Re: [ox] Freiwirtschaft (war: interessantes Interwiev)
- From: Jürgen Ernst <jrernst gmx.de>
- Date: Tue, 08 Jun 2004 02:46:47 +0200
Stefan Matteikat schrieb:
Jürgen Ernst schrieb:
Vielleicht solltest Du zuerst das Buch lesen, bevor Du solch einen
Schluss ziehst. Ich musste mich ja ziemlich kurz fassen, was natürlich
dem vermittelbaren Inhalt abträglich war.
Hallo Jürgen,
mangels Verfügbarkeit muß ich mich wohl auf das beschränken, was mir hier
zugänglich wird:
Ist aber echt lesenswert.
Okay. Ich kann ja noch weitere Textstellen nachliefern.
Hierzu muss ich dann noch etwas aus dem Buch "Small Worlds" von Marc
Buchanan zitieren:
Was führt dazu, dass der Reichtum in die Taschen nur weniger wandert?
Das Geheimnis scheint sehr einfach zu sein. Zunächst wird bei den
Transaktionen Kapital zwischen den Personen hin und her geschoben.
Wenn nun dabei eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt besonders
reich wird, kann sie eine Firma gründen, Häuser bauen und mehr
ausgeben. In all diesen Fällen fließt Kapital zu anderen Mitgliedern
des Netzwerks. Der Fluss von Kapital über die Kanäle des Netzwerks
wird also ingesamt Differenzen des Reichtums ausgleichen.
Das deutet für mich doch darauf hin, daß ich recht haben könnte: die
primäre Herkunft des "Reichtums" wird ausgeklammert (oder mir fehlt aus
der Vorgeschichte etwas, kann ja sein).
Hmm... vielleicht kommt es einfach nicht an. Liegt wohl daran, dass ich
die Textstellen ohne den Rest zitiert habe. Ich beschreibe es mal anders.
In dem Buch werden Netzwerke bzw. Graphen beschrieben. Ganz abstrakt
bestehen sie aus einer Menge von Knoten und Verbindungen dazwischen.
Man kann einem Knoten oder einer Verbindung auch einen oder mehrere
Werte zuweisen, d.h. man attributiert den Graph.
Beispielsweise kann ein Knoten für eine Person stehen und der
zugewiesene Wert wäre die Menge des Kapitals. Es lassen sich auch
beliebige andere Zuordnungen machen.
Soviel zum Prinzip. Alles sehr einfach.
Dennoch kann ich damit Analysen machen, z.B. Simulation eines Marktes
usw. Was noch von aussen hinzukommt sind sog. Constraints, also
Bedingungen, die eingehalten werden müssen. Dann lässt man die
Simulation laufen und kuckt nach einer Weile rein wie sich Knoten,
Verbindungen oder Attributwerte geändert haben.
Es stellte sich nun heraus, dass in Netzwerken mit interagierenden
Elementen manchmal die besonderen Eigenschaften dieser Elemente keine
Rollen spielen - auch, wenn diese Elemente Menschen sind!
Somit kann man damit nachweisen, dass die Herkunft des Reichtums NICHT
an den Menschen liegt. Es ergibt sich eher, dass es am Aufbau des
Netzwerkes liegt. Und zwar dann, wenn dieses Netzwerk eine "Small World"
ist und genauer ein aristokratisches Netzwerk.
Und damit enthalten die folgenden Aussagen:
>
Der Grund dafür liegt im Menschen selbst. Der Mensch ist ein soziales Wesen
und bildet Familien. Das sind dann soziale Netzwerke mit
Häufungsclustern, sprich Familien, also ebenfalls ein aristokratisches
Netzwerk. Das erklärt warum man das Phänomen nicht weg bekommt. Dazu
müsste man den Menschen ändern, was nicht funktioniert.
den fatalen Beigeschmack, daß man da eben nichts machen kann.
Man kann schon was machen, aber es ist schwierig.
Theoretisch alles kein Problem, nur praktisch machen nicht alle mit und
dann klappt es einfach nicht.
Daher zerbrechen wir uns hier ja auch so die Köpfe.
Ist so als wenn Deutschland den Atomausstieg durchzieht und die Staaten
aussenrum machen es nicht...
Man müsste die ganze menschliche Sozialstruktur ändern. Das ist aber
nicht wünschenswert, da es dem Menschen ja gerade durch die
Gruppenbildung bzw. Zivilisation gelungen ist aus der Höhle herauszukommen.
Wenn nun aber Familien existieren müssen, dann gibt es immer Häufungen
von Macht, Geld oder was auch immer in Gruppen.
Mit Zivilisation meinst Du hier offenbar die Art von Zivilisation, welche
Franz Naetar in seiner Antwort in diesem Thread beschrieben hat (ich
weiß, zu "Marx-lastig"); ...
