich für diese Expansion des technischen Informationskonzepts weit
über die Grenzen der Nachrichten- bzw. Informationstechnik hinaus, war der
Umstand, dass in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts die Kybernetik an dieses
neue Informationsverständnis anknüpfte:
?In den 60er und 70er Jahren wurde die Kypernetik als weit ausgreifendes
Wissenschaftsmodell konzipiert und auf allen nur denkbaren Feldern ? sogar in
Kunst, Pädagogik und Politik ? erprobt. Steinbuch verstand sie zum Beispiel
als ?die Wissenschaft von den informationellen Strukturen im technischen und
außertechnischen Bereich? und skizzierte eine anspruchsvolle kybernetische
Anthropologie. Das war ?die Wissenschaft,, welche menschliches Denken und
Verhalten auf die Wirkung informationeller Strukturen zurückführt? und die man
? so Steinbuch ? nicht den ?Verbal-Philosophen? überlassen konnte. Ingenieure
hatten nach seiner Auffassung ?ein unbestreitbares Recht, über geistige
Funktionen mitzureden.? Überall fand man damals ?Information? und verbreitete
? so ein Tagungstitel von 1968 ? ?Informationen über Information?. Sie war
nach Steinbuch gemeinsames Grundraster von Bewusstsein und Gesellschaft,
sollte aber auch bei Tieren anzutreffen sein ? er sprach etwa von der
Informationstechnik der Nachtfalter. Angeblich kann man sogar noch weiter
zurückblicken. Janich wurde beispielsweise belehrt über ?eine in den letzten
15 Mrd. Jahren abgelaufene Evolution von Informationsverarbeitung? ? auf
atomarer, genetischer und soziotechnischer Ebene? (Klemm 2003:270ff). 

Warum halte ich ? gerade vor dem Hintergrund unserer Ausgangsfrage ? ein
solches technisches bzw. kypernetisches Informationskonzept für unzureichend?
Stefan Merten schrieb (02.02. 20.00 Uhr): ?Bei dem Begriff Informationen muss
genau genommen angegeben werden, in welchem Zusammenhang die Daten einen
Unterschied machen.? Genau der Meinung bin ich auch. Anders gesagt: Ob und
inwiefern eine Entität Information ist, ist ?Systemabhängig?: ?Informationen
sind immer Eigenleistungen einer unterscheidenden Einheit, d.h. niemals von
außen gegeben; draußen oder in der Umwelt des Systems gibt es für das System
zunächst ein unspezifisches Rauschen, das nur potentiell informativ ist.? (aus
dem Luhmann-Lexikon von Detlef Krause S. 109).
Das würde aber bedeuten, dass es in dem Zusammenhang, der uns interessiert,
nicht sehr weit führen kann, wenn wir ein begriffliches Konzept von
?Information? anstreben, das sich dadurch auszeichnet, dass es auf das soziale
(Mensch/Gesellschaft) ebenso anwendbar ist, wie auf  die Informationstechnik,
die Biologie und womöglich gar auf die Physik. Ich würde vielmehr genau den
umgekehrten Weg vorschlagen und fragen: Was unterscheidet Informationen im
sozialen Bereich von anderen Informationskonzepten? 


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# Ein Definitionsversuch #
#########################

Gehen wir zunächst von einer sehr abstrakten Definition des Begriffs
?Information? aus, der  auch für einen Kypernetiker anschlussfähig ist:
?Eine Information ist eine Differenz, die eine Differenz erzeugt?
(Luhmanlexikon zum Begriff Information). Was bedeutet diese Definition nun
aber speziell für kognitive Systeme (Menschen) und für das soziale System
Gesellschaft?

[A.] Form (Signal)
##################

?Eine Information ist eine Differenz??

(1) In einem ersten Schritt kann man festhalten, dass eine Information eine
Differenz (also ein Unterschied) ist. Eine notwendige Bedingung dafür, dass
eine Entität für ein kognitives System (eines Menschen) eine Differenz sein
kann, ist, dass diese Entität überhaupt sinnlich wahrnehmbar ist. Können
Entitäten von Menschen sinnlich wahrgenommen werden, dann würde ich im
Weiteren davon sprechen, dass sie eine FORM haben (diese Form kann
akustischer, visueller oder anderer Art sein).  
(2) Darüber hinaus muss sich aber eine konkrete Ausprägung von Form in ihren
Eigenschaften als Form von anderen konkreten Ausprägungen von Form sinnlich
wahrnehmbar unterscheiden ? dies ist die hinreichende Bedingung dafür, dass
etwas für kognitive Systeme eine Differenz darstellen kann. 

