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Re: [ox] Re: Ein Fall, der zu heftigem Nachdenken anregt.



Jürgen Ernst <jrernst gmx.de> schreibt:
Diese Paradoxie des unentscheidbaren Entscheidens muss unbemerkt
bleiben, da sie ja höchst funktional für das System ist. Deshalb 
ist das ganze "Spektakel" eines Gerichtsverfahrens so immens wichtig. 
Als Schutz vor Komplexität wird so getan, als ob es etwas gäbe worauf 
man sich verlassen kann, nämlich richterliche Entscheide. Das
Rechtssystem 
hat als universell kompetent und entscheidungsfähig zu gelten. 
Wo das Recht nicht gefundenwerden kann, muss es erfundenwerden."

jetzt wirds doch schön langsam ontopic. 

Über die Frage ob das GG noch gilt oder wir eigentlich unter alliierter
Besatzung leben entscheiden sowieso nicht wir. Sie ist eigentlich auch gar
nicht so spannend wie sie aussieht.

Und daß Richter entscheiden müssen, obwohl sie vielleicht nicht
entscheiden können, liegt, so paradox es aussieht, in der Natur der Sache.

Ich gehe mal von einer vielleicht konsensfähigen Serie von Vermutungen aus:

1. Das Recht heißt Gesetz, weil es ein gesetztes oder gesatztes ist. Damit
wird ein generelles Willensverhältnis unterstellt, als ob Gesellschaft
prinzipiell auf Willensakten basierte. Mit einem wissenschaftlichen
Gesetz, das Gesetz der Sache ist (des Handelns oder der Natur) ist es
nicht zu verwechseln.

2. Gleichzeitig lebt dieses Willensverhältnis davon, daß es abweichende
Willensakte gibt, also eine Differenz im Wollen zwischen Gesetzgeber und
dem Geltungsbereich des Gesetzes unterworfenen. das "Gesetz" ist also
nicht nur keines des Handelns, sondern vielmehr äußerlicher Gegenstand der
Berechung. Umgekehrt macht der Gesetzgeber dieser Berechnung durch eine
Serie von Wenn-Dann-Setzungen Rahmenbedingungen auf: wegschmeißen einer
Zigarette kostet 300 Euro, ab leichter Körperverletzung wird ins
Vorstrafenregister eingetragen usw. Das halten manche schon für das
Paradies auf Erden, weil wir nicht in einem "Willkürstaat" leben.
Damit ist aber auch schon plausibel, warum sich der Gesetzgeber ein Lücke
in der Berechenbarkeit nicht leisten kann. Diesen Dienst an Menschen, die
systematisch verlernt haben, ihre gemeinschaftlichen Angelegenheiten zu
regeln, muß er einfach erbringen. Da werden und müssen die Untertanen
aufmüpfig werden.

3. Die Differenz (zwischen dem "Gesetz" und dem handeln der menschen) wird
nicht Gegenstand der Diskussion (zwischen diesen beiden Willen), wie
manche Rechtsphilosophen glauben (für meinen Philosophieprofessor an der
Uni Wien Hans Dieter Klein in seinem liebenswürdigen idealistischen
Legitimationsbedürfnis war noch jede Gerichtsverhandlung "eigentlich" ein
Dialogakt), sondern lebt von der fraglosen Geltung und Inkraftsetzung
staatlicher Gewalt. 

4. Diese staatliche Gewalt hat solange und nur genausolange
Existenzberechtigung, wie die Menschen, die in einem gesellschaftlichen
Verhältnis stehen, dieses Verhältnis nicht selbst bewußt regeln können. 

5. Luhmanns Argument der Komplexität als Rechtfertigung des staatlichen
Gewaltmonopols ist genauso fragwürdig wie wenn Steve Ballmer behaupten
würde, nur Microsoft könnte ein anständiges Betriebssystem schreiben.

und wünsche eine schöne Woche.

Franz

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