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Re: [ox] Re: Repraesentation



Hi StefanMz und alle!

Last week (7 days ago) Stefan Meretz wrote:
da ich Olfs Bemerkungen zu dir, Stefan, teilte, musste ich mich nicht
weiter einmischen. Nun aber mit deiner Entgegnung, wie du dir denken
kannst, will ich das schon;-)

:-)

So langsam kommen wir m.E. auch an ein paar Kerne. Gut.

On Sunday 01 December 2002 15:20, Stefan Merten wrote:
Auf diesen Fall runtergebrochen: Die These, dass Repräsentation mit
Herrschaft(smissbrauch) verbunden sein kann, kann damit belegt werden.
Die ist aber gar nicht strittig. Genauso könnte das Beispiel als
Gegenbeispiel für eine These verwendet werden, nach der Repräsentation
niemals zu Herrschaft(smissbrauch) führt. Auch diese These ist nicht
strittig. Für die These, dass Repräsentation *immer* - und das betonst
du selbst - mit Herrschaft(smissbrauch) verbunden ist, liefert sie
leider gar keinen Hinweis. Eine solche These ist nicht empirisch zu
belegen, sondern eine solche These kann m.E. nur theoretisch begründet
werden. Empirie kann hier höchstens Hinweise geben.

Die wichtigen Hinweise gibt hier nicht die Empirie, sondern das Empire von
Hardt/Negri.

Mal eine Frage: Wie hättest du eigentlich vor dem Genuss dieses
offenbar epochalen Werkes argumentiert? Das ist keine rhetorische
Frage sondern das interessiert mich wirklich.

Das argumentiert für mich nachvollziehbar nämlich so:
Herrschaft knüpft ihre eigene Reproduktion an zwei Faktoren: Transzendenz
und Repräsentation. Die humanistische Tradition hat dies als Gegensatz
begriffen, nämlich als Gegensatz von Monarchie und Demokratie.

Aha. Danke. Ich glaube so langsam ahne ich, wo der ganze Kram
herkommt.

H/N zeigen
hingegen, dass es zwei Seiten derselben Medaille sind.

Wichtig: Mir geht es *nicht* um die Auseinandersetzung mit irgendeiner
überkommenen Denktradition. Mir geht es *gerade nicht* darum, mich auf
den Gegenstand zu fixieren, den diese überkommene Denktradition hat -
denn das muss ich letztlich, wenn ich mich damit auseinandersetzen
will...

Beide Male
konvergieren die einzelnen Willensäußerungen der Individuen im Willen des
transzendenten Souveräns, einmal in dem des monarchischen Absoluts, und
beim zweiten in dem des republikanischen Absoluts (des Staates und seiner
Repräsentanten).

...und wo die Fixierung hier liegt, ist ganz klar: der Staat und seine
demokratische Begründung und diese zu dekonstruieren. An der x-ten
Antithese zur Ideologie von Demokratie oder gar Monarchie bin ich aber
überhaupt nicht (mehr) interessiert. Mich interessiert vielmehr, wie
das ganze Thema aufgehoben werden könnte. Dazu helfen allerdings weder
These noch Antithese sonderlich weiter.

Mein Verdacht, den ich die ganze Zeit schon hatte bestätigt sich hier:
H/N's Feld ist überhaupt nicht mein Feld. Ich rede die ganze Zeit
nicht vom Staat und ich werde auch sicher nicht die Demokratie
verteidigen - zumindest nicht gegenüber m.E. besseren Varianten wie
Konsensorientierung.

Was aber hier so en passant auch geschieht ist die Identifikation von
staatlicher (oder staatsähnlicher) Herrschaft mit Herrschaft
überhaupt. Oder genauer: Die Reservierung des Wortes "Herrschaft" auf
diesen Ausschnitt des Begriffs Herrschaft iSdsS. Das kann mensch
natürlich machen - letztlich nur eine Sprachregelung. Dennoch wäre
dann ein Wort für den (großen) Rest des Begriffs Herrschaft iSdsS zu
finden. Nochmal: Was könnte das sein? Bisher habe ich das Gefühl, dass
die Antwort heißt: "Gibt es nicht" oder "Ist unwichtig".

