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Re: [ox] On Conflict and Consensus



Hi Stefan und alle!

Puh. Schwieriges Thema, wir sind weit auseinander und das am Freitag
Spätnachmittag. Ich werde es aber trotzdem mal versuchen.

Ich zitiere mal großzügig, um die diffizilen Fäden halbwegs verortbar
zu halten.

Last week (12 days ago) Stefan Meretz wrote:
Stefan Merten wrote:
Heute finde ich den Text nicht mehr so spannend. Mir ist nicht klar,
in welcher Weise ihn du als alternativ zur FK setzt. Ich habe dich
jedenfalls so verstanden: Die FK produziert "Krieg", dabei gibt es
doch Konsens-Verfahren - so etwa?

Ja, so etwa.

Vielleicht ist das ein bißchen Äpfel mit Birnen verglichen - weil die
Freie Kooperation ja nichts über günstige Vorgehensweisen *innerhalb*
einer Kooperation sagt, während Konsens*verfahren* sich in erster
Linie darauf beziehen. Allerdings meine ich ja, daß die Drohungen, die
die Freie Kooperation ans Ende einer solchen Kooperation setzt, bzw.
das ganze Verhalten daß die Freie Kooperation nahelegt, zu ungünstigen
Vorgehensweisen führt.

Zu diesem Schluss kann ich genauso beim Konsensverfahren kommen - ich
muss mir nur entsprechende Szenarien ausdenken.

Definitiv nicht. Eine einfache Kurzdefinition für Konsens haben wir in
der Libertären Gruppe vor x Jahren mal so formuliert:

      Konsens ist erreicht, wenn keineR mehr widersprechen muß.

Einer Drohung muß ein freier Mensch aber immer widersprechen, wenn er
frei bleiben will. Drohung geht also in Konsensprozessen schon mal
nicht.

Ich verwende diesen einfachen Satz mal weiter als Meßlatte für den
Konsensbegriff, weil ich das Gefühl habe, daß wir da über *sehr*
verschiedene verfügen.

Vielleicht so: Die Freie Kooperation konstruiert die Menschen als
(Geld-)Monaden indem sie über den Scheidungspreis die Teilbarkeit und
die Zurechenbarkeit unabdingbar macht. Durch das individuelle
Verpissen bei gleichzeitiger Androhung der Zerstörung der Kooperation
wird das Partialinteresse der Menschen gefördert. Ja, wer in der
Freien Kooperation nicht auf die eine oder andere Weise seine
Schäfchen ins Trockene bringt, ist jederzeit existentiell bedroht.
Dies sagt sie natürlich nicht explizit, aber das ist das Ergebnis, auf
das du nun wirklich nicht viele Gedanken verwenden mußt.

Das ist so ein Szenario. Das hat aber IMHO mit der FK-Theorie nicht viel
zu tun, sondern mit der allgegenwärtigen Vergesellschaftungslogik.
Dieses unhinterfragte Dritte, diese Kritik teile ich, wird von der FK
nicht gesehen. Aber eben auch nicht von den Konsensverfahren.

Ja, Konsensverfahren ersetzen Wertkritik (z.B.) keinesfalls. Das habe
ich auch nie behauptet. Im Extremfall wäre sogar ein konsensuelles
KZ-Wächter-Kollektiv denkbar.

Konsens als politische Globalforderung wird erst dann mächtig, wenn du
Konsens als Hegemonialverfahren forderst. Das tue ich BTW.

Ich schenke mir mal weitere Kommentare zu diesem Komplex.

Konsensverfahren beschreiben dagegen, wie es gelingen kann, einen
kollektiven Prozeß in Gang zu setzen, bei dem sowohl die Freiheit der
Individuen als auch die Freiheit des Kollektivs maximal ermöglicht
sind. Entscheidende Größe dafür ist nach meinem Empfinden die
Wahrnehmung von Verantwortlichkeit der beiden Entitäten.

Das hat viel mit Freiheit und mit Selbstentfaltung zu tun.
Verantwortung hört sich für Leute, die in der Trotzphase stecken
geblieben sind, aber nicht so schrecklich attraktiv an :-( . Und es
hat auch was mit (freiwilliger) Bindung zu tun - noch etwas, was für
Frei-Kooperative sakrosankt ist.

