Re: [ox] Re: Die unsichtbare Flosse der Freien Software
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Tue, 04 Dec 2001 10:54:36 +0100 (CET)
Hallo Spätaufsteher,
Zitiere Benni Bärmann <benni obda.de>:
Hallo Frühaufsteher,
ob nun eine Hand, ein Flügel, oder eine Flosse.
Allen gemeinsam und anscheinend unverzichtbar
ist wohl die Unsichtbarkeit - diese Automatik.
Ob wir die hinter unserem Rücken dulden sollten?
Ja, willst du über _alles_ immer nachdenken müssen?
Nicht müssen, aber können!
Ack.
Das eigentlich perverse ist doch, dass es sich bei dem unsichtbaren
Mechanismus eben gerade _nicht_ um "Hände" handelt, also nicht um
einen personal hergestellten gesellschaftlichen Zusammenhang,
sondern um einen abstrakten. Und dieser Mechanismus kontrolliert
uns, anstatt dass wir ihn kontrollieren (könnten).
Vielleicht hilft ja eine Analogie aus der Freien Software weiter: Auch
wenn ich konkret nicht jede Zeile Quelltext, der auf meinem Computer
installiert ist, überprüfen kann, so kann ich doch davon ausgehen, dass
im Großen und Ganzen alles mit rechten Dingen zugeht - eben weil die
Information im Prinzip zugreifbar ist und es genügend Leute gibt, die
sich mit jeweils kleinen Teilen des Codes beschäftigen.
Sehr gute Analogie, genau so! Das schafft Vertrauen.
Analog funktioniert auch Wissenschaft: Auch ohne jedes jemals gemachte
Experiment selbst gemacht zu haben kann ich dennoch ein gewisses
Vertrauen in den Erkenntnisprozeß als Ganzes gewinnen. Solcher Art
könnte der "unsichtbare Flügel" sein.
Da bin ich skeptischer: immer weniger, weil Wissenschaft immer weniger
"öffentliche Infrastruktur" ist, sondern verwertungsförnig zugerichtet wird. Das
Vertrauen in Wissenschaft schwindet ja auch eher.
Nur: Reicht das wirklich? Vielleicht liegt ja in diesem Mechanismus
selbst schon wieder eine Einschränkung? Es gibt ja z.B.
Wissenschaftskritik, die in die Richtung geht, oder?
Da weiss ich nicht, welche du meinst. Die, die ich kenne, kritisiert das blinde
Verlassen auf die Nützlichkeit, der in freier Wissenschaft gewonnenen
Erkenntnisse. Kritisiert wird die scheinbare "Neutralität" der dinglichen Seite
der Produktivkraftentwicklung und damit des wissenschaftlichen
Erkenntnisprozesses. Längeres Thema.
Was ich übrigens nicht ganz verstehe in obigem Zusammenhang ist der
Unterschied, den Du, Stefan, zwischen "unsichtbar" und "abstrakt"
machst.
Das wäre btw. auch für die "FK++" interessant, deswegen frag ich nach.
Diese Unterscheidung habe ich intuitiv gemacht. Jetzt bei deiner Nachfrage denke
ich, dass sie auch Sinn macht: Das Problem ist nicht die Tatsache, dass sich die
Vergesellschaftung hinter unserem Rücken vollzieht und damit unsichtbar ist. Das
Problem ist, dass es sich dabei nicht um einen personalen Zusammensammenhang
handelt, der dann auch interventionsfähig ist (wie die FS), sondern um einen
sachlichen (abstrakten, nämlich den von Tauschwerten), der fast nicht
interventionsfähig ist. "Fast" deswegen, weil es natürlich hier und da was zu
"regulieren" gibt, aber der Grundcharakter, nämlich das sich das Zusammenleben
der Menschen nach der Bewegung von Sachen (Waren/Werten) richtet, kann nicht
angetastet werden.
Es ist eine Frage des Vertrauens: Vertraue ich in die Eigenlogik der Bewegung
von Sachen (Waren/Werten) oder die der Bewegung von Menschen? Weil ersteres
dominant ist und grauenvolle soziale Bedingungen und Beziehungen herstellt, dies
aber "verblendeterweise" personalisierend auf die Unzulänglichkeit der Menschen
selbst zurückgeführt wird, kann sich fast niemand vorstellen, wie die Menschen
wohlmöglich in freier Vereinbarung selbstorganisiert ihre Angelegenheiten regeln
sollten. Es herrscht geradezu eine panische Angst, von der Selbstbewegung der
Sachen _nicht_ mehr an die Hand genommen zu werden. Schlimmer als der
Warenfetisch, so erscheint es, ist gar kein Fetisch.
Was ist der Fetisch der Freien Software?
Oder hat sie keinen, weil sie keinen mehr braucht?
Ciao,
Stefan
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