[B.] Symbol (Information)
#########################

??die eine Differenz erzeugt.?

(1) In einem zweiten Schritt kann man dann fragen, auf welche Weise eine
Differenz (etwas, das sich für kognitive Systeme als konkrete Ausprägung von
Form von anderen Formen unterscheiden lässt) eine Differenz erzeugen kann.
Meiner Meinung nach kann eine so definierte Differenz für ein kognitives
System nur eine Differenz erzeugen, (a) indem diese Differenz für das
kognitive System eine BEDEUTUNG repräsentiert, bzw. (b) indem sich dieser
Differenz durch das kognitive System eine Bedeutung zuordnen lässt. 
(2) Wenn eine konkrete Ausprägung von Form, die sich in ihren Eigenschaften
als Form von anderen Formen unterscheidet eine Bedeutung repräsentiert (bzw.
sich ihr eine Bedeutung zuordnen lässt), dann handelt es sich bei dieser Form
um ein SYMBOL. 
(3) Demnach hat so ziemlich alles das Potential, ein Symbol zu sein, was eine
unterscheidbare Form hat. Allerdings gibt es eine spezielle Gruppe von
Symbolen, die sich von anderen Symbolen dadurch unterscheiden, dass sie auf
der Grundlage einer mehr oder weniger komplexen Systematik generiert werden:
INFORMATIONEN. 
(a) Für Informationen sind zum einen relativ stringente und eindeutige
Formen-Systeme konstitutiv, die verschiedentlich auch als ?CODES? bezeichnet
werden. Dabei handelt es sich um systematische, sinnlich eindeutig
ausdifferenzierte Ensemble von Formen (Akustische Formen bei der Sprache,
visuelle Formen wie die Schrift, aber auch die Braille-Schrift usw.). Aufgrund
ihrer Systematik lassen sich die verschiedenen Code in jeweils andere Code
übersetzen. 
(b) Aufbauend auf diese Formen-Systeme bzw. Codes sind für Informationen
bestimmte Regeln konstitutiv, anhand derer mit den Formsystemen bzw. Codes
operiert wird. 
(c) Schließlich und endlich müssen unterscheidbare Formen nicht nur entlang
einer Systematik ausdifferenziert (als Formen-Ensemble bzw. Code) und durch
Regeln strukturiert (Syntax) sein; AUFGRUND der speziellen Ausprägung von a
und b ? und damit in ABHÄNGIGKEIT von a und b ? müssen diese unterscheidbare
Formen auch Bedeutungen repräsentieren. Erst dies macht sie zur Information. 
Damit besteht zwar ein notwendiger Zusammenhang zwischen Subtanz (der Form)
und Information (eine spezielle Form in ?Tateinheit? mit der Bedeutung, die
die Form repräsentiert) ? aber die Information ist NICHT die Substanz!
Die Frage ist nun jedoch die, WIE Symbole und Informationen eine Bedeutung
erhalten bzw. repräsentieren. Dies lässt sich nur von Wissen her erklären:

[C.] Wissen
###########

In Konsequenter Fortsetzung der oben erwähnten allgemeinen Definition von
Information wird Wissen häufig ganz Allgemein definiert, als ?eine Differenz,
die eine Differenz erzeugt, die eine Differenz erzeugt.? Dies ist nicht
unbedingt falsch, erzeugen doch Symbole bzw. Informationen vor dem Hintergrund
bestimmter Erwartungen Differenzen, indem durch sie Erwartungen enttäuscht
(führt zur Anpassung in Form von Lernen) oder bestätigt werden (führt zur
Stabilisierung von Wissen). 
Jedoch lässt diese allgemeine Definition, die vor allem darauf abzielt,
?Wissen? in ein universelle Informationstheorie zu integrieren, meiner Meinung
nach all das weitgehend im Dunkeln, wodurch sich meiner Meinung nach das
Soziale als eigene Emergenzstufe von anderen (biologischen-, physikalischen-,
technischen-) Zusammenhängen unterscheidet, in denen ebenfalls ein
Informationskonzept bemüht wird. 
Denn mit der Definition von Wissen als ?einer Differenz, die eine Differenz
erzeugt, die eine Differenz erzeugt? kommt lediglich eine deduktive Sichtweise
auf den Zusammenhang ?Form ? Information ? Wissen? zum Ausdruck, die für das
Verständnis dieses Zusammenhangs zwar  notwendig ist, jedoch keine
hinreichende Perspektive darstellt. Vielmehr ist hier eine Perspektive
gefordert, die in der Methodenlehre - zumal der naturwissenschaftlichen -
nicht selten (und meist ja auch zurecht!) als Todsünde betrachtet wird: Eine
holistische Perspektive. Das heißt: Unter [B.] wurden insgesamt nur NOTWENDIGE
Bedingungen hergeleitet, die für ?Bedeutung? konstitutiv sind ? HINREICHENDE
Bedingung für ?Bedeutung? ist jedoch ganz allgemein gesprochen der spezifische
KONTEXT, innerhalb dessen Bedeutung durch das Herstellen von Sinnbezügen
konstruiert wird. Anders gesagt: Bedeutung als das ?zu Erklärende Einzelne?
leitet sich aus der Art und Weise her, wie es sinnhaft in dem kontextuellen
Ganzen verortet werden kann - aus dem kontextuellen Ganzen bezieht es seinen
SINN. 
Daraus folgt u.a., dass ein und die selbe konkrete Form als Symbol bzw.
Information sehr unterschiedliche Bedeutungen repräsentieren kann ? welche
Bedeutung einer konkreten Form als Symbol bzw. Information im einzelnen
beigemessen wird, hängt ab 
(1) vom Wissenskontext der rezipierenden Person (Dies beschreibt Ernst
Cassirer ausführlich am Beispiel eines Linienverlaufs [Fußnote 2] ); 
(2) vom situativen, sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontext,
innerhalb dessen  Symbol/ Information einerseits und das rezipierende Subjekt
andererseits verortet sind.. 

interpersonelle und intergenerationelle ?Übertragung? von Wissen?
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Was die interpersonelle und intergenerationelle  Übertragung von Wissen
anbelangt, so wurden unterschiedliche Positionen von Stefan Merten und Stefan
Meretz vertreten: 
Zunächst einmal gehe ich ebenfalls davon aus, dass Wissen, wenngleich
gesellschaftlich vermittelt, so doch ganz klar subjektgebunden ist. Inwiefern
ich aber eine annäherungsweise Synchronisation des Wissen von Individuen
trotzdem für möglich halte, skizziere ich in Eissler (2004). Die Bedingung der
Möglichkeit der annäherungsweisen Synchronisation von Wissen ist dabei
?VERSTEHEN?.
Subjektgebundenheit von Wissen bedeutet aber, dass das Wissen einer Person mit
dieser ebenfalls ?stirbt?. Wissen ist demnach nicht intergenerationell
kumulierbar. Wenn sich aber, wie oben vorgeschlagen wurde, sich die Bedeutung
einer Information erst auf der Grundlage von Wissen konstituiert, dann wäre es
sinnlos zu sagen, dass Informationen intergenerationell kummulierbar sind. Was
tatsächlich kummulierbar ist, sind lediglich bestimmte archivierbare
Formen-Systeme. Wer etwas anderes behauptet, der sollte sich einfach in eine
historische Bibliothek begeben und ein beliebiges Faksimile eines alten
griechischen oder römischen oder mittelalterlichen Denkers oder
Geschichtsschreibers in die Hand nehmen, um sich davon zu überzeugen, dass er
darin nur eines findet: Zeichen. Daher müssen wir heute immer noch ?
ungeachtet der vielen in altgriechischer oder lateinischer Sprache
geschriebenen Bücher ? Altgriechisch bzw. Latein lernen. Und wenn wir diese
Sprache dann mühevoll gelernt haben, dann wird uns ein Historiker darüber
belehren, dass wir trotzdem nie in der Lage sein werden, zu wissen was ein
Plato oder ein Cicero wusste. Daher werden wir einem ihrer Wörter, einem ihrer
Sätze, einem ihrer Texte nie exakt die Bedeutung(en) beimessen können, die
ihnen von ihren Verfassern aufgrund ihres einmaligen, nicht mehr existierenden
Wissens beigemessen wurde, das im Kontext einmaliger Erfahrungen in einer
nicht mehr existierenden Gesellschaft, die in eine nicht mehr existierenden
Kultur eingebettet war, entstanden ist. Mit den verschiedenen Ansätzen der
Hermeneutik bemüht sich eine ganze Wissenschaft zwar redlich darum, die
bestimmten Formen ursprünglich beigemessenen Bedeutungen zu rekonstruieren, 
dies können aber immer nur Annäherungen bleiben, über deren Exaktheit wir nur
spekulieren können. 