Und es gibt hier auch einen wertenden Aspekt: Das so beschnittene Wort
Herrschaft ist ziemlich klar negativ besetzt. Wahrscheinlich kann es
mit Unterdrückung (der Multitude) identifiziert werden. Ob staatliche
Herrschaft darauf reduziert werden kann, fragt sich m.E. zwar, aber
darauf kann ich mich meinetwegen einlassen. D.h. (staatliche)
Unterdrückung ist eigentlich worum es H/N geht - leite ich mal so ab.
Passt auch ganz gut zum ganzen Duktus und vor allem: Teile ich ja auch
völlig.

Weil das wichtig ist, diesen Satz nochmal:

Beide Male
konvergieren die einzelnen Willensäußerungen der Individuen im Willen des
transzendenten Souveräns,

Das ist sehr spannend. Nachdem wir festgestellt haben, dass
H/N-Transzendenz antiemanzipatorisch ist - ich übersetze es für mich
ja mit Entfremdung -, stellt sich jetzt die Frage, was denn in einer
emanzipierten Gesellschaft an die Stelle des transzendenten Souveräns
treten soll: Sollen die einzelnen Willensäußerungen der Individuen
entweder

* gar nicht mehr konvergieren - d.h. es gibt keinen Ersatz -, oder

* gibt es eine immanente Weise, wie sie konvergieren könnten.

Ausserdem wäre sicher wichtig, in welchem Rahmen eine Antwort auf
diese Frage gemeint ist - Staat/Gesellschaft/Multitude vs. einfache
Gruppe. "Konvergieren" finde ich dabei übrigens keinen 100% gelungenen
Ausdruck, da die einzelnen Willensäußerungen der Individuen sich ja
nicht verändern - was Konvergenz m.E. aber nahlegt. Aber sei's drum.

Ich vermute, dass die H/N-Antwort lautet: Gar nicht mehr konvergieren.
Das halte ich für verheerend, da das die perfekte bürgerliche Monade
konstruiert. Die einzelnen Willensäußerungen der Individuen stehen
dann völlig unvermittelt nebeneinander und es gibt außerhalb der
persönlichen Willkür keinerlei intersubjektive Instanz mehr, die
Machtgebrauch legitimieren könnte - oder eben auch nicht. Das ist
letztlich Faustrecht - oder das, was die Libertarians vom Schlage
eines ESR sich wünschen.

Meine Antwort würde dagegen lauten: Transzendenz (d.h. für mich:
Entfremdung was Ideologie beinhaltet) raus und Immanenz (d.h. für mich
Bedürfnisorientierung) rein. Allerdings geht das nicht, wenn...

Wie heisst das für uns? Transzendenz und Repräsentation hängen eng
zusammen. Fehlt eines, ist Herrschaft nicht möglich: Überindividueller
(transzendenter) Gruppenwille verlangt nach (repräsentativer)
Außenvertretung und umgekehrt.

...Transzendenz mit überindividuell - genauer: Immanenz mit
individuell - identifiziert wird. Wenn ausschließlich individuelle
Positionen immanente sein können, dann kann es so etwas wie eine
Konvergenz in der Tat auch nicht geben - mit den eben angedeuteten
Folgen.

Ich würde dagegen halten, was ich schon mal in einer früheren Mail
angedeutet habe: Neben der überindividuellen / ideologischen /
entfremdeten und neben der individuellen / monadischen Position kann
es noch eine _interindividuelle_ Position geben, die zwar keine
individuelle ist, aber dennoch auch keine überindividuelle a la Gott,
Vaterland oder Wirtschaftsstandort. Ich kann nicht erkennen, was an so
einer interindividuellen Position problematisch sein soll.

BTW: Ist für mich nicht entscheidend, aber da du da in letzter Zeit so
drauf rumreitest: Immanenz / Transzendenz sind voll dualistisch
gedacht.

Repräsentation ohne Transzendenz ist
unmöglich.

Nur, wenn eine interindividuelle Position logisch unmöglich ist bzw.
mit der überindividuellen zusammenfällt. Das wäre zu zeigen.

