[ox] Re: [ox] Re: [ox] Re: [ox] Re: [ox] Die Finsternis der "Aufklärung"
- From: RAUNHAAR aol.com
- Date: Tue, 5 Mar 2002 19:38:13 EST
In einer eMail vom 06.03.2002 00:07:38 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt
benni obda.de:
Lieber Benni,
<<
Mich würde es mal interessieren, wen Du genau da mit "Euer" meinst.
>>
gut, in gewissem Sinne hast Du mich erwischt. Was ich habe sagen wollen war,
daß ich den in dieser Liste vielfach favorisierten Ansatz der Aufhebung durch
Selbstentfaltung als gesellschaftskonstituierendes Prinzip nicht teile.
<<Hm. damit hab ich enorme Probleme. Wer bin ich irgendwem zu sagen, wie
Emanzipation möglich sei und wie nicht? Siehe dazu vielleicht die
"Thesen über Befreiung"
(http://co-forum.de/index.php4?Einige%20Thesen%20%DCber%20Befreiung).>>
Die "Thesen über Befreiung" habe ich nicht gelesen. Ich will auch gar
niemandem sagen "wie" er sich (gefälligst) zu emanzipieren hat. Ist gut
möglich, daß, falls überhaupt noch was "kommt" ein durchaus "radikaler"
systemimmanenter Versuch unternommen wird. Meinen Gebrauch des Begriffs der
Emanzipation versteh bitte i.S. von Aufhebung also von etwas was über unsere
jetztige Gesellschaftsformation hinausweist. Ob die Menschen das "machen" und
"wollen" (Wechselwirkungen bitte mitdenken) steht dahin. Ich verstehe
"Aufhebungstheorie" auch nicht so, daß ich irgendwelche Keimformen aufspüre,
die Erscheinungsformen dieser jetzigen Gesellschaft und mit dieser zunächst
kompatibel sind und daraus ein zukünftiges "so wird/könnte es sein"
entwickele. Wenn schon Keimformen, dann wären das für mich gesellschaftliche
Handlungen, die sich an den Stellen entwickeln an denen das Kapitalverhältnis
dysfunktional ist, was nicht ausschließt sondern gerade einschließt, daß
frau/man sich die entfremdeten Potenzen wieder aneignet.
<<Und: Ist das nicht genau das selbe, was Du "uns" vorwirfst? Nämlich
ein System für alles zu entwerfen? Da ist es dann halt nicht mehr die
"Vermittlungsform" die universalisiert wird, sondern die Überwindung
einer Denk- und Handlungsform, die man erstmal schaffen muss, bevor
man überhaupt mitreden darf.>>
Das was "dann" sein wird weiß ich nicht und will darüber genau nicht ein Bild
entwerfen, welches ausmalt wie es dann allen "automatisch" gut geht. Das
hatten wir doch wirklich bis zum Er- und Zerbrechen und erleben die Wirkungen
an uns selbst an jedem Tag. Mitreden kann überhaupt jede/r, weil jede/r
diesem Zusammenhang unterworfen ist. Letztlich geht es aber bei Deiner Frage
um das "leidige" Bewußtsein und die hier auf dieser Liste auch immer wieder
genannte "Entlastungswirkung" des prozessierenden Prinzips. M.E. ist die
"Entlastung" aber nichts anderes als das "automatische Subjekt", also das
strukturiende Prinzip das alle "Puzzleteilchen" an ihren Platz zwingt. Den
Aufwand, den das vereinzelte Puzzleteil an Anpassung und Selbstzuschnitt
aufwenden muß, scheint mehr aber sehr erheblich und schmerzhaft gemessen an
der angeblichen Entlastung. Entlastend könnte ja vielmehr sein (ich verkürze
das jetzt, um nicht in allzu langatmige Ausführungen zu verfallen) wenn die
Lebenszusammenhänge wieder ihrer qualitativ eigenen "Logik" und Zeit folgen
könnten und die gesellschaftlichen Vereinbarungen hierüber nicht durch
eiserne, wiewohl unsichtbare, Hände, Flossen, Schwingen oder Tritte
praedeterminiert wären.
