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Re: [ox] Re: Macht in der Freien Software



Hi Benja, ThomasB, alle!

Schon wieder nahe an der Ewigkeit her :-( . Ich zitiere mal
ausführlich und antworte auf zwei Mails auf einmal.

3 weeks (25 days) ago B Fallenstein wrote:
Stefan Merten schrieb:
Sehen wir uns
aber den/die UnzufriedeneN, ForkwilligeN mal genauer an: Die
Wahrscheinlichkeit fuer ihn/sie, erfolgreich das eigene Projekt zu gruenden
                                   ^^^^^^^^^^^

...hier ist ein wichtiger Knackpunkt. Vom Forken hält dich niemensch
ab. Der "Erfolg" des Forks steht aber wie bei einem ungeforkten
Projekt auf einem ganz anderen Blatt. Im Gegensatz zu einem
kapitalbasierten Fork hängt hier aber der potentielle Erfolg nicht
direkt mit der Möglichkeit des Forks ab. Das finde ich einen wichtigen
Unterschied.

Einverstanden.

Gut. Das müssen wir dann aber auch durchhalten, daß der Erfolg eines
Forks von dessen Möglichkeit erstmal unabhängig ist.

sind je hoeher, desto maennlicher, weisser und finanzell unabhaengiger
(Zeitfaktor) er/sie ist.

Na, daß Forks weißer Männer per se erfolgreicher sind, wage ich aber
mal zu bezweifeln. Der Zeitfaktor, eigentlich aber der Kümmerfaktor
spielt da schon mehr eine Rolle. Aber das ist sachlich begründet und
nichts Äußeres.

Das wäre ja mal eine Gelegenheit für reality check: Wie viele
erfolgreiche Forks von nicht-weißen und/oder nicht-männlichen
ProgrammiererInnen können wir finden?

Auf diese Weise werden wir Thomas' These schwerlich beweisen können: Die
Demographie der Szene und die Seltenheit von erfolgreichen Forks macht
es unwahrscheinlich, dass wir viele Beispiele finden werden. (Forks von
nicht-weißen vielleicht noch eher als von nicht-männlichen
ProgrammiererInnen?) Aber die These wäre auf diese Weise evtl. zu
widerlegen, und wenn sie nicht zu widerlegen ist, ist sie wenn auch
nicht bewiesen doch zumindest gestärkt.

Wie du denke ich, daß ein Reality-Check hier schwierig ist, weil ich
nicht sehe, wie du eine halbwegs aussagekräftige Grundgesamtheit
zusammenbringen willst - alleine wegen der allgegenwärtigen Männer
(weiß stimmt übrigens wohl nicht ganz so drastisch).

d.h. er/sie sollte in der meritokratisch organisierten
Hierarchie der Entwicklerszene moeglichst weit oben stehen.

Das "oben" in der von dir gesehenen Hierarchie führst du jetzt ein,
aber ich sehe nicht, daß das zwingend ist. Klar braucht sie bestimmte
Fähigkeiten und ist damit sicher besser als andere - es ist halt nicht
voraussetzungslos. Aber warum das notwendig ein "oben"/"unten"
impliziert ist mir nicht klar.

Ich vermute schon, dass das "oben" zwingend ist: Weil der Fork sonst
nicht angenommen wird, oder das zumindest zu erwarten ist.
  ^^^^^^^^^^^^^^^^

Da wechselst du schon wieder die Ebene: Du redest vom Erfolg, der aber
wie erwähnt auf einem anderen Blatt steht. Die *Handlungsmöglichkeit*
des Forks steht dir *immer* offen. Ob du damit *erfolgreich* bist, ist
eine ganz andere Frage, die zunächst in der gleichen Liga verhandelt
wird, wie der Erfolg des Stamms.

