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Re: [ox] Re: Gewaltformen und noch mehr Beispiele...



Lieber Christoph!


Als ich nur zwei Wörter frei hatte, um zu beschreiben, in welchem
Licht die Dinge erschienen, da war um mich alles hell oder
dunkel. Oder gar beides. Böswillige Bekannte hätten gesagt, ich
lebte in einer schwarz-weißen Welt, aber die könne sich gar nicht
vorstellen, wie kompliziert die Konstruktion einer schwarz-weißen
Welt ist. Inzwischen habe ich aber diverse neue Wörter gelernt,
wie z.B. gelb, dunkelbraun, weinrot, flieder, graugrün und so
weiter. Welche der Begriffswelten besser geeignet ist, die
Realität zu "begreifen", mag jeder selbst beurteilen.

Mit dem von Dir angeführten Begriff von Gewalt scheint es sich
ebenso zu verhalten, wie mit meinem Begriff "dunkel" (außer daß
Gewalt kein positives Gegenstück hat, oder?). Nur kann man mit
diesem Begriff keine Welt begreifen, die differenzierter ist, als
man mit lieb/böse, gut/schlecht, Schaden/Nutzen,
Gewalt/Nichtgewalt beschreiben kann.

Genauso wie einer, der farbenblind ist, zwischen rot und grün
nicht unterscheiden kann (sondern nur zwischen
Helligkeitsstufen), so kann Deine Theorie offenbar zwischen
Indoktrinierung und Folter nicht unterscheiden (sondern nur
zwischen Stufen von Bösartigkeit bzw. Destruktivität).

Diese Vereinfachung macht übrigens die Dinge noch lange nicht
trivial: z.B. kann man hier durchaus solche Phänomene mit
einbauen, daß es keine "Konstruktion" ohne "Destruktion" geben
kann usw.  Man muß aber eben, was die qualitative
Differenzierungen betrifft, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner
zurückgehen, den man finden kann. Und alles andere sind dann eben
"konkrete Einzelerscheinungen", an denen man sich dann
abarbeitet. -- Das wird dann so ähnlich wie in der Statistik, wo
sich die qualitativen Unterschiede auf '+' und '-' reduzieren,
und alles andere Zahlen sind, die so unterschiedlich sein
mögen, wie eben möglich, und die witzigerweise meist sogar immer noch
irgendeine Art von Aussagekraft haben...

In einem solchen Schema verschwimmen aber auch Begriffe, die
sonst unterschiedliche Bedeutungen haben, z.B.:

Dann bring doch mal ein Beispiel, wo sich Herrschaft _nicht_ auf Gewalt
gründet.  Wenn die Unterordnung _echt_ freiwillig ist (wo gibt's das?),
dann ist es keine Herrschaft, denn die sich Unterordnenden können dem
"Herrschenden" ja jederzeit ihre Unterordnung entziehen, ohne dass der
was dagegen tun kann (er hat sie ja nicht "in der Gewalt").

-- Gewalt als Gegenstück zur Freiwilligkeit! Natürlich, wo Gewalt
herrscht, ist Freiwilligkeit eingeschränkt. Aber ist denn alles
Gewalt, was nicht freiwillig ist? Ich bin z.B. (in meinem
Verständnis!)  weder 'freiwillig' geboren worden, noch habe ich
Gewalt erlitten, aber die Geburt ist bei Dir bestimmt auch schon
ein Akt von Gewalt und daher jeder Mensch nicht mehr Erbsünder,
sondern so eine Art Erbopfer... -- ?

Ähnlicherweise verschwindet offenbar in dieser Theorie auch die
Komplexität von Systemen oder gar Organismen, bis hin zur
Komplexität einer menschlichen Existenz...

Kann ich es anders denn als verwirrend interpretieren, wenn Du
mich erst über den Unterschied zwischen psychischer und physicher
Gewalt 'aufklärst' (und mir geradezu unterstellst, ich hätte von
psychischer Gewalt noch nie was gehört), und wenn Du dann im
nächsten mail erklärst, die Unterscheidung zwischen Physis und
Psyche sei völlig überflüssig?! -- :

Diese Unterscheidung ist künstlich und wenig sinnvoll, da die Psyche
untrennbar an die Physis gebunden ist (versuch mal aus Deinem Körper
zu schlüpfen), und Psyche und Physis derselben Person auf vielfältige
Weise von einander beeinflusst werden (in beide Richtungen).  Das
"Objekt der Einwirkung" ist eine Person als Ganzes (Physis+Psyche).

Aber vielleicht kannst Du ja auch wieder wortreich erklären, wie
bspw. ein Radio direkter gewaltsam auf meine Physis einwirkt, als
ein Schmetterling auf einen Sack Reis oder so (-- von dem Schild
am Haus mal ganz abgesehen).

<!-- um es ein wenig zu übertreiben: ich kann sogar auf eine
Medaille von zwei _verschiedenen_ Seiten einwirken, weshalb es
meiner Meinung nach durchaus sinnvoll ist, zwischen den zwei
Seiten einer Medaille zu unterscheiden!-->

Ich habe durchaus den Verdacht, daß die viktimologischen
Begriffe, die Du hier eingeführt hast, durchaus gewinnen könnten,
wenn sie sich auf eine differenziertere und weniger verwischende
Vorstellung von Gewalt beziehen würden.

Die Frage, warum Pauschalisierungen in meinen Augen wenig
konstruktiv wirken (und daher eher helfen, die gegenwärtigen
Machtstrukturen zu verschleiern, als sie erkennbar zu machen),
kann ich angesichts unserer doch ziemlich großen
weltanschaulichen Differenzen leider nicht mehr heute
beantworten.  ;-(

Grüße,
Casimir.
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Organisation: projekt oekonux.de


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