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Re: [ox] Re: Aussenstandpunkt vs. Gruppenstandpunkt




Hi,
ich habe diesen Thread schon sehr lange verfolgt und schaue nach der
Konferenz zum ersten Mal wieder hinein. Mal schauen, was sich alles
so ergeben hat...

On Sun, Nov 17, 2002 at 02:52:51PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Hi Stefan und (Unbe)herrsch(ende|te)!

Endlich. Ich zitiere mal großzügig, weil es ohnehin schon schwierig
sein dürfte, die Zusammenhänge in diesem Long-Term-Thread noch zu
kriegen.

Ich werde wohl an einigen Stellen versuchen zu kürzen, damit klar
wird worauf ich mich beziehen moechte.

2 months (70 days) ago Stefan Meretz wrote:
nach meiner Wahrnehmung drehen sich viele der Debatten um Freie 
Kooperation, Selbstentfaltung, Entfremdung und nun Immanenz und 
Transzendenz usw. um in der Tat eine sehr entscheidende Frage, nämlich um 
das, was du "Oekonux-Theorie des Sozialen" genannt hast. Das Spannende an 
Oekonux ist, dass wir mit der Nase drauf gestoßen werden, weil FS eben 
doch ziemlich anders ist als andere "Keimförmchen".

Deswegen ist IMHO für uns das "Empire" von Hardt/Negri von unschätzbarer 
Bedeutung. Es bricht viele Perspektiven auf, die sich (auch bei mir) 
verfestigt haben. Leider ist es nicht einfach zu lesen, und leider 
enthält es auch einiges wirres Zeug (oder ich versteh es nicht) und die 
Politische Ökonomie darin kann man knicken. Ich kann dennoch nur 
empfehlen, es sich mit anderen zu erschliessen, denn es ist nunmal kein 
Gutenacht-Buch.

Die beste Zusammenfassung (vielleicht kommt mir das nur so vor, weil ich 
das "Empire" schon gelesen habe) ist übrigens eine von Robert Foltin 
("Immaterielle Arbeit, Empire, Multitude. Neue Begrifflichkeiten in der 
linken Diskussion. Zu Hardt/Negris 'Empire'"), erschienen in der 
Zeitschrift "Grundrisse". Eine Online-Version wird versprochen unter 
http://www.grundrisse.net.

Ist mittlerweile online
[http://www.unet.univie.ac.at/~a9709070/nummer2.pdf]. (Da hat mal wer
was verstanden :-) ).

Darin gibt es auch einen Artikel von Karl Reitter, der voll in unsere 
Diskussion hier passt: "Repräsentation und Multitude - ein Bericht".

Da dieser Artikel angenehm kurz ist, habe ich ihn mal schnell gelesen.
Leider bin ich ziemlich enttäuscht. Wenn das die Grundlage für
Theoriebildung sein soll, dann Gute Nacht.

War das so gemeint? Es ging doch nur um die Frage von Repräsentation
und Herrschaft -- und zu diesem Thema passt der Text wirklich gut.

Was macht der Text? In der mittlerweile allzu üblichen Medientechnik
greift er sich ein Beispiel raus, was das zeigt, was der Autor zeigen
will. Und daraus folgt - nicht schwer - das, was er gerne zeigen
möchte. Mit dieser Technik kann prima alles mögliche "gezeigt" und bei
Bedarf auch mal schnell Pogrom- / Kriegs- /
Your-Lieblings-Alptraum-here-Stimmung erzeugt werden. Theoriebildung
geht mit diesem willkürlichen Umgang mit Realität aber nicht.

Ist keine Theoriebildung, sondern eher als eine empirischer "Beweis"
zu verstehen, dass Repräsentation immer mit Herrschaft verbunden
ist.