BTW würde ich den `egcs'-Fork als durchaus gelungen bezeichnen - incl.
späterer Reintegration. Die Frage der Nützlichkeit ist hier
ausgesprochen entscheidend gewesen. Und sogar den Linux-Kernel
könntest du als eine erfolgreiche Alternative - wenn auch kein Fork -
zu dem nicht vom Fleck kommenden Hurd betrachten.

Erinnerst du
dich an "Homesteading the Noosphere" von Eric Raymond? Besonders
lesenswert in diesem Kontext ist der 2. und 3. Teil:

http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/homesteading/x97.html
http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/homesteading/x117.html

Ich fand dieses Werk bei weitem nicht so gut, wie die Cathederal :-( .

Der Punkt ist dass die FS-Kultur ziemlich klare Regeln darüber hat, wer
ein Projekt 'besitzt', wie Raymond es formuliert (das MaintainerIn, die
Person die entscheidet, was ein offizielles Release ist), und wie dieser
Projektbesitz weitergegeben werden kann. Das Ganze ist seine
Beobachtung, die ich aber durchaus teilen kann. Tust du das nicht?

Die teile ich durchaus, aber du selbst schreibst "besitzt" schon in
Anführung. Warum wohl? Weil es eben nicht wirklich besessen /
geeigentümert wird: Ich kann niemenschen davon abhalten damit zu
machen, was sie will (bei GPL modulo Reprivatisierung natürlich).

Ein Fork ist (wie Raymond schreibt) ein ziemlich extremes Mittel, kein
Alltagsgeschäft. Ich finde es berechtigt anzunehmen, dass ein Fork nur
dann erfolgreich ist, wenn er von jemand kommt, das bereits ein gewisses
(besonderes) Ansehen erreicht hat-- was dann Thomas' meritokratische
Strukturen wären, nicht wahr?

Wir müssen hier m.E. einfach bei den Unterscheidungen bleiben:
Projekterfolg - ob Fork oder nicht ist wie gesagt zweitrangig - ist
immer von vielen Faktoren abhängig. Daß jemensch kooperieren kann (und
dafür geschätzt wird) ist eine, daß jemensch die Fähigkeit hat, Dinge
auch real und gut zu tun (coden, konzeptionieren, Web-Siten,
dokumentieren, ...) ist eine andere. Und daß ich jemenschem mehr
vertraue, bei der ich das alles schon erlebt habe, ist doch auch
erstmal naheliegend.

All das hat aber nichts mit einer Meritokratie zu tun - oder zumindest
dem, was ich mir darunter vorstelle. Die DDR war doch wohl z.B. ein
schönes Beispiel für eine Meritokratie. Honi hatte sich
parteiamtliches Ansehen errungen und war damit unangreifbar - völlig
unabhängig von dem, was er real in der Gegenwart tat.

Das ist bei Freier Software aber wohl anders. Wenn da eine wichtige,
anerkannte Person, (zu lange) anfängt rumzuspinnen, dann ist sie nicht
nur das Ansehen, sondern *auch* die von euch behauptete Macht los.
Nehmen wir doch mal den aktuellen Fall im Kernel. Was ich davon bisher
mitbekommen habe, hat Linus Torvalds in letzter Zeit einfach ein paar
richtig falsche Entscheidungen getroffen und das wird von vielen so
gesehen. Alan Cox hat er damit schon weggeekelt. Was glaubt ihr, wie
lange sich selbst Super-Ikone Linus das leisten kann? Nicht lange wenn
ihr mich fragt. Hätte er aber reale Macht, würde ihn das überhaupt
nicht jucken. Er würde es einfach durchsetzen - kann er aber nicht,
weil ihm die Machtmittel dazu fehlen - u.a. weil z.B. Alan Cox de
facto geforkt hat und er sich abgewandt hat - völlig unabhängig davon,
was Linux gerne gewollt hätte.

Vielleicht wäre auch Meritokratie nochmal zu klären. Wegen der
"-kratie" hat es für mich etwas mit Macht zu tun, die aber
Durchsetzungsfähigkeit / Gewalt braucht.

