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[ox] Re: Repraesentation



Hi Stefan, Olf und Liste,

da ich Olfs Bemerkungen zu dir, Stefan, teilte, musste ich mich nicht 
weiter einmischen. Nun aber mit deiner Entgegnung, wie du dir denken 
kannst, will ich das schon;-)

On Sunday 01 December 2002 15:20, Stefan Merten wrote:
Auf diesen Fall runtergebrochen: Die These, dass Repräsentation mit
Herrschaft(smissbrauch) verbunden sein kann, kann damit belegt werden.
Die ist aber gar nicht strittig. Genauso könnte das Beispiel als
Gegenbeispiel für eine These verwendet werden, nach der Repräsentation
niemals zu Herrschaft(smissbrauch) führt. Auch diese These ist nicht
strittig. Für die These, dass Repräsentation *immer* - und das betonst
du selbst - mit Herrschaft(smissbrauch) verbunden ist, liefert sie
leider gar keinen Hinweis. Eine solche These ist nicht empirisch zu
belegen, sondern eine solche These kann m.E. nur theoretisch begründet
werden. Empirie kann hier höchstens Hinweise geben.

Die wichtigen Hinweise gibt hier nicht die Empirie, sondern das Empire von 
Hardt/Negri. Das argumentiert für mich nachvollziehbar nämlich so: 
Herrschaft knüpft ihre eigene Reproduktion an zwei Faktoren: Transzendenz 
und Repräsentation. Die humanistische Tradition hat dies als Gegensatz 
begriffen, nämlich als Gegensatz von Monarchie und Demokratie. H/N zeigen 
hingegen, dass es zwei Seiten derselben Medaille sind. Beide Male 
konvergieren die einzelnen Willensäußerungen der Individuen im Willen des 
transzendenten Souveräns, einmal in dem des monarchischen Absoluts, und 
beim zweiten in dem des republikanischen Absoluts (des Staates und seiner 
Repräsentanten).

Wie heisst das für uns? Transzendenz und Repräsentation hängen eng 
zusammen. Fehlt eines, ist Herrschaft nicht möglich: Überindividueller 
(transzendenter) Gruppenwille verlangt nach (repräsentativer) 
Außenvertretung und umgekehrt. Repräsentation ohne Transzendenz ist 
unmöglich. Der Fall der "identischen Willen aller Einzelnen" (der aktive 
100%-Konsens, Einstimmigkeit) ist Fiktion. Da sprechen die 
Verschiedenheiten der Leute und ihre unterschiedlichen Perspektiven 
dagegen. Jeder Versuch, den Konsens trotzdem herzustellen - etwa über den 
Konsens-Trick: wenn keine/r mehr widersprechen muss - unterläuft genau 
diese Vielheit, die nach Hardt/Negri gerade die Produktivität ausmacht. - 
Zu den Fällen partieller Interessenkonvergenz und ihrer Wirksamkeit s.u.

Deswegen gibt es keinen Mißbrauch von Herrschaft, sondern nur Gebrauch. 
Oder anders formuliert: Mißbrauch und Gebrauch sind identisch.

Es gibt hier keine Missbrauchssituation. Wenn die drei Leute
(=Herrschenden) am Tisch offen sind für Veränderung ihrer
                           ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
Thesen/politischer Arbeit, also eben keine Repräsentanten eines
                             !!!! ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
fertigen Konzeptes sind, dann gibt es keine Bevormundung, keine
Herrschaft und keinen "Missbrauch" dessen.

Diesen Widerspruch kann ich überhaupt nicht erkennen. Repräsentanz ist
für dich immer damit verbunden, dass die RepräsentantInnen nicht mehr
zuhören? Das ist für mich Borniertheit und Arroganz - und damit so
ziemlich das Gegenteil von Repräsentanz.

Genauso funktioniert das: Die Repräsentierten sind abhängig von der Gnade 
der Herrschenden. Sind sie gut, sind sie schlecht? Grauchen sie 
Herrschaft "gut" oder "schlecht"?

Da es mir letztlich nicht um Worte sondern um Begriffe geht: Hast du
vielleicht ein für dich passendes Wort für das, was ich da meine?

Der gutmütige Herrscher? The benevolent dictator? Ich weiss ja nicht 
wirklich, was du meinst. IMHO macht das für eine Emanzipation alles 
keinen Sinn.