Der zentrale Fehler des Textes liegt m.E. darin, dass er eine
Missbrauchssituation hernimmt und behauptet - und es ist wirklich nur
eine Behauptung - nichts anderes als Missbrauch sei möglich. Das ist
auf der Ebene der Sozialschmarotzerdebatte - um mal ein beliebiges
Beispiel zu nennen. Dieser Übergang von einem konkreten
Missbrauchsfall zur verallgemeinernden Theoriebildung konzentriert
sich in dem Satz "Für mich war diese Veranstaltung geradezu ein
Lehrstück in Sachen Repräsentationspolitik.". Damit verallgemeinert
Karl Reitter sein Beispiel zur Theorie - ähnlich wie die Bild-Zeitung
das mit den (wenigen) Fällen von Sozialhilfemissbrauch tut.

Es gibt hier keine Missbrauchssituation. Wenn die drei Leute
(=Herrschenden) am Tisch offen sind für Veränderung ihrer
Thesen/politischer Arbeit, also eben keine Repräsentanten eines
fertigen Konzeptes sind, dann gibt es keine Bevormundung, keine
Herrschaft und keinen "Missbrauch" dessen.

Und so geht es munter weiter: "Und gleichzeitig wurde mir einmal mehr
die Bedeutung, oder vorsichtiger formuliert, eine mögliche Bedeutung
des Begriffes `Multitude' und ihrer Nicht-Repräsentierbarkeit, klar."
Die ohnehin schon wenig erkenntnisdienliche Umdeutung des
Missbrauchsfalls eines Phänomens (Repräsentation) als Kern der Sache
wird umgedreht, auf einen anderen Bereich bezogen - die `Multitude'
als Begriff unterscheidet sich `Multitude' ja wohl erheblich von der
Gruppe, um die es in seinem Beispiel geht - und noch schnell zum
Gesetz erhoben. Na, vielen Dank.

Was meinst du mit "Missbrauch von Repräsentation"?
IMHO ist Repräsentation kein Phänomen, sondern ein Machtinstrument
um Herrschaft auszuüben. Da es unmöglich für eine einzelne Gruppe
ist, für einen Menschen oder sogar viele Menschen zu sprechen...und
das ist keine Umdeutung, sondern Fakt.

    [...]
    
Das Ganze wird dann noch mit ein paar völlig schrägen
Gegenüberstellungen garniert: "Die Nicht-Repräsentierbarkeit, die
Negri/Hardt als geradezu ontologische Eigenschaft der Multitude
ausmachen, wiederholt und bekräftigt in neuer Form, einen, ja DEN
Aspekt, den im Grunde jede politische Strömung herausstellt. Ob man es
Klassenkampf, Emanzipation, Rebellion, Widerstand, Befreiung oder
Revolte nenne mag, immer zielen diese Begriffe auf Prozesse ab, die
am, im und durch das Subjekt selbst stattfinden müssen." Ich kann
nicht erkennen, wie die Repräsentation einer Gruppe im Siebelschen
Sinne zu diesen subjektiven Prozessen im Widerspruch steht.

Repräsentation (egal auf welche Gruppen bezogen) masst sich an, Wort
für andere Menschen zu ergreifen und sie damit zum blossen Objekt
der Repräsentation zu degradieren, da sie (die Menschen) keinen
Einfluss auf die einzelnen Handlungen der "Repräsentanten" haben.

Daher und genau daher behindert bzw. verhindert eine Repräsentation
*immer* emanzipatorische Strömungen der Menschen, da Emanzipation
insbesondere auf die Abschaffung von Repräsentation hinarbeiten muss. 