Der Fall der "identischen Willen aller Einzelnen" (der aktive
100%-Konsens, Einstimmigkeit) ist Fiktion. Da sprechen die
Verschiedenheiten der Leute und ihre unterschiedlichen Perspektiven
dagegen. Jeder Versuch, den Konsens trotzdem herzustellen - etwa über den
Konsens-Trick: wenn keine/r mehr widersprechen muss - unterläuft genau
diese Vielheit, die nach Hardt/Negri gerade die Produktivität ausmacht. -

Hier redest du von einer Totalität, die mich *überhaupt* nicht
interessiert. Ich will keinen Staat begründen - wofür das Postulat
einer solchen Totalität wohl sehr nützlich wäre. Insofern trifft mich
diese - im übrigen: völlig banale - Aussage überhaupt nicht.

Wenn du also *mit mir* reden willst und nicht mit irgendwelchen
demokratietheoretisierenden HumanistInnen, dann lass diese Figur bitte
einfach weg.

Zu den Fällen partieller Interessenkonvergenz und ihrer Wirksamkeit s.u.

Um nichts anderes geht es mir.

Da es mir letztlich nicht um Worte sondern um Begriffe geht: Hast du
vielleicht ein für dich passendes Wort für das, was ich da meine?

Der gutmütige Herrscher? The benevolent dictator?

Gutmütig / benevolent sind für mich falsche, weil moralische
Kategorien - zumindest beim Herrscher. Herrscher und Diktator
entstammen unterschiedlichen Kategorien: Diktator bezeichnet eine
Herrschaftsform. Wie übrigens Demokratie, Monarchie, Theokratie,
Chaos, Konsensverfahren, Maintainerschaft,... Herrscher bezeichnet
dagegen ein Element innerhalbe der Kategorie Herrschaft. Es kann in
verschiedenen Herrschaftsformen unterschiedlich gefüllt werden und es
muss nicht mal eine einzelne Person sein.

Ich weiss ja nicht
wirklich, was du meinst.

Na, das lässt ja hoffen ;-) . Vielleicht kommen wir uns ja im
Folgenden näher.

IMHO macht das für eine Emanzipation alles
keinen Sinn.

Vielleicht hier auch nochmal eine kategoriale Anmerkung. Während du
vorwiegend von der Totalität Staat und bestimmten Herrschaftsformen
(z.B. Demokratie) sprichst, geht es mir um ein kategoriales
Verständnis der bei Menschen auftretenden Dimension Gruppe. Will ich
über eine emanzipierte Gesellschaft etwas sagen, dann muss ich diese
Kategorie klar haben. Nur dann ist es insbesondere auch möglich, sich
über Formen klar zu werden, die einer emanzipierten Gesellschaft
möglichst angemessen sind.

Oh, ja, ja, es ist nicht so einfach, denn IMHO bedeutet ein
Maintainermodell nicht Herrschaft. So haben wir hier bei Ox ein
Maintainermodell mit dir, Stefan, als Maintainer, aber du herrschst nicht
und repräsentierst nicht, weil das nicht geht. Es ginge schon, aber dann
würde ox nicht mehr weiterbestehen, sondern zerfallen (was natürlich auch
Optionen sein können, warum nicht).

Natürlich herrsche ich iSdsS: Ich versuche unablässig im Interesse des
Projekts zu handeln. Aber das tust z.B. du nach meiner Wahrnehmung
ganz genau so :-) .

Was meinst du mit "Missbrauch von Repräsentation"?

Habe ich öfters ausgeführt. Ich zitiere nochmal ein Abschnittchen des
systematischen Soziologen und streue ein paar Kommentare für diesen
Kontext hier ein.

  Integrativer
  Bestandteil der Repräsentation ist die Zusammenfassung und
  Vergegenwärtigung der Bestrebungen der Mitglieder der Sozialeinheit.

Missbrauch liegt also nach diesem Satz vor, wenn Repräsentation "die
Zusammenfassung und Vergegenwärtigung der Bestrebungen der Mitglieder
der Sozialeinheit" nicht mehr leistet.

Das ist notwendig immer der Fall, sobald ein bestimmter Grad an Spezifik
und/oder Kontinuität erreicht wird.