Oh, ja, ja, es ist nicht so einfach, denn IMHO bedeutet ein 
Maintainermodell nicht Herrschaft. So haben wir hier bei Ox ein 
Maintainermodell mit dir, Stefan, als Maintainer, aber du herrschst nicht 
und repräsentierst nicht, weil das nicht geht. Es ginge schon, aber dann 
würde ox nicht mehr weiterbestehen, sondern zerfallen (was natürlich auch 
Optionen sein können, warum nicht).

Dennoch gibt es auch in der FS "repräsentative Modelle", die in alte 
Schemen zurückfallen, wahrscheinlich auch, weil es v.a. in FS-Projekten 
mit kommerziellem Anschluß um Geld und Macht geht.

Was meinst du mit "Missbrauch von Repräsentation"?

Habe ich öfters ausgeführt. Ich zitiere nochmal ein Abschnittchen des
systematischen Soziologen und streue ein paar Kommentare für diesen
Kontext hier ein.

  Integrativer
  Bestandteil der Repräsentation ist die Zusammenfassung und
  Vergegenwärtigung der Bestrebungen der Mitglieder der Sozialeinheit.

Missbrauch liegt also nach diesem Satz vor, wenn Repräsentation "die
Zusammenfassung und Vergegenwärtigung der Bestrebungen der Mitglieder
der Sozialeinheit" nicht mehr leistet.

Das ist notwendig immer der Fall, sobald ein bestimmter Grad an Spezifik 
und/oder Kontinuität erreicht wird.

  Das heißt nicht, daß die Interessen der Mitglieder jemals einziger
  Orientierungspunkt des Handelns der Herrschaft sein können. Vielmehr
  muß die Herrschaft auch zu überzeugen versuchen und nötigenfalls auch
  gegen die Meinungen der Mitglieder zu handeln bereit sein.

Hier deutet er auch *die* Schwierigkeit schlechthin an. Diese
Schwierigkeit ist aber nicht dadurch zu beseitigen, dass sie geleugnet
wird. Dann setzt sie sich nur hinter dem Rücken der Beteiligten durch.

Das gilt nur, wenn eine Herrschaft mit Bezug auf einen transzendenten 
Punkt (z.B. dem ominösen Gruppenstandpunkt) repräsentieren will. Sonst 
setzt sich da nichts hinter dem Rücken durch.

Ein IMHO völlig anderer Fall liegt eben beim Maintainer vor: Der/die 
repräsentiert niemanden (außer "sich") und handelt. Dazu können sich die 
anderen dann verhalten. Es gibt überhaupt nicht den Anspruch, jemanden 
anderes Wille zu repräsentieren. Das ist klar und offen und kann dann 
klar und offen ausgetragen werden, wenn die anderen es uncool finden. Und 
eben ggf. forken. Das wiederum kann sich der Maintainer überlegen. Usw. 
In dieser Spannung entsteht Neues oder Altes und Überlebtes zerfällt. 
Ganz einfach faktisch, da gibt es dann auch keine "Schuld" und das ganze 
Gedöns.

D.h. aus deinem Bedürfnis nach Fußballspielen wächst eine bestimmte
Interessenlage. Diese Interessen kann doch problemlos jemensch anders
für dich vertreten - oder? Was ist daran "böse Herrschaft", wenn sich
jemensch aus der FußballerInnengruppe aufmacht und einen Fußballplatz
besorgt? DieseR Jemensch vertritt in diesem Moment aber gerade das
Interesse der Gruppe. Wenn dieseR Jemensch selbst nicht zu der
FußballerInnengruppe gehört - was ja denkbar ist -, dann vertritt
dieseR Jemensch bzgl. dem Fußballplatz nicht mal mehr ihr eigenes
Interesse. Diese Interessenvertretung ist aber nichts anderes als die
Repräsentation iSdsS. So hatte ich das zumindest verstanden.

Nein, aus gemeinsamen Bedürfnissen erwächst nicht automatisch 
Repräsentation. Das Beispiel handelt von Aufteilung einer kollektiven 
Tätigkeit (gesellschaftlich: Arbeitsteilung). Da muss niemand 
repräsentiert werden, sondern per Absprache wird kooperiert. Per 
Definition ist das Ziel des Fussballspiels für alle gleich, und mit dem 
Erreichen des Ziels ist die Kooperation beendet. Nun kann eine 
Kooperation länger andauern. Dann sind eben andauernd Absprachen 
notwendig, was z.B. arbeitsteilig getan wird. Wie z.B. bei der 
Vorbereitung der Ox-Konferenz.