Und (b) stellt sich dann die Frage nach dem Verhaeltnis zu Macht. Mit
Foucault gibts keinen Zustand ohne Macht, daher kann hier nur gefragt
werden, welche Organisation von Macht gewuenscht wird. Ist moeglichst viel
Gleichheit das Ziel (moeglichst wenig Ausschluss von Macht) oder sind
bestimmte Aus- und Einschluesse von Macht in Ordnung? Ist meritokratischer
Ein- und Ausschluss okee? Ums mal deutlicher zu sagen: Mir ist Meritokratie
als Mechanismus der Machtverteilung ausgesprochen suspekt, sie hat auch im
Fall der Freien Software expertokratische, vielleicht sogar technokratische
Wurzeln, die mir nicht gefallen. Aber dazu vielleicht mal mehr wannanders.

Hiervor wäre zu klären, was Macht ist und ob sie in der Freien
Software überhaupt nennenswert vorkommt.

Ich habe keine passende Definition, aber ich denke, zwei Phänomene kann
man schon beobachten (wenn wir das nicht "Macht" nennen wollen, können
wir einen anderen Begriff finden, aber ich finde sie jedenfalls bedenkenswert):

- Das MaintainerIn eines Projektes entscheidet normalerweise darüber, in
welche Richtung sich das Projekt entwickelt; wenn es unterschiedliche
Vorschläge zur Weiterentwicklung gibt, hat das MaintainerIn das letzte Wort.

Ja, aber dem sind durch die Freiwilligkeit der Projektmitglieder
(heftige) Grenzen gesetzt. In gewisser Weise muß die MaintainerIn den
volunte general hinkriegen - wenn ich mich recht an meine Schulbildung
erinnere. Kriegt sie es nicht hin, ist sie längste Zeit MaintainerIn
gewesen.

- Den Entscheidungen geht eine öffentliche Diskussion voraus. In dieser
Diskussion haben am meisten Gewicht die Stimmen derjenigen, die am
meisten für das Projekt getan haben, sich also durch ihre Leistungen
ausgezeichnet haben.

Ja. (Anerkannte) Leistung spielt in der Freien Software wohl eine
große Rolle - im Gegensatz zum Kapitalismus würde ich hinzufügen, in
dem leistungsloses Einkommen Ziel der ganzen individuellen
Veranstaltung ist und von einigen wenigen auch erreicht wird. Aus
dieser anerkannten Leistung resultiert so etwas wie Vertrauen,
weswegen die natürliche Autorität (im Gegensatz zur hierarchischen
die, die aufgrund persönlicher Fähigkeiten gewonnen wird) einer Person
steigt.

Zugespitzt würde ich sogar sagen: In der Freien Software lohnt sich
Leistung (endlich) (wieder). Vielleicht hilft diese Zuspitzung ja
weiter?

Natürlich haben diese Strukturen ihre Wurzeln auch z.B. darin, dass die
Mitglieder, die am meisten beigetragen haben, auch am meisten über das
Projekt wissen: Sie können also am besten überblicken, welche
Auswirkungen die Entscheidungen auf das Projekt haben. Trotzdem: Die
Struktur, die Thomas beschreibt, die die Leute nach ihrer Leistung
beurteilt, finde ich sehr wohl erkennbar.

Das streite ich auch nicht ab, aber das war bisher auch nicht der
Punkt. Und BTW: Wie willst du Leute den beurteilen, wenn es um
Sachfragen geht? Nach der Form der Nasenspitze? Ich finde beobachtbare
Leistung da ein ganz naheliegendes Kriterium.

Und ich würde es *intuitiv*
durchaus "Macht" nennen, in einem großen Projekt, das viele Menschen
betrifft, auf die Richtung Einfluss nehmen zu können, in die das Projekt
geht.

"Einfluß" finde ich hier einen guten Begriff, weil der einerseits den
sozialen Prozeß mitumfaßt und andererseits nicht so gewaltförmig ist
wie Macht oder Herrschaft.

