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Re: [ox] Freie Software im Empire



Hi Benni und Liste!

Last week (8 days ago) Benni Baermann wrote:
Freie Software im Empire
========================

Danke für die sehr gelungene Besprechung :-) .

Nachdem ich das Buch tatsächlich gelesen habe (Uff!), möchte ich
einfach mal ein paar Punkte in die Runde werfen, von denen ich denke,
dass sie für unsere Diskussion interessant sein könnten um so eine
hoffentlich rege Diskussion anzustossen, explizit auch mit denen, die
das Buch _nicht_ gelesen haben. Das werden ja die meisten sein,
alleine schon, weil es fette 450 Seiten mitbringt.

Brauch ich ja jetzt nicht mehr ;-) .

Tatsächlich habe ich gar nicht viel Tolles anzumerken. (Dafür ist die
Mail doch schon wieder lang geworden :-( ).

Immaterielle Arbeit
-------------------

In der Postmoderne hat sich die Produktionsweise verändert, sie wird
zunehmend immateriell.

Das ist mir in anderen Rezensionen auch schon aufgefallen. Darin finde
ich besteht in der Tat für die Linke eine Leistung, weil das so klar
wohl sonst kaum jemensch analysiert. Richtig ist es selbstredend.

Es gibt drei Typen immaterieller Arbeit:

- industrielle Arbeit

In der herkömmlichen industriellen Arbeit werden immer mehr
Tätigkeiten automatisiert, so dass ein Großteil an Tätigkeiten übrig
bleibt, der kommunikativ und abstrakt ist. Fabber bzw. Rapid
Prototyping oder auch Franz global-lokale Eigenarbeit-Netzwerke wären
ein Beispiel dafür.

Verstehe ich es richtig, daß sich der Hardt/Negri'sche Begriff der
industriellen Arbeit vor allem auf solche bezieht, die der materiellen
Produktion dient?

- abstrakte Arbeit

Noch weiter geht die Immaterialisierung bei der abstrakten Arbeit.
Dieser Arbeitstypus ist aufs engste mit dem Computer verbunden. Arbeit
ist nur noch kommunikativ-vernetzte Symbolverarbeitung. Programmieren
fällt sicher darunter.

Kann ich mir was drunter vorstellen ;-) . Machen wir hier so etwas
auch?

- affektive Arbeit

Darunter sind alle Arbeiten zu verstehen, die Gefühle oder Identitäten
produzieren. Darunter fällt Hausarbeit und Krankenpflege genauso wie
Werbung und Showbusiness.

Hmm... Ich würde Werbung und Showbusiness dann aber eher unter die
abstrakte Arbeit zählen, weil es hier letztlich im wesentlichen auch
um Symbolproduktion und -verkauf geht. Ist [füge hier den aktuellen
Pop-Star ein] nicht nur noch ein Symbol und nix weiter? Wie hieß noch
[der aktuelle Pop-Star von vor zwei Jahren]?

Wichtig wäre mir die Unterscheidung - ganz wertkritisch - weil ich die
andere unter diesem Begriff gefaßte "Arbeit" tendenziell eher als
menschliche Tätigkeit bezeichnen würde, die eben keine "Liebesarbeit",
"Trauerarbeit", etc. pp. ist, sondern ein Ausdruck von Gefühlen.

Wird da im Buch differenziert? Oder verstehe ich da was falsch?

Die Gemeinsamkeit dieser drei Typen beschreiben Hardt und Negri so:

  "In jedem dieser Typen der immateriellen Arbeit steckt die
  Kooperation bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst.
  Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbar soziale Interaktion und
  Kooperation. Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit wird
  mit anderen Worten nicht von außen aufgezwungen oder organisiert,
  wie es in früheren Formen von Arbeit der Fall war, sondern die
  Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent. (...)

Guter Punkt. Ich würde das beschreiben als Produktivkraftentwicklung,
für die der Kapitalismus zunehmend nur noch Fessel ist - z.B. weil er
Kommunikation aufgrund von Konkurrenzsituationen verhindert.

