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Re: [ox] Gibs Gruppen? (war: ... Warum Herrschaftsdebatte?)



Ach, die Soziologiedebatte geht munter weiter! alsdann:

casimir purzelbaum writes:
Für mich macht das Konzept von der Gruppe genauso viel Sinn wie das
Konzept vom Molekül, auch wenn die Gruppe etwas anderes ist...? Aber
warum sollte es diese deswegen nicht geben? Oder warum sollten Sie
keine Bedeutung als eine metaphysische haben? Weil sie nicht so leicht
faßbar sind, wie bspw. ein Atom, oder ein Mensch?

Mir scheint vielmehr der "gesellschaftliche Mensch" ohne Begriff von
der "Gruppe" eine metaphysische Konstruktion zu sein...


Es ist m.e. müßig, auf die Existenz von Gruppen zu verweisen. Die Frage
ist nur, ob die
soziologische Abstraktion der Gruppe wirklich zu mehr taugt, als der
metaphysischen
Konstruktion des gesellschaftlichen Menschen zum Schein des Realen zu
verhelfen:

"Man wird von vornherein und aus den alltäglichen Erfahrungen heraus
zugeben, daß eine Gruppe von einem gewissen Umfang an zu ihrer Erhaltung
und Förderung Massregeln, Formen und Organe ausbilden muß, deren sie
vorher nicht bedarf; und daß andrerseits engere Kreise Qualitäten und
Wechselwirkungen aufweisen, die bei ihrer numerischen Erweiterung
unvermeidlich verloren gehen."
(Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der
Vergesellschaftung,
teil 1, quantitative Bestimmungen p.32)

Man stelle sich einen Naturwissenschafter vor, der sagt, daß er einen
Begriff des
Zusammenhalts der Materie postuliert und dann sagt, um Zusammenzuhalten,
bedarf
die Materie bestimmter Qualitäten und Wechselwirkungen, die sie sowohl in
der Nähe als in der Ferne zusammenhalten. So hätte er gerade nicht
bestimmt,
was die Materie zusammenhält, aber sich den Schein tiefer Weisheit gegeben,
auch noch den Schein von Unterscheidungen eingeführt etc.

    -----

[1] -- während bspw. ein Atom meist gleichzeitig nur zu einem Molekül
   gehören kann, kann ein Mensch zu mehreren Gruppen gehören -- aber
   wie sieht es da eigentlich genau aus mit der Gleichzeitigkeit?
   Kann ich beispielsweise gleichzeitig zu den Gruppen der Autofahrer
   und Radfahrer gehören? Zu den Gruppen der Freien und Proprietären
   Softwareentwickler? Zu den Gruppen der Entwickler des einen und
   des anderen Projekts? ... aber diese Fragen gehen ja erstmal nicht
   an Dich, da Du ja sowie so nicht an Gruppen "glaubst" ;-)

Während ein Naturwissenschafter sehr wohl noch zwischen verschiedenen
Molekülen
unterscheiden kann, weswegen er nicht vom Begriff des Moleküls im
allgemeinen 
ausgeht, sondern von Valenzen und Bindungen, tilgt der soziologische
Gesichtspunkt
sämtliche Gründe und Zwecke menschlichen Handelns und führt zunächst in
eine 
hypothetische Welt der Ununterschiedenheit, aus dem dann die realen
Umstände
als Erscheinungsform der Verbundenheit schlechthin ("die Gruppe")
auftauchen.

Wer sich auf diese Fragestellungen einläßt, hat wirklich endlos zu tun,
denn
die wiedereinführung aller realen Umstände und Unterschiede führt zwar
nicht zu
ihrer näheren Bestimmung, aber zu einem endlosen Programm des Hin- und Her-
vergleichens, in dem dann über die Wirksamkeit der eigenen Abstraktion 
gerätselt werden darf.

So wird Wissenschaft letztlich zur Glaubensfrage und ist auch im Zweck dem
religiösen bedürfnis näher als einer rationellen Welterklärung. Letztlich
kürzt sich der Beweiszweck der Soziologie darauf zusammen, daß die Welt 
sinnhaft geordnet ist und zugleich diese sinnhafte Ordnung der
theoretischen
Obsorge bedarf, die ihr durch eine wissenschaftliche Abteilung zuteil wird.

Die praktische Abteilung schert sich indes nicht sehr viel um die Deutungen
der Wissenschaft, sondern entscheidet scheinbar souverän, ohne sich auf
Wissen
zu stützen. Das war mal - vor längerer Zeit - ein solider Zugang zum
Begriff einer 
Gesellschaft, die systematisch unwissenschaftliche Wissenschaft
hervorbringt.

Franz

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