Ich meine, ich stelle mir z.B. folgendes Szenario vor: Ein noch
nicht so 'gefestigtes' Mitglied macht einen detaillierten Vorschlag, in
welche Richtung ein Projekt gehen könnte (hat vielleicht schon einiges
an Programmcode dafür geschrieben); die 'etablierten' Mitglieder
sprechen sich gegen den Vorschlag aus; das Vorschlagende ist enttäuscht
(und fühlt sich evtl. dumm, den Vorschlag überhaupt gemacht zu haben).

Na ja, mit Ablehnung umgehen lernen, ist nun mal eine Aufgabe für
jeden Menschen - oder?

Die Entscheidung mag durchaus gerechtfertigt sein; der Punkt ist nur:
das, was da abläuft, ist etwas, wo bestimmte Personen darüber bestimmen,
ob das, was eine andere Person sich ausgedacht hat, Erfolg hat oder
nicht: eine Machtsituation.

Was wäre denn die Alternative? Das, was die anderen *nicht* gut
finden, soll sich durchsetzen? Ist das dann etwa keine Macht?

(Ich bestehe wie gesagt nicht auf "Macht". Findet jemand ein besseres Wort?)

Wie gesagt: Einfluß finde ich gut.

Irgendetwas ist mir an dieser Sache auch suspekt, auf der anderen Seite
finde ich das System in der Praxis aber durchaus gut. Ich bin mir also
im Moment unsicher. Thomas, könntest du mir helfen, indem du etwas
präzisierst, warum genau die Meritokratie suspekt ist und du in einer
GPL-Gesellschaft vielleicht nicht leben möchtest?

Na, daß er da nicht leben möchte, hat er jedenfalls nicht (nochmal?)
unterstrichen ;-) .

3 weeks (25 days) ago Thomas Berker wrote:
Aber zur Sache: Danke, Benja fuer deinen Beitrag. Lass uns doch Stefans
'Einschraenkende Bedingung' statt Macht uebernehmen, das scheint mir
erstmal fuer alles, was du und ich bisher beschrieben haben, zu passen -
auch fuer dein Raumbeispiel aus dem "Maintainership-Konflikte jenseits von
Software" - Threat.

"Einschränkende Bedingung" hat was.

Ja, Stefan, vielleicht wird so ein Schuh daraus.

Habe ich auch das Gefühl :-) . Sowieso finde ich diesen
Long-Time-Thread hier sehr gut :-) .

At 23:12 31.01.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Das Mißverständnis scheint mir jetzt darin zu liegen, einfach *jede*
Form von Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten als Macht zu
bezeichnen. Immerhin gibt es viele Gründe, die Handlungsmöglichkeiten
einschränken können. Bei Freier Software scheint mir die (u.a.
technische) Befähigung und ein gewisses verfügbares
Zeit-/Energiebudget dominant zu sein.

Einverstanden. Ich mach da mal weiter: Wenn wir das Dreieck Zeitbudget
-Technische Expertise - Lust (mit Lust bezeichne ich deine Energie)
wirklich ernst nehmen, dann wird das Hausfrauen-Beispiel aus deiner letzten
Mail fraglich.

1. Zeitbudget:
Es gibt in dieser unserer Gesellschaft so um die drei verschiedenen
Gruende, warum manche mehr freie Zeit haben als andere (und das laesst sich
natuerlich nicht nach Stunden zaehlen, es geht mehr um sowas wie gefuehlte
Zeit, Zeit, die uebrig bleibt, nachdem all das Notwendige - inkl.
Reproduktion = Einkaufen, Putzen, Geschlechtsverkehr - getan ist, irgendsowas):

Das ist ein bißchen in meinem Energiebegriff mit drin.

a) Ganz besondere Privilegiertheit: Der Rentier (nicht das Rentier),
                                                   ^^^^^^^^^^^^^^^^^

Das war ein echter Schenkelklopfer :-) :-) .

diese
aufgeblasenen Typen, die von den laufenden oder zuvor angehaeuften
Einnahmen ihrer Daddies leben. Gibts schon laenger, dafuer aber recht
selten, ist irgenwie irrelevant.