Um nochmal auf die logische Figur zu kommen: Du sagtest es ist
unmöglich, d.h. es gibt keinen Fall wo ein Mensch für andere sprechen
kann. Ich habe ein Gegenbeispiel gebracht, wo es m.E. möglich ist -

Ich habe es entkräftet: Verabredungen praktisch zu realisieren, bedeutet 
nicht, zu repräsentieren. Repräsentation fängt an, sobald Bezüge auf 
transzendente (angebliche) Kollektivwillen hergestellt werden - und eben 
gerade nicht immanente, konkrete Handlungsanteile realisiert werden.

sogar problemlos. Damit ist es nicht mehr unmöglich und wir müssen
schauen, wie genauer bestimmt werden kann, wo es unmöglich wird. M.E.

IMHO ist es immer unmöglich, und der Schlüssel liegt darin, alle Versuche 
transzendente Bezüge (wie Gruppenwillen u.dgl.) aufzugeben und allein auf 
die immanenten konkreten Handlungsbezüge zu bauen. Da liegt noch genug 
Konfliktstoff drin - aber einer zwischen konkreten Individuen und ihren 
Standpunkten.

ist Entfremdung hierfür ein Schlüsselbegriff und Staat / Gesellschaft
/ Multitude passen da gut dazu. Hier eine genauere Bestimmung
hinzukriegen - insbesondere mit Blick auf die Freie Software - ist
Teil meines Anliegens.

Nehme ich deine Entfremdungsdefinition "nicht verantwortlich handeln 
können", dann bedeutet Herrschaft genau das, denn "verantwortlich 
handeln" kannst du nur für dich und nicht für andere.

Jetzt viel gekürzt...

Dann liefere doch einfach mal eine bündige Erklärung für die
Gruppenvorgänge, die sich z.B. im Bereich der Freien Software
abspielen. Es muss doch irgendwie auch dir erklärlich sein, wie es bei
der Varianz von Individualinteressen nicht zum völligen Chaos kommt.
Wie geht das genau? Bisher kann ich nicht erkennen, dass es dafür auch
nur den Ansatz einer Theorie gibt. Deswegen bleibt das alles im
Bereich der Magie - und alle stehen staunend da und reißen Mund und
Augen auf, dass da was funktioniert. Davon will ich weg.

Ok, das habe ich oben versucht. Zwischen uns ist der Unterschied auch nur 
ein Kleiner, aber dieser kleine Unterschied ist der ums Ganze. Auch ich 
gehe von gemeinsamen Interessen aus, die es gibt. Die Frage ist jetzt 
nur, in welcher Form sie sich so realisieren können, dass je meine 
Entfaltung die Entfaltung der Anderen voraussetzt und umgekehrt. IMHO 
geht das nur dadurch, dass sie sich in der Praxis finden und so 
kummulativ wirksam werden. In dieser Praxis bewege ich mich in 
verschiedenen Netzwerken, in denen ich mich je am besten entfalten kann. 
Jeder Versuch, diese Knoten per "Knotenwille" und Repräsentation zu 
"effektivieren", zerstört genau das, was es herstellen will. Jede 
Kollektiv-Repräsentation ist kontraproduktiv für eine Freie Gesellschaft, 
oder mit anderen Worten: Sie ist antiemanzipatorisch.

Nun bin ich (noch ;-) ) kein Fachman für Transzendenzfragen. Aber so
wie ich den Begriff mittlerweile verstanden habe, ist das nicht
notwendig der Fall. Ich habe es mittlerweile so verstanden, dass ein
transzendenter Standpunkt einer ist, der nicht aus der Gruppe
gewachsen, sondern aus irgendwelchen der Gruppe äußerlichen Regeln
abgeleitet wird. Trifft übrigens auch meinen Entfremdungsbegriff.

Jeder Standpunkt, den ich nicht einnehmen kann, ist ein transzendenter - 
also alle anderen außer meinen. Dazu gehört damit auch der 
Einstimmigkeits-Gruppenstandpunkt, sobald ich ihn nicht als meinen, 
sondern eben als den Gruppenstandpunkt vertrete (was nochmal besonders 
unsinnig ist, wenn eh alle einer Meinung sind: warum sollte ich das?).