Aber auch wenn der Möglichkeit Grenzen gesetzt sind, Bedeutungen zu
rekonstruieren, die ursprünglich bestimmten Formen - ausgehend von einem
einmaligen Wissen - beigemessen wurden, so verfügen wir doch über beachtliche
Möglichkeiten des Verstehens. Auch wenn ich nicht mit Stefan Meretz davon
reden würde, dass Erfahrungen ?kumulierbar? sind, so gibt es doch einen
?Erkenntnisfortschritt?, der ganz wesentlich auf Kommunikation (in Sprache und
Schrift) beruht, und im Laufe der Zeit das Spektrum unserer
Handlungsmöglichkeiten enorm erweitert hat. In der Folg hat sich der
gesellschaftliche Umgang mit Wissen ebenso gewandelt, wie sich auch gewandelt
hat was wir wissen und wie wir wissen: 
=> In oralen (und z.T. auch in skriptographischen) Gesellschaften war das was
wir ?Tradition? nennen ein wichtiger Aspekt im gesellschaftlichen Umgang mit
Wissen und der Weitergabe von Erfahrung. Es wurden gesellschaftliche Rollen
ausdifferenziert, die wir in unserer Gesellschaft nicht mehr kennen: etwa die
es Geschichtenerzählers ? Menschen, die Texe in der Länge der Bibel oder des
Korans auswendig hersagen konnten (in Quincy Jones Familiensaga ?Roots? gibt
es eine eindrückliche Passage dazu).
=> Unsere heutige Gesellschaft zeichnet sich durch einen fundamental anderen
Umgang mit Wissen aus: (a) Wichtig ist heute die Bereitschaft und die
Fähigkeit, bestehendes Wissen in Frage zu stellen und Bedeutungszusammenhänge
ständig zu rekombinieren. In unserer Gesellschaft hat das be-wahren von Wissen
an Bedeutung verloren in Relation zur Generierung und Nutzbarmachung neuen
Wissens. (b) Auf der Grundlage moderner IKT stehen uns immer umfangreichere
Speicher zur Verfügung, auf die wir immer schneller und leichter zugreifen
können. Warum da noch Fakten auswendig lernen? Wichtig ist vielmehr die
Kompetenz, den gespeicherten formalen Zeichen und Symbolen entsprechende
Bedeutungen beimessen zu können und mit ihnen operieren zu können. Das
ständige erlernen so genannter ?Kulturtechniken?, wie man den Umgang mit IKT
(Sprache, Schrift, Computer, ?) bezeichnen kann, nimmt einen immer größeren
Teil unserer Zeit in Anspruch.  (b) Schließlich und endlich ist es heute für
einen Großteil unserer westlichen Gesellschaft üblich, die ersten 25  Jahre
ihres Lebens in Schulen und Universitäten zu verbringen, um danach den Rest
des Lebens eine gesellschaftliche Rolle als ? wie es Reich so schön nannte ?
?Symbolanalytiker? zu begleiten?  

Insofern würde ich Stefan Merten (02.02. 20 Uhr) nicht zustimmen wollen, wenn
er davon ausgeht, dass wenn ?die Menge  des Wissens [Quantität:S.E.], die
einem Menschen zur Verfügung steht überhistorisch unveränderlich ist, dann
ändert sich am Wissen von Gesellschaftsformen zu Gesellschaftsform
[Qualität:S.E.] gar nichts. 