Die freiwillige Verantwortung, auf die du schon öfter rekurriert hast,
hat in deiner Argumentation die Stellung des "Rausgehen-Könnens" in der
FK. Es ist sozusagen die andere Seite der Münze (sic!;-)).

Nein. Das Rausgehen-Können ist nur ein Teilaspekt von freiwilliger
Verantwortung. Freiwillige Verantwortung umfaßt aber mehr -
insbesondere auch beim Drinbleiben. Rausgehen ist eine kindische
Reaktion - kennen wir alle. Als Erwachsene sollten wir aber auch die
(innere) Handlungsmöglichkeit haben, drin zu bleiben, präsent zu sein.

Freiwillige
Bindung und Verantwortung sind doch genau die gleichen
kritisierenswerten leeren Bezugnahmen auf eben das unsichtbare Dritte
(das real-abstrakte "Sollen").

Nein. Zwischen Freiwilligkeit und real-abstraktem oder sonstwelchem
Sollen besteht für mich ein wahrnehmbarer Unterschied. Ich kann mich
irgendeinem "Sollen" freiwillig anpassen - aber freiwillig kann ich es
auch lassen und wenn ich tausendmal soll.

Stell dir das Konsensverfahren in einer Alternativklitsche vor. Alle
sind wild entschlossen, die Regel des Konsensverfahren anzuwenden und
eine entsprechende Kultur zu befördern. Alle wollen einen "kollektiven
Prozeß in Gang ... setzen, bei dem sowohl die Freiheit der Individuen
als auch die Freiheit des Kollektivs maximal ermöglicht" wird. Das ist
bestimmt tausendfach, na ja, sagen wir: hundertfach, passiert. Nun ist
da aber leider, leider der Markt. Der diktiert die Preise, na und so
weiter.

Anstatt Markt kannst du auch irgendeine andere externe Quelle von
Sachverhalten nehmen. Z.B. Natur kann das auch sein.

Jetzt darf das Kollektiv konsensuell und verantwortungsvoll
beschliessen, dass es leider, leider auf Mitarbeiter verzichten muss.
Oder eben alle auf Knete. Usw. -

Hier müssen wir genauer hinsehen, da hier die Methode der
Entscheidungsfindung auch die Qualität der Entscheidung beeinflußt -
wie die Art und Weise ihrer Produktion die Qualität von Freier
Software.

Da ein Konsensverfahren sich um zumindest die allgemeine
Nicht-Ablehnung einer Entscheidung bemüht, werden (erfahrungsgemäß)
mehr Möglichkeiten gedanklich probiert und die Entscheidung wird
(erfahrungsgemäß) besser als bei anderen (mir bekannten)
Entscheidungsverfahren. D.h. die Wahrscheinlichkeit, daß in einer
schwierigen Situation eine von allen vertretbare Entscheidung gefunden
wird, ist sehr viel höher, als bei anderen Verfahren.

Daß schwierige Probleme auch unangenehme Lösungen haben können, ist
aber nun mal so - so ist die Welt. Wenn nach reiflicher Überlegung das
gemeinsame Ziel nur durch schmerzhafte Schnitte erreicht werden kann,
dann müssen die eben durchgeführt werden. Weh tut's bei schwierigen
Problemen immer - das ist eine Eigenschaft des Problems und nicht des
Verfahrens der Entscheidungsfindung.

Die emanzipatorische Frage wäre auch hier wieder, wie das Leiden
minimiert werden kann und ein Prozeß, an dessen Ende keineR mehr
widersprechen muß, scheint mir da einfach die beste denkbare Lösung.

Das meine ich mit inhaltlich "neutral".

Ja. Gegen die Wertvergesellschaftung ist Konsens zunächst mal
inhaltlich neutral.

Allerdings nicht mehr, wenn der Geist mitgedacht wird, denn der
befördert freie Menschen und Selbstentfaltung - und freie Menschen /
Selbstentfaltung und Wertvergesellschaftung sind wie wir wissen
letztlich unversöhnlich.