Das alles sind ganz ähnliche Gedanken, wie sie im Oekonux-Projekt
entwickelt wurden. Die Formel "Freie Software = Selbstentfaltung +
Internet" bezeichnet etwas ganz ähnliches.

Ja, andere hatten da auch schon Parallelen gesehen. Immerhin
analysieren wir ja die gleiche Realität (sage ich jetzt mal so) und
kommen offenbar nach Ablage der alten Scheuklappen zumindest zu
ähnlichen Analysen. Vermutlich ist es genau diese Ablage der
Scheuklappen, was "Empire" so zum Hype macht. Ist ja positiv.

Was ich aber am Ansatz der "immateriellen Arbeit" bevorzuge ist seine
größere Reichweite. Er bezeichnet eine ganze Pallette von Phänomenen
und Freie Software ist unter dieser Perspektive nur noch ein weit
fortgeschrittenes Beispiel einer umfassenderen Sicht. Besonders
deutlich wird das im Fall der "affektiven" Arbeit. Wärend wir die
beiden anderen Typen immaterieller Arbeit schon ausführlich diskutiert
haben, kam affektive Arbeit bisher bei uns kaum vor.

Gerade deswegen wäre der Begriff genau zu klären.

Interessant wären
dabei zwei Fragen, nämlich einmal wo in der Produktion Freier Software
affektive Arbeit auftritt (Tux, M$-Bashing, Hackerkultur, ...) und zum
anderen, wo es im weiten Feld affektiver Arbeit Projekte gibt, die
ähnlich arbeiten wie Freie Software. Auch ein weiterer Grund, sich
Freie Musik (oder Filesharing als Vorform davon) nochmal ganz genau
anzugucken.

Wenn wir also ernsthaft an der Frage arbeiten wollen "ob die
Prinzipien der Entwicklung Freier Software eine neue Ökonomie
begründen können, die als Grundlage für eine neue Gesellschaft dienen"
kann (Siehe www.oekonux.de), ist es meiner Meinung nach angesagt nicht
nur unsere theoretische Sichtweise auf Freie Software zu versuchen zu
verallgemeinern, sondern auch umgekehrt umfassendere Sichtweisen auf
das Beispiel Freie Software zu spezialisieren. Und "Immaterielle
Arbeit" bietet da eine hervorragende theoretische Herangehensweise,
denke ich.

Nach deinen Ausführungen denke ich das auch :-) .

Wertkritik und (Post-)Operaismus
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Wie ich gerade gelernt habe (nicht aus "Empire", sondern von meinem
Freund Bodo) scheint es im neueren Marxismus zwei Traditionen zu
geben, eine wertkritische und eine operaistische.

Na ja, es dürften ein paar mehr sein ;-) .

Ich neige sicher mehr zur wertkritischen Seite, eigne mich aber eher
schlecht als Fundamentalist. Deswegen lasse ich da einfach die Sachen
weg, die mir nicht gefallen ;-) .

Bei Oekonux haben wir traditionell mehr mit dem wertkritischen Ansatz
gearbeitet und ich will deswegen mit diesem Text auch ein bisschen
Werbung für die andere Seite machen.

Meiner Meinung nach passt der Postoperaismus eigentlich besser zu
Oekonux, weil ja der Selbstentfaltungs-Begriff und seine Herleitung
aus der kritischen Psychologie, genau auf der "spezifischen
Möglichkeitsbeziehung" des Menschen zur Welt aufbauen, also auf den
Aktionsmöglichkeiten des Einzelnen, was doch prima zum Operaismus
passt, wärend die Wertkritik sich da ein bisschen sperrt (insofern ist
die Ablehnung der kritischen Psychologie durch das Krisisumfeld
vielleicht nicht nur persönlichen Vorlieben geschuldet, sondern
folgerichtig).

So gesehen hast du recht. Oekonux baut da wohl die Synthese aus vielen
unterschiedlichen Ansätzen.

