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Re: Re: [ox] Gibs Gruppen? (war: ... Warum Herrschaftsdebatte?)



Ref.: 	«Re: [ox] Gibs Gruppen?  (war: ... Warum Herrschaftsdebatte?)»
 		Stefan Seefeld
 		(2003-04-12, 17:18:07 -0400, KW 15/2003)

Casimir Purzelbaum wrote:

[1] -- während bspw. ein Atom meist gleichzeitig nur zu einem
Molekül gehören kann, kann ein Mensch zu mehreren Gruppen gehören
-- aber wie sieht es da eigentlich genau aus mit der
Gleichzeitigkeit?  Kann ich beispielsweise gleichzeitig zu den
Gruppen der Autofahrer und Radfahrer gehören? Zu den Gruppen der
Freien und Proprietären Softwareentwickler? Zu den Gruppen der
Entwickler des einen und des anderen Projekts?

Hier fallen doch verschiedene "Gruppen"-Konzepte zusammen, oder ?
Auf der einen Seite die Gruppe als Komposition, innerhalb derer sich
bestimmte Beziehungen zwischen Individuen aufbauen (also im Sinne
etwa der "Gesellschaft").
Der zweite Begriff, den Du anscheinend Deinen Fragen zugrunde legst,
klingt mehr nach Klassifikation, also im Sinne etwa von "Rolle" (um
nicht zu sagen "Klasse" :-) )

Hallo Stefan! Schön, daß Du aufgreifst!

Hinter den "Gruppen" in den obigen Fragen verbirgt sich aber für mich
in der Tat mehr, als eine bloße Klassifikation. Dieser Unterschied ist
aber, scheint mir, einer der Knackpunkte in der Diskussion -- wichtig
unter anderem für das Verständnis von Macht, Herrschaft und
Repräsentation sowie nicht zuletzt für die Frage, ob eine Gruppe eine
Subjekt (also handlungsfähig) sei oder nicht...

Der Unterschied einer Klasse (als Menge aller Objekte mit gewissen
übereinstimmenden Merkmalen) und einer Gruppe besteht m.E. darin:

Der Zustand von Objekten einer Klasse ist vom Zustand der anderen
Objekte und vom Zustand der Klasse unabhängig.

Der Zustand der Elemente einer Gruppe hängt in gewisser Weise vom
Zustand der anderen Elemente und/oder von dem der Gruppe insgesamt ab.

Als Beispiel: Radfahrer bilden hiernach eine *Klasse*, weil sie alle
radfahren -- das ist nichts als ein gemeinsames Merkmal. Eine *Gruppe*
aber bilden sie, weil sich bspw. die Situation des einzelnen
Radfahrers mit sinkender Anzahl von Radfahrern tendenziell
verschlechtert (-- oder verbessert, je nach dem).

Das heißt, nach meiner Vorstellung müssen die Radfahrer nicht mal
untereinander direkt interagieren, um miteinander in Beziehung zu
stehen: Die Gruppe kann schon allein aus einem "Zusammenhang"
entstehen, der möglicherweise inhärent gar nicht vorhanden ist! -- In
diesem Beispiel entsteht nämlich die Gruppe der Radfahrer nicht durch
ihre Beziehungen untereinander, sondern "nur" durch ihre
Außenbeziehungen (nämlich durch die Beziehungen zu den anderen
Verkehrsteilnehmern oder zu den Regulierungsinstanzen, Politikern
usw.).

Jetzt besteht die abstrakte Schwierigkeit darin, daß ein Objekt genau
dann zu einer Gruppe gehört, wenn sein Zustand von dem der Gruppe
abhängt (bspw. von der Anzahl der zur Gruppe gehörigen Objekte) -- Die
Existenz der Gruppe aber hängt davon ab, daß Objekte zu ihr gehören
(indem deren Zustand in gewisser Weise von dem ihrigen abhängig
ist). Das ist offenbar ein Kreisschluß... und daher lassen sich
Gruppen abstrakt nicht aus einzeln betrachteten Elementen modellieren
-- im Gegensatz zu Klassen.  Eine Klasse kann aber als Gruppe
modelliert werden, wenn ihre Definition eine Beziehung zwischen ihren
Elementen oder zwischen den einzelnen Elementen und gewissen
kumulierten Eigenschaften (dieser einzelnen Elemente) enthält.

Wo eine Gruppe ist, ist immer auch eine Klasse. Diese ist aber als
solche nicht immer leicht zu identifizieren, da die verbindende
Beziehung, die eine Gruppe ausmacht, nicht immer leicht formalisierbar
ist.

Und meine These ist, daß sich hinter den meisten im Gespräch
befindlichen "Klassen" von Menschen auch *Gruppen* verbergen, also
nicht nur Mengen von Menschen mit überlappenden Merkmalen
(bspw. Interessen), sondern auch reale Beziehungen.

Der Begriff der Gruppe dient also dazu, die Existenz und die Qualität
dieser Beziehungen zu erfassen und auszudrücken. Wichtig ist das
deshalb, weil sich die Merkmale der Elemente ohne die Gesamtheit der
Beziehungen, denen sie unterworfen sind, nicht erklären/analysieren
lassen. Verzichten könnte man auf den Begriff Gruppe, wenn diese
Beziehungen, denen die Objekte "unterworfen" sind, und ihre Qualität
für alle die gleichen oder für alle verschieden wären. Sind sie aber
nicht.

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  Macht das Sinn?

Gruß, El Casi ;-)
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