Verantwortung kommt bei der Freien Kooperation indirekt nur insofern
vor, als daß die Monade im eigenen Interesse ihren Partialinteressen
maximal nachgehen sollte. Kollektive Verantwortung bleibt der Monade
fremd und sobald das Kosten-Nutzen-Kalkül in die negative Richtung
ausschlägt, ist die Monade zu Gewalteinsatz berechtigt wenn nicht
sogar aufgerufen. Dies unterscheidet sich vom liberalen Modell nur
dadurch, daß im Liberalismus der Staat als letzte Grenze der
Partialinteressen konstruiert wird. In einer Gesellschaft, in der der
Krieg aller gegen alle Programm ist, halte ich das nach wie vor für
eine Notwendigkeit - ja, mit sakrosankten Regeln. (BTW: *Wirklich*
sakrosankt sind nur die Naturgesetze. Alles andere kann und wird
verändert - halt nicht völlig spontan jederzeit, überall und völlig
willkürlich.)

Mir kommt es so vor, als ob die "kollektive Verantwortung" hier als
Gegenbegriff zu "Partialinteresse" verwendest.

Nicht als Gegenbegriff. Vielleicht mehr so Richtung Synthese. Aber ich
hab's auch noch nicht klar.

Die
Wertvergesellschaftung kennt aber kollektive Verantwortung nur als
"gemeinsame Partialinteressen". Das sind die berühmten sog.
Win-Win-Konstellationen, bei denen das Loose-Ende einfach unterschlagen
wird.

Darauf gehe ich jetzt nicht ein, weil mich das in diesem Rahmen nicht
interessiert. Aber da hätte ich auch noch Klärungsbedarf.

Ich teile ja deine Befürchtungen. Keine organisatorischen Tricks
garantieren irgendwas. Das gilt für FK wie für die Konsenskiste.

Na ja, "Keiner muß mehr widersprechen" ist aber schon ein bißchen mehr
als ein organisatorischer Trick.

Meine Beobachtung ist: Solche Verfahren retten die jeweiligen
Kooperationen ggf. vor dem Absaufen oder Zusammenbrechen (habe ich
live in über zweijähriger Arbeit, ja Arbeit, in meiner Abteilung
erlebt); die tägliche Arbeit wird gut unterstützt; mit einem
bestimmten Toolset in der Hand klappen bestimmte Prozesse einfach
besser. Unbestritten.

Na ja, purer Technikeinsatz ist halt immer so eine Sache. Wenn der
dahinterliegende Geist nicht mit eingesetzt wird, dann nutzt die beste
Technik nur begrenzt was - jedenfalls bei sozialen Systemen.

Uhh, der Geist. Der steht im Zweifel auf der Seite des Wertfetischs.

Welcher? Der emanzipatorische Geist steht auf meiner und auf deiner
Seite und auf der, des Rests der Menschheit :-) .

Aber sie klappen nicht wirklich gut. Meine These ist: Sie klappen nur
weniger schlecht. Damit sind wir oft schon ganz zufrieden: Wenn die
Leute das, was sie tun sollen, damit weniger widerwillig und weniger
"unkooperativ" auch tun, werden die Moderatoren (so hiessen sie bei
HBV), die das Glück (die Technik) bringen, sehr verehrt.

Technik kann emanzipative Prozesse begünstigen oder behindern -
deswegen ist das nicht beliebig und deswegen meine Kritik an der
Freien Kooperation. Aber die Technik alleine macht's nicht - weder bei
Konsensverfahren noch bei der Freien Kooperation. In beiden Fällen
sind leicht Szenarien denkbar, in denen die Techniken funktionieren
bzw. nicht funktionieren - das geht immer. Entscheidend ist die Frage,
welche Dynamiken begünstigt werden.

Ok, da sind wie einer Meinung.

Gut. Das finde ich auch deswegen wichtig, weil dann die Praxis eine
wichtige Rolle spielt, denn letztlich kannst du Dynamiken nur in der
Praxis real sehen.

Und da bin ich immer noch der (erfahrungsgestützten) Meinung,
daß Konsensverfahren *wesentlich* mehr zu bieten haben.

Gut, prima, die eigenen Erfahrungen sind wichtig. Aber erkläre deine
Erfahrungen nicht zum ultimativen Massstab.

Na, wenn "ich immer noch der Meinung" bin, dann ist das wohl kaum ein
ultimativer Maßstab :-) .

Ich habe andere Erfahrungen gemacht: Konsensverfahren als sehr coole
Mittel, um seine Partialinteressen besonders raffiniert durchzusetzen
und gleichzeitig jede offene Auseinandersetzung zu verhindern.