<<Ja, genau darum geht es. Dazu müssen sich aber die
"Gesellschaftsmitglieder" doch zu allererst ihrer Individualität
bewusst werden. Ich schreibe bewusst nicht "Subjekt", weil das
vielleicht nochmal was anderes ist. In vormodernen Zeiten war das
schlicht nicht möglich. Die Leute waren mehr oder weniger identisch
mit ihrer sozialen Rolle. Wie kann man situationsbezogen qualitativ
unterschiedliche Vermittlungsformen finden, wenn man sich nur als
Gruppenzugehöriger versteht?>>
Advocatus diaboli: Ist die Selbstwahrnehmung als "Subjekt" oder "Individuum"
im modernen Sinne nicht auch genau die Identität mit der vorstrukturierten
sozialen Rolle? Hatten die vorkapitalistischen Gesellschaften keine
"politische Ökonomie" (wenn auch eine andere mit anderen Fetischen)? Gibt es
eine Hierarchie von Vernünften, in welcher unsere irgendwie weiter "oben"
rangiert? Ist sekularisierte Religion keine Religion? Können wir die
Meta-Physik vergangener Zeiten so hautnah denken, daß wir wissen, wie sich
die Leute gefühlt haben?
<<Hm. Den Zusammenhang mit der Materialismusfrage versteh ich grad
überhaupt nicht. Ich hab allerdings auch den Kontext nicht mehr
präsent, wo das euch jemand (ich?) vorgeworfen haben soll. Ich kann
mich nur dran errinnern, das mal den Stefans (oder auch nur einem von
beiden) "vorgeworfen" zu haben ;-)>>
Ich erinnere mich auch nicht mehr genau wer das gewesen ist. Du nicht, das
stimmt schon. Kann auch sein, daß ich was verwechsele mit einer anderen
Liste. Aber es gab da mal einen Austausch zwischen Horst und Stefan Mz., das
erinnere ich genau. Das mit dem Materialismus finde ich aber sehr wichtig,
weil der Lösungsansatz sonst wieder nur auf materielle (Re-)produktion, der
als solcher gesellschaftskonstituierend war, ist und immer sein wird,
hinausläuft.
<<Was genau meinst Du denn mit Transfiguration in diesem Zusammenhang?>>
Hab ich weiter oben schon was zu gesagt, daß nämlich die Selbstwahrnehmung
und Überhöhung als "Subjekt" oder "Individuum" Idenität mit der zugewiesenen
sozialen Rolle ist/sein könnte.
<<Nur kam das ganze ja zustande, weil der Aufklärung vorgeworfen wurde,
herrschaftskompatibles Denken zu fördern. Meinst Du mit obigem also,
dass jedes abstrakte Denken immer schon herrschaftskompatibel ist?
Dann sollten wir hier vielleicht einpacken und ... ja, was tun?
Irgendwelche Ideen? Uns die Aufklärung aus den Köpfen raushauen?
Vielleicht religiös werden oder meditieren? Das sind jetzt durchaus
ernstgemeinte Fragen, weil ich einfach wissen will, was daraus folgt>>
Jedes abstrakte Denken zu überwinden, würde in der Tat zum sofortigen
Einpacken führen. Sprache ist schließlich auch Abstraktion. Dann müßten wir
die Liste zumachen. Religiös, Meditieren etc., also dem Obsukrantismus zu
fröhnen ist vor allem herrschaftsfördernd. Da krieg ich dann das
Hausmittelchen an die Hand, wie ich mir die Welt schöndenken und
schönempfinden kann. Alles was ich "erleide" liegt ja in meinem Karma. Jeder
ist seines Glückes Schmied, bla, bla, bla. Nö, es geht mir nicht darum, die
Abstraktionsfähigkeit abzuschaffen. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die
Philosophiesprache nur bestimmte Sphären des Lebens zu kategorisieren in der
Lage ist, weil sie dort entstand, und ganz bestimmte andere Sphären - den
berühmten Nebenwiderspruch z.B. - "liegen läßt". Weiter wende ich mich
dagegen, daß das erzeugte und erdachte Abstraktum das konkrete Leben
herrschaftförmig dirigiert. Abstraktionen sind zum Beschreiben und
Herausfinden unerläßlich. Die Inversion ist aber wichtig. Die Abstraktion hat
nur Bestand, wenn sie dem Konkreten entspricht.
Zum Schluß wollte ich noch anmerken, daß ich mich wirklich gefreut und
gelächelt habe, daß Du in Deiner anderen Mail den Begriff "Empathie"
verwendet hast. Das war aber nicht bürgerlich "subjektmäßig".
Liebe Grüße, Petra
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