Ich kann nur wiederholen, was Siebel schon geschrieben hat und wo ich
immer besser verstehe, was er meint:

  Damit ist das in den Vordergrund gestellt, was an der Herrschaft für
  das heutige zeitgenössische Bewußtsein besonders hervorsticht,
  nämlich das Element der Macht und des Zwangs. Es ist jedoch zu
  fragen, ob diese Sicht nicht einseitig, ja verkürzt ist, wenn man
  dem Herrschaftsphänomen allein durch diese Begründung gerecht werden
  will. Dazu ist bereits zu bedenken, daß die Herrschaft von den der
  Herrschaft Unterworfenen grundsätzlich akzeptiert und gewünscht
  werden kann. [http://www.oekonux.de/liste/archive/msg04988.html]

Hier unterstellt "Siebel" das es "grundsätzlich" 'Sklaven' gibt und
dieser Zustand von den 'Sklaven' "akzeptiert" und auch noch
"gewünscht". Aber hallole, in welcher Zeit lebt (lebte) dieser Herr
Siebel denn?

Ich kann nur nochmal darauf hinweisen, dass ich in der Tat diese
Verkürzung für nicht erkenntnisfördernd halte, da sie den Zugang zu
wichtigen Zusammenhängen verbirgt. 

...und ich weise hier darauf hin, dass ich eine solche Grundhaltung
für unsere Disskussion nicht akzeptabel halte. Erkenntnisfördernd
ist eher das selbstständige und kritische Reflektieren und nicht das
blosse Aneignen von Menschenbildern aus der Kolonialzeit.

Ich sage damit nicht, dass der
Missbrauch von Herrschaft nicht bekämpft werden müsse. 

Nicht nur der "Missbrauch" von Herrschaft muss bekämpft werden,
sondern die Herrschaft SELBST muss bekämpft werden!

Ganz im
Gegenteil: Missbrauchte Herrschaft - wie im obigen Beispiel - ist
keine mehr, da Herrschaft wesentlich als ein Handeln im
Gruppeninteresse (sage ich hier mal so platt) verstanden werden muss,
wenn mensch das Phänomen wirklich tief verstehen will.

Wie nennst Du denn Herrschaft, wenn sie "missbraucht" wird?  Wenn
"mensch das Phänomen wirklich tief verstehen will" sollte mensch in
erster Linie denken. Ich lasse mir aber ungern vorschreiben, wie und
in welchen Zusammenhängen etwas "verstanden werden muss". Das ist
Zwang, Herrschaft und Bevormundung!

Deine Antwort an mich bringt recht gut auf den Punkt, worum es mir
auch hier geht.

On Saturday 07 September 2002 13:18, Stefan Merten wrote:
Nun ist mir die Freie Kooperation zwar relativ egal, nicht so aber die
Theoriebildung hier. Bei uns klafft nach meiner Wahrnehmung nämlich
exakt dieselbe Lücke: "Wir" wissen viel über das Individuum und haben
dazu auch einiges an Theoriebildung betrieben. Selbstentfaltung dürfte
das wichtigste Stichwort sein. Wie sich das Individuum aber mit
anderen Individuen zusammenfasst und Gruppen bildet - dazu wissen
"wir" bisher einfach nichts. Oder was habe ich so fundamental
übersehen?

Es gibt da viel, letztlich ist das die Baustelle der Soziologie. Siebel 
gehört doch auch dazu. Es ist nur meistens nicht brauchbar, IMHO.

Eine Frage ist aber noch nicht gestellt: Brauchen wir überhaupt eine Art 
"Theorie der Gruppe"? Das ist mir nicht klar. Als Arbeits-Hypothese würde 
ich mal sagen: Nein.

Das ist eine interessante Frage. Ich würde sie selbstredend mit "Ja"
beantworten aus einem einfachen Grund: Menschen bewegen sich permanent
in Gruppen. Zumindest für das Heute bedarf es also einer Theorie um
dieses Phänomen zu verstehen - und ich halte die "alles von Außen
aufgeherrscht"-Theorie einfach für deutlich zu kurz. Gruppen bilden
sich auch ohne dass sie von Außen aufgeherrscht werden - ständig, mal
locker und mal fester. Die Freie Software wimmelt z.B. auch davon -
mit ganz unterschiedlichen Graden an Institutionalisierung im übrigen.