Na, da hast du dich aber kräftig verarschen lassen. Verstehe ich
ehrlich gesagt nicht: Du glaubst ja auch nicht an eine Revolution nach
deinem Begriff, nur weil irgendein Werbespot dieselbe gerade ausruft.
Oder an ein demokratisches Deutschland, nur weil dieses Land angeblich
eine Demokratie sei - oder, oder, oder... Am Ende ist der
Atom"konsens" noch ein Konsens oder was?

Nimm die obige Meßlatte und du wirst sehen, daß du plain and simple
Opfer von Herrschaftsmitteln geworden bist - so wie du es auch
wahrgenommen hast. Oder hättest du oder andere da nicht widersprechen
müssen? Hört sich für mich so an, als hättet ihr sogar laut
aufschreien müssen...

Wenn du dich auf ein solche Technik einläßt, dann solltest du
allerdings im eigenen Interesse wenigstens am Anfang versuchen, die
Empfehlungen zu berücksichtigen, zu denen die Erfahrungen vieler Leute
geronnen sind. Wenn du eigene Erfahrung hast und ein Gefühl für den
Prozeß, dann kannst, ja solltest du nach meiner Erfahrung natürlich
Anpassungen vornehmen. Solche Dinge kommen ja auch immer sehr auf die
Gegebenheiten wie z.B. die Zusammensetzung der Gruppe und deren
Erfahrungsstand an.

Das ist klar.

Gut. Und auch das ist wichtig: Konsensverfahren sind so gesehen dann
nämlich auch keine sakrosankten Regeln. Sie sind nur erfahrungsgemäß
sinnvolle Regeln.

- es hat das isolierte bürgerliche Individuum zur Grundlage

Woraus schließt du das?

Es hat wie FK keinen Begriff von der gesellschaftlichen Natur des
Menschen. Individuum und Kollektiv erscheinen deswegen stets als
logische Gegensätze (s.u.), was aus der Annahme des (apriori
ungesellschaftlichen) bürgerlichen Individuums resultiert.

Hmm... Vielleicht ist es so, daß wir mit unserer bürgerlich
vorgeprägten Sicht das so sehen, es in Wirklichkeit sich aber beim
Konsens schon um die Synthese dieses Widerspruchs handelt. So etwas
ähnliches hatte ich andernmails ja schon mal anformuliert.

- es ist ein Schönwetterverfahren, was aber, wenn es kracht

Darüber gehen doch Konsensverfahren überhaupt: Wie kann ich möglichst
gewaltarm (und d.h. für mich: emanzipatorisch) mit Konflikten umgehen.
Verstehe ich nicht diesen Einwand.

Ich verstehe nicht, was du nicht verstehst. Es geht nicht um Konflikte
jenseits des Konsensprozesses, sondern nur innerhalb.

Für Konflikte innerhalb des Konsensprozesses gilt wie für alles, daß
"keineR mehr widersprechen muß". D.h. auch und gerade für
Schlechtwetterperioden ist Konsens wichtig - also gerade kein
Schönwetterverfahren.

- was ist, wenn die Herrschenden, die Tools nutzen (und das tun sie)

Die richtigen Dynamiken werden auch dann in Gang gesetzt und Leute
können für sich eine positive Erfahrung machen, die sie in
selbstentfaltete Prozesse einbringen können. Und wenn du *wirklich*
Konsensverfahren im Betrieb benutzt, dann kommen da schon auch andere
- - und bessere! - Ergebnisse raus als im Kommandoverfahren. Sowohl im
Produkt als auch in den Köpfen. Wir sollten froh sein, daß die
Herrschenden uns den Gefallen tun, und in ihrem Herrschaftsbereich mit
diesem - für sie - Feuer spielen.

Also, das finde ich sehr übertrieben - das klingt wie der Optimismus der
frühen Achtziger Jahre als viele dachten, dass die Kapitalisten sich mit
den neuen flachen Hierarchien etc. einen antikapitalistischen Floh ins
Ohr setzen. Es ist kein "Feuer", es kann als ein nettes, elegantes
Kollektiv-Formierungsverfahren im harten Wettbewerb genutzt werden. Ich
bin ja trotzdem dafür, lieber das als z.B. dysfunktionale Hierarchien
einzusetzen - nur bitte keine Illusionen.

Ich habe da keine Illusionen - nun wirklich nicht.