Das wäre ein Argument. Kannst du das beweisen?

Ich würde dagegen halten, dass es darum gehen muss, Formen zu finden,
in denen dieser Entfremdungsschritt möglichst verhindert wird. Der
Schritt von der Monarchie zur Demokratie ist hier historisch ein
Formwandel in dieser Richtung gewesen. Wie sieht der nächste Schritt
aus? Was wir in der Freien Software sehen können, liefert m.E.
Hinweise.

  Das heißt nicht, daß die Interessen der Mitglieder jemals einziger
  Orientierungspunkt des Handelns der Herrschaft sein können. Vielmehr
  muß die Herrschaft auch zu überzeugen versuchen und nötigenfalls auch
  gegen die Meinungen der Mitglieder zu handeln bereit sein.

Hier deutet er auch *die* Schwierigkeit schlechthin an. Diese
Schwierigkeit ist aber nicht dadurch zu beseitigen, dass sie geleugnet
wird. Dann setzt sie sich nur hinter dem Rücken der Beteiligten durch.

Das gilt nur, wenn eine Herrschaft mit Bezug auf einen transzendenten
Punkt (z.B. dem ominösen Gruppenstandpunkt) repräsentieren will. Sonst
setzt sich da nichts hinter dem Rücken durch.

Ein IMHO völlig anderer Fall liegt eben beim Maintainer vor: Der/die
repräsentiert niemanden (außer "sich") und handelt. Dazu können sich die
anderen dann verhalten. Es gibt überhaupt nicht den Anspruch, jemanden
anderes Wille zu repräsentieren.

Und hier fängt das hinter dem Rücken durchsetzen an. Dein Punkt ist,
dass es diesen repräsentativen *Anspruch* nicht gibt (was ich in der
Freien Software auch anders wahrnehme aber das nur BTW). Das hat aber
nur etwas mit einer Ideologiebildung - oder eben nicht - zu tun, aber
nichts mit dem, was da tatsächlich passiert.

Und hier wird's dann auch tatsächlich magisch: So, wie du es
darstellst, handelt die MaintainerIn so, wie es ihr gerade eben mal so
einfällt. Und wie durch ein Wunder laufen ihr nicht alle davon. Das
ist so etwas wie der "volunte general", der sich aufgrund einer
persönlichen Eigenschaft eben zufällig in ganz bestimmten Personen
manifestiert - nämlich den erfolgreichen MaintainerInnen.

Mein ganzes Bemühen dreht sich letztlich genau darum, diese Magie da
wegzukriegen und rational zu verstehen, was da passiert. Und dann
werfe ich mal einen Blick in den Kopf von so einer MaintainerIn und
stelle fest, was die Handlungsgrundlagen der MaintainerIn sind. Du
sagst jetzt - wenn ich dich richtig verstehe - reiner Zufall.

Ich sage dagegen: Diese MaintainerIn hat das Interesse am
Gesamtprojekt im Auge. Deswegen kommuniziert sie mit anderen und
deswegen befragt sie ihre eigene Erfahrung. Die MaintainerIn kann aber
aufgrund ihres Interesses am Projekt *als MaintainerIn* aber auch zu
Standpunkten kommen, die nicht mit ihren *eigenen* Standpunkten
übereinstimmen. Das ist genau der Unterschied zwischen
interindividuell und individuell. Eine überindividuelle Meinung wäre
dann gegeben, wenn die MaintainerIn Meinungen vertritt, die nicht dem
Projekt entspringen - also quasi nicht in seinem Interesse liegen.

Beispiel: Die MaintainerIn kann der Meinung sein, dass Person X ein
ausgesprochenes Ar...loch. Vielleicht hat Person X sie mal irgendwann
tödlich beleidigt. *Für sie* es besser wäre, wenn diese Person X das
Projekt verließe. Gleichzeitig kann sie aber in ihrer Rolle als
MaintainerIn wissen, dass diese Person X aufgrund ihres Beitrags *für
das Projekt* unentbehrlich ist. Wenn sie eine gute MaintainerIn ist,
wird sie versuchen, Person X zu ertragen und den Umgang im Rahmen des
Projekts möglichst angenehm zu gestalten. Schmeißt sie dagegen Person
X einfach raus, so ist das Projekt damit zu Ende - sie würde also
nicht im Interesse des Projekts handeln (wozu sein Weiterbestand
logisch erstmal gehört).

Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist ein solcher innerer Konflikt
schon nur möglich, wenn du H/N-Transzendenz / Entfremdung annimmst.
Die einzige emanzipatorische Variante besteht dann eben mit dieser
Annahme nur noch darin, dass die MaintainerIn niemals in einen solchen
Konflikt kommt - was für mich nur die Folge eines Wunders sein kann.

Ich würde dem entgegen halten, dass die MaintainerIn eben nicht die
H/N-Transzendenz / Entfremdung, sondern die *dem Projekt* immanenten
Interessen, das also, was ich als interindividuell bezeichnet hatte,
zur Leitlinie ihres MaintainerInnen-Handelns macht.

Das ist klar und offen und kann dann
klar und offen ausgetragen werden, wenn die anderen es uncool
finden.

Was ja ganz im Sinne der Herrschaft iSdsS ist.

Und BTW geht das sogar bei transzendenten Begründungen und eben gerade
Nicht-Repräsentanz. Wenn Repräsentation der Anspruch ist, dann habe
ich natürlich völlig das Recht, geradezu die Pflicht, das auch
einzufordern. Wenn transzendente Begründungen vorgebracht werden, habe
ich *gerade als Repräsentierter* geradezu die Pflicht, auf die
Entfremdung hinzuweisen und eine Orientierung an meinen Bedürfnissen
einzufordern.

Und
eben ggf. forken.

Was ebenfalls ganz im Sinne der Herrschaft iSdsS ist. Dieser würde
aber vermutlich einfach die Nicht-RepräsentantInnen zum Teufel jagen
und solche suchen, die den Job besser machen.

Das wiederum kann sich der Maintainer überlegen.

Dito.

Usw.
In dieser Spannung entsteht Neues oder Altes und Überlebtes zerfällt.

Nochmal dito. Was du beschreibst ist alles kein Widerspruch zur
Herrschaft iSdsS. Es ist aber sehr wohl ein Widerspruch zur simplen
Unterdrückung, die H/N's Thema zu sein scheinen.

Ganz einfach faktisch, da gibt es dann auch keine "Schuld" und das ganze
Gedöns.

Ja. Bei Herrschaft iSdsS ist das aber nicht anders. Es geht nicht um
Schuld, sondern darum, wie gut die Herrschaftspersonen bestimmte
Aufgaben erfüllen - u.a. die Repräsentation.

D.h. aus deinem Bedürfnis nach Fußballspielen wächst eine bestimmte
Interessenlage. Diese Interessen kann doch problemlos jemensch anders
für dich vertreten - oder? Was ist daran "böse Herrschaft", wenn sich
jemensch aus der FußballerInnengruppe aufmacht und einen Fußballplatz
besorgt? DieseR Jemensch vertritt in diesem Moment aber gerade das
Interesse der Gruppe. Wenn dieseR Jemensch selbst nicht zu der
FußballerInnengruppe gehört - was ja denkbar ist -, dann vertritt
dieseR Jemensch bzgl. dem Fußballplatz nicht mal mehr ihr eigenes
Interesse. Diese Interessenvertretung ist aber nichts anderes als die
Repräsentation iSdsS. So hatte ich das zumindest verstanden.

Nein, aus gemeinsamen Bedürfnissen erwächst nicht automatisch
Repräsentation. Das Beispiel handelt von Aufteilung einer kollektiven
Tätigkeit (gesellschaftlich: Arbeitsteilung). Da muss niemand
repräsentiert werden, sondern per Absprache wird kooperiert.

Häh? Es gibt eine Absprache: "Wir brauchen einen Fußballplatz". Dann
gibt es eineN, die zu einer PlatzinhaberIn geht und ihr das
abgesprochene Anliegen vorträgt. In diesem Moment kooperiert sie mit
niemensch, sondern macht sich zur RepräsentantIn einer Absprache -
einfach indem sie sie vorträgt und eben entsprechend argumentiert und
Details vorträgt etc.