Die `Multitude' scheint mir doch auch eine Ansammlung von Gruppen (und
Individuen?) zu sein, in der unterschiedliche
Institutionalisierungsgrade existieren. Ich meine in Genua z.B. waren
ja nicht lauter Einzelne unterwegs, sondern es haben sich
selbstverständlich spontan oder vorbereitet Gruppen gebildet. Die
`Multitude' als Ganzes scheint mir mehr und mehr mit dem zu
korrelieren, was wir hier gewöhnlich unter Gesellschaft verstehen. Die
Repräsentation der Gesellschaft über den Staat habe ich in diesem
Thread aber auch schon als zumindest sehr fragwürdig bezeichnet.

Ich denke diese beiden Begriffe sollte man nicht leichtfertig
zusammen werfen. "Gesellschaft" wird konstituiert -- immer!
"Mutitude" wird nicht konstituiert, sondern ist a priori gegeben --
so hatte ich zumindest die Zusammenfassung von Stefan Meretz auf der
Konferenz verstanden...

Bei den beiden Sozialpolen "Individuum" und "Gesellschaft" ist die 
Notwendigkeit einer selbstständigen, d.h. kategorial eigenständig 
wissenschaftlich ausweisbaren Theorie wohl unbestritten.

Ist es? Das Individuum wie wir es heute verstehen ist wesentlich ein
Konstrukt der Aufklärung. Aber ich würde die Notwendigkeit einer
Theorie jedenfalls nicht bestreiten.

Bei der Gruppe 
ist das nicht klar. Hier gibt es beide Varianten: Die Gruppe als Summe 
der Individuen her zu verstehen oder als Portion der Gesellschaft. Sind 
wir einig, das beide Ansätze zu verwerfen sind?

Völlig.

Bleibt eben "die Gruppe" als ebenso eigenständig kategorial fundierte 
Theorie. Was Siebel z.B. macht, ist genau das nicht. Genaugenommen macht 
der gar keine Theorie sondern systematisierte Deskription. Da kann man 
auch einige "Ahas" erleben, aber Theorie ist das eigentlich nicht, denn 
sie erklärt nichts.

Noch so ein Dauerbrenner. In meiner gestrigen Mail andernthreads ("Die
Schlauch-Seil-Inkontingenz") bin ich ja genau auf diese Frage auch
eingegangen. Das was du hier als "systematisierte Deskription"
denunzierst ist nichts anderes als Begriffsbildung. Und auch wenn
diese Begriffe nicht da raus kommen, wo du sie gerne hättest,
*erklären* sie m.E. ungeheuer viel.

IMHO "erklaert" Begriffsbildung nichts. Sie stellt eine bestimmten
Rahmen zur Verfügung in dem man sich diskursiv bewegen kann -- mehr
nicht. Manchmal auch unpraktisch weil sie mit dem Rahmen auch
gleichzeitig einschränkt.

Jedenfalls verstehe ich seit
dieser Lektüre querbeet viel mehr von der Welt. Wohlgemerkt: Ich will
das nicht überhistorisch sehen - aber *heute* hilft es mir. Und nein,
das sind nicht immer nur Missbrauchssituationen von Herrschaft /
Gruppe / Gruppenstandpunktswolke.

Glückwunsch! Aha-Erlebnisse hab ich auch immer gern;-)

Na gut, könnte man ja besser machen wollen als Siebel. Dann müsste man 
aber "die Gruppe" als eigengesetzliche "Ebene" begreifen, die sich 
qualitativ sowohl von der "Ebene" des Individuums wie der Gesellschaft 
abhebt. Das sehe ich nicht. -

Ok, lass uns zusammen weiter schauen.

Ist das jetzt ein Widerspruch zu der obigen 
Aussage, dass die "Gruppe" weder von der "Seite" des Individuums noch der 
Seite der Gesellschaft theoretisch pepackt werden können?