Aber dennoch werden da - im günstigen Fall - Kulturtechniken
vermittelt, von denen ich glaube, daß wir sie in einer
GPL-Gesellschaft brauchen werden. Verantwortung für sich und ggf. auch
im Rahmen eines Kollektivs zu übernehmen ist m.E. z.B. eine
Schlüsselfähigkeit. In den Hierarchien wird das den Leuten konsequent
ausgetrieben - in hierarchiearmen Zonen können es Leute zumindest
ausprobieren.

Aber wie gesagt: Klappt alles nur wirklich gut, wenn der Geist
mitkommt. Wenn das von außen (d.h.: Geschäftsleitung) aufgedrückt
wird, dann sind das natürlich keine guten Voraussetzungen, denn auch
die MitarbeiterInnen müssen das ja erstmal für sich als positiv
erkennen - was schon wegen der Verantwortungsdinge für viele nicht
einfach ist.

Die Verantwortung für die Verwertung nur immer mehr selbst zu
übernehmen, die eigene Selbstverwertung mehr und mehr selbst zu
organisieren, ist in der Tat für viele nicht einfach. Deswegen springen
hier nur allzuoft die Gewerkschaften bei, die dem "doofen" Management
beibringen "müssen", wie man solche Prozesse richtig zu organisieren
hat, weil sonst doch die Akzeptanz flöten geht. Richtig stolz auf diese
Leistung waren die Betriebsräte, die mir das erzählten, so richtig mit
dem Pathos der "historischen Mission". Ich dachte, ich bin im falschen
Film...

Ja, so sind sie halt die Keimformen, die noch im Alten eingebettet
sind...

Autocracy can work, but the idea of a benevolent dictator is just a
dream. We believe that it is inherently better to involve every
person who is affected by the decision in the decisionmaking process.

Interessanterweise wird ja für die FS oft von "gütigem Diktator"
gesprochen. Und der steht dort ja überhaupt nicht im Gegensatz zum
Einbringen eines jeden in den Prozess.

Momang. Dort steht "involve every person who is affected by the
decision in the *decisionmaking process*". Das ist nicht dasselbe wie
sich allgemein in einen Prozeß einbringen.

Schon klar. Der Gegensatz, der im Zitat formuliert ist, besteht trotzdem
nicht.

Ich verliere den Faden ein wenig. Weil es aber wichtig zu sein
scheint, lasse ich es mal drin. Kannst du nochmal formulieren, was du
da denkst?

Allerdings wird einE gütigeR DiktatorIn das implizit tun - jedenfalls
in der Freien Software. Schlicht weil ihr sonst die Leute weglaufen.

Witzig, du denkst gerade fk-logisch. Nur btw;-)

*Nein*, verdammt nochmal :-( ! Nicht jedes x-beliebige Weggehen ist
Freie Kooperation! Wenn's das ist, dann lebst du schon da drin - wo
kannst du denn konkret nicht gehen wenn dir danach ist? Die
Scheidungspreisforderung und die Ignoranz gegen alle Regeln macht's
doch erst!

Und in der Freien Software kann bei der Trennung niemensch z.B. das
Einkommen des sich als schlecht erweisenden Diktators fordern. In der
Freien Kooperation geht das aber - und ist überdies naheliegend. Du
hast das Recht dich auf Kosten anderer maximal zu bereichern - und du
solltest es nutzen, weil du sonst den Kürzeren ziehst. Das wäre die
Realität - jenseits allen Vertretbarkeitsgefasels, das die Freie
Kooperation als Ausfluß genau des externen Dritten herbeifabuliert,
das sie in Form sakrosankter Regeln so gerne abschaffen will.

Wahrscheinlich muß jede Führungsaufgabe, die nicht mit Machtmitteln
über die Personen ausgestattet ist, so funktionieren.

Das macht schon Sinn. Eine breit getragene Entscheidung ist ja auch eine
wichtige Unterstützung und Bestätigung für den Maintainer.

Ja.

Aber was es
nicht geben muss, ist sowas wie ein Demokratiefetisch: Wenn die
Interessen tendenziell kongruent sind, dann kann ich auf Mitentscheidung
auch verzichten. Ich kann mich entspannen und vertrauen.

Ja.

Schön, daß du das Wort Vertrauen hier aufbringst, was ich andernmails
auch aufgebracht habe :-) . Um Vertrauen geht's wohl wirklich zentral.

Das können wir mit Selbstentfaltung inzwischen viel besser denken:
nicht "Diktator" vs. "Beteiligung" als formalem Gegensatz, sondern
Entfaltung eines jeden Einzelnen - unabhängig von der Position.

