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Re: [ox] Die Säge der Benita Torres



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Hallo zusammen,

Während ich nebenher das sog. Alienbuch [Spehr, 1999] lese, zu dem ich
hoffentlich demnächst auch etwas beisteuern kann, hier schon mal einige
Anmerkungen zum Säge-Text.

* Yetipress aol.com <Yetipress aol.com> [20011017 19:21 -0400]:
Die Säge der Benita Torres oder Die Wahrheit über den Vulkanier
...
Benita, in Latzhose und hochgekrempelten Ärmeln, die Säge immer noch
in der Hand, sah den Chef ruhig an. Sie hatte so etwas oft genug
erlebt. Dann trat sie an seinen Schreibtisch - eine wunderschöne,
polierte Edelholzarbeit - und sägte ihn mitten durch.
...
Der Name des Chefs ist nicht überliefert. Es wird erzählt, seine
Sekretärin habe ihn Stunden später gefunden, wie er immer noch mit
unverwandtem Blick auf die offene Türe starrte, durch die Benita
Torres hinausgegangen war.

Auch hier fällt mir auf, dass die Aliens, die in diesem Fall nicht so
heißen aber wohl getrost so genannt werden können, in den Beispielen aus
den Spehrschen Texten oft von solchen Figuren gegeben werden, die der
Leser wohl ohnehin für unsympathische Arschlöcher hält. Warum muss der
Schreibtisch des Chefs hier eine "wunderschöne, polierte Edelholzarbeit"
sein? Warum wird kein billiger Sperrholztisch von Ikea zersägt? Ich
behaupte, dies geschieht auch darum, weil sich der Leser auf dies Art
beim Lesen der Spehrschen Text mit dem wohligen Gefühl zurück lehnen
kann, dass das Objekt des gerechten Zorns der Tomisten/Nicht-Aliens ja
immer diejenigen sind, die es, auf eine naive und wenig analytische Art,
ohnehin "verdienen".

Auch in [Spehr, 1999] finden sich solche Beispiele. Auf Seite 112f finden
sich entsprechend einfach gestricke Rezepte, wie ein Alien als ein
solcher zu erkennen ist. Der, zugegeben, unsympathische Nachbar, der am
Sonntag sein sauberes Auto wäscht, anstatt mit seinen Kindern in den Zoo
zu gehen und dies mit dem Satz rechtfertigt: "Naja, man hat ja sonst
nichts zu tun." wird von Spehr glasklar als Alien identifiziert. Auch
die sog. Aliens vom Typ "Modell »Funktionsträger«" die "direkt mit
Schlips und dunklem Anzug verwachsen" waren, können nur eines sein:
Aliens. So sehr Tätigkeit und Haltung des Autowaschers und der
"Funktionsträger" zu kritisieren sind, halte ich es doch für eine etwas
billige Masche, dem Leser diese altbekannten Gegner (im
"vordemokratischen Zeitalter" wären es die Kapitalisten mit Melone und
dicker Zigarre gewesen) zu präsentieren und es ihm damit (zu) leicht zu
machen, den eigenen alienistischen Anteil getrost zu übersehen.

Wozu diese Überspitzung der Beispiele, wer ein Alien oder ein Bewohner
eines Kühlschrankplaneten ist? Ich behaupte, dass gerade dieser Stil und
die Wahl dieser Beispiele zum doch wohl beabsichtigte Ziel der Texte,
nämlich Herrschaftsmechanismen in allen Lebensbereichen als solche
aufzudecken, wenig beiträgt, wenn nicht sogar diesem entgegen wirkt.

[Kühlschrankplaneten]
Man kann keinen Einfluss auf die Regeln nehmen, weil man seine
Kooperationsleistung nicht verweigern oder einschränken darf, und weil
es niemand interessiert, wenn man geht, weil der Schreibtisch ja da
bleibt. 

