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Re: [ox] Re: Gewaltformen und noch mehr Beispiele...



Hi Casimir und Gabriel,

Casimir Purzelbaum schrieb gestern:
[...]
Ich hatte ja geschrieben, dass "Gewalt" und "Schaden" _nicht_
synonym sind, sondern der jeweilige Schaden von der viktimologischen
Prädisposition der Opfer abhängt.  Dein Krimi-Beispiel ist allerdings
allzu weit hergeholt:  Zum Zeitpunkt des Diebstahls _schädigt_ der
Diebstahl natürlich das Opfer -- der Einbrecher wusste ja auch nichts
vom Mordplan der Ehefrau.  Eine Tat kann immer nur zum Zeitpunkt der
Begehung beurteilt werden -- hellseherische Kräfte gibt's ja nicht.


In ähnlicher Relativierung könnte ich dieses Argument nun aber auch
umdrehen:
 Zum Zeitpunkt der Verdummung schädigt die Demagogie-Institution
(das Propaganda-Ministerium oder die Kirche / die Journaille /
das Fernsehen / ...) das Opfer nicht!  -- Denn zum Zeitpunkt der
Einwirkung "weiß sie ja nichts" bspw. von den Ausbeutungsplänen
der (direkten) Ausbeuter usw.;

Die PR-Quelle weiss sehr wohl zum Zeitpunkt der PR, dass ihre Verdummungs-
effekte ihr nützen -- genau das ist ja der _Zweck_ der PR.  Die "Erfinder"
einer Religion müssen gar nicht genau wissen, welche Personen ihre Religion
mal gegen wen einsetzen -- sie wissen, dass sie ein Unterdrückungsinstrument
schaffen, das ihnen (und ihren "Nachfolgern" und Verbündeten) Nutzen bringt.


-- im Gegenteil können die
genannten Akteure sich ja dann darauf berufen, daß ihnen ja nur
der Lebensmut und Spaß (oder die Fähigkeit, sich in den
gesellschaftlichen Zusammenhang einzuordnen, oder so) ihrer
Schäfchen am Herzen liegt...

Natürlich werden sie immer "gute" Vorwände haben...  das ändert wohl
nichts daran, dass ihre Ziele mies sind.


 Nein, nein, nein! so einfach sollen
mir die hier nicht davon kommen!

Die Tat später dann rückwirkend "UMzubeurteilen", ist ohnehin nicht
sinnvoll/möglich:  ...

Exakt! Deshalb bin ich ja der Meinung, ein Opfer kann auch ohne
Gewalt (ob direkt oder indirekt, akut oder zeitlich versetzt,
punktuell oder strukturell usw. usw.) ein Opfer sein, denn es
gibt nicht nur Opfer von Gewalt (s.u.)...
...
Nichts liegt mir ferner, als psychische Gewalt zu leugnen. Aber
ich meine, daß bspw. Demagogie keine psychische Gewalt ist,
obwohl ich sie für sehr schädlich halte, und obwohl ich weiß, daß
Leute durch sie willenlos und gefügig gemacht werden können und
so. Aber ich würde sie eben als Opfer von Demagogie bezeichnen
und nicht als Opfer von Gewalt.

Ein Goebbels, dessen Demagogie Millionen in den Tod treibt, kommt bei
Dir also besser weg als ein kleiner KZ-Wächter, der ein paar Gefangene
persönlich an der Flucht hindert.  Denn Goebbels begeht ja "keine Gewalt",
der KZ-Wächter aber schon.  Diese Einteilung erscheint mir einfach nicht
sinnvoll.  Demagogie ist _auch_ Gewalt -- sie nützt die Unterlegenheit
der Opfer aus.


Wie bzw. warum es zur Auflösung des Klosters kam, muss man sowieso im
Gesamtkontext betrachten -- das ist kein Zufall, sondern lag wohl an
einer Schwäche der Kirchenvertreter in jener Region oder am Zustand
der Kirche insgesamt.  Viktimologisch immunere (VI) Individuen werden
diese Entwicklung rechtzeitig erkannt haben, und sich in andere Klöster
abgesetzt haben.  Nur ein VP-Kloster wird überhaupt geschlossen.

Naja, das hängt auch wieder von der Definition ab. Denn über kurz
oder lang werden nunmal alle Klöster geschlossen (Umgründungen
und Sinnänderungen sollen hier miteingeschlossen sein). Konkreter
hatte ich aber historische Epochen mit eindeutiger _Tendenz_ vor
Augen, als ich das schrieb: z.B. die Säkularisierung in England
oder die "Aufklärung von Oben" in Österreich... Da war, glaube
ich, ein Sich-Absetzen schwierig, außer in Richtung Freimaurer
und Konsorten

Viktimologische Prädisposition ist immer relativ zur Gesamtgesellschaft.
In einer Epoche, in der _alle_ Klöster geschlossen werden (das muss zwar
noch eine Weile hin sein bis dann!?), gelten meine obigen Bemerkungen
eben für _alle_ Klöster -- schon heutzutage (in einer "weltlichen"
Gesellschaft, in der es aber noch Klöster gibt) gehen eher VPs ins
Kloster; diese Tendenz nimmt zu mit abnehmender "Religiösität" der
Gesellschaft.