Nein, und in der Auflösung steckt das ganze Dilemma des Themas. Die 
Begründung setzt nun ein Verständnis des Unterschieds von Immanenz und 
Transzendenz voraus. Ich meine nämlich, dass du das nicht richtig siehst. 
Du versuchst "die Gruppe" auf die Seite der Immanenz zu schummeln;-)

Nun, ich denke, dass das Konzept von Immanenz und Transzendenz quer
zum Konzept der Gruppe liegt. Was du mit der Identifikation betreibst,
ist m.E. lediglich die Identifikation des Missbrauchs mit dem Begriff.
Schauen wir mal.

Immanenz/Transzendenz kann man auch (vereinfachend) mit 
Innensicht/Außensicht oder Standpunkt erster/dritter Person übersetzen. 
Der immanente/innere/erste Standpunkt ist immer nur von konkreten 
Individuen einnehmbar.

Da außer Individuen nichts einen Standpunkt einnehmen kann, ist das
irgendwie trivial. Ok.

Wenn es um eine gewisse Anzahl geht, dann ist es 
eine gewisse Anzahl konkreter Individuen.

Und jetzt bin ich doch ein bisschen verblüfft. Das ist genau das, was
ich als Gruppenstandpunktswolke beschreibe. Dieses Wir - wenn es keine
Monadengruppe sein soll - konstituiert sich exakt aus den immanenten
Standpunkten der Beteiligten - i.A. hinsichtlich eines bestimmten
Themas. Totalitäten fordern nur Sekten aller Art und Staaten.

Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist mit diesem Wir aber immer
noch ein immanenter Standpunkt möglich. Nichts anderes sage ich die
ganze Zeit.

Das ist auch der Grund, warum 
der Begriff "Multitude" ("Menge" in der unglücklichen deutschen 
Übersetzung) seine zentrale Relevanz hat: Es geht nicht um die Masse 
(oder die Klasse, oder das Volk oder...), sondern um die Vielheit der 
konkreten individuellen Menschen. Jeder Standpunkt, der die je 
individuelle, unmittelbare sinnliche Erfahrung überschreitet, ist eben 
ein transzendenter (siehe Def.). Hier ist das "je", was ich so gerne 
verwende, das zentrale Wörtchen. 

In meinem Begriffssystem ginge das in die Richtung eines entfremdeten
Standpunkts. Ich glaube sowieso immer mehr, dass Transzendenz vor
allem Entfremdung bedeutet.

Der Standpunkt einer Gruppe ist ein solcher transzendenter Standpunkt. Er 
überschreitet je meinen Standpunkt. Er liegt außerhalb von je mir, es ist 
ein Außenstandpunkt. 

Nein. Im von mir so geschätzten Konsensmodell wird aus der
Gruppenstandpunktswolke für einen konkreten Fall ein Standpunkt
kristallisiert, der deinen Standpunkt *gerade nicht* überschreitet,
sondern ihn umfasst - auch wenn er vielleicht gerade nicht mit deinem
individuellen Standpunkt identisch ist. Letzteres ist bei
Einstimmigkeit der Fall.

Wenn der "kristallisierte Standpunkt" meinen Standpunkt nicht
überschreitet gibt kein Problem, weil wir dann einer Meinung sind.
Wenn aber der "kristallisierte Standpunkt" _meinen_ Standpunkt
überschreitet, liegt er automatisch ausserhalb meines Standpunktes
und ist -- laut Definition -- tranzendent. Richtig?

Das heisst wenn es einen tranzendenten Standpunkt gibt, entspricht
es nicht mehr meinen (oder eines anderen Gruppenmitglieds)
Standpunkt mehr. Doof.

Ich gebe dir aber Recht darin, dass es für transzendent vs. immanent
von zentraler Bedeutung ist, wie diese Gruppenstandpunktswolke
kristallisiert und wie sehr dieser Prozess mit Entfremdung verbunden
ist. Hier scheidet sich m.E. letztlich die Frage, ob eine
Gruppenstandpunktswolke vorgeblich und damit Missbrauch ist oder eben
nicht.

