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[ox] Re: die Solidaritaet




Hallo Thomas,
du schreibst:

Die Solidaritaet,

sie sollte nicht vergessen werden, wenn es vorwaerts gehen soll, in der
Diskussion zwischen Benni und Jobst gibts aber - scheint mir - ein
Missverstaendnis:

At 22:23 30.09.02 +0200, Jobst wrote:
Mehr Solidarität? Auf jeden Fall, ein klares Ja. Mag sein, dass
irgendwann auch zuviel Solidarität zu Problemen führen könnte, doch
davon sind wir noch ganz weit weg.
(benni:)
Ich sag nur "uneingeschränkte Solidarität" oder gar "Nationale
Solidarität" und und und, ich denke es gibt genausoviele Beispiele von
falscher Solidarität wie von falscher Konkurrenz. Aber da haben wir
dann vielleicht schlicht eine andere Auffassung.
(jobst:)
Jeder Begriff kann mißbraucht werden, das ist doch nichts neues.

Jobst, ich glaube nicht, dass du weitverbreitete Missbraeuche von Begriffen
so einfach wegwischen kannst, wie du es hier tust.

Es waren noch ein paar Worte mehr die ich dazu gesagt hab. Und da
es dich interessiert, werde ich gleich auch noch ein bischen
ausführlicher darauf eingehen. Doch ich finds auch mal richtig,
angeschnittene Nebenlinien der Diskussion kurz und einfach
abzuhandeln, um den Hauptfaden der Diskussion nicht zu verlieren.
Außerdem hab ich auch keine unbegrenzte Zeit zu schreiben.

Immerhin scheint für dich klar zu sein, dass zB die von Schröder zum
11.9.01 proklamierte "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA
einen Missbrauch des Begriffes darstellt. In Bennis Formulierung
"Beispiele von falscher Solidarität" ist das aber nicht klar. Es
klingt nach einem Vorwurf gegen die Solidarität, wobei auch noch
unklar ist, ob es gegen den Begriff geht oder das, was
dahintersteckt. Dabei sind mindestens zwei Interpretationen
möglich:

1."Solidarität ist out, ist nichts (mehr) wert, unter anderem weil sie so
missbraucht wurde /werden konnte."

2."Diese Beispiele sind kein Missbrauch, sondern Beispiele, dass
Solidarität auch reaktionär sein kann."

Zu 1.: Die Tatsache des Missbrauchs spricht gegen die Missbraucher
und nicht gegen das Missbrauchte. So sollte es zumindest sein. Leider
gibt es eine weit verbreitete patriarchale Haltung, die diese
Verhältnisse umdreht und es den Missbrauchten vorwirft, nicht mehr
rein und jungfräulich zu sein.

Ich find es nun total verkehrt, den missbrauchten Begriff fallen zu
lassen oder gar abzuurteilen. Weil das, wofür der Begriff steht, sonst
nicht mehr oder nur mit viel Mühe ausgedrückt werden kann. Ihn durch
etwas anderes zu ersetzen ist auch keine Lösung, weil der neue
Begriff genauso missbraucht werden kann. Also bleibt nur der mühsame
Weg, den Begriff immer wieder zu reinigen und zu entgiften, indem
der Missbrauch aufgezeigt und in Diskussionen Klarheit über den
Begriff geschaffen wird.

Zu 2.: Die "uneingeschränkte Solidarität" seh ich als Loyalitäts-
oder Unterwerfungserklärung, besonders nach Bushs "Wer nicht für uns
ist, ist gegen uns!" und ähnlichen Drohgebärden. Nicht jede
Unterstützung ist Solidarität. Solidarität heisst soviel wie Halt
oder Festigkeit geben, also Menschen in einer Situation der Schwäche
zu unterstützen, wo sie bedroht sind den Halt zu verlieren. Für die
von der Katastrophe betroffenen Menschen war also Solidarität
durchaus angebracht, für die USA als Nation und führende Weltmacht
jedoch nicht.

Die "nationale Solidarität" und übrigens auch die altlinke
"internationale Solidarität" sind ein falscher Gebrauch des
Solidaritätsbegriffs, weil Nationen keine konkreten Menschen
sind und deshalb weder Subjekt noch Objekt von Solidarität sein
können. Die wirkliche Solidarität, die oft mit "internationaler
Solidarität" gemeint ist, wäre mit weltweit oder meinetwegen auch
transnational besser bezeichnet.

Von den vielen Bedeutungen der "nationalen Solidarität" ist nur
eine möglicherweise richtig, die Solidarität zwischen Menschen
innerhalb einer Nation. Mir ist zwar die für alle offene Solidarität
sympathischer als die auf eine Gruppe beschränkte, dennoch kann und
will ich Solidarität nur als zwischenmenschliche Beziehung unabhängig
von den Rahmenbedingungen (dass beide zu einer Gruppe gehören) sehen.
Solidarität bleibt Solidarität, selbst wenn sie innerhalb einer mir
feindlichen Gruppe (zB Nazis ) stattfindet und damit möglicherweise
mir oder anderen Menschen schadet. Doch ebensowenig wie ich es dem
Brot anlasten kann, dass es auch meine Feinde ernährt, kann ich es
der Solidarität anlasten, dass sie ihnen nutzt.