Von Beruf: Sohn. Ja, ist irrelevant.

b) Einige Bereiche dieser Gesellschaft erlauben eng begrenzte aber intern
relativ freie Spielraeume: Allen voran die F&E (Forschung und Entwicklung),
aber vielleicht auch im weiteren Sinne kuenstlerische/kreative
Taetigkeiten. Die Leute da drin zu sehr von aussen zu disziplinieren hat
sich als kontraproduktiv erwiesen. Allerdings sehen wir seit ein paar
Jahrzehnten die Tendenz, dass diese Freiraeume immer selektiver
strukturiert werden. Das heisst innerhalb der sie gewaehrenden
Institutionen, dass nur noch einzelne Bereiche frei sind, andere werden ins
sonst uebliche Korsett raum-zeitlicher Kontrolle ("Sei zum Zeitpunkt X am
Ort Y) gezwungen. Ein Beispiel sind die allfaelligen Masterstudiengaenge,
wo richtige Forschung erst spaeter erwuenscht ist, vorher (also bis zum BA)
ist halt Schule, die bekanntlich die Raum-Zeit-Disziplinierungsmaschine
ueberhaupt ist.
Ob jemand 'freigelassen' wird, hat dann immer viel mit der erfolgreichen
Selbstdisziplinierung zu tun. Ein anderer Mechanismus der Selektion ist der
allgemeine Nutzen in seinem rechenhaftigen Sinne, der sich von den
Produkten der freien Kreativen erhofft wird. Kreativer A kostet zwar mehr,
ermoeglicht aber durch seine Produkte irgendein Surplus, das noch groesser ist.

Dem würde ich zustimmen. Hintergrund ist der zunehmende Ruf nach
Verwertbarkeit. Erleben wir (im Westen) spätestens seit der
Kohl-Wende.

c) Die "unnuetzen" Leute haben auch viel Zeit, von denen will niemand mehr
was, die haben nichts, was jemand wollen koennte. Oder sie haben nur was,
was keiner will.

Zumindest wo es keine zahlungskräftige Nachfrage gibt. Arbeitslose mit
Ausbildung können ja z.B. nicht nichts.

Negativ gewendet beuten die TauschringideologInnen dieses Phänomen
aus, indem sie die zahlungskräftige Nachfrage umdefinieren. Positiv
gewandt müßte es so sein, daß die Menschen auf Selbstentfaltungsbasis
ihre Kenntnisse/Fähigkeiten/Energie einbringen wo sie es für richtig
halten - incl. daraus Selbstwertgefühl beziehen. Aber da sind die
Hürden in den Köppen wohl megahoch :-( :-( .

In unseren Breiten hungern die oft nicht, das ist ja auch
schon mal was.

Definitiv. Hoffen wir, daß es noch möglichst lange so bleibt. Halt
durch Kapitalismus, wir sind noch nicht ganz so weit ;-)-: .

2. Technik:
Die Faehigkeiten, die zur Produktion (freier) Software benoetigt werden,
stehen allesamt in hohem Kurs heutzutage. Alle! Auch das Dokumentieren oder
das Lokalisieren, das immer als Beispiel gebracht wird fuer 'einfachere'
Taetigkeiten. Nach dem Dotcom-Tod wird vielleicht jemand, der/die
Javascripteln kann, schwerer einen Job finden, zumindest sind die Preise
dafuer rapide gesunken. Aber mit 'hoeheren' Programmiersprachen auf dem
Kasten und der Faehigkeit gute technische Dokumentationen, vielleicht sogar
mehrsprachig, zu schreiben, sollte es immer noch ein geringeres Problem
sein, gute Preise zu erzielen. Ganz zu schweigen von den Faehigkeiten, die
einE MaintainerIn hat. 'Erfolgreiches Projektmanagement in virtuellen,
multinationalen Teams', nach jemand, der/die das kann, lecken sich doch
alle miteinander die Finger! Die Leute aus (1a und 1c) haben meist keine
dieser Faehigkeiten.

