Re: [ox] Rundschauartikel
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Tue, 04 Dec 2001 11:13:55 +0100 (CET)
Zitiere Benni Bärmann <benni obda.de>:
In der Frankfurter Rundschau von heute findet sich ein Artikel zu
unserem Thema. "Open Theory" und die WOS wird auch erwähnt, Oekonux
selbst allerdings nicht. Der Artikel ist zwar gut gemeint, strotzt
aber vor Fehlern und Mißverständnissen:
Allerdings. Insbesondere ist doch die Grundaussage im letzten Absatz als
Begründung für die Behauptung in der Unter-Überschrift ist doch einfach Quatsch,
oder? Die Frage, die der Autor aufwirft, ist aber trotzdem interessant: Was
haben Urheber unter Verwertungsbedingungen von Freien Lizenzen?
Trotzdem bin ich für aufheben, deswegen poste ich den Artikel mal hier
(verstösst so ein Mailinglisten-Archiv eigentlich gegen das Urheberrecht?),
falls er bei der FR nicht mehr find-/linkbar ist:
http://www.frankfurter-rundschau.de/fr/200/t200002.htm
Das Modell Linux macht Schule
Freie Lizenzen, wie sie die Softwarebranche entwickelt hat, könnten auch
Künstlern und Autoren helfen
Von Michael Charlier
Die moderne Industriegesellschaft begann - unter anderem - damit, dass Menschen,
die über entsprechende Machtmittel verfügten, die früher allen zur Nutzung offen
stehenden Allmende (Commons) einzäunten und zum Privatbesitz erklärten. Das half
den Landlords, Reichtümer anzusammeln, mit denen sie Manufakturen und Fabriken
aufbauten - und machte die armen Bauern noch ärmer, so dass ihnen wenig anderes
übrig blieb, als sich als Arbeiter in diesen Fabriken zu verdingen. Dafür
bekamen sie einen damals überaus kargen Lohn - alles, was in den Fabriken
produzierte wurde, gehörte den Fabrikanten.
Das ist lange vorbei - wirklich ? In der entstehenden Wissensgesellschaft gibt
es einen beunruhigend ähnlich erscheinenden Vorgang: Fabrikanten beanspruchen
das Eigentum an dem in ihren Unternehmen produzierten Wissen. Die
Digitaltechnik, vor allem das Internet, hat neue Elemente in den Streit
gebracht. Einerseits ermöglicht sie in großem Maßstab originalidentische Kopien,
was - siehe Napster alt - durchaus zu Problemen für die Urheber führen kann.
Andererseits gibt sie Herstellern und Vertreibern Mittel an die Hand, nicht nur
das Eigentum, sondern auch die Nutzung zu kontrollieren - etwa mit der
Aktivierung von Windows XP, oder wenn das künftige Napster-Format Dateien
liefert, die nur noch begrenzt abgespielt werden können. So, wie wir es von den
Ländercodes auf Spielfilm-DVDs schon gewohnt sind. Dann verlieren Käufer und
Nutzer Rechte, die ihnen bisher zustehen.
Autoren als den eigentlichen Urhebern geht es selten besser. Besonders betroffen
sind Lieferanten mancher Zeitungen und Zeitschriften. Viele Verlage höhlen das
unveräußerliche Urheberrecht mit ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus.
Wolfgang Schimmel von der Rechtsabteilung der Gewerkschaft ver.di erklärt:
"Solche AGBs sehen in enger Analogie zum amerikanischen Copyright vor, dass der
Autor gegen einmalige Honorarzahlung selbst auf buchstäblich alle Rechte
verzichtet, während der Verlag sich ein umfassendes und teilweise sogar
exklusives Nutzungsrecht reserviert - einschließlich des Rechts zur Veränderung
des Texts, zur Einstellung auf Websites, zur Aufnahme auf CD-ROMs, zum
Weiterverkauf an Contentverwerter und vieles mehr."
Die Softwareschreiber sahen solche Entwicklungen schon früh. Deshalb schufen sie
Mitte der 80er Jahre eine Bewegung für Freie Software, die einen Mechanismus
entwickelt hat, der verhindert, dass andere sich die eigene Arbeitsleistung
aneignen oder Nutzungsrechte beschränken. Herz der Bewegung ist die General
Public License (GPL). Sie lässt sich in drei Punkten zusammenfassen: Die
Software selbst wird nicht verkauft, sondern ist frei - abgesehen von einer
Kostenerstattung für den Vertrieb. Software wird mit ihrem Quelltext geliefert,
so dass erfahrene Anwender sehen, womit sie es zu tun haben. Und: Jeder darf die
Software weitergeben und weiterentwickeln - solange die Quelle genannt und das
Ergebnis wieder unter die Lizenz gestellt wird. Jeder andere Gebrauch ist
untersagt.