Aber man könnte sich mal vorstellen, daß durch das Raubkopieren
(also durch die zunehmende Inadequanz von
Produktivkraftentwicklung (inkl. Technik und Infrastruktur) und
Produktionsverhältnissen (v.a. Eigentums-, Aneignungs- und
Motivationsverhältnissen)) die "Klöster des Geldes" zunehmend
"pleite gehen". Auch da hängt wahrscheinlich der Grad der
Schädigungs-Erfahrung seitens der Betroffenen entscheidend von
der (Un-)Möglichkeit des rechtzeitigen Sich-Absetzens (in andere
soziale oder ökonomische Zusammenhänge) ab.

Ich würde behaupten, daß es zu den genannten Zeiten "nicht
genügend Platz" gab, für die Klosterbrüder, "sich
abzusetzen". Wie kann man das für die Lohnarbeiter und
Kapitalisten im Zuge der "Be-Frei-ung" der Produktion verhindern?
Vielleicht hätte _Gewalt_ ja in einem solchen Zusammenhang den
Nutzen, das drohende gesellschaftliche Aus der Betroffenen durch
ein 'gelenktes Versetzen' zu verhindern --?

Das ist ein wichtiger Punkt, den ich früher schon auf dieser Liste
angeschnitten habe.  Solange die grosse Mehrheit der VIs auf der
"Geld-Seite" stehen, werden sie alles daran setzen, die "Be-Frei-ung"
zu verhindern bzw. die FS für ihre Zwecke zu instrumentalisieren (s. IBM).
Was viktimologisch zählt, ist die Solidarität der Unterdrückten.
Die (strukturelle) Gewalt für ein "'gelenktes Versetzen' der Betroffenen"
kann nur aufbringen, wer entsprechende Macht besitzt.  Die Frage lautet
also: Wie kann die FS-Bewegung Macht und Solidarität erlangen ?


Genauer: _Physische_ Gewalt ist *eine* Form von all diesem, _psychische_
Gewalt ist eine *andere* Form von all diesem.

Nein, nein: die Form der Einwirkung ist dieselbe (Gewalt), aber
der Gegenstand der Einwirkung ist verschieden: Physis oder Psyche
des Objekts der Einwirkung.

Diese Unterscheidung ist künstlich und wenig sinnvoll, da die Psyche
untrennbar an die Physis gebunden ist (versuch mal aus Deinem Körper
zu schlüpfen), und Psyche und Physis derselben Person auf vielfältige
Weise von einander beeinflusst werden (in beide Richtungen).  Das
"Objekt der Einwirkung" ist eine Person als Ganzes (Physis+Psyche).


Mein Fischer-Lexikon definiert Gewalt (im soziologischen Sinne) als
"Ausübung von Macht durch Anwendung von Zwangsmitteln".  Also: Gewalt
_ist_ "die Ausübung....";  die _Form_ ist physisch oder nicht-physisch
(psychisch).

Dazu fallen mir drei Sachen ein:

 1. die Definition greift zu kurz, sie reicht nicht aus
    ("imho", versteht sich);

Jetzt willst Du den Gewaltbegriff _weiter_ fassen, vorher wolltest Du ihn
_enger_ fassen...


 2. sie schließt Natur als Täter generell aus (--> Ausübung von
    _Macht_), was gegen Dein Verständis spräche -- ?;

Nein, auch die (belebte oder unbelebte) Natur kann Macht ausüben und
Zwangsmittel anwenden (Löwen, Bäume, Lawinen, ...).  Die unbelebte
Natur kann Macht nicht willentlich ausüben, aber "faktisch" (als
"Selektor" für Lebewesen, die sich von ihrer Gewalt schädigen lassen).


Ich kann einen Wächter K.O. schlagen oder ihn in den Schlaf
singen. Und in beiden Fällen habe ich ihn meinem Willen
unterworfen ("in die Knie gezwungen" sozusagen), aber nur in einem
Falle habe ich es gewaltsam getan.

Im ersten Fall ist der Schaden für das Opfer = den Wächter grösser, weil
er dabei verletzt wird (mit evtl. bleibenden Schäden, zumindest psychischen
in Form einer Traumatisierung).
Diese erste Variante ist also (auch nach meiner Definition) gewaltsamER
als die zweite (singen).  Aber auch die zweite Variante ist gewaltsam,
denn Du schädigst den Wächter bereits dadurch, dass Du seinen Job
vereitelst  (mit absehbaren Folgen seitens des Arbeitgebers).

Nein! Da sind wir wieder bei der Vermittlung: der Arbeitgeber
schädigt ihn durch diesen job und seine Einstellung zur
"Pflicht"-Erfüllung, die Gesellschaft schädigt ihn dadurch, daß
sie es für ihn notwendig macht, einem solchen job nachzugehen,
und es ihn notwendigerweise sogar als Verlust empfinden läßt,
wenn der job flöten geht... Und jetzt soll ich, der erste, der
ihm (in seinen Augen) seit Jahren das erste Mal ein bischen
persönliche Aufmerksamkeit schenke und nur für ihn ein
wohlgefälliges Liedchen trällere, -- ich soll nun der Gewalttäter
sein?!

