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[ox] Re: Grenzen des Oekonux-Konzepts?



Hi, Stefan, Kai, Annette, alle...

ich möcht nur kurz (?) was zum diskurs anmerken.
insgesamt fällt mir auf, daß wir hier grad in einer sehr schönen
und selbstreflexiven phase sind, in der eigentlich auch viele dinge
aufeinander bezogen werden können und die chance besteht, daß sich 
oekonux jenseits theoretischer vorgaben auch als ganz praktisches
anliegen positioniert (was das bedürfnis nach theorie ja anheizt)
stefan merten schreibt:

Die zentrale Idee ist, dass der Schwerpunkt *auch* der materiellen
Produktion sich weg von der materiellen Seite hin auf die
Informationsseite verschiebt. Dies würde eine qualitative Änderung in
den Produktivkräften bedeuten, die ihrerseits - so die theoretische
Lesart - eine qualitative Änderung des Gesamtsystems in den Bereich
des Möglichen rücken lässt.

Dass sich hier qualitativ was ändert, liegt am verglichen mit
materiellen Gütern qualitativ anderen Charakter des Gutes Information.
Wenn du so willst das Wort Informationsgesellschaft auf den Begriff
gebracht. Diese qualitative Änderung können wir in relativ reiner Form
keimförmig bei Freier Software beobachten, die sich in einigen
Hinsichten erheblich von Phänomenen mit Schwerpunkt in der materiellen
Welt unterscheidet. Ein wichtiges Thema der Liste.

Ich glaube man müßte hinzufügen, daß der Informationsaspekt der
materiellen Produktion niemals äußerlich war;  Da gibt es einen langen
Strang von Argumenten von der "ontologischen" Seite, den ich übrigens 
nicht beim Biene-Baumeister Vergleich beginnen würde, sondern bei
James Grier Millers "living Systems". Jedes produzierende und sich
selbst erhaltende System tut dies aufgrund von Informationsverarbeitenden
Subsystemen, wobei der Begriff der Information dem Begriff der Kognition
oder
dem der Selbstreflexivität weit vorausgeht. Wir hatten unlängst den etwas
sehr
spekulativen Begriff der Meme hier, ich glaub die dahingehenden
Schwachsinnig-
keiten sind vermeidbar, wenn wir von informationsverarbeitenden Subsystemen
ausgehen, die Informationen aufnehmen und verbreiten. Ich erinnere an die 
berühmte Elektronenmikroskopische Aufnahme von Bakterien, die ihre DNS
 "mitteilen". Jedes lebende System schon weit unterhalb der Arbeit ist
darauf 
verwiesen, daß stoffliche Prozesse Informationsprozesse voraussetzen.
Es gibt also neben dem Unterschied auch eine fundamentale
Zusammengehörigkeit,
die bewirkt, daß Fortschritte auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung
und verbreitung "je schon" Auswirkungen auf die materielle Produktion
haben.


Die Extrapolation dieser Überlegungen zurück in den materiellen
Bereich lässt uns nach Phänomenen suchen, wo diese Verschiebung auf
den Informationaspekt auch in der materiellen Produktion hier und
heute bereits sichtbar ist. Ein relativ naheliegender Schluss ist es
nach Produktionsmaschinen zu suchen, deren konkrete Produktion
wesentlich von Information und eben weniger bauartbedingt ist, als das
bei klassischen industriellen Maschinen zu beobachten ist.

Das ist eine legitime Fragerichtung; Ich hab sozusagen als Konkurrenz
dazu die "low tech" Schiene der in die stofflichen Kreislaufprozesse
zurückgekehrten Spezialmaschinen eingebracht, die sich von Universal-
maschinen gewaltig unterscheiden, aber dennoch in ihrer Kombination
als "mechanisches Biotop" fungieren, und mit einer (opensourcemäßig zu
entwickelnden)  "aspektuellen Universalität" lokalen Kreislaufprozessen
nicht nur eine hohe Flexibilität, sondern erstmals auch das menschgemacht
kreislaufhafte geben. Wobei das lokale nichts anderes ist als ein Zuwachs
an nachhaltiger Produktivität, weil ein Prozeß sofort an den nächsten 
anschließen kann, also unmittelbar materiell wirksam werden kann.
Natürlich wird die mechanische und informationstechnologische Komponente
erst so wirklich wirksam, wenn sie in biologische und architektonische
Vorgänge richtig eingebaut ist. 