Die Lizenz gibt allen, die sie übernehmen, die Möglichkeit, wieder ein Stück von
der alten Allmende herzustellen. Sie sichert das geistige Eigentum insoweit, als
sie die Urheberschaft nachweist und eine Verfügung über das Nutzungsrecht
vornimmt. So verhindert die GPL, dass jemand sich ein Stück der veröffentlichten
Software als Privatbesitz einzäunt. Gleichzeitig eröffnet sie Freiräume: Nutzung
und Weiterentwicklung stehen offen. Der Erfolg von Linux hat gezeigt, dass so
etwas funktionieren kann, und deshalb wird immer wieder, wie jüngst auf der
Konferenz "Wizards of OS", darüber nachgedacht, ob und wie man das Modell auf
andere Bereiche übertragen kann.
Für wissenschaftliche Texte sind die Bemühungen weit vorangekommen - es entsteht
eine Public Library of Science (PLoS) mit einer eigenen Lizenz, die eines Tages
vielleicht die gleiche Bedeutung gewinnen könnte wie die GPL für Software. So
weit sind Musiker noch nicht, die sich von der Vermarktung ihrer Arbeit durch
die Industrie befreien und ihre Stücke lieber als "Open Music" zu eigenen
Bedingungen in Umlauf bringen wollen. Und bei den vielerlei Verfassern von
Texten literarischer, journalistischer oder lehrreicher Art tut sich erst wenig.
Das hat seine Gründe. Software und Texte sind nun mal sehr verschieden - auch
wenn das in aktuellen Wissenschaftsmoden gerne bestritten wird. Geschriebenes,
das über technische Dokumentationen hinausgeht, lässt sich nicht so ohne
weiteres in Module auflösen, die einzeln getestet, weiterentwickelt oder ersetzt
werden können. Allerdings entstehen in den immer zahlreicher werdenden
Web-Magazinen tatsächlich zunehmend Texte, die nicht nur inhaltlich hochwertigen
Content bieten, sondern ihn auch noch in eine annähernd modulare Form bringen.
Sie könnten durchaus zur Grundlage weiterer Bearbeitung und Fortschreibung
dienen - wenn klare rechtliche Vorgaben verhindern, dass Contenträuber sich
aneignen, was ihnen nicht gehört.
Ansätze dazu gibt es. Eher juristisch angelegt sind die GNU-Free Documentation
Lizense und die Open Content-Bewegung oder hochgradig politisch argumentierende
wie Open Theory. Ihr gemeinsames Ziel besteht darin, die Urheberschaft und das
Urheberrecht derjenigen zu sichern, die wirklich Besitzer des "Intellectual
Property" sind - der Schreiber. Gleichzeitig stellt sie klar, dass jeder die
Texte verwenden kann, solange er sich an bestimmte Regeln hält. Übernommene
Texte müssen gekennzeichnet und dürfen kommerziell verwendet werden. Auch die
veränderten Werke stehen unter der offenen Lizenz.
Gelänge es, sich auf eine eindeutige und leicht handhabbare Regelung zu einigen,
wären eine Menge Probleme gelöst, die jetzt die lockere Kooperation von
Schreibern im Internet erschweren. Niemand mehr müsste auf den Gedanken kommen
zu fragen, ob ein Link erlaubt ist. Auch Deep-Linking wäre kein Problem - wo es
um Inhalte geht, sollen Verweise schließlich dorthin zeigen, wo es der
Zusammenhang verlangt, und nicht auf irgendwelche Eingangsseiten. Selbst
Inline-Links (die Fremde Inhalte in das eigene Layout integrieren) oder die
Spiegelung von Seiten, deren Erreichbarkeit auf dem Server des Urhebers nicht
gesichert ist, kämen aus der Grauzone.
Und auch das wäre explizit klargestellt: dass unter GPL ins Netz gerückte
Inhalte kommerziell nur mit einer Vereinbarung genutzt werden dürfen - gegen
angemessenes Honorar, versteht sich.
Weitere Informationen
Wissens-Allmende:
www.mikro.org/Events/OS/interface5/wissens-almende.html#_1_2
Bewegung für Freie Software: www.gnu.org/fsf/fsf.html
GNU-Lizenzen: www.gnu.org/copyleft/gpl.html
Wizards of OS: wizards-of-os.org
Public Library of science: www.publiclibraryofscience.org
Open Music: www.heise.de/tp/deutsch/special/wos/9811/1.html
Open Content: www.opencontent.org/openpub/
Open Theory: www.opentheory.org
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Dokument erstellt am 03.12.2001 um 21:09:24 Uhr
Erscheinungsdatum 04.12.2001
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