Der Wächter ist ein VP, sonst hätte er einen besseren (ungefährlicheren)
Job.  Der Job viktimisiert den Wächter, und so wie Du Dich da oben
benimmst, re-viktimisierst Du den Wächter bloss, denn nach Deiner Aktion
wird der Wächter je nach Epoche umgebracht/inhaftiert/ausgepeitscht
(Mittelalter) oder er bekommt ein schlechtes Arbeitszeugnis ("liess
Gefangene entkommen"), was ihm auch nicht gerade nützt.  Wenn Du dem
Wächter wirklich helfen willst, dann verschaffe ihm einen besseren Job
und lass ihn selber kündigen.  Dazu musst Du ihn nicht angreifen/überlisten
(=Gewalt), sondern kannst ihn mit rationalen Argumenten überzeugen, dass
der neue Job besser für ihn ist.


Dies zeigt den Fehler Deiner Definition (Gewalt ist nur physische Gewalt):
Du tust so, als ob die Absenz von physischer Gewalt identisch wäre mit der
Absenz von Gewalt.  Das verharmlost aber die nicht-physische / strukturelle
Gewalt  (definiert sie einfach weg) -- nützt also den Herrschenden.
Deshalb bin ich gegen diese (Über-)Vereinfachung.

Nein, ich versuche gegen eine Vereinfachung vorzugehen, die da
versucht zu suggerieren, Herrschaft müsse sich immer auf Gewalt
gründen!

Dann bring doch mal ein Beispiel, wo sich Herrschaft _nicht_ auf Gewalt
gründet.  Wenn die Unterordnung _echt_ freiwillig ist (wo gibt's das?),
dann ist es keine Herrschaft, denn die sich Unterordnenden können dem
"Herrschenden" ja jederzeit ihre Unterordnung entziehen, ohne dass der
was dagegen tun kann (er hat sie ja nicht "in der Gewalt").


Denn das nützt den Herrschenden sobald ihre Herrschafts-
und Machtmittel nicht mehr vorwiegend dem Gewaltspektrum
entspringen!

Inwiefern nützt meine Gewalt-Definition den Herrschenden ?


 (z.B. in der Situation, wo die Top-Manager selber "nur"
Lohnarbeiter sind und selbst der Bundeskanzler nur eine Art
Angestellter ist usw.)

Insoweit Top-Manager Lohnarbeiter sind, _ist_ ihre Macht ja auch wirklich
eingeschränkt (der soll mal probieren, eine Entscheidung gegen seinen
Arbeitgeber durchzusetzen..).  Die genaue Machtstruktur von Bundeskanzler
zu Bundestag etc. ist mir von der Schweiz aus nicht geläufig.

---

Gabriel Pickard schrieb gestern:
Wenn ich sage, dass eine Kaufentscheidung Gewalt ist, weil diese
Entscheidung dazu führt, dass einem Softwarehersteller an Umsatz
mangelt... dann kann ich auch sagen, dass mein Atmen Gewalt ist, da es
zu einem Luftstrudel beiträgt, der einen Schmetterling in
Zentralaustralien an eine Schuppenwand klatscht, oder der dazu führt,
dass der berühmte Sack Reis einem armen Chinesianer auf die Füße fällt.

Falsch, denn bei der Kaufentscheidung sind Dir die Folgen bekannt und
der Eintritt ist sicher, was beim Luftstrudel des Atmens aber nicht der
Fall ist (die Theorie mit dem Schmetterling ist eh umstritten/Humbug).


Dies würde dazu führen, dass Tätigkeit Gewalt bedeutet, dass
Entscheidung Gewalt bedeutet, mitsamt der Nichtentscheidung - und im
Endeffekt auch mitsamt des Lebens, des Daseins.

Sag' ich ja:  Leben heisst Gewalt, die Frage ist nur "wieviel/welche
Gewalt gegen wen".  Du brauchst Macht, um zu entscheiden sprich Gewalt
auszuüben.


Das Leben und Gewalt synonym sind, oder zumindest direkt auseinander
folgen erscheint mir als ein zu weiter Gewaltbegriff, um es vorsichtig
auszudrücken.

Im "wieviel/welche gegen wen" (=Quantität, Qualität und Objektwahl)
steckt ein Universum von Möglichkeiten -- so komplex und divers wie
das Leben...


Somit habe ich auch schon zwei Kriterien:
1. Ich brauche eine gewisse Unmittelbarkeit (kein Sack Reis)
2. Ich brauche eine Schädigung, oder eine Überwindung von Widerstand,
eine Gegensätzlichkeit von Zielen, um in diesem Fall(!) von Gewalt zu
sprechen.

Damit kann ich gut leben.

Grüsse,
Christoph


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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