Per
Definition ist das Ziel des Fussballspiels für alle gleich, und mit dem
Erreichen des Ziels ist die Kooperation beendet.

Mit dem Ende der FußballspielerInnengruppe ist auch die Absprache
beendet und bedarf somit keiner Repräsentation mehr. Klar.

Nun kann eine
Kooperation länger andauern. Dann sind eben andauernd Absprachen
notwendig, was z.B. arbeitsteilig getan wird. Wie z.B. bei der
Vorbereitung der Ox-Konferenz.

Ja, aber diese Absprachen werden ja konkret von jemensch
repräsentiert. Sowohl nach Außen als auch nach Innen.

Es ist doch logischer Harakiri anzunehmen, wenn du zum AStA der TU
gehst, dass du einfach nur dein persönliches Interesse vertrittst.
Dein persönliches Interesse hätte sicher nicht darin bestanden, so
lange drauf zu warten, bis du überhaupt dran kommst. Sicher hättest du
mit diesen Stunden etwas Besseres anfangen können.

Was du getan hast, ist vielmehr: Du hast die - in diesem Fall ziemlich
unkonkrete - Absprache repräsentiert. Du hast nach bestem Wissen und
Gewissen im Interesse des Projekts gehandelt. Und dieses Interesse ist
nicht in jedem Moment mit deinem persönlichen Interesse identisch.

Um nochmal auf die logische Figur zu kommen: Du sagtest es ist
unmöglich, d.h. es gibt keinen Fall wo ein Mensch für andere sprechen
kann. Ich habe ein Gegenbeispiel gebracht, wo es m.E. möglich ist -

Ich habe es entkräftet: Verabredungen praktisch zu realisieren, bedeutet
nicht, zu repräsentieren. Repräsentation fängt an, sobald Bezüge auf
transzendente (angebliche) Kollektivwillen hergestellt werden - und eben
gerade nicht immanente, konkrete Handlungsanteile realisiert werden.

Himmel! Umgekehrt ist es richtig! Dein Begriff von Repräsentation
verdreht doch alles ins Gegenteil! Wenn wir so weitermachen, dann
müssen wir uns in Kürze heftigste Unterdrückung wünschen!

Wende doch mal den Begriff der Repräsentation auf andere Dinge an. Da
ist es überall so, dass die Repräsentation von etwas, vielleicht etwas
Abstraktem dann gut ist, wenn sie dieses abstrakte Ding möglichst
*gut* repräsentiert. Nach deinem Begriff von Repräsentation ist es der
Fall, wenn es eben nicht dieses abstrakte Ding repräsentiert, sondern
*nur* dann wenn es ein Eigenleben führt. Das ist doch eine absurde
Verwendung des Begriffs Repräsentation.

ist Entfremdung hierfür ein Schlüsselbegriff und Staat / Gesellschaft
/ Multitude passen da gut dazu. Hier eine genauere Bestimmung
hinzukriegen - insbesondere mit Blick auf die Freie Software - ist
Teil meines Anliegens.

Nehme ich deine Entfremdungsdefinition "nicht verantwortlich handeln
können", dann bedeutet Herrschaft genau das, denn "verantwortlich
handeln" kannst du nur für dich und nicht für andere.

Das verantwortliche Handeln ist immer in Bezug auf irgendetwas. Das
kann ich selbst sein oder auch etwas außerhalb von mir. Um ein
super-simples Beispiel zu nehmen: Eltern handeln verantwortlich für
ihre Kinder - in diesem Fall, weil diese es noch nicht vollumfänglich
können (Beispiel: Herdplatte).

Dann liefere doch einfach mal eine bündige Erklärung für die
Gruppenvorgänge, die sich z.B. im Bereich der Freien Software
abspielen. Es muss doch irgendwie auch dir erklärlich sein, wie es bei
der Varianz von Individualinteressen nicht zum völligen Chaos kommt.
Wie geht das genau? Bisher kann ich nicht erkennen, dass es dafür auch
nur den Ansatz einer Theorie gibt. Deswegen bleibt das alles im
Bereich der Magie - und alle stehen staunend da und reißen Mund und
Augen auf, dass da was funktioniert. Davon will ich weg.