Bei 1c wäre ich mir da nicht immer so 100% sicher. Hat eine größere
Familie zu managen nicht auch eine Menge mit Projektmanagement zu tun?

Das erfolgreiche Projektmanagement ist eine Grundqualifikation, die  alle
MaintainerInnen aufweisen werden, ergibt sich also insofern nicht aus den
jeweiligen Erfodernissen des je spezifischen Projekts. Aber das ist
eigentlich nicht der Punkt: Wichtiger in diesem Zusammenhang ist mir, dass
es in der FS-Szene einen, sagen wir mal ideologischen Ueberschuss gibt
innerhalb der Definition, was wertvolle Faehig- und Fertigkeiten sind. Der
haelt das Haeuflein zusammen und alle glauben daran. Stimmen tut es deshalb
noch nicht. Ich meine die Fetischisierung bestimmter Technologien als
ueberlegen.

Wo meinst du das zu entdecken? Mir fallen da keine Beispiele ein.
Gegenbeispiele dafür sofort: Der Netzwerk-Code im Linux-Kernel wurde
dreimal neu gemacht - was für alle Betroffenen wenig verlockend war.

Der "one best way", die schoenste oder pfiffigste Loesung eines
Problems existiert einfach nicht.

Wo siehst du denn den "one best way"? Perl z.B. tritt ganz explizit
mit der Devise an: "There are many ways to do it".

Ein Problem zu loesen, ist nicht nur eine
Frage erfolgreichen Tueftelns. Das ist Ingenieursideologie, die auf die
gesamte Gesellschaft angewendet zur Technokratie gerinnt. Wie? Es gibt zu
wenig Raeume? Lasst uns eine pfiffige Loesung finden! Der mit der
pfiffigsten Loesung darf dann gemaess seiner Expertise fuer
Raumverteilungsfragen die Raeume verteilen.

Wait a minute, hier wird's wieder kurzschlüssig. Eine pfiffige Lösung
ist doch erstmal nichts Schlechtes - oder? Die Aufgabenzuweisung, die
du da so munter anschließt ist aber nichts notgedrungenes - oder?

Eine Gesellschaft wirklich
rational zu organisieren halte ich uebrigens nicht fuer das Duemmste.
Aber:
Es ist kein Zufall, dass (auch auf dieser Liste) das Bauen kleiner idealer
Welten auf dem Reissbrett (Utopismus) ein gerne gerittenes Steckenpferd
ist. Wir finden hier haeufig Jungs, die sich zum Oberingenieur einer ganzen
Welt hochtraeumen. Das klingt abschaetziger als es gemeint ist, Spiele
dieser Art koennen als Mittel gegen die Verwalter des Bestehenden sehr
produktiv sein kann. Diese Verwalter leben naemlich u.a. davon, dass sie
unsere, wie sie gerne eingestehen: mangelhafte Welt als die einzig
moegliche stilisieren. Das ist vielleicht sogar der vorherrschende Typus
von (legitimer) Herrschaft, dem wir heute gegenueber stehen. Sachzwaenge
der verwalteten Welt und die sie verwaltenden Ingenieure sind allueberall,
zu einem unangefochtenen Ausmass, das sich ihre Erzkritiker der Frankfurter
Schule nicht vorgestellt haben.

Ja.

Dagegen stehen nun also die kritischen Ingenieure, die bessere Gegenwelten
basteln wollen.

Wollen sie ja nicht. Die meisten wollen einfach nur Freie Software
schreiben und nutzen und möglichst Geld damit verdienen. Wir hier mit
unserem politischen Blick sehen das Ganze als Keimform.