Im Empire wird nun gezeigt, dass die Konstitution 
eines solchen transzendenten Standpunkts entscheidend ist zur 
Beherrschung der Multitude.

Da sagst du es selbst.

Wenn ein (doofer) tranzendenter Standpunkt konstituiert wird (z. B.
von irgendwelchen Repräsentanten), wird die Multitude beherrscht. Das
heisst mein (oder der eines anderen Gruppenmitglieds) Standpunkt
wird nicht mehr vertreten und damit repräsentiert die Repräsentation
mich nicht mehr. Ich werde von Ihr beherrscht (obwohl ich das nicht
will)!

Meine Kritik daran lautet, dass du (und Empire?) hier in die falsche
Richtung schließt. Zwar mag die Konstitution eines solchen
transzendenten Standpunkts für die Beherrschung - und hier ist m.E. ja
der Missbrauch von Herrschaft gemeint - entscheidend sein. Damit gilt
aber noch lange nicht, dass jede Konstitution einer
Gruppenstandpunktswolke automatisch zum Missbrauch von Herrschaft im
Sinne des Handelns im Interesse einer Sozialeinheit führt.

Doch. Jede Konstitution eines transzendenten Stanpunktes muss zur
("missbraeuchlichen") Herrschaft führen, da Standpunkte nicht mehr
"repräsentiert" werden können. Die Menschen hinter diesen
Standpunkten werden gegen ihren Willen in eine Richtung gezwungen. 

Wie in diesem Thread schon angedeutet, ist mein Wunsch, diese andere
Richtung genauer zu betrachten: Wie können sich
Gruppenstandpunktswolken in einer Weise konstituieren, die den
Missbrauch von Herrschaft mindestens kräftig erschweren? 

Geht nicht. Leider!

Freie
Software mit ihrem Prinzip der Selbstentfaltung Einzelner als
Voraussetzung der Selbstentfaltung der Gruppe und umgekehrt liefert
hier m.E. bahnbrechende Beispiele.

Naja, wenn mir ein FS-Projekt nicht mehr gefaellt gehe ich. Dann ist
das Problem des tranzendenten Standpunktes gelöst, da ich nicht mehr
Teil der Gruppe bin. Würde ich bleiben, würde ich mich beherrschen
lassen. Bei FS-Projekten habe ich die Freiheit zu gehen, daher
taucht das Herrschafts-Problem in der Regel nicht auf.

In den meisten sozialen Zusammanhängen KANN ICH NICHT einfach gehen.
Es existieren Zwänge, die mich festhalten. Dies und die
Repräsentation machen mich zum Beherrschten.

Erst wenn der Standpunkt geschaffen wurde, 
kann er mit Repräsentation verknüpft werden, erst wenn Repräsentation 
hergestellt ist, kann die Multitude beherrscht werden. Repräsentation ist 
nicht die andere Seite von Domination, sondern seine Voraussetzung. Es 
ist eine der zentralen Herrschaftsstrategien.

Dem kann ich gar nicht widersprechen. Es ist aber immer noch die
falsche Schlussrichtung. Nur weil Repräsentation missbraucht werden
kann - und sie damit eigentlich ihren Charakter als Repräsentation
gleich wieder verliert - muss sie nicht in jedem Fall missbraucht
werden.

Warum kann Repräsentation "missbraucht" werden? 

"Missbrauch" ist ohne Repräsentation nicht möglich. Habe ich
keine Repräsentation, gibt es keinen "Missbrauch" davon. Habe ich
allerdings "Repäsentation" (einer Gruppe) gibt es *immer* einen
Menschen der Gruppe, der nicht mit der Repräsentation einverstanden
ist und dann beherrscht wird. 

    [...]