Vielleicht liegt mir der Spehrsche Stil ja nicht, aber nur um diese,
nebenbei bereits bekannte, hier als Behauptung auftretende Aussage zu
gewinnen, war der Säge-Text bis hierher deutlich zu lang.

[Tomos]
Das lag daran, dass die Schwerkraft nicht richtig funktionierte; es
gab schon welche, aber irgendwie deutete sie nicht so konsequent in
eine Richtung. Deshalb kann man auf Tomos heute seine Wohnung im
1.Stock herausziehen und mitnehmen, wenn einem die Hausgemeinschaft
nicht gefällt, und sich woanders anlagern, und das Haus fällt trotzdem
nicht zusammen.

Dies ist ein Beispiel für die besonderen Bedingungen, die auf Tomos
herrschen, ...

Auch die Molekülstruktur ist auf Tomos ein wenig loser, so dass man
auch Produktionsanlagen mit geringem Aufwand auseinander ziehen kann,
wenn man sich über den weiteren Kurs eines Betriebes oder Projekts
nicht mehr einig wird. 

... und dies ist ein anderes. Auch wenn es vielleicht so scheint,
beschreiben sie zwei sehr unterschiedliche Situationen, die sich eben
nicht allein mit der Inanspruchnahme des Rechts und der Möglichkeit zur
Verweigerung der eigenen Kooperationsleistung auflösen lassen.

Während es im ersten Beispiel vielleicht noch möglich sein mag, an einem
anderen "Wohnort" glücklicher zu werden, geht dies im zweiten Beispiel
nicht so leicht auf. Es ist eben nicht allein damit getan, "seinen"
Anteil qua Auflösung der Molekülverbindungen aus einem gemeinsamen
Projekt zu entfernen, wenn einem dieses nicht mehr passt. Wenn sich
nicht auf ebenso einfache Weise die Anteile, die die jeweils einzelnen
nach Verweigerung ihrer Kooperationsleistung aus vorherigen Projekten
entfertn haben, zu einem neuen, funktionierenden Projekt zusammenfügen
lassen, führen diese wunderbaren Naturgesetze zunächst nur zu einem
Haufen Einzelner. Diese können zwar jeweils stolz darauf verweisen,
nicht an den Projekten beteiligt zu sein, an denen sie nicht beteiligt
sein wollen, dies sind aber lediglich negative Erfolge. Allein aus der
Verweigerung der Kooperation entsteht keine neue.

Hier fehlt mir das im Oekonux-Zusammenhang ja nicht unwesentliche
positiv wirksame Moment der Selbstentfaltung. Wenn die tomosschen
Naturgesetze es dem Einzelnen zwar erlauben, die Kooperation zu
verlassen, ihn aber beim Problem, eine Kooperation aufzubauen im Regen
stehen lassen, ist es mit der Selbstentfaltung Essig. Wenn nicht im
Moment der Verweigerung der Kooperation, des Aufspaltens der molekularen
Verbindungen eine neue Kooperation gegründet wird, hat die
Selbstentfaltung des Einzelnen, die notwendig mit der Selbstentfaltung
des Anderen zusammen geht, keine Chance.

sich einfach, was sie brauchen. Man kann sich auch nicht nach
bestimmten Eigenschaften zusammenrotten, um andere kollektiv aus
Kooperationen auszuschließen, denn die Eigenschaften sind wandelbar.
Das einzige Druckmittel, das es gibt, ist die Verweigerung oder
Einschränkung der eigenen Kooperationsleistung; und dies steht allen
zur Verfügung. 

In einer Welt wie Tomos, in der die auf "Terra" notwendige freie
Kooperation also nicht mehr notwendig ist, herrscht also der pure
Konstruktivismus. Ich bin, was ich sein will und die Welt ist so, wie
ich will, dass sie sein soll.

