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Re: [ox] geistige Arbeit



Der Kapitalismus führt die Arbeitszeit als gemeinsames Maß ein. Aber
die ist bei geistiger Arbeit schon sehr viel schwieriger zu messen als
bei körperlicher - und selbst dort nicht immer genau. Aber was ist mit
geistigen Tätigkeiten, die ich in meiner Freizeit erledige? Wenn ich
im Traum eine Idee für ein Programmierproblem habe, habe ich dann
Arbeitzeit verschlafen oder im Schlaf gearbeitet ;-) ? Diese
Unzurechenbarkeit geistiger Tätigkeit scheint mir ohnehin eine
theoretische Fuge im Kapitalismus zu sein, die immer weiter klafft.

Praktisch wurde diese Sache immer schon so geregelt, daß geistige Arbeit
*nicht* nach Zeit bezahlt wurde. Das ist nur der formelle Schein der
Entlohnung, den Marx ja als allgemeinen Schein entlarvt  (weil nicht
Arbeit bezahlt wird sondern Arbeitskraft), der aber wie Du richtig
schreibst bei der geistigen Arbeit sehr durchsichtig ist.

Otto Bauer hat, wenn ich mich recht entsinne, die Geschichte in seinen
Schriften bis zum Erbrechen verfolgt, weil er der erste war, der eine
politische Ökonomie des Ausbildungssektors in Hinsicht auf die
Entlohnungsproblematik wollte. Er hat dann bis hin zu den
Studienabbrechern die Reproduktionskosten der geistigen Arbeit berechnet
und kam auf den wenig überraschenden Schluß, daß der Wert, der der
Angestelltenarbeit zugeschrieben wird, einerseits ein willkürlich
festgesetzter ist, andererseits sich eben über diese Notwendigkeiten der
Reproduktion der Elite reguliert ("Verzicht auf Einkommen während der
Ausbildungszeit" etc.). Beide Dinge klafften weit auseinander, weswegen
der reale Sozialismus auch ein wenig das Wertgesetz zur Geltung bringen
wollte und den Preis der geistigen Arbeit radikal senkte. 

Im Endeffekt handelt es sich um lauter historisch-moralische Elemente, die
auch laufend außer Kraft gesetzt werden, so z.B. die Gebührenordnung für
Architekten, die längst praktisch nicht mehr gilt. Der Preis geistiger
Arbeit ist zum reinen Machtpreis und Pokerspiel geworden, in dem nur mehr
die Unvergleichbarkeit als Kampfmittel zählt. Es ist schon ein Witz daß
die Produktionsweise die die Standardisierung in die Welt bebracht hat,
ein aberwitziges System der Differenzierung und Kasuistik erzeugt hat, das
natürlich mit Zähnen und Klauen verteidigt wird. Wer vergleichbar ist, hat
schon verloren.

Franz 

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