Ich habe natürlich auch ideologiekritische Gründe, dem Fabber - Konzept
zu mißtrauen, es scheint mir gerade mit der Universalmaschine hier ein 
Ideal von Produktion vorzuliegen, 
dem ich jetzt nicht wirklich auf den Grund gehen möchte, das aber extrem 
"grobstoffliche" Züge aufweist. Also um es ein wenig auf den Begriff zu
bringen, es ist sowas wie die Beglückung der Welt mit Plasten und Elasten,
eine Erfahrung die wir vielleicht schon hinter uns haben. Also zum Dogma 
gemacht taugt es sicher nicht, aber in die Vielfalt der stofflichen Welt
haben
sich auch die Holz-, Eisen- und sonstigen Universalmaterialien vergangener
Zeiten eingeprägt. Was solls - wir werdens ja sehen.

Bitter wirds erst dann, wenn die unglaubliche Tragweite der vier Aspekte
digitaler Kreativität auf die materielle Produktion auf dieses Ideal
verengt
wird.

(Die vier Aspekte sind: 
1. Kopien enthalten die totale Informationsqualität des Originals
und sind doch in ihrer Informationsqualität modifizierbar;  Sie müssen
nicht mimetisch nachempfunden werden, um modifiziert zu werden.
Das "digitale Original" generiert durch diese gedoppeltheit von Kodier-
und Modifizierbarkeit Welten von sinnvollen Modifikationen.
2. Information ist im Medium von sinnvoll auszuführenden mikro-
logischen Steuerungsbefehlen kodiert und kann bei Vorliegen geeigneter
Maschinerie unmittelbar materiell manifestiert werden; das gilt schon
für jeden Drucker. Ein Fabber ist universell im doppelten Sinn, aber
das ist keine notwendige Bedingung; eine einfache Zuschneidemaschine,
Brotbackmaschine, Webmaschine etc. kann diese komplexe Interaktion
mit Material und Form auch inkorporieren...
3. Information ist telekommunizierbar, sie ist tele-ologischer Arbeits-
gegenstand einer theoretisch unbegrenzten Anzahl von sie verfeinernden,
modifizierenden, differenzierenden, systematisierenden Individuen, die
ihre Ziel-Arbeit (Selbstentfaltung) unmittelbar vergesellschaften
können. Dabei zählt erstmals der Unterschied, die Originalität, und nicht
die Uniformität, obwohl Standards unabdingbar sind.
4. Information ist multimedial, das haißt das digitale Medium hebt die
Beschränkungen jeder Beschreibung angesichts einer komplexen 
Wirklichkeit tendenziell auf. (cum grano salis, siehe oben). Ein Bild
sagt mehr als tausend Worte, ein Wort mehr als tausend Bilder?
kein prinzipielles Problem mehr!!)

Wenn wir das alles zusammennehmen, dann stellt sich als Antwort 
auf Stefans rhetorische Frage:
..................................................
War der Freie Austausch der
Baupläne in den mittelalterlichen Handwerken nicht sogar weitgehend
gegeben? Die Wissenschaft jedenfalls postuliert ja geradezu den Freien
Austausch als Wesensmerkmal. Was mir wichtig daran ist: Alle diese
Dinge gibt es schon sehr lange. Die bisherigen
Gesellschaftsformationen haben aber andere Schwerpunkte gesetzt bzw.
wurden durch andere Schwerpunkte bestimmt. Heute sind wir m.E. in der
historischen Situation, wo eine Verschiebung auf die Aspekte der
Informationsproduktion stattfinden kann und die
Produktivkraftentwicklung sogar m.E. erkennbar dahin "drängt".