Ein kristallisierter Standpunkt, der deinen Standpunkt überschreitet -
d.h., der gegen deine dedizierten individuellen Interessen verstößt -
kann aber sehr wohl aus der Gruppe heraus wachsen, also immanent sein.
Die Gruppe ist dann vielleicht nicht besonders nett, dich einfach zu
übergehen oder im Zweifelsfall sogar zu dominieren, aber daraus leitet
sich noch nicht ab, der Standpunkt transzendent ist.

Doch, genau das.

Ob allerdings jede Repräsentation qua Konstruktion einen
transzendenten Standpunkt braucht, oder ob auch immanente Formen von
Repräsentation möglich sind, das halte ich immer noch nicht für geklärt.

Doch, das ist immer so - IMHO.

   Es gibt niemanden, der diese "Gruppenstandpunktswolke"
   repräsentieren kann.

Du wirst mir zustimmen, dass alle zusammen diese
Gruppenstandpunktswolke repräsentieren können?

Warum wäre das nötig?

Das ist aber (leider) wenig realitätstauglich. D.h. wenn wir annehmen,
dass es eine Gruppenstandpunktswolke gibt, dann müssen wir überlegen,
wie damit umzugehen ist. Ignorieren führt nur dazu, dass sie sich
hinter dem Rücken der Beteiligten durchsetzt.

Was setzt sich hinter dem Rücken der Beteiligten durch? Es geht nicht um 
Ignorieren, sondern um einen bewussten Abschied von Repräsentation. Genau 
damit werden alle Handlungen individuell verantwortete Handlungen, und 
nichts setzt sich mehr hinter irgendwelchen Rücken durch.

Jeder Versuch
müsste sich aus der Immanenz begeben, und den GS an
überindividuelle Gegebenheiten binden: so ist es nun mal, das ist
die Mehrheitsmeinung, die praktische Erfahrung zeigt es doch, es
funktioniert doch so usw. Das sind Bindungen an transzendente
"Instanzen", nur das nicht mehr "Gott" oder die "Wahrheit" ist.

Quark. Es ist eine Einigung möglich und im Falle der Einstimmigkeit
ist sie sogar völlig fraglos. Das hat nichts, aber auch gar nichts
mir Transzendenz zu tun.

Nur zeigt die Praxis, das es die halt nicht gibt.

Aber klar gibt es. Ich vermute sogar, dass die Frage der Spam-Filter
für kommerziellen Spam von Außen hier einstimmig beantwortet würde.

Wie ich versuchte zu zeigen, ist die Einstimmigkeit nicht als 
Entscheidungskriterium geeignet. Den Spamfilter kannst du jenseits 
irgendwelcher Repräsentation einrichten, in voller eigener Verantwortung. 
Und gerade weil es wahrscheinlich so ist, wie du sagst (einstimmige 
Zustimmung), sind alle hochzufrieden. Sobald du aber z.B. einzelne 
Personen ausfilterst, sieht es anders aus.

Du kannst sie
wünschen, herbeireden oder einfach auch feststellen, es wird sie
aber trotzdem nicht geben.

Gar keine Einigung möglich? Oder nur keine Einstimmigkeit? Wie kann
d.E. eine Einigung auf emanzipatorischer Grundlage ohne Einstimmigkeit
entstehen?

Praktisch. Unsere Konzentration sollte sich genau auf solche Prozesse 
richten, die praktische Einigungen jenseits transzendenter Bezüge 
ermöglichen. Da ist das von mir befürwortete Maintainermodell mit 
Fork-Option eine Variante.

Eine Anrufung eines "Muss"
ist schlicht unmöglich, denn es wäre immer ein transzendentes
"Muss". Immanenz ist mit Normativen unvereinbar).

Wenn das Normative hilft, die individuelle (und kollektive?)
Selbstentfaltung zu befördern, dann ist es nicht unvereinbar
sondern die Voraussetzung für die Entfaltung der Immanenz.

Normative sind immer transzendent und damit strukturell gegen
Selbstentfaltung gerichtet. Sich selbst zu entfalten bedeutet
gerade und immer mehr, genau sich nicht normkompatibel zu
verhalten.

Was Unfug ist, wenn du die Norm für dich selbst gesetzt hast.

Hier negierst du einfach die "Norm"! Dann gehts naluertich.

Ich negiere sie nicht, sondern ich hole sie aus der Transzendenz in
die Immanenz. Warum kann das nicht möglich sein?

Na klar ist es möglich und auch wünschenswert, denn dann ist es aber kein 
"Muss", also Norm, für Andere. Und darauf kommt es (mir) an.

Ciao,
Stefan

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