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Re: [ox] Arbeit und Geld




Hallo Holger und Listige,

ich fange mit dem Ende an--

Holger Weiss schrieb:
* "B. Fallenstein" <b.fallenstein gmx.de> [2002-12-02 02:48]:
Wenn er kein Geld bekommt, fällt diese Arbeit unter die Regeln des
"Reiches der Freiheit"

Du machst die Verknuepfung: _Weil_ ich Geld fuer die Arbeit bekomme, bin
ich im Reich der Notwendigkeit. Das kann m.E. nicht hinhauen. _Dieselbe_
Arbeit macht doch nicht mehr Spass, wenn ich nichtmal mehr dafuer
bezaehlt werde. Ansonsten koennte man sich bezueglich Lohnkuerzung
sicherlich schnell mit seinem Chef einig werden und alles waere gut ;-)

Sorry, ich habe mich unklar ausgedrückt. Da war noch ein Schritt
dazwischen :-)

Mein Argument ist: Wenn ich Arbeit für Geld mache, mache ich nicht die
Arbeit, die ich machen möchte. Die Arbeit, die ich für Geld mache, würde
mir auch keinen Spaß machen, wenn ich kein Geld für sie kriegen würde--
ich würde sie dann auch nicht machen, sondern etwas anderes.

Notwendige Präzisierung: Natürlich kann auch Arbeit, die für Geld
gemacht wird, mal Spaß machen. Aber das bleibt nicht auf Dauer, weil ich
die bezahlte Arbeit nicht meinen Bedürfnissen anpassen kann-- mal eine
Sache liegen lassen, an der ich das Interesse verloren habe, zum
Beispiel. Am Ende kommt doch praktisch immer Frust dabei rum. Die
Bezeichnung "Reich der Notwendigkeit" beschreibt das.

(Das war jetzt der Versuch der Kondensierung meiner in der letzten Mail
entwickelten Gedanken-- längere Diskussion also siehe auch da. ;-) )

Wäre "im Reich der Freiheit" mehr Arbeit besser als weniger-- oder
zumindest genau so o.k.?
[...]
Rethorische Fragen, denn ich gebe gleich meine Antwort, von der ich mal
vermute, dass sie auch bei dir gemeint ist: Arbeit, die wir uns selbst
wählen, machen wir gar nicht so ungerne; und wenn wir die Möglichkeit
dazu haben, machen wir alle möglichen Arbeiten durchaus gerne und mit
Elan-- allerdings eben die, die wir uns selber auswählen.

Ja, das waere in etwa auch meine Unterscheidung. Arbeit als
"Selbstverwirklichung" versus gesellschaftlicher Zwang zur Arbeit.
Allerdings meinte ich mit "Reich der Notwendigkeit" hier _nicht_ den
Kapitalismus (oder irgendeine "unfreie" Gesellschaft), mir ging es nicht
um die Verhaeltnisse.

Ok.

Ich bin sehr viel skeptischer, was die
Ueberwindung der Notwendigkeit betrifft. Freiheit ist die Einsicht in
die Notwendigkeit :-)

M.E. ist es einfach ein _technisches_ Problem, dass Arbeiten gemacht
werden muessen, auf die niemand Bock hat. Das ist nicht formspezifisch.

Auf Oekonux wird oft der Begriff Selbstentfaltung benutzt, um etwas zu
beschreiben, das mehr als nur Bock-haben ist. Beobachtung: Bei freier
Software werden nicht nur die Dinge gemacht, die allgemein als am
interessantesten betrachtet werden, sondern auch solche, die sehr
frustrierend, aber notwendig sind, z.B. schwierige Bugs aufzuspüren.

Ich versuche es mal so: Selbstentfaltung ist, motiviert an einer Sache
zu arbeiten (mit "motiviert" meine ich aus mir selbst kommende
Motivation, nicht durch Geld o.ä. erzeugte). Das kann sein, weil mir die
Sache Spaß macht, aber auch, weil ich "die Notwendigkeit einsehe" und
mir die Sache zu eigen mache. In beiden Fällen am Ende ein gutes
Gefühl-- wenn ich etwas hingekriegt habe, was alle wichtig finden, wozu
sich bisher aber noch niemand "durchringen" konnte, und ich dann
vielleicht noch ein dickes "Danke" zu hören kriege, ist das schon
erfüllend. (Auch die Sache selber kann manchmal Spaß machen, *weil sie
wichtig ist*-- aber nicht immer: wenn man mehrere Stunden, Tage oder
Wochen erfolglos nach einem Bug gesucht hat, ist das i.A. frustrierend,
egal wie wichtig die Sache ist.)

[Ich gehe jetzt mal zur "Utopie" über, obwohl die folgenden Punkte IMO
auch heute auf Freie Software z.B. zutreffen.]

Eine auf Oekonux manchmal vertretene These ist jetzt, dass sich für
*alle* wichtige Arbeit früher oder später jemand findet, für das sie
Selbstentfaltung ist. Oder anders herum: Wenn sich niemand findet, war
die Arbeit eben doch nicht so wichtig. Sagen wir mal, niemand findet
sich bereit, Babybrei zu produzieren (d.h., bestimmte Arbeiten in der
Babybreifabrik zu erledigen). Spätestens wenn Babys anfangen, deshalb zu
hungern, gibt es bestimmt ganz schnell genug Leute, die sich sagen: "So
was geht nicht!" und die Babybreiproduktion gemeinsam organisieren. Ich
hab' keine Ahnung von Babybrei, aber wenn ich mitkriegen würde, dass
sich niemand dafür findet das zu organisieren, würde ich bestimmt Hilfe
anbieten, mindestens für eine Übergangszeit (wenn mir jemand erklärt,
wie ich helfen kann).