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# Digitale IKT und Informationen/Wissen #
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(1) Aus meiner obigen Definition von Information und Wissen würde ich den
Schluss ziehen, dass aus sozialer Perspektive (also aus der Perspektive
menschlicher Subjekte) mit digitalen IKT immer nur binäre Signale  verarbeitet
bzw. prozessiert werden können. Was uns ein Computer liefern kann, sind also
nie Informationen, geschweige denn Wissen, sondern immer nur Formen und
Zeichen. Daran ändern auch immer raffiniertere Algorithmen nichts, mit deren
Hilfe Zeichen und Formen in binäre Signale transformiert werden kann, die dann
durch digitale IKT nach bestimmten ebenfalls immer raffinierteren Algorithmen
prozessiert werden können, um dann wieder in Zeichen und Formen transformiert
zu werden, die von uns als Information INTERPRETIERBAR sind. Aus SOZIALER
PERSPEKTIVE (und einen anderen Referenzpunkt halte ich im Rahmen unserer
Diskussion für sinnlos) würde es sich bei Computern demnach keinesfalls um
?Informations?verarbeitungssysteme handeln können.
(2) Ob und inwiefern das, was der Computer ausgibt, als Informationen
interpretiert werden können, hängt davon ab, ob der binären Code (wiederum
durch Algorithmen) in eine sinnlich wahrnehmbare FORM transformiert werden
kann, der eine Person eine BEDEUTUNG beimessen kann (ein Vorgang, zu dem ein
Computer schlicht nicht in der Lage ist); ob und welche Bedeutung eine Person
den ausgegebenen Daten dann tatsächlich beimisst, hängt wiederum vom WISSEN
der Person ab; über welches Wissen die Person verfügt, hängt wiederum von
seiner Biographie ab und ist nicht zuletzt gesellschaftlich bedingt[Fußnote 3].
(3) Was für Zeichen und Formen uns ein Computer liefert, hängt von den
Algorithmen ab, nach denen die eingegebenen Zeichen und Formen prozessiert
werden. Algorithmen wiederum sind expliziertes Wissen (und nur solches!), das
nach bestimmten Regeln expliziert und in Regeln bzw. Programme transformiert
wurde. Insofern ist der Möglichkeitsraum dessen, was digitale IKT an Daten
verarbeiten und ausgeben durch WISSEN vordefiniert und durch dieses konkret
eingesetzte Wissen limitiert. 

#############
# Fußnoten #
############

[1] 
Vgl. dazu auch den folgenden ?Technischer Informationsumsatz:
Die technische Regelung eines zeitabhängigen Systemzustands beinhaltet die
Verarbeitung von Systeminformationen durch eine Regeleinrichtung. Bei der
Regelung des Gebäudeklimas durch ein Computerprogramm erhält dieses ständig
Daten (Temperatur, relative Luftfeuchte,...), die in organisierende Eingriffe
(Einstellen der Heiz- bzw. Kühlleistung,...) umgesetzt werden.
[Dieser Informationsansatz geschieht:S.E.] , ohne dass ein Mensch von den
Informationen Kenntnis haben muss. Die "Bedeutung" derselben ist also
unbekannt (da weder die Zelle noch der Computer von Bedeutungen wissen). Der
moderne Informationsbegriff unterscheidet also im Gegensatz zum traditionellen
zwischen Information (als organisierendem Moment) und ihrer Bedeutung (im
Bewusstsein denkender Lebewesen)? (Quelle:
http://it.tud.uni-essen.de/information.htm).