Sie lieben Science Fiction und Rollenspiele, das ist
manchmal mythisch entrueckt, manchmal hochtechnisiert, gerne auch beides
gemeinsam. Wie gesagt, darin steckt ein Potential, das ueber das Bestehende
hinausweist.

Na ja, nicht jedes Aussteigen weist gleich - im emanzipatorischen
Sinne - über das Bestehende hinaus.

Gleichzeitig bleibt es aber erstaunlich gebunden an den
Ingenieursethos der herrschenden Verwalter.

Wie? Die herrschenden Verwalter und Ingenieursethos? Das kann ich aber
gar nicht erkennen. Wo ist denn Schröder auch nur ansatzweise
Ingenieur-like z.B.? Der überlebt doch nur noch als - zugegeben:
bessere - Besetzung der Kanzlerrolle.

Es wäre ja geradezu zu wünschen, daß echtes Ingenieursdenken auch in
der Politik wieder eine Rolle spielen würde. Das wäre wohl das, was
Attac gerne will.

Wenn mit Klauen und Zaehnen die
kleine Linuxwelt als technisch besser (stabiler, freier und ueberhaupt
besser) als die boese Windowswelt verteidigt wird, dann bleibt wirklich nur
noch der Wettbewerb um die "pfiffigere Loesung" unserer Probleme, der Kampf
darum, wer der bessere Ingenieur ist.

Auf einer sachlichen Ebene: Was ist daran falsch?

Und warum kann mensch die politische Ebene nicht auch ingenieur-mäßig
- d.h. für mich vor allem: sachbezogen und kenntnisreich - betrachten?
Auch bei politischen Problemen sind pfiffige Lösungen immer gefragt -
oder? Was wäre die Alternative?

Aber vielleicht noch eine Frage: Was verstehst du denn unter
Ingenieursethos?

Ich verstehe Petras Einwurf "Schön,
dann kann Mann sich ja im hiesigen Kontext der 'Kontrolle' der
Gesellschaftsmaschine zuwenden" in diesem Zusammenhang als Kritik an der
Tendenz, sich als pfiffigerer Ingenieur der Gesellschaftsmaschine zu empfehlen.

Jetzt flieg' ich ganz aus der Kurve. Daß es Leute in der Freien
Software gibt, die damit ihren Marktwert steigern (wollen) ist klar.
Aber um die geht's bei uns ja eigentlich nicht so zentral. Ägypten?

3. Und Lust:
Da steckt die 'Selbstentfaltung' drin, die im Oekonux-Projekt ja eine
wichtige Rolle spielt - und an der ist wirklich etwas dran. Erstmal aber
kann ich mir schwer vorstellen, dass sie sich, wenn Zeit und technische
Befaehigung fehlen,  so schnell einstellt.

Natürlich nicht. Lustempfindung ergibt sich hier aus der erfolgreichen
Anwendung von Fähigkeiten. Wenn entweder die Fähigkeiten oder die Zeit
zur Anwendung derselben fehlt ist's natürlich Essig mit der
Lustempfindung.

Jede Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten als Macht zu bezeichnen,
halte ich aber nicht für sinnvoll, weil dann - wie andernmails
ausgeführt - auch die Naturgesetze, Nichtwissen, etc. Macht haben. Das
kann mensch natürlich so definieren, aber damit verliert mensch halt
jegliche Trennung zwischen /menschlicher) Handlung und anderen
Phänomenen und ich würde Menschen da doch nicht so gerne aus ihrer
Verantwortung entlassen.

Ein Hundsfott, wer das will!

:-)

Festzuhalten bleibt erstmal, dass die Beschraenkungen von
Handlungsmoeglichkeiten innerhalb real existierenden FS-Projekten
keineswegs minimal sind, sich nur um die Grenze der Naturgesetzlichkeiten
herum bewegen oder lediglich aus dem Projekt heraus ergeben.