Automatisierung hat es möglich gemacht, daß die unmittelbare Arbeit
in einem nie gekannten Ausmaß maschinell getan werden kann. 
Aber die Gesellschaftsformation namens Kapitalismus kollidiert 
komplett mit den Erfordernissen, die die angesprochene notwendige
Verschiebung mit sich bringt. Ulrich Sigor hat das die "Ausdehnung
der Meta-Arbeit" genannt, der Umstand daß gerade durch die 
Automatisierung ständig neue Informationsqualitäten, das ständige 
Umrüsten, Reagieren etc gefordert ist. Diese Arbeit ist aber nicht 
möglich, ohne daß ein betriebswirtschaftliches Motiv sie finanziert. 
(zunächst empirisch, aber die begriffliche Ebene, warum das 
staatlicherseits nicht geht und nicht gewünscht ist wäre spannend!)
Die betriebswirtschaftliche Motivation kollidiert aber unmittelbar 
mit der Logik der Meta-Arbeit.


Z.B. einE SetzerIn musste früher noch wissen, wie eine Buchseite
ansprechend gesetzt wird. Die klösterliche SchreiberIn vor ihr musste
nicht nur Kenntnisse im Schreiben und ästhetischer Gestaltung haben,
sondern musste diese Dinge sogar noch per körpereigener Feinmotorik
umsetzen können. Dieses Know-How ist heute in TeX, Word-Prozessoren,
Templates (und Druckern) gewissermassen materialisiert. Das
gesellschaftlich gesammelte Know-How steht heute tendenziell in Form
handlicher Dateien zur Verfügung und ich kann es oft zu einem guten
Teil nutzen, ohne dass ich mich mit den Details auskenne.

In gewisser Weise empowern diese Entwicklungen die Menschen. Sie
können mit Hilfe dieser Technologie Dinge tun, die früher ExpertInnen
vorbehalten waren. Sie vergrößern Handlungsfreiheit und sind also
hilfreich für emanzipatorische Prozesse.

Die andere Seite davon ist natürlich, daß die Informationsarbeiter 
zunehmend differenzierte Prozesse programmieren müssen, daß sich
ein zunehmend stärkerer Konnex zwischen Anforderungen und 
Arbeit an Repositorien der möglichen Dinge herausbildet. Dadurch 
wird individuelle Qualifikation auch immer störbarer und zerstörbarer
durch die Kontrolle über diese Repositorien. Und hier greift das betriebs-
wirtschaftliche Motiv an.

(Ich erinnere an den genialen Artikel über die Fade Globalisierungssauce
von Matthias Greffrath. Denn die ihres Wissen enteigneten sind auch
früher oder später die real enteigneten::
http://www.oekonux.de/liste/archive/msg05333.html)

Toffler hat im Grund genommen mit der "Dritten Welle" genau diesen
Gedanken des Empowerment als Propagandagag in die Welt gesetzt, also
die Inkorporation von Qualifikationen in den Produkten. Was er nicht
beschrieben hat, ist daß der "Prosument" genau dadurch auch zum 
Objekt einer verstärkten Fremdbestimmung wird. Ich verkaufe Dir
ein Werkzeug, damit Du bei der Verrichtung Deiner Arbeit permanent
abhängig wirst von dem, was nur ich Dir als genau mit diesem Werk-
zeug abgestimmter Funktionalität liefern kann.

Dagegen stellt sich die autonome Arbeit sozusagen auf die Hinterbeine 
und sagt: ich schaffe mir selbst Werkzeug und Funktionalität. Und was
mir an Kapitalkraft fehlt, ersetze ich durch Vernetzung mit anderen,
denen es genauso geht. In diesem Sinn beginnt die FS-Logik überall dort
zu greifen, wo dieses Empowerment ständig in Abhängigkeit umzuschlagen
droht. Das wäre auch der allgemeine Ansatzpunkt, um aus der reinen 
Softwareecke herauszukommen: eine allgemeine Bewegung der autonomen
Arbeit. (Wie immer verquer, das begründet wohl den Erfolg des
"Empire-Buches").

Der nächste Schritt ist dann natürlich: ich beginne die Inhalte meiner
Arbeit
nachhaltig an der Idee auszurichten, daß sie die Bedingungen allgemeiner
Selbstbestimmung fördert. Da kommt dann die Sache mit den Kreisläufen 
als normativer Idee und zugleich Hebel der Produktivkraftentwicklung.
Die Sache ist dann goldrichtig, wenn zwischen den beiden kein wirklicher
Unterschied mehr besteht.

Franz

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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