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Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hallo Stephan,

du scheinst die Form des großen Opus zu bevorzugen, allerdings gebe ich zu bedenken, dass es den Aufwand vielleicht nicht lohnt, wenn bereits die grundlegende Herangehensweise Kritik findet. Über Konklusionen aus einer falschen Prämisse oder einem für unzureichend gehaltenen Ansatz zu räsonnieren macht keinen Spaß. Du findest das phänomenologisch vielfach auf OpenTheory: Eine intensive Debatte um die ersten 5 Absätze und das wars an Aufmerksamkeit.

Die Debatte verebbt auch deshalb schnell, weil sie vom Autor des Aufsatzes nicht ernst genommen wird. Meist sind es letzte Fragen, die keiner Antworten mehr für würdig befunden werden. Und mit Texten zugeschüttet zu werden ohne Reaktion auf substanzielle Argumente erhöht auch nicht gerade die Lust auf Argumentation. So liegen meine Bemerkungen zu deiner "Hacker-Ethik" vom 23.9. auch noch auf dieser "Halde".

Du hörst sicher einigen Frust aus diesen Bemerkungen heraus, der auch darin wurzelt, dass du genau das machst, was Janich (und Klemm) vehement kritisieren: einem dinglichen Informationsbegriff nachjagen. Dass du dabei massenhaft Autoritäten zitierst macht die Sache nicht plausibler, sondern ist Ausdruck genau der von SMz detaillierter beschriebenen Kontroverse.

Informationen
sind immer Eigenleistungen einer unterscheidenden Einheit, d.h. niemals von
außen gegeben; draußen oder in der Umwelt des Systems gibt es für das System
zunächst ein unspezifisches Rauschen, das nur potentiell informativ ist.

bestreite ich entschieden. Strukturierende Wahrnahme derart von der Realität abzukoppeln halte ich für extrem unproduktiv und genau das wird auch in der Lebenskunstdebatte zentral kritisiert.

Was du dann über Information schreibst entspricht weitgehend dem (eben von Janich kritisierten) Versuch der Informatiker, die Verbindung zwischen Level 5 und 6 (Syntax und Semantik) im OSI-Modell zu verstehen.

Wie weit die gesellschaftliche Praxis der Informatik selbst inzwischen über diese Konzepte hinausgegangen ist, siehst du an der Killerwirkung von XML, der die (mE triviale) Idee der Auszeichnung semantischer Einheiten durch Markup zu Grunde liegt. Und nachdem hier _Beschreibbarkeit_ möglich ist, wird nun fleißig beschrieben und so die konzeptionelle Seite auf konkrete Inhalte angewendet, also konkrete Beschreibungen in dieses universelle Format überführt. Das Zusammenspiel zwischen abstraktem Standard und konkreten Inhalten ist dabei ein sehr subtiles, wie du an der Geschichte der XML-Standardisierung ablesen kannst. Dass Semantik um Größenordnungen vielfältiger strukturiert ist als du mit deinem Symbolansatz auffangen kannst, wird dabei wie selbstverständlich vorausgesetzt. Und dass die "Symbolisierung" selbst ein kollektiv lebensweltlicher Prozess des Ringens ist.

Inzwischen redet man von "semantic web" und Ontologien, mit dem das Generieren von Begriffswelten ein Stück weit denkerisch durchdrungen werden soll. Die Sachen (RDF etwa) gehen zwar derzeit nicht viel über den ER-Ansatz hinaus, aber spannend ist dabei, dass Begriffe und Daten auf einheitliche Weise referenziert werden sollen.

Aber vielleicht sollten die Informatiker auch mal die Linguisten fragen, was die zum Thema zu sagen haben, da dort Pragmatik und Hermeneutik seit langem zum täglichen Brot gehören. Ein Abglanz davon wird in der Computerlinguistik sichtbar, wenn es um die Analyse von Textkorpora geht oder um automatisches Übersetzen.

Davon sind _alle_ lebensweltlichen Zusammenhänge betroffen; die von dir perpetuierte Hypertrophierung des Symbolanalytikerdaseins entbehrt nach meinem Verständnis schlicht der faktischen Grundlage, wenn man von einem adäquaten Wissensbegriff ausgeht. Trotzdem bist du damit in guter Gesellschaft auch auf der Seite der Linken, wo im PDS-"Braintrust" sogar die Vision einer "Klasse der Informationsarbeiter" diskutabel ist (Dietmar Wittich) und Eingang bis ins aktuelle Parteiprogramm gefunden hat. Der Ansatz geht aber davon aus, dass eine Spezialisierung wie heute in "Kopfarbeiter" und "Handarbeiter" Bestand haben, Denken also eine elitäre Tätigkeit sein bzw. bleiben wird, während ich viele gute Gründe aufgeführt habe, dass diese Wissensgesellschaft unter anderer Perspektive als Kompetenzgesellschaft charakterisierbar ist, weil in einer solchen Wissensgesellschaft (in der also die Sozialisation des Wissens die Leitsozialisation sein wird) Kompetenz ein zentrales lebensweltliches Agens sein wird.

Dass das ganz tief mit Herrschaftsthemen verwoben ist, sei hier nur in Parenthese bemerkt (ist im Mawi-Paper ein Stück weit asugeführt). Über die Gründe, warum "das geschwächte und der Realität immer hörigere Bewusstsein mittlerweile die Fähigkeit verliert, jene Anspannung der Reflexion zu leisten, die ein Begriff von Wahrheit fordert, der nicht dinghaft und abstrakt der bloßen Subjektivität gegenübersteht, sondern sich entfaltet durch Kritik, kraft der wechselseitigen Vermittlung von Subjekt und Objekt" (Adorno, Gesammelte Schriften 10.II, S. 583), wäre also gesondert zu sprechen (was in Chemnitz geschehen soll); den Fakt, dass es so ist, wirst du sicher nicht in Abrede stellen. Diese wechselseitige (!!!) Vermittlung von Subjekt und Objekt muss in einer Theorie der Information aber als Mindestes sichtbar werden.

So viel für heute. Viele Grüße, Hans-Gert

--

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
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