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Re: [ox] Re: Macht in der Freien Software




[1  <text/plain; ISO-8859-1 (quoted-printable)>]
Lieber Benni & al.,

das mit der "Macht" ist eine verzwickte Sache, und die "klassischen" 
Definitionen von Max Weber sind da immer noch sehr hilfreich. Foucault hat 
sich letzten Endes auch an Max Weber orientiert, bei Foucault (wenn man etwa 
"Sexualität und Wahrheit", Bd. 1 durchliest) ist der Machtbegriff immer aufs 
Engste mit dem "Willen zum Wissen" (Untertitel der deutschen Ausgabe von 
Sexualität und Wahrheit, Frankfurt 1977) verknüpft: Foucault kritisiert da 
auch die alte "Repressions-Hypothese", wonach der Sex im abendländischen 
Diskurs immer nur unterdrückt und totgeschwiegen worden sei. Nein, sagt er, 
im Gegenteil: es gibt wohl kaum eine Kultur, in der seit dem 18. Jahrhundert 
so pausenlos und so geschwätzig über Sex geredet wurde. Repression habe es 
zwar auch gegeben, aber weit wichtiger seien im Macht-Wissen-Komplex (wobei 
man da natürlich zwangsläufig an den militärisch-industriellen Komplex denken 
muss, und da gibt es deutliche Parallelen) die positiven Wirkungen dieses 
"Komplexes". In dem berühmt-berüchtigten Schlusskapitel von "Sexualität und 
Wahrheit 1" mit dem Titel "Recht über den Tod und Macht zum Leben" (S. 159 
ff.)findet sich das ebenso berühmt gewordene Zitat: "Man könnte sagen, das 
alte Recht, sterben zu machen oder leben zu lassen, wurde abgelöst von einer 
Macht, leben zu machen und in den Tod zu stoßen... Jetzt richtet die Macht 
ihre Zugriffe auf das Leben und  seinen ganzen Ablauf: der Augenblick des 
Todes ist ihre Grenze und entzieht sich ihr." (S. 165) Oder: "Die alte 
Mächtigkeit des Todes, in der sich die Souveränität symbolisierte, wird nun 
überdeckt durch die sorgfältige Verwaltung des Körpers  und die rechnerische 
Planung des Lebens. Im Laufe des klassischen Zeitalters entwickeln sich rasch 
die Disziplinen: Schulen, Internate, Kasernen, Fabriken. Auf dem Felde der 
politischen Praktiken und der ökonomischen Beobachtungen stellen sich die 
Probleme der Geburtenrate, der Lebensdauer, der öffentlichen Gesundheit, der 
Wanderung und Siedlung: verschiedenste Techniken zur Unterwerfung der Körper 
und zur Kontrolle der Bevölkerung schießen aus dem Boden und eröffnen die Ära 
der >Bio-Macht<." (S. 187) Im "Sexualitätsdispositiv" entfaltet diese 
Bio-Macht ihre positiven Wirkungen (positiv im Sinne von "funktionierender 
Sozialtechnik", nicht von wohltuend oder ähnliches! bitte nicht verwechseln!) 
vor allem auf folgenden Gebieten (S. 126 ff.):
- Hysterisierung des weiblichen Körpers
- Pädagogisierung des kindlichen Sexes
-Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens
- Psychiatrisierung der perversen Lust
Das alles nennt Foucault "scientia sexualis" im Gegensatz zur "ars erotica" 
des Orients (S. 67 ff.)
Macht geht also für Foucault "durch die Körper hindurch", ist eine Verkettung 
von Wirkungen und Effekten (in der Einheit von Diskurs und Praktiken, die er 
als "Dispositiv" bezeichnet), die von der Bio-Macht gebündelt, in 
Expertendiskursen zentralisiert und für bestimmte strategische Operationen 
instrumentalisiert wird.
Bei Max Weber gibt es den Unterschied zwischen Macht und Herrschaft. Macht 
ist bei Max Weber einfach nur "die Chance (eines Machthabers), den eigenen 