Spaeter argumentierst du dann sogar 'ad personam':

Irgendwie tust du mir
leid, dass du anscheinend immer nur Forderungen nach Solidarität
kennengelernt hast und nie Solidarität selbst.

Das habe ich schonmal gehoert in der Version: "wenn du Gott nur einmal
gesehen haettest (so wie ich), dann wuesstest du, dass er existiert und wie
wundervoll es ist ihn zu sehen". Das ist in seiner internen Logik
unschlagbar aber leider nicht ueberzeugend. Statt mitleidig zu sein,
schlage ich vor zur Kenntnis zu nehmen, dass andere Anderes anders meinen
koennten.

Ich nahm damit zur Kenntnis, dass Benni einen völlig anderen
Erfahrungshintergrund hat. Doch dadurch fehlt auch die gemeinsame
Basis für eine sachliche Diskussion. Weil ich keine Lust auf
weiteres Hickhack und aneinander vorbeireden hatte, hatte ich
darauf verzichtet, ihn in diesem Aspekt zu überzeugen. Deshalb
der Ebenenwechsel. Kannst du auch als Teil von Verhandlung über
Kooperationsbedingungen sehen.


Bennis 'wohlverstandener Selbstenfaltungsegoismus'

der die Selbstentfaltung des anderen zur
Vorraussetzung der eigenen Selbstentfaltung macht.

ist naemlich gar nicht so weit entfernt von einer einstmals
weitverbreiteten Definition von Solidaritaet, die leider in der Tat
heutzutage haeufig missbraucht wird.

Der Unterschied zwischen Mildtaetigkeit und Solidaritaet ist ihr zufolge,
dass bei letzterem Hilfe geleistet wird aus einem wohlverstandenen
Eigeninteresse heraus - nenn es meinetwegen Egoismus. Geld fuer die Armen
der Welt zu sammeln kann beides sein. Im Fall praktischer Solidaritaet wird
aber angenommen, dass die Armen der Welt irgendein Interesse mit dem
Spendenden objektiv gemeinsam haben, z.B. die Gegnerschaft gegen das
Kapital. Insofern sind sie im Idealfall gleichberechtigte KampfgenossInnen
und nicht etwa passive EmpfaengerInnen. Nichts gegen Mildtaetigkeit, aber
Solidaritaet ist was Anderes.

In dem "gleichberechtigt" seh ich den wesentlichen Unterschied
zwischen Solidarität und Mildtätigkeit, nicht in dem gemeinsamen
Interesse. Wichtig ist die Haltung zueinander, ob sie von Gleichheit oder
Ungleichheit geprägt ist. Solange sich der/die Gebende als was
besseres fühlt, solange er/sie glaubt, vom anderen nichts von Wert
bekommen zu können oder nichts von ihm lernen zu können, solange
also das Geben die Ungleichheit mehr präsentiert als abbaut, solange
ist es keine echte Solidarität.

Jede solidarische Handlung hat auch einen Eigennutzen und wenns nur
ein paar Punkte fürs Selbstwertgefühl sind. Insofern kann ich euch
zustimmen, auch dass die Entfaltung Anderer Vorrausetzung für die
eigene Selbstentfaltung ist, find ich richtig. Doch lehne ich es
entschieden ab, die Solidarität als Form des Egoismus einzuordnen.
Das würde die gravierenden Unterschiede zwischen egoistischem
Verhalten, das auf Positionsverbesserungen gegenüber Anderen aus
ist, und solidarischem Verhalten, das auch das Wohlergehen Anderer
im Sinn hat, zu sehr verwischen.

Auch die Beschränkung der Solidarität auf Menschen mit gemeinsamen
Interessen und damit auf Gruppen find ich verkehrt, sowohl aus
praktischen als auch theoretischen Gründen. Der Wert von Solidarität
zeigt sich gerade zwischen Menschen, die sich (noch) fremd sind.
In vielen Notfällen käme jede Hilfe zu spät, wenn erstmal eine
Überprüfung von Gesinnung, Nationalität, Klassenzugehörigkeit usw
durchgeführt würde. Und auch so banale Solidaritätangelegenheiten
wie das Mitnehmen von Trampern wären fast unmöglich, wenn erstmal
gemeinsame Interessen festgestellt werden müssten.

Der theoretische Grund ist, dass Gruppensolidarität immer dem
Konkurrenzprinzip untergeordnet bleibt. Sie ist dann nur ein Mittel
der Gruppe, um gegenüber Anderen zu konkurrieren. Die Einzelkonkurrenz
wird zwar teilweise zur Team- oder Gruppenkonkurrenz, doch die
Überwindung des Konkurrenzprinzips selbst liegt damit außer Reichweite.
Die Grundeinstellung ist immer noch:"Betrachte jeden Menschen als
Feind oder Konkurrenten, solange du kein spezielles Bündnis mit ihm
hast". Erst wenn die Solidarität grundsätzlich allen gilt, kann das
aufgehoben werden zu einem: "Betrachte jeden Menschen als deinen
Freund, solange er nicht das Gegenteil bewiesen hat."

Gruß, Jobst







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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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