Das liegt m.E. nochmal quer zu obigem.

Nö, darum geht's IMHO.

Stimmt. Ich verstehe auch nicht mehr was ich da meinte ;-( .

In joining a group, one accepts a personal responsibility to behave
with respect, good will, and honesty. Each one is expected to
recognize that the group's needs have a certain priority over the
desires of the individual. Many people participate in group work in a
very egocentric way. It is important to accept the shared
responsibility for helping to find solutions to other's concerns.

Das ist so ein ähnlicher Punkt. Wieso sollen die Gruppenbedürfnisse
Priorität gegenüber den Wünschen des Einzelnen haben?

Da steht "certain priority" - d.h. also nicht unbeschränkt.

Natürlich nicht unbeschränkt, das habe ich auch nicht geschrieben. Aber:
warum überhaupt?

Warum nicht?

Was ist denn die Alternative? Doch, daß die Wünsche der Einzelnen
Priorität gegenüber denen der Gruppe haben - oder? Warum sollte das
besser sein?

Das hat aus meiner Sicht wieder was mit Verantwortung zu tun: Die
Gruppe hat Verantwortung dafür, die Interessen (Nein, nicht:
Partialinteressen. Sage ich mal so.) der Einzelnen zu berücksichtigen,
gleichzeitig haben die Einzelnen eine Verantwortung, die Interessen
der Gruppe zu berücksichtigen.

Die Freie Kooperation und du sagen: Jedes Partialinteresse hat vor den
Gruppeninteressen zu kommen. Das haben wir aber schon - mit der
Eingrenzung des bürgerlichen Staats.

Also bitte, das sage ich nicht, und du weisst es ganz genau:-(

Im Ernst: Das weiß ich nicht ganz genau, denn so hatte ich dich in
letzter Zeit immer mehr verstanden.

Ok. Was würdest du für ein richtiges Verhältnis von Partial- und
Gruppeninteresse halten?

Das ist eine unbesehene Übernahme des Partialinteressen-Settings
(Sich-behaupten geht nur auf Kosten anderer), dass die
Verwertungsgesellschaft als "unsichtbares Drittes" setzt.

Dass Selbstentfaltung geradezu das Gegenteil bedeutet, dass in einem
Setting, in dem die Entfaltung des Einzelnen die Vorausetzung für die
Entfaltung aller ist, der "egozentrische Weg" der Königweg ist, ist
damit nicht denkbar.

Ich denke nicht, daß der "egozentrische Weg" der emanzipatorische
Königsweg sein kann. Egozentrik setzt das eigene Partialinteressen-Ego
in den Mittelpunkt. Das ist aber nicht, woran ich denke, wenn ich von
Selbstentfaltung spreche. Die denke ich immer auch eingebettet. Da
fehlt mir/uns wohl eine richtige Bezeichnung für.

Die Konsenstheorie hat keinen Begriff von Allgemein- und
Partialinteressen. Für sie gibt es nur Partialinteressen. Deswegen ist
jede Egozentrik stets nur denkbar als Partialinteresse. Wir aber wissen:
Bei der Art von Egozentrik, die wir Selbstentfaltung nennen, geht die
Entfaltung gerade ja nicht auf Kosten anderer. Deswegen ist IMHO der
hier aufgemachte Gegensatz von Individuum und Kollektiv stets eine
Widerspiegelung der bürgerlichen Gesellschaft. Denn in der ist
Allgemeininteresse nun mal nicht denkbar.

So langsam ahne ich, worauf du raus willst...

Unsere Schwierigkeit und Herausforderung besteht doch darin, wie wir
damit umgehen, dass wir immerhin mit dem Begriff Selbstentfaltung die
andere Dynamik denken können, aber das "Setting" in dieser
Gesellschaft allgemein ja keineswegs günstige Voraussetzungen schafft
wie teilweise eben in der FS.

Ja. Daher müssen wir uns Settings überlegen und Dynamiken finden, die
das begünstigen.

Ja.

The individual is responsible for expressing concerns; the group is
responsible for resolving them. The group decides whether a concern
is legitimate; the individual decides whether to block or stand
aside.

Die Gruppe hat IMHO kein bisschen das Recht (ich meine nicht das
"bürgerliche" - Himmel, gibt's da keinen anderen Begriff?), über die
Legitimität je meiner Angelegenheiten zu entscheiden.