Die drei Rechte
---------------

Am Schluss des Buches gibt es ein Kapitel, das beschreiben soll, wie
das Empire untergehen wird oder vielmehr bereits schon untergeht. Die
Multitude kommt zu sich selbst, wird sich ihrer bewusst und entledigt
sich der parasitären Herrschaft des Empire. Dies geschieht im Prozess
der Durchsetzung dreier Rechte. Der Begriff des "Rechts" ist dabei mit
vorsicht zu geniessen, da es in diesem Fall nicht wirklich einen
Adressaten gibt, von dem man diese Rechte einfordern könnte. Das
Empire taugt ja mangels Zentrum gerade nicht als Adressat. Es geht
also auch hier wohl eher um einen netzwerkartig verlaufenden Prozess.

Dann finde ich diese Diktion sehr unpassend. Bei "Recht auf
irgendetwas" kommen mir sofort Bilder hoch, die zwar sehr gut ins alte
System passen, aber bei einer Keimform nur als Abwehr von
Übernahmeversuchen dienen während das Innere ganz anders funktioniert.

Vielleicht sollten diese drei eher als Ziele beschrieben werden? Das
hätte dann auch mehr den Zungenschlag, das - ganz multitudig - jedeR
selbst was tun kann - und nicht nur Forderungen stellen.

Was haben diese drei Rechte mit unserer Debatte zu tun?

"Das Recht auf Wiederaneignung"

Das dürfte für unsere Diskussion das spannendste der drei Rechte sein,
wie vielleicht folgendes Zitat ganz gut illustriert:

  "Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird
  auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die
  Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge
  integriert sind. In diesem Zusammenhang bedeutet Wiederaneignung,
  freien Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information,
  Kommunikation und Affekte zu haben - denn diese sind einige der
  wichtigsten biopolitischen Produktionsmittel. Doch die Tatsache
  allein, dass diese Produktionsmittel in der Menge selbst zu finden
  sind, bedeutet noch nicht, dass die Menge diese auch kontrolliert.
  Eher lässt das die Entfremdung davon noch niederträchtiger und
  verletzender erscheinen. Das Recht auf Wiederaneignung ist somit in
  Wahrheit das Recht der Menge auf Selbstkontrolle und autonome
  Eigenproduktion." (S. 413)

In dieser Perspektive ist Freie Software geradezu _das_ Paradebeispiel
für Wiederaneignung und die Kämpfe um (Software-)Patente und
Intelectual Property Rights sind die zentralen sozialen Kämpfe um
dieses Recht.

Hmm... Das "Wieder" stört mich hier. Oder kann das für Freie Software
untermauert werden?

"Das Recht auf einen sozialen Lohn"

Das finde ich natürlich superschwach. Eine fehlende Orientierung auf
eine Gesellschaft jenseits des Geldes ist für mich heute ein
Kill-Kriterium für eine emanzipatorische Vision.

"Das Recht auf Weltbürgerschaft"

Es geht um die Durchsetzung von Bewegungsfreiheit für die Menschen.
Damit ist aber nicht nur gemeint, dass man sich physisch bewegen kann,
sondern noch weitergehender, dass auch kulturell diese Bewegung
wirklich lebbar wird. Wir haben uns bisher mit diesen Fragen noch
nicht sehr viel befasst, dennoch denke ich, dass es auch hier einige
Berührungspunkte gibt.

Da sträubt sich bei mir irgendwie was, aber ich tue das mal als meinen
persönlichen Defekt ab ;-) .

Zum einen ist Freie Software vielleicht genau auch eine Möglichkeit,
die diese Bewegungsfreiheit zumindestens im virtuellen ermöglicht.
Projekte für Linux in Entwicklungsländern oder an Schulen sind da
vielleicht eine Richtung die versucht Ausgrenzungsmechanismen, die
anders als die herkömmlichen Grenzen funktionieren zu unterlaufen.

Gerhard Schröder ist auf unserer Seite: Er will auch einen
Internet-Anschluß für alle IIRC :-) . Im Ernst finde ich das aber z.B.
eine naheliegende Forderung / Aktion.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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