Das heißt m.E. sehr wahrscheinlich nicht, dass *alles* erledigt wird,
was allgemein für wichtig befunden wird; wenn es um überlebenswichtige
Dinge geht, würde es glaube ich kein Problem geben, aber viele andere
wichtige Dinge währen wahrscheinlich über längere Zeit einfach für
niemanden wichtig *genug*, um sich damit zu beschäftigen. Diese
Vermutung gründet sich auch auf Beobachtungen bei freier Software: So
ziemlich jedes Projekt hat eine dicke TODO-Liste mit Sachen, die
allgemein für wichtig gehalten werden; und, um ein konkretes Beispiel zu
nennen, so ziemlich alle BenutzerInnen würden wohl zustimmen, dass
Kompatibilität mit den MS-Word-Formaten für eine Textverarbeitung heute
ziemlich essentiell ist. Aber für viele dieser Dinge findet sich auch
über längere Zeit niemand, der die nötige Zeit investiert.

Trotzdem funktioniert Freie Software insgesamt-- wenn ein Bug ein
wichtiges Programm tatsächlich unbenutzbar macht, findet sich immer
recht bald jemand, der sich diesem Problem widmet.

`Ware', `Wert', `Geld', `Kapital', `Lohnarbeit' usw. sind alles
Formbegriffe, diese Formen sind spezifisch fuer Kapitalismus. In anderen
Gesellschaften kann derselbe Inhalt eine ganz andere Form annehmen.
Gesellschaftlich _notwendige_ Arbeit gehoert fuer mich nicht zu diesen
Formbegriffen. Die ist solange notwendig, wie es keinen _technischen_
Ersatz (Maschinen etc.) fuer die Arbeiten gibt, auf die niemand wirklich
Lust hat. Es ist somit, wie gesagt, keine Frage der Verhaeltnisse,
sondern der Technik.

(Na ja, Technik, die Bugs automatisch fixt ist in keinster Weise
abzusehen. Ich denke, das Problem wird bleiben, egal wie sich die
Technik entwickelt.)

Allerdings ist es sehr wohl eine Frage der Verhaeltnisse, wie die
gesellschaftlich notwendige Arbeit organisiert wird. Der Kapitalismus
konzentriert diese Arbeiten auf Menschen, die nie etwas anderes machen
koennen, das Reich der Notwendigkeit also nie verlassen. Andere
profitieren von genau dieser Tatsache und brauchen das Reich der
Freiheit nie zu verlassen. Alle miteinander kommen nicht zur "Einsicht
in die Notwendigkeit", weil die Tatsache, dass ich "fuer die
Gesellschaft" arbeite, durch die Waren- und Geldform verschleiert wird.

Ja; aber es reicht auch nicht, dass jemand mir sagt oder ich mir sage
dass ich "für die Gesellschaft" arbeite und ich mich dann moralisch
unter Druck setze, ich muss das machen. Das ist nämlich auch
Notwendigkeit. Wenn die Einsicht in die Notwendigkeit dagegen dazu
führt, dass ich die notwendige Arbeit aus Selbstentfaltung tue (wozu
gehört: aufhören zu können, wenn die Arbeit nicht mehr Selbstentfaltung
ist), wird ein Schuh draus.

Ganz zu schweigen von der Lohn- und Kapitalform, die bedeutet, dass ich
erstmal tatsaechlich nicht "fuer die Gesellschaft", sondern fuer's
Kapital arbeite. 

Ja.

Und damit wären wir dabei angelangt, was Benni meiner Meinung nach sagen
wollte: Wenn er Geld für seine Arbeit bekommt, fällt diese Arbeit unter
die Regeln des "Reiches der Notwendigkeit" und es ist rational, so wenig
wie möglich zu arbeiten.

Ja, das Minimieren von Arbeit _ist_ rational, sag ich ja.

Ich hab' absichtlich deine Worte benutzt ;-)

Er hat aber,
wenn ich es recht verstanden habe, gerade die _andere_ Seite bestritten:
Dass das Maximieren von Geld rational waere.

Erstmal hat er (in dem durch den Thread zitierten Satz) gesagt, dass
"sein Antrieb zu arbeiten durch Geld deutlich geschwächt wird". Die
Arbeit, die er für Geld macht, ist "Reich der Notwendigkeit"-Arbeit und
es ist rational, sie zu minimieren; die Arbeit, die er nicht für Geld
macht, ist "Reich der Freiheit"-Arbeit und es ist nicht rational, sie zu
minimieren (den, wichtigen, Teil hast du gesnippt ;-) ). Finde ich immer
noch richtig.

Daraus-- und das ist jetzt meine Meinung, nicht Benni-Interpretation--
folgt aber auch eine tradeoff-Situation: Soll ich das Geld/was ich mir
damit kaufen kann maximieren, oder soll ich lieber meine Zeit mit
Selbstentfaltungs-Arbeit verbringen? Ich denke, es gibt keinen
zwingenden Grund, das erste über das zweite zu stellen, es ist halt eine
persönliche Entscheidung (wenn das nackte Überleben erst mal gesichert ist).

- Benja
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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