[2]
Dazu gibt Cassierer (1956:211ff) ein ausführliches Beispiel:
?Ich hatte gesagt, dass man einem bestimmten Wahrnehmungserlebnis einen ganz
verschiedenen Sinn beilegen könne ? je nach Zusammenhang, in welchen man es
einfügt und je nach den Formkategorien, unter denen man es erfasst. Wir können
eine Zeichnung, die wir vor uns haben, als einen einfachen Linienzug
auffassen, der sich durch bestimmte sichtbare Qualitäten, durch gewisse
elementare Grundzüge seiner räumlichen Form gegen andere unterscheidet. Aber
während ich noch dem Eindruck dieses schlichten Wahrnehmungserlebnisses
hingegeben bin, während ich die einzelnen Linien der Zeichnung in ihren
sichtbaren Verhältnissen, in ihrem Hell und Dunkel, in ihrer Absetzung gegen
den Hintergrund, in ihrem Auf und Ab verfolge, beginnt plötzlich der Linienzug
sich gleichsam als Ganzes von innen her zu beleben. Das räumliche Gebilde wird
zum aesthetischen Gebilde: ich erfasse in ihm den Charakter eines bestimmten
?Ornaments?? Ich kann in der reinen Betrachtung dieses Ornaments aufgehen, ich
kann es als ein gewissermaßen Zeitloses vor mich hinstellen, oder aber ich
erfasse an ihm und in ihm noch ein anderes: es stellt sich mir als Ausschnitt
und als Ausdruck einer künstlerischen Sprache das, in der ich die Sprache
einer bestimmten Zeit, in der ich den ?Stil? einer historischen Epoche wieder
erkenne? Und abermals kann ich die Betrachtung wandeln, sofern sich mir etwa
das, was sich zunächst als reines Ornament darstellte, als Träger einer
mythisch religiösen Bedeutung, als magisches oder kultisches Zeichen enthüllt?
Dieser Form der Auffassung und der inneren Aneignung können wir schließlich
mit bewusster Schärfe eine andere, ihr diametral entgegengesetzte
gegenüberstellen. Wo der aesthetisch-Betrachtende und Genießende sich der
Anschauung der reinen Raumform hingibt ? wo sich dem religiös-Ergriffenen in
der Form ein mystischer Sinn erschließt, da kann sich dem Gedanken das
Gebilde, das vor dem sinnlichen Auge steht, als Beispiel für einen rein
logisch-begrifflichen Strukturzusammenhang geben? Dem mathematischen Geist
wird der Linienzug zu nichts anderem als zum anschaulichen Repraesentanten
eines Bestimmten Funktionsverlaufs? Wo die aestetische Richtung der
Betrachtung vielleicht eine Hogarth`sche Schönheitslinie vor sich sah ? da
sieht der Blick des Mathematikers das Bild einer bestimmten trigonometrischen
Funktion, etwa das Bild einer Sinuskurve vor sich.?
Was also einem bestimmten Linienverlauf für eine Bedeutung beigemessen wird,
hängt zwar notwendiger Weise von der konkreten sinnlich wahrnehmbaren Form
dieser Linie ab ? dies ist jedoch nicht hinreichend als Erklärung dafür, warum
eine Person diesem Linienverlauf die eine und nicht eine andere Bedeutung
beigemessen hat. Hinreichend erklären lässt sich dies nur durch das Wissen des
Betrachters, das dem Betrachter das Herstellen bestimmter Sinnbezüge (und
genau dadurch entsteht ?Bedeutung?: durch das Herstellen bzw. aktualisieren
von Sinnbezüge innerhalb eines bestehenden Wissenskontextes) erlaubt ? andere
grundsätzlich ebenfalls mögliche Sinnbezüge aber nicht zulässt. Bliebe noch
die Frage, wie das Subjekt zu dem Wissen kommt, das ihn einerseits befähigt
und andererseits in seiner Befähigung limitiert, Sinnbezüge herzustellen bzw.
zu aktualisieren (und dadurch Dingen eine ?Bedeutung? beizumessen). Die
situative, soziale und damit immer auch: gesellschaftliche und historische
Bedingtheit individuellen Wissens habe ich relativ ausführlich in Eissler
(2004) versucht zu beschreiben? 

[3]
Wie die Bedingtheit individuellen Wissens aus konstriktivistischer Sicht
aussieht, habe ich versucht systematisch in Eissler (2004) darzulegen. 



##############
# Literatur # 
#############

Brandt, Martin/ Volkert, Bernd (2003): Regionales Monitoring zur
Wissensökonomie. Erschienen bei der Akademie für Technikfolgenabschätzung in
Baden Württembert. Arbeitsbericht Nr. 238/ Juni 2003

Cassirer, Ernst (1956): Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs. Bd. 4 der
Sonderausgabe zu Cassirers Philosophie der symbolischen Formen.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt

Eissler, Stephan (2004): Der Schutz von so genanntem 'geistigen Eigentum' und
Wirtschaftswachstum. Überarbeitete Fassung des Vortrags anlässlich der Tagung
WISSENSÖKONOMIE (vom 10 bis 12.06.04 in München) des Arbeitskreises Politische
Ökonomie (AKPÖ), der Sektionen Arbeits- und Industriesoziologie sowie
Wirtschaftssoziologie der DGS. (im Erscheinen; ab März 2005 auch unter
http://www.wissen-schaft.org)

Klemm, Helmut (2003): Ein großes Elend. Das Informationszeitalter kann sich
nicht einigen über den Begriff ?Information?. In: ?Informatik Spektrum? vom 4.
August 2003; S. 267-273 

Shannon, Claude E/ Weaver, W. (1949): The Mathematical Theory of
Communication. Urbana



-- 
Stephan Eissler
Institut für Politikwissenschaft
Lehrstuhl für politische Wirtschaftslehre
Melanchtonstraße 36
72074 Tübingen
Telefon [PHONE NUMBER REMOVED]


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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