Ganz ohne Zweifel. Immerhin handelt es sich um eine ziemlich komplexe
und spezialisierte Tätigkeit.

In dem
Schnittpunkt aus den Beschraenkungen 1-3 (Zeit, Technik, Lust, s.o.) finden
wir eine sozial recht gut eingezirkelte Gruppe.

Ja.

Sie ist nicht nur
intrinsisch ueber die Erfordernisse des jeweiligen Projekts bestimmt,
sondern auch ueber externe Zwaenge dieser unserer heutigen Gesellschaften.

Ja.

Aber das ist nicht der Freien Software anzulasten, sondern der
heutigen Gesellschaft, die nicht allen Menschen dieses Planeten diese
Chancen bietet. Und selbst wenn sie sie allen böte, würde die deswegen
noch nicht von allen wahrgenommen.

Wichtig hier: Das ist auch eine Frage persönlicher Entscheidungen, wie
jemensch sein Leben gestalten will. Wer z.B. Kinder will, muß dafür
ein nicht unerhebliches Zeitbudget einplanen. Ob's dann noch für Freie
Software reicht, ist da wohl nicht ohne weiteres klar.

Die These ist ja weiterhin, dass darueber nicht nur Ausschluss aus
FS-Projekten stattfindet, sondern dass auch innerhalb der Projekte
Hierarchisierung genau ueber das Mass an 1-3 bestimmt ist.

Daß Maß an Einfluß ist über 1-3 bestimmt. Hierarchisierung finde ich
hier irreführend.

Meritokratie
("derjenige bestimmt ueber die Richtung des Projekts, wer am meisten dafuer
leistet und das beste" - alles rein intrinsisch) ist die Ideologie, die die
Bedingungen 1-3 verschleiert.

Wieso verschleiert sie die Bedingungen? Verstehe ich nicht. Für mich
sind das einfach zwei, voneinander unabhängige, richtige
Betrachtungsweisen.

Eine sozial eingegrenzte, jederzeit von allen änderbare,
vertrauensbasierte Leistungsbasis ist doch auch erstmal nichts
Schlechtes - oder? Ist halt nicht direkt demokratisch, aber wenn du
das auf politische Prozesse überträgst, hast du über die
Vertrauensbasis und all das andere ja den Konsensprozeß schlechthin -
oder? Wenn ja: Wie könnte es besser / emanzipatorischer gehen?

Zudem traegt sie einen Ueberschuss an
Ingenieursethik mithin Technokratie mit sich herum.

Da müssen wir wohl nochmal drüber mailen.

Dass Revolutionen von relativ privilegierten Gruppen getragen werden, ist
nichts Neues und erstmal nicht prinzipiell schlimm.

Ja. Wobei ich die TrägerInnen der GPL-gesellschaftlichen Umwälzung
momentan noch nicht wirklich erkennen kann.

Dass diese Gruppen ihre
Revolution nach ihrem Geschmack (Beduerfnissen, Interessen,
Wertvorstellungen) modellieren, ueberrascht auch nicht.

Zweifellos. Aber wer die TrägerInnen sind ist da nicht unerheblich.
Weißt du das denn schon?

Die besten Seiten
z.B. der buergerlichen Revolution allerdings sind die, in denen ihre
Traeger sich ihrer Partikularitaet bewusst wurden und die neuen
Ausschluesse und Hierarchien, die sie selbst produziert haben, reflektiert
haben.

Nun, momentan kann ich jedenfalls nicht erkennen, wo das Motto
"entfalte dich selbst" jemenschen ausgrenzt. Da die Selbstentfaltung
der anderen wie einige hier glauben, ja die eigene Selbstentfaltung
begünstigt, gibt es auch ein Interesse aller, die Selbstentfaltung der
anderen zu fördern.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
___________________________
Unread: 114 [ox], 27 [ox-en]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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