Schön und gut, aber da auf Terra ja doch etwas andere Naturgestze
herrschen und die freie Kooperation ja wohl keine Utopie beschreiben
soll, müssen wir uns hier hernieden mit den Problemen von Schwerkraft
und molekularen Verbindungen herum schlagen. Diese verhindern nun
leider, dass ich morphologisch bin, was ich sein will, ebenso, wie sie
das verlustfreie Trennen und Zusammenfügen von Kurbelwellen und
Generatoren erschweren. Ich halte es daher für wenig hilfreich, das
doch, wenn ich der Diskussion bisher richtig gefolgt bin, für eine freie
Kooperation vorgesehen "Druckmittel" der Verweigerung der
Kooperationsleistung, das in der tomosschen Utopie erstaunlicherweise
trotzdem noch verfügbar ist, auf irdische Verhältnisse übertragen zu
wollen.

Ich bin allerdings auch gar nicht so sicher, als was der Säge-Text hier
wirklich gelesen werden will. Stellt er eine Utopie dar? Wenn ja, warum
ist dann immer noch das archaische Druckmittel der Einschränkung der
Kooperationsleistung verfügbar? War dieses nicht gerade für die freien
Kooperationen reserviert, die aber eben nur eine Mittel zum Erreichen
z.B. einer tomosschen Utopie aus dem Hier und Heute heraus darstellen?
Ich bitte um Auflärung.

Die konterrevolutionäre Propaganda der Kühlschrank- und Knastplaneten,
wen wundert's, überschüttete die Galaxie mit markerschütternden Lügen
über die grauenvollen Gebräuche der Tomisten.

Geschenkt. Wie steht es aber mit der Spehrschen Auseinandersetzung mit
der Kritik, die nicht von den Konterrevolutionären der
Kühlschrankplaneten lanciert wird?

Wenn es die Molekularstruktur nicht hergab, mussten eben andere,
gesellschaftliche und soziale Voraussetzungen für freie Kooperation
geschaffen werden.

Wie jetzt? Was, bitte, ist jetzt eigentlich die freie Kooperation: Ziel,
Mittel, Vorraussetzung?

Ich muss zugeben, dass ich von den Spehrschen Texten bisher keineswegs
begeistert bin. Meine Kritik ist dabei bisher vor allem eine
stilisitsche und methodische, aber auch inhaltliche. Spehr macht es dem
Leser ausgesprochen schwer, die inhaltlichen Kernaussagen seiner Texte
zu entdecken, indem er sie in einer Wolke von, teilweise witzigen,
Anekdoten und Anspielungen auf die populären Medien verbirgt. Ich sehe
dabei die Gefahr, dass nur die Wolke, nur der unterhaltsame Teil dieser
Texte wahrgenommen wird, während der eigentliche Kern auf eine
vielleicht nur intuitive Weise in der Art von: "Genau so ist es; das
habe ich schon immer gewusst." wahrgenommen wird. Mein Anspruch an einen
Text, mit dem der Autor einen womöglich konstruktiven, weil zur Klärung
von Begriffen, Zusammenhängen und damit Diskussionen dienenden Beitrag
leistet, gehen da etwas weiter.

Damit möchte ich Spehr keinesfalls vorschreiben, wie er seine Texte zu
schreiben oder welchen Stils er sich zu befleißigen habe. Ich hielte es
jedoch für vermessen, den Anspruch des Lesers auf Klarheit der
Darstellung und, zumindest angestrebter, Eindeutigkeit der verwendeten
Begriffe als dem "alten Denken", als quasi alienistisch, weil den
Diskurs zu beherrschen versuchend abqualifizieren zu wollen. Genauso
wenig, wie nur solche Text als diskussionswürdig betrachtet werden
dürfen, die, welchen auch immer, wissenschaftlichen Standards gehorchen,
darf vom Leser eine "neues Bewusstsein" verlangt werden dürfen, ohne das
ein Text nicht recht gewürdigt werden kann.

Gruß, Lutz

[Spehr 1999] Christoph Spehr, Die Aliens sind unter uns!
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Comment: Weitere Infos: siehe http://www.gnupg.org

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Organisation: projekt oekonux.de


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