Ok, das habe ich oben versucht. Zwischen uns ist der Unterschied auch nur
ein Kleiner, aber dieser kleine Unterschied ist der ums Ganze. Auch ich
gehe von gemeinsamen Interessen aus, die es gibt.

Na immerhin. Vielleicht kannst du ja wirklich mal den ganzen
Staats-/Gesellschafts-/Multitide-Quatsch beiseite lassen. Der
interessiert mich schlicht nicht und wir sind uns da wahrscheinlich
nicht mal uneinig.

Die Frage ist jetzt
nur, in welcher Form sie sich so realisieren können, dass je meine
Entfaltung die Entfaltung der Anderen voraussetzt und umgekehrt.

Genau. ISdsS ist das die Frage nach der Herrschaftsform.

IMHO
geht das nur dadurch, dass sie sich in der Praxis finden und so
kummulativ wirksam werden. In dieser Praxis bewege ich mich in
verschiedenen Netzwerken, in denen ich mich je am besten entfalten kann.
Jeder Versuch, diese Knoten per "Knotenwille" und Repräsentation zu
"effektivieren", zerstört genau das, was es herstellen will.

Der Knotenwille *ist* gerade das, was in der Praxis in einem Netzwerk
gefunden wird. Eine Absprache z.B. Daran ist überhaupt nichts
transzendent. Transzendent wird's wenn berechtigt das von dir gern
verwendete "angeblich" ins Spiel kommt.

Jede
Kollektiv-Repräsentation ist kontraproduktiv für eine Freie Gesellschaft,
oder mit anderen Worten: Sie ist antiemanzipatorisch.

In dem umgedrehten Sinne des Wortes Repräsentation, den du bevorzugst:
Ja.

   Es gibt niemanden, der diese "Gruppenstandpunktswolke"
   repräsentieren kann.

Du wirst mir zustimmen, dass alle zusammen diese
Gruppenstandpunktswolke repräsentieren können?

Warum wäre das nötig?

Das ist aber (leider) wenig realitätstauglich. D.h. wenn wir annehmen,
dass es eine Gruppenstandpunktswolke gibt, dann müssen wir überlegen,
wie damit umzugehen ist. Ignorieren führt nur dazu, dass sie sich
hinter dem Rücken der Beteiligten durchsetzt.

Was setzt sich hinter dem Rücken der Beteiligten durch? Es geht nicht um
Ignorieren, sondern um einen bewussten Abschied von Repräsentation. Genau
damit werden alle Handlungen individuell verantwortete Handlungen, und
nichts setzt sich mehr hinter irgendwelchen Rücken durch.

Das Wesen von Herrschaft iSdsS ist genau das: Eine RepräsentantIn ist
individuell verantwortlich für ihre Handlungen. Als RepräsentantIn hat
sie aus der Verantwortung für ihre Rolle heraus im Interesse der
Gruppe zu handeln.

Wovon du redest, das ist tatsächlich der Bezug auf eine der Gruppe
äußerliche Instanz. Das lehne ich genau so ab wie du.

Jeder Versuch
müsste sich aus der Immanenz begeben, und den GS an
überindividuelle Gegebenheiten binden: so ist es nun mal, das ist
die Mehrheitsmeinung, die praktische Erfahrung zeigt es doch, es
funktioniert doch so usw. Das sind Bindungen an transzendente
"Instanzen", nur das nicht mehr "Gott" oder die "Wahrheit" ist.

Quark. Es ist eine Einigung möglich und im Falle der Einstimmigkeit
ist sie sogar völlig fraglos. Das hat nichts, aber auch gar nichts
mir Transzendenz zu tun.

Nur zeigt die Praxis, das es die halt nicht gibt.

Aber klar gibt es. Ich vermute sogar, dass die Frage der Spam-Filter
für kommerziellen Spam von Außen hier einstimmig beantwortet würde.

Wie ich versuchte zu zeigen, ist die Einstimmigkeit nicht als
Entscheidungskriterium geeignet. Den Spamfilter kannst du jenseits
irgendwelcher Repräsentation einrichten, in voller eigener Verantwortung.
Und gerade weil es wahrscheinlich so ist, wie du sagst (einstimmige
Zustimmung), sind alle hochzufrieden. Sobald du aber z.B. einzelne
Personen ausfilterst, sieht es anders aus.

