[ox] Re: Revenge of the Nerds (was: [ox] Re: [ox] Re: {völlig} OT: [ox] Re: Gewalt)
- From: Holger Blasum <blasum muc.de>
- Date: Sun, 2 Sep 2001 19:28:06 +0200
Hallo Thomas,
On Sun, Sep 02, 2001 at 01:20:27AM [PHONE NUMBER REMOVED], Thomas Uwe Gruettmueller wrote:
Hi, Benni!
Kleine Anekdote am Rande: Marx wollte sein "Kapital" Darwin
widmen. Der lehnte jedoch ab.
Wie bei vielen guten Anekdoten gibts auch da Leute die das anzweifeln:
http://nuance.dhs.org/lbo-talk/9808/0727.html. Aber dass er ihm ein
gewidmetes Exemplar des Kapitals geschickt hat ist wohl unumstritten.
Danke für den Einwand.
Das hat mal wieder mein Weltbild erschüttert. Ich bin nun
irritiert. Warum hatte der Kerl einerseits was gegen Malthus und
war andererseits ein Fan von Darwin?
Darwin war Naturwissenschaftler (was Mitte des 19. Jhdts in bestimmten
Kreisen mindestens so angesehen war wie Open Source...), Malthus nicht.
Darwin selber schaetzte Malthus allerdings durchaus.
Darwin selbst hat sich IMHO auch immer gegen "soziale"
Interpretationen seiner Theorie gewehrt.
Darum kommt man aber nicht herum, denn Darwin hat ja den
Menschen ausdrücklich in die Tierwelt eingefügt. Gibt es dazu
etwas online, warum er solche Interpretation ablehnt?
Darwin stand einer "sozialen" Interpretation seiner Theorie kritisch
aber nicht grundsaetzlich ablehnend gegenueber (eine Position, die ich in
seiner Situation fuer nachvollziehbar halte): alle Zitate aus
dem folgenden Abschnitt sind direkt aus Darwins "Descent of Man" (1871)...
Darwin selbst wehrt sich z.T. gegen diesen Sozialdarwinismus, er betont,
dass auch die Sympathie zu den evolutiv entstandenen sozialen Instinkten
gehoert, so dass ihr Abschalten zu einem groesseren Uebel fuehrt: "Aber
wenn wir absichtlich die Schwachen und Hilflosen im Stich lassen, so waere
dies ein zweifelhafter (contingent) Nutzen, und ein ueberragendes Uebel."[36]
Stattdessen verweist er darauf, dass "es zumindest einen stets wirkenden
Kontrollmechanismus gibt, naemlich dass die schwaecheren und niederen
Mitglieder der Gesellschaft nicht so einfach heiraten wie die
wohlgestellten"[37]. Das Prinzip der Selektion muss jedoch erhalten bleiben:
"Unsere [die menschliche] Vermehrungsrate, obwohl sie zu vielen offensichtlichen
Uebeln fuehrt, darf nicht stark vermindert werden. Es sollte fuer alle
Menschen einen offene Konkurrenz (competition) geben; und die Faehigsten
sollten nicht durch Gesetze oder Sitten gehindert werden eine maximale
Nachkommenschaft aufzuziehen."[38] Der Fortschritt ist keine unveraenderliche
Regel, wenn also diese und andere Regeln "nicht die ruchlosen, lasterhaften
oder anderweitig minderwertigen Mitglieder der Gesellschaft davon abhalten,
sich schneller zu vermehren als die besseren Menschenklassen, so wird die
Nation absteigen (retrograde), wie es schon zu oft in der
Weltgeschichte geschehen ist."[39] Als Gegenmittel empfiehlt er eine gute
Erziehung, einen guten Stand in den Gesetzen; Sitten und Traditionen einer
Nation, der von der ffentlichkeit vorangetrieben wird.[40]
... dennoch scheint mir die oft ausgesprochene Behauptung, dass Darwin
ueberhaupt nichts mit dem Darwinismus zu tun habe, zumindest
fraglich. (copyedited aus http://www.blasum.net/holger/wri/biol/yan_fu.html)
Ich habe gestern mal ein bißchen herumgesurft, aber nicht viel
zu dem Thema gefunden. Außer vielleicht:
http://www.comms.dcu.ie/sheehanh/lysenko.htm
| The key question was that of the inheritance of acquired
| characteristics. Lamarckists cited Engels on their behalf.
| B.M. Zavadovsky and others of his persuasion replied that they
| could not be tied to outdated science and had to break with
| belief in the inheritance of acquired characteristics, even if
| this meant abandoning views held by Marx and Engels or Darwin
| and Timiriazev.
Hat Darwin echt behauptet, erworbene Eigenschaften würden
weitervererbt??? Das wäre mir neu, aber immerhin eine Erklärung
für oben genannten Widerspruch...
Es sei betont, dass die Konzeption des Gens (und damit der vorgeburtlichen
Genrekombination als Grundlage der Eu-Genik) erst seit 1909 durch die
Johannsensche Chromosomentheorie existiert. Darwin schrieb noch im "Origin":
"Our ignorance on the law of variation is profound." (S. 122). Er schloss
Veraenderungen des Erbgutes durch nichtstochastische Anpassung nicht
kategorisch aus (cf. auch ibid., S. 185, 218, 369 bzw. im "Descent of Man"
S. 32f).
Am Rande bemerkt: die Lysenkosaeuberungen moegen in den 1930ern noch
"erklaerbar" gewesen sein, die zweite Welle nach dem Krieg war dann nur
noch reaktionaer und spaetestens Anfang der 60er (NTR) war dann auch endgueltig
Schluss damit.
Aber auch "harte Materialisten" unter den Genetikern wie etwa Richard
Dawkins ("Selfish Gene", 1976) kommen in den Abschlusskapiteln ihrer Werke
zu der trivialen Einsicht dass zusaetzlich zu der genetischen ("wetware"-
kodierten) Information zumindest beim Menschen
auch die kulturelle Information ("Meme") eine Rolle spielt - "DVD statt DNA":
-> genau deshalb ist es wichtig wie deren Herstellungs- und Verteilungs-
strukturen gestaltet werden.
--
Holger Blasum <holger blasum.net> pls sign http://petition.eurolinux.org
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Organisation: projekt oekonux.de