Den Abschnitt lasse ich doch mal weg, weil der nicht viel Neues
bringt. Auch später kürze ich stark.

[...]

Mittlerweile denke ich auch, dass eine strikte Leugnung eines
Gruppenstandpunkts bzw. eine Denunziation als per se
anti-emanzipatorisch die Menschen nur noch als Monaden begreifen
*kann*. Wenn nur noch individuelle Standpunkte gelten dürfen, dann
wird entweder der darin integrierte Standpunkt der Gruppe geleugnet -
was geht, aber m.E. das Verständnis der Wirklichkeit nicht fördert -
oder es kommen eben die bürgerlichen Privatpersonen raus, die durch
nichts Soziales mehr miteinander verbunden sind und denen das Soziale
(von oben) eingeprügelt werden muss, damit nicht das
(anti-emanzipatorische) Chaos regiert. 

Das ist jetzt ein etwas fieses Argument. Es verknüpft die berechtigte 
Kritik am "Monadenstatus" der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft 
mit der aus meiner Sicht völlig verfehlten Forderung, es müssen einen 
Gruppenstandpunkt geben.

Ich sage ja nicht, dass es ihn in irgendeinem konkreten Fall geben
*muss*. Ich sage lediglich, dass dies eine Begriffsbildung ist, die
uns hilft die Welt - hier das Phänomen Gruppe - zu verstehen. Insofern
würde ich den Begriff Gruppe so definieren, dass er mit einer
Gruppenstandpunktswolke verbunden ist. Wo es diese nicht gibt, gibt es
keine Gruppe. Na und? Vielleicht ist die `Multitude' in diesem Sinne
keine Gruppe sondern die Gesellschaft. Na und?

Na, das erinnert mich aber sehr an die Mathematik, wo Begriffe so
hindefiniert werden, dass nachher rauskommt was man gebrauchen kann.

Gerade die im "Empire" (wenn ich nur mal das 
nehme) dargelegte Sicht ist in der Lage die Menschen in ihrer Vielheit 
wahrzunehmen.

Ich kann nicht erkennen, wo der Begriff der Gruppenstandpunktswolke
diese Vielheit auch nur annähernd negiert. Das ist für mich einfach
kein Widerspruch.

Es sind zwei verschiedene Begriffe: die "Vielheit" ist die Vielheit
der Menschen, deine "Gruppenstandpunktswolke" ist halt die
Vermengung der Standpunkte die diese Menschen haben. Schon zwei
verschiedne paar Schuhe, oder?

Gerade dort wird dargelegt, das alle 
Unterdrückungsstrategien darauf hinausliefen, transzendente Standpunkte 
mit repräsentativen Instanzen zu versehen, die dann im vorgeblich 
*gemeinsamen Interesse* die Partialinteressen der Herrschenden 
durchsetzen. So funktioniert bürgerliche Demokratie, und das ist die 
Rolle von NGOs.

Im "vorgeblich" steckt der Missbrauch / die Entfremdung. Ansonsten
siehe meine Bemerkungen zur falschen Schlussrichtung.

Der Punkt ist doch, dass es in einer Repräsentation kein gemeinsames
Interesse gibt!

Ich tendiere immer mehr dazu, dass dieser Schritt zur Entfremdung der
entscheidende Punkt ist. Und du zählst auch zwei Beispiele auf, die
wir sicher alle hier als entfremdet verstehen können. Hast du auch
Beispiele, bei denen keine Entfremdung vorliegt?

Ja, meine Aktivität im Oekonux-Kontext.

Auch hier gibt es die Gruppenstandpunktswolke. In vielen Fällen ist
die ziemlich diffus, aber mindestens in der Frage der Spam-Filter
gegen kommerziellen Spam von Außen sind sich wohl hier alle einig. Und
damit konstituiert sich zumindest ein Gruppenstandpunkt sogar ziemlich
deutlich.
Auch die pure Anwesenheit auf der Liste zeigt schon ein gemeinsames
Interesse, das - in sehr weiten Grenzen - eine Gruppenstandpunktswolke
konstituiert.