Weiß nicht. Kann sein, dass es damit zu tun hat, aber ich habe die Mails
nicht so genau unter diesem Aspekt gelesen.
Mit Zivilisation meinte ich soziale Strukturen, die Menschen ausgebildet
haben mit zusätzlichen Dingen wie Wertmaßstäbe und Normen, etc.
...auch die kommentarlose Übernahme des Attributs
"aristokratisch" weist darauf hin.
Ich habe den Begriff deshalb übernommen, weil es Fachjargon in der
Charakterisierung von Netzwerken ist.
Vielleicht wäre es anschaulicher gewesen, wenn ich Hierarchien
geschrieben hätte, aber das wäre nicht korrekt gewesen. Stelle Dir
aristokratische Netzwerke als Hierarchien vor mit wenig vereinzelten
Querverbindungen. Damit sind es dann aber keine Hierarchien mehr,
sondern Netzwerke und das nennt man dann aristokratisch, weil es zu 80%
auf einer Hierarchie basiert. Mehr bedeutet es nicht.
> Der springende Punkt ist aber gerade
der: man muß die "Wertschöpfung" vom "Wert" lösen, um eine andere
Vorstellung von Reichtum etablieren zu können. Das ist aber mit der von
den Freiwirtschaftlern angestrebten "natürlichen" Wirtschaftsordnung nicht
zu erreichen.
Den "Wert" von der "Wertschöpfung" trennen, was soll das sein?
Soll mir etwas "wert" sein, ohne dass ich es selbst "schaffen" darf?
Soll es Institutionen geben, die "Wert" schaffen?
Wenn mir etwas Mühe gemacht hat oder wenn mir etwas gelingt, dann ist
mir das etwas wert. Somit schaffe ich mir selbst den Wert.
Auch wenn ich "Wertschöpfung" klassisch in der Wertschöpfungskette eines
Händlers sehe, dann kann der Händler sagen, dass er sich Mühe gemacht
hat die Ware zu beschaffen, die Informationen aufzubereiten, den Content
ins Internet zu stellen, Leute auszubilden, usw...
Der "Wert" hängt doch immer mit dem Vorgang der "Wertschöpfung"
zusammen. Je mehr Mühe, desto wertvoller.
Damit ist es für mich die Frage auf eine ganz andere Ebene verlagert
worden.
Damit ist zunächst einmal die Kernfrage nur weiter verschleiert worden.
Eben nicht. Sie ist freigelegt worden, als Struktur unseres
Interaktionsnetzwerkes.
Ein weiteres, von Dir später gebrachtes Zitat mit dem endgültigen Hinweis
auf den Zins bestätigt das ausdrücklich.
Nein. Das mit dem Zins wurde auch in diesem Netzwerk simuliert.
Simuliert man ohne den Zins können sich die Kapitaldifferenzen evtl.
ausgleichen müssen aber nicht. Lässt man Zins zu kommt es aber IMMER zu
massiven Ungleichheiten bzw. Kapitalhäufung.
Das Modell zeigt aber noch mehr. Es gibt unterschiedliche Grade von
Ungleichheit, und dass das Pareto-Gesetz beeinflusst werden kann. Pareto
sagt, dass die Verdopplung der Vermögensklasse jeweils mit einer Abnahme
der Angehörigen dieser Klasse um einen konstanten Faktor verbunden ist.
Der Faktor kann bei 1,8 oder 2 oder 3,4 oder anderswo liegen. In all
diesen Fällen ist Reichtum ungleich verteilt, aber die Ungleichheit wird
mit wachsendem Faktor größer. Mit anderen Worten: die Form der
Verteilung bleibt die gleiche, aber die genaue Größe des entscheidenden
Faktors ist unterschiedlich.
Über die Größe das Faktors (und damit der Ungleichverteilung) macht das
Modell einige allgemeine Aussagen.
Beispielsweise dieser:
Wenn man den Austausch zwischen den Beteiligten anregt und alle anderen
Bedingungen gleich lässt, wird der Reichtum gleichmäßiger verteilt.
Das ist wohl der gleiche Effekt, der auch durch die Freiwirtschaft
erzeugt wird, wie es mehrfach angesprochen wurde.
Daher finde ich, dass der Netzwerkansatz eher den Schleier weghebt.
Wir operieren anscheinend (vorerst) in verschiedenen Axiomensystemen.
Vielleicht ist die Sichtweise und die Nomenklatur anders, aber die
Ergebnisse sollten die gleichen sein. Etwas interdisziplinäre Denkweise
ist doch inspirierend, oder?
--
Ciao
Jürgen
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