Siehst du: Für dich ist es ein Wunder / Zufall / Gabe, dass ich das
nicht tue, für mich ist es auch eine Orientierung an den Interessen
des Projekts. Ich habe quasi die Interessen des Projekts
internalisiert - womit sie aber nicht in jedem Einzelfall meine
eigenen sind.

Du kannst sie
wünschen, herbeireden oder einfach auch feststellen, es wird sie
aber trotzdem nicht geben.

Gar keine Einigung möglich? Oder nur keine Einstimmigkeit? Wie kann
d.E. eine Einigung auf emanzipatorischer Grundlage ohne Einstimmigkeit
entstehen?

Praktisch. Unsere Konzentration sollte sich genau auf solche Prozesse
richten, die praktische Einigungen jenseits transzendenter Bezüge
ermöglichen. Da ist das von mir befürwortete Maintainermodell mit
Fork-Option eine Variante.

Von nichts anderem rede ich wenn ich von Herrschaft iSdsS rede. Na
gut, dessen Weiterungen würde ich wahrscheinlich auch nicht teilen,
aber das Kapitalismuskonzept von Marx finde ich auch richtig, ohne das
ich gleich alles teilen muss, was die MarxistInnen sich so ausgedacht
haben.


Puh. Noch eine ziemlich lange Mail. Vielleicht noch ein bisschen
Zusammenfassuzng, was jetzt aus meiner Sicht Stand der Dinge ist.

1. Zum Teil geht es hier um die Bedeutung bestimmter Worte. Vorneweg
   "Herrschaft" und "Repräsentation". Was du für Herrschaft hältst ist
   für mich Machtmissbrauch und was du als Repräsentation bezeichnest
   ist für mich das schiere Gegenteil. Diesen Streit können wir lassen
   - mir geht es nicht darum, bestimmte Labels auf irgendwelche
   Phänomene zu pappen, sondern darum, die Phänomene zu begreifen.
   Folge ich deinen Wortbedeutungen habe ich auch gar keinen Dissens.

2. Das, was ich als Herrschaft bezeichne, dafür hast du bisher keinen
   bündigen Begriff genannt. Das Wort Praxis scheint mir eine wichtige
   Rolle zu spielen. Der bündige Begriff wäre aber eines meiner
   Anliegen.

3. Wo wir wirklich einen inhaltlichen Dissens haben ist die Frage mit
   den verschiedenen Interessen. Es gibt individuelle und
   transzendente Interessen - da sind wir uns einig. Während für dich
   aber transzendente Interessen alles sind, was nicht individuelle
   sind, würde ich hier noch eine weitere Kategorie von Interessen
   einführen: gruppenimmanente Interessen. Diese sind weder
   individuell noch überindividuell sondern interindividuell. Das
   "inter" transportiert auch schon den Bezug auf eine gruppeninterne
   Kommunikation - was ich explizit für einen wichtigen Aspekt halte,
   der die Entfremdung vermeidet.

4. Nach meiner Wahrnehmung kannst du das Handeln einer MaintainerIn
   nur als Wunder auffassen, da du keine rationale Erklärung dafür
   hast, die über die bloße Phänomenologie (aka Praxis) hinausgeht.
   Die Phänomenologie erklärt dieses Verhältnis aber nicht - das kann
   nur eine Theorie. Bestandteil dieser Theorie könnte m.E. dieses
   gruppenimmanente Interesse sein - jedenfalls erklärt das Vieles
   ziemlich schlüssig.

5. Der Modus der gegenseitigen Selbstentfaltung schließt für dich
   Herrschaft an sich aus. Für mich schließt er lediglich bestimmte
   Herrschaftsformen aus - z.B. Diktatur, Demokratie, Theokratie,
   Chaos... Das Maintainer-Modell und das m.E. verwandte Konsensmodell
   sind für mich iSdsS Herrschaftsformen, die die gegenseitige
   Selbstentfaltung begünstigen. Es kann weitere geben. Dies zu
   erforschen ist Teil meines Anliegens.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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