Das ist wohl war -- hört aber hier wieder auf. Du wirst mir doch
sicher zustimmen, wenn ich sage:

   Es gibt niemanden, der diese "Gruppenstandpunktswolke"
   repräsentieren kann. 

Immanenz pur - aber dennoch als (überindividueller)
Gruppenstandpunkt formulierbar.

Nein. Du kannst deine Sicht haben, du kannst behaupten, es gäbe den GS, du 
kannst ihn dir wünschen, du kannst darum kämpfen. Aber niemand und nichts 
entscheidet: Es gibt einen Gruppenstandpunkt und das issa.

Doch: Alle zusammen.

Nada!

Jeder Versuch 
müsste sich aus der Immanenz begeben, und den GS an überindividuelle 
Gegebenheiten binden: so ist es nun mal, das ist die Mehrheitsmeinung, 
die praktische Erfahrung zeigt es doch, es funktioniert doch so usw. Das 
sind Bindungen an transzendente "Instanzen", nur das nicht mehr "Gott" 
oder die "Wahrheit" ist.

Quark. Es ist eine Einigung möglich und im Falle der Einstimmigkeit
ist sie sogar völlig fraglos. Das hat nichts, aber auch gar nichts mir
Transzendenz zu tun.

Nur zeigt die Praxis, das es die halt nicht gibt. Du kannst sie
wünschen, herbeireden oder einfach auch feststellen, es wird sie
aber trotzdem nicht geben.

Oder, wenn der Gruppenstandpunkt nicht
sein darf, anders herum: Wie würdest du diese überindividuelle
Konstruktion namens Gruppe theoretisch fassen?

Oben habe ich dazu was geschrieben. Ich würde erstmal zurückfragen: Wozu 
brauchst du eine theoretische Begründung für eine überindividuelle 
Konstruktion namens Gruppe?

Um die Welt besser zu verstehen? Der Begriff des Kapitals hilft mir
den Sektor der Welt "Ökonomie in Geldgesellschaften" besser zu
verstehen. Der der Gruppe hilft mir den Sektor "Soziales" besser zu
verstehen.

Ich glaube nicht, dass solch ein Konstrukt wirklich etwas zum
"Verstehen" sozialer Zusammenhaenge beitragen kann.

Eine Anrufung eines "Muss"
ist schlicht unmöglich, denn es wäre immer ein transzendentes "Muss".
Immanenz ist mit Normativen unvereinbar).

Wenn das Normative hilft, die individuelle (und kollektive?)
Selbstentfaltung zu befördern, dann ist es nicht unvereinbar sondern
die Voraussetzung für die Entfaltung der Immanenz.

Normative sind immer transzendent und damit strukturell gegen 
Selbstentfaltung gerichtet. Sich selbst zu entfalten bedeutet gerade und 
immer mehr, genau sich nicht normkompatibel zu verhalten.

Was Unfug ist, wenn du die Norm für dich selbst gesetzt hast.

Hier negierst du einfach die "Norm"! Dann gehts naluertich.

Oder mit 
"Empire": Genau das Nichtnormative und das Nicht-Normierbare ist die 
Grundlage der Produktivität der Multitude. Finde ich, passt gut zur FS.

Und wieder wechselst du die Ebene vom konkreten in die `Multitude'.
Hier scheint mir immer mehr der Grund für das zu liegen, was ich auch
als Aneinander-Vorbei-Reden erlebe.

Das ist es nicht -- nein.
Das Aneinander-Vorbei-Reden kommt daher, dass Du ungern von Deinem
Standpunkt abrueckst. Und ungern versuchst zu verstehen, was
StefanMz Dir versucht darzulegen.

Gruesze,
	Olf

-- 
# olf from europe
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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