Willen gegen den Widerstand Anderer durchzusetzen" (steht glaube ich in 
"Wirtschaft und Gesellschaft"). Macht hat also bei ihm immer was 
Willkürliches, "Launisches", tendenziell Tyrannisches an sich. Herrschaft 
hingegen ist "legitime" Macht, d. h. die der legitimen Macht Unterworfenen 
erkennen - aus welchen Gründen auch immer - die legitime Macht als rechtmäßig 
an und der legitime Herrscher ist deshalb nur noch in Ausnahmefällen 
genötigt, seine Macht mit Gewalt durchzusetzen. Die Unterwerfung unter die 
legitime Macht (=Herrschaft) ist i. d. R. also (mehr oder minder) freiwillig.
Ferner unterscheidet Max Weber drei Sorten legitimer Herrschaft, die legale, 
die traditionale und die charismatische. In einem Aufsatz von 1922 "Die drei 
reinen Typen der legitimen Herrschaft" (hier zit. n.: Max Weber, Soziologie - 
Weltgeschichtliche Analysen - Politik, Stuttgart 1956, S. 151 ff, 
Kröner-Verlag) beschreibt er die einzelnen Herrschaftstypen folgendermaßen:
1.) Legale Herrschaft. "Legale Herrschaft kraft Satzung. Reinster Typ ist die 
bürokratische Herrschaft. Grundvorstellung ist: daß beliebiges Recht durch 
formal korrekt gewillkürte Satzung geschaffen und abgeändert werden könne. 
Der Herrschaftsverband ist entweder gewählt oder bestellt, er selbst und all 
seine Teile sind Betriebe.Ein heteronomer und heterokephaler (Teil-)Betrieb 
soll Behörde heißen. Der Verwaltungsstab besteht aus vom Herrn ernannten 
Beamten, die Gehorchenden sind Vereins-Mitglieder (>Bürger<, >Genossen<)." 
(S. 151 f.; die Beschreibung hat zweifellos etwas Satirisches an sich, aber 
das war wohl auch Webers Absicht).
2.) Traditionelle (oder traditionale) Herrschaft. " Traditionelle Herrschaft, 
kraft Glaubens an die Heiligkeit der von jeher vorhandenen Ordnungen und 
Herrengewalten. Reinster Typus ist die patriarchalische Herrschaft. Der 
Herrschaftsverband ist Vergemeinschaftung, der Typus des Befehlenden der >Herr
<, die Gehorchenden sind >Untertanen<, der Verwaltungsstab >Diener<." (S. 154)
3.) Charismatische Herrschaft. "... kraft affektueller Hingabe an die Person 
des Herrn und ihre Gnadengaben (Charisma), insbesondere: Magische 
Fähigkeiten, Offenbarungen oder Heldentum, Macht des Geistes und der Rede. 
Das ewig Neue, Außerwerktägliche, Niedagewesene und die emotionale 
Hingenommenheit dadurch sind hier Quellen persönlicher Hingebung. Reinste 
Typen sind die Herrschaft des Propheten, des Kriegshelden, des großen 
Demagogen. Der Herrschaftsverband ist die Vergemeinschaftung in der Gemeinde 
oder Gefolgschaft. Der Typus des Befehlenden ist der Führer. Der Typus des 
Gehorchenden ist der >Jünger<." (S. 159)

Ich wollte mit diesen Definitionen nur den Begriffsnebel etwas lichten, weil 
Macht und Herrschaft immer durcheinandergeworfen werden. Welche Form man in 
einer GPL-Gesellschaft bevorzugen würde oder in einer "Freien Kooperation" - 
wohl keine davon. Aber diese Formen von Macht und Herrschaft sind die, die 
wir kennen und die wir gewöhnt sind. Wie man in einer Freien Gesellschaft den 
"Einfluss auf Andere" regeln soll, ohne auf die oben erwähnten Formen 
zurückgreifen zu müssen - das ist eben die Frage.
 
Wünsche allseits "guten Rutsch".

Kurt-Werner Pörtner
 
[2  <text/html; ISO-8859-1 (quoted-printable)>]

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Organisation: projekt oekonux.de


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