Re: [ox] Re: Zum Begriff der Herrschaft
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Fri, 29 Nov 2002 20:33:39 +0100
Hi Uli und Liste!
2 weeks (14 days) ago Uli Holz wrote:
Also, ohne jetzt einen neuen Thread aufmachen zu wollen, versuche
ich mal das Komplizierte ins Triviale zu kehren.
Ich gehe mal den umgekehrten Weg und versuche deine Aussagen
theoretischer zu interpretieren.
Wir haben einen Stamm oder eine erweiterte Familie und wollen einen
Häuptling.
Dieses Bild ist als Ausgangspunkt zwar sicherlich ungeheuer beliebt,
aber m.E. in Massengesellschaften wie sie heute existieren einfach
nicht mehr besonders tragfähig. Ein Stamm oder eine (erweiterte)
Familie zeichnen sich durch zahlreiche soziale Bindungen und
Beziehungen aus, die in gerade in spontanen Gruppen von Anonymen
schlicht und ergreifend nicht gegeben sind.
Es wäre natürlich spannend zu fragen, ob vom heutigen
Vergesellschaftungsniveau aus so etwas relativ Überschaubares wie oben
skizziert als alleinige Form noch denkbar ist. Viele (positive)
Utopien arbeiten mit relativ überschaubaren Grundeinheiten.
Ich denke aber, dass gerade die Freien-Software-Projekte uns viele
Beispiele dafür liefern, wo eben *nicht* a priori diese Bindungen und
Beziehungen bestehen, sich aber vielleicht im Laufe der Zeit ergeben.
Das finde ich einen spannenden Prozess, da sich hier nach meinem
heutigen Verständnis quasi das Soziale konstituiert. Wie geht das
genau?
Was zeichnet diesen aus:
Weisheit, vielleicht der Aelteste, der am besten Spuren lesen kann,
die meiste Erfahrung besitzt, etc.
Abgesehen von "der Älteste" sind das alles besondere Fähigkeiten. Die
beste SpurenleserIn ist sicher nicht notwendig die beste HäuptlingIn.
Die anderen Qualitäten geben da schon eher Hinweise. Würde ich alles
unter "natürlicher Autorität" subsumieren; Autorität also, die nicht
formal durch ein hierarchisches System kommt.
Folgende Überlegungen bringe ich mal ein.
Gehen wir davon aus, dass es bei jedem Lebewesen ausser dem
Darwinschen Selbsterhaltungsinstinkt, auch einen Instinkt gibt, der
den Gen-Pool schuetzen soll.
Finde ich eine müßige Frage, da solche Aspekte m.E. von der Kultur
dermaßen überformt werden, dass sie praktisch verschwinden.
Also Verhaltensweisen wie Uneigennuetzigkeit, ohne die soziale Lebewesen
nicht überleben koennten.
Weswegen es schon keine Uneigennützigkeit mehr ist ;-) . Ein Begriff
vom Eigennutz, der nur den unmittelbaren, sofort konsumierbaren
Eigennutz meint, ist mir ein bisschen sehr verkürzt.
In der Schnelligkeit, in der die Zivilisation fortschreitet, löst
sich die Rudelbindung (Stamm, Familie).
Gute Frage. Ich würde es so sehen, dass die Vorgabe durch die Kultur
schmilzt wie Butter in der Sonne. Was haben familiäre Bindung heute
schon noch für eine Bedeutung verglichen mit 100 Jahre zurück? Die
Menschen sind befreit von den vorgegebenen Bindungen. Da Menschen aber
als soziale Wesen nun mal solcherlei irgendwie brauchen, müssen sie
eben sich innerhalb dieser Freiheit was Neues bauen und das...
Hier sehe ich die Wurzel der Existenzangst oder Entfremdung, über
die sich schon einige geaeussert haben.
...ist bei jedem neuen Freiheitsraum eine ganz schöne Aufgabe, an der
sicher auch einige scheitern. So ist das halt mit der Freiheit in
solchen Fällen: Einerseits befreit sie von Vorgaben, andererseits
zwingt sie zu selbstverantwortlichem Handeln.
Wirkliche geistige Bindung kann es nur in Primaergruppen von
vernünftiger Groesse geben.
Der Eindruck drängt sich auf. Es ist ja schon auffällig, wie oft
Gruppengrößen von so bis zu zehn Leuten anzutreffen sind.
Mich würde nun interessieren ob freie Projekte eine solch geistige
Bindung einer Primaergruppe darstellen könnten
Das würde ich grundsätzlich schon denken - wenn mich das "Primär" auch
ein wenig schreckt. Wenn Primärgruppe eine Identifikation mit dieser
Gruppe bedeutet, dann sicher.
Ein spannender Aspekt ist aber die völlige Körperlosigkeit dieser
Gruppen. Da kommunizieren ja quasi die reinen Geister miteinander. Ich
glaube, dass das ein Aspekt ist, der noch viel zu wenig beachtet wird.
und vor allen Dingen,
wie koennte die Gleichheit der Projekte oder Gruppen aussehen,
ohne ein Kastensystem mit feudaler Tendenz zu werden.
Warum wäre das eine wichtige Frage? In Bezug auf was sollte es deiner
Meinung nach eine Gleichheit geben?
Mit Freien Grüßen
Stefan
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