Über die Legitimität im kollektiven Rahmen aber klar.

Die Gruppe kann natürlich sagen: interessiert uns nicht. Aber kann sie
über die Legitimität meiner Angelegenheit urteilen? Nein. Meine
Angelegenheit ist meine Angelegenheit, in welchen Rahmen auch immer.

Na ja, was heißt legitim in diesem Zusammenhang. Über "deine
Legitimität" kann sie nicht entscheiden - die ist je dir. Banal und
klar.

Aber sie kann sehr wohl über die "Legitimität im Rahmen der Gruppe"
entscheiden - und muß es sogar.

Um bei Thomas' Oasenbeispiel zu bleiben: Für dich kann es völlig
legitim sein, 90% des verfügbaren Wassers für deine tägliche
Körperpflege aufzubringen - je deine Gründe halt. Wenn die Gruppe das
in ihrem Rahmen ebenfalls für legitim hält, dann wird sie bald tot
sein.

Ja, du denkst halt, daß jeder individuelle Furz von jedem Kollektiv
bedient werden muß.

Wie kommst du darauf?

Siehe obiges Beispiel.

Ich sage nur, die Gruppe hat nicht die Befugnis(!)
hat, über die Legitimität (wahrscheinlich heisst das auch Berechtigung)
meiner Angelegenheiten zu entscheiden.

Ich ahne was du meinst. Macht's die Unterscheidung der "Legitimität
für wen?" klarer?

Da bin ich nach wie vor anderer Meinung. Eine Gruppe hat nicht
nur das Recht sich gegen Störungen zu verteidigen, sondern geradezu
die Pflicht - bei Strafe des Untergangs.

Also mit dieser Argumentation haben historisch wahrscheinlich schon sehr
viele "Gruppen" gerechtfertigt, warum sie gegen Einzelne vorgegangen
sind, "um sich gegen Störungen zu verteidigen". Ich muss das nicht
ausmalen. Mir wird da nur ganz anders.

Ja. Aber, wenn "keineR mehr widersprechen muß" sind zumindest die
schlimmsten Metzeleien schon mal nicht mehr drin.

Aber mal als Gegenfrage formuliert: Was würdest du denn als
emanzipatorischen Ansatz empfehlen in schwierigen Konfliktsituationen?

Mir ist echt nicht klar, warum du so oft die Gruppe durch das einzelne
Individuum bedroht siehst.

Diese Phänomene gibt es auf jeden Fall nun mal. Sie sollten also
betrachtet werden. Situationen ohne irgendwelche Konflikte sind uns
sicher allen lieber - aber die Welt ist nun mal nicht konfliktfrei.

Warum also die Gruppe das Individuum derart
kontrollieren muss, dass sie über die Legitimität seiner Anliegen
entscheidet.

Zur Legitimität siehe oben.

Das tue ich schon selbst.

Ja, und wenn du das mit der "shared responsibility" verinnerlicht
hast, wirst du in dieses Problem auch nicht reinlaufen. Wenn du deine
Partialinteressen durchsetzen willst, dann schon. Das ist aber
schwierig, daß ohne den kulturellen Background zu denken.

Mir ist weiter nicht klar, warum du meinst, dass es ohne die
Verinnerlichung eines Dritten - hier die shared responsibility - nicht
gehen kann. Der Gegensatz zu den Partialinteressen (die ich stets nur
Kosten anderer durchsetzen kann) ist nicht irgendeine Verinnerlichung
eines dritten abstrakten Dings, sondern einzig die Erkenntnis, dass ich
mir selbst schade, wenn ich mich auf Kosten anderer durchsetze - oder
positiv formuliert: Das mir nichts mehr nutzen kann, als wenn ich die
Entfaltung der Anderen als die Vorausetzung für meine Entfaltung
verstehe.

Nichts anderes bezeichnet "shared responsibility" würde ich sagen.

Verantwortung habe ich für mein Handeln, aber nicht für das
Handeln anderer.

Ja klar - wie sonst? Ich brauche jedenfalls keine Verantwortung für
das Handeln anderer. Ich kann, ja ich muß völlig bei mir bleiben und
für mich Verantwortung übernehmen um sagen zu können: Das stört mich.
Dies unter Beachtung des Kollektivs zu tun - das ist "shared
responsibility".

Dafür brauche ich nichts Drittes, keine shared
responsibility. Oder anders gedacht, so in etwa wie bei der Moral:
shared responsibility wird das Resultat von Selbstentfaltung sein, sie
geht ihr aber weder voraus, noch ist sie Bedingung. Ich kann mit der
Selbstentfaltung heute anfangen, es gibt keine Eintrittskarten.

Jetzt würde mich aber doch interessieren, was du unter "shared
responsibility" verstehst.

Und auch für die Lösung ist sie nicht "verantwortlich" im Sinne
von "zuständig". Das kommt inhaltlich auf die "Angelegenheit" an,
sowas lässt sich nicht formal als Regel formulieren.

Das ist vielleicht eine Spur zu plakativ formuliert. Aber irgendwie
habe ich das Gefühl, daß es dir schwer fällt, die "shared
responsibility" vorzustellen. Kann das sein?

Vielleicht sind wir hier beim Kern: Ich kann sie mir vorstellen, aber
ich lehne sie als (Ersatz-)Fetisch ab. Aus den o.g. Gründen.

Nein, nix Fetisch. Nur Selbstentfaltung.

BTW: Das Dumme an Konsensverfahren ist, daß sie nur bedingt erklärt
werden können. Du mußt einfach spüren, daß ein gelingendes
Konsensverfahren etwas anderes mit dir macht, als z.B. ein
demokratischer Prozeß. So gesehen: Eine entsprechende Kultur zu
etablieren, wäre m.E. Gebot der Stunde.

Ich stimme dir zu, denke jedoch, dass die "Kultur" nicht etwas ist,
was man "etablieren" kann. Sie ist eher Resultat vieler konkreter
Handlungen, die von einem bestimmten Herangehen unter bestimmten
Bedingungen geleitet sind.

Das meinte ich mit etablieren. Tägliche Praxis. Das emanzipatorische
muß sich in die Bedürfnisstruktur absenken. In der Freien Software
wächst sie sogar aus der Bedürfnisstruktur heraus.

Dass ich gegen die abgesenkten, verselbstständigen Dinger meine grossen
Vorbehalte habe, ist wohl deutlich geworden.

Wenn es mir auch vielleicht nicht genau jetzt deutlich geworden ist,
so mir aber grundsätzlich doch schon. Da haben wir wohl einen Dissens.

Ich denke, daß es ohne Abgesenktes nicht geht. Ich würde das als
Kultur bezeichnen. Ohne Abgesenktes müßtest du buchstäblich über jedes
Luftholen nachdenken - eine Horrorvision.

Ich finde, dass du damit
auch große Hürden aufbaust. Das "Emanzipatorische" ist doch kein Ding.
Es kann doch nicht sein, das ich erst einen geläuterten (abgesenkten)
Zustand erreichen muss, um emanzipationsfähig zu sein.

Das sage ich ja nicht. Mich interessieren aber nun mal Bedingungen,
die Emanzipation begünstigen oder vielleicht auch erst ermöglichen.
Und wenn's Konsens ist, dann ist es Konsens. Und wenn es die
Produktivkraftentwicklung ist, die der Kapitalismus bis hierher
vorangetrieben hat, dann bin ich ihm auch dafür dankbar. (*Dafür*
wohlgemerkt! Auf anderes hätte "er" auch ruhig verzichten können...)

Der emanzipatorische Weg muss einfach nur spürbar besser sein als der
alte Weg - das ist schon alles.

Ja genau. Deswegen rede ich ja andauernd von meinen Erfahrungen :-) .

Und das ist schon schwer genug, denn wo
kann man das schon spüren?

In der Freien Software. Und ich hoffe ja auch immer mal wieder, daß es
in unserem Laden auch ab und zu für die eine oder den anderen spürbar
wird. Würde mich jedenfalls freuen :-) .

Worauf wie uns also konzentrieren müssen,
sind genau diese Bedingungen des Handelns - das ist sowohl die Idee
des Konsensverfahrens wie der Freien Kooperation.

Ja.

Vielleicht kommen wir ja über diesen Weg weiter. Ich ahne, daß wir
momentan an der Spitze eines Eisbergs kratzen und uns dieses
Grundthema noch eine ganze Weile begleiten wird.

Das denke ich auch.

Na denn :-) .

Ich wünsche mir, dass wir dabei sorgfältig
miteinander umgehen.

Ich versuche es nach Kräften :-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
--
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