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[ox] Re: Fraglichkeit von high-level Selbstenfaltung



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Hallo Gabriel, hallo alle,

* Gabriel Pickard <werg demokratica.de> [20010815 12:18 [PHONE NUMBER REMOVED]]:
Stefan Merten wrote:

3.1.1. Die FloristIn ist beseelt von ihrer Arbeit
[...]
3.1.2. KassiererIn ist genervt von der Maloche
[...]
Während die vorgenannten Berufsgruppen relativ leicht in eine
GPL-gesellschaftliche Form gebracht werden könnten, ist der Beruf
der KassiererIn nicht anzupassen. Solche Berufe sind im Interesse
einer GPL-Gesellschaft entweder durch Maschinen zu ersetzen oder
ganz überflüssig zu machen. Da in einer geldlosen GPL-Gesellschaft
das Kassieren von Geld ohnehin zu einer aussterbenden Kunst gehören
würde, wäre das Problem für den Beruf der KassiererIn leicht zu
lösen.

So ein bisschen hat Matthias mir das Wort aus dem Mund genommen, als
er sich wunderte, dass hier so'ne Technikgläubigkeit herrscht. Ich
habe gelegentlich das Gefühl, dass Technik zu schnell als Lösung - und
nicht als Mittel angesehen wird. naja.  Daneben fühle ich öfters auch
ein Mißtrauen gegenüber 'Malocheberufen' -- ich meine, da macht 'ihr'
es euch ein bisschen zu einfach. Dass bestimmte Färbungen von
eigentlich ordentlichen Berufen ins unmenschliche ausarten weis ja
wohl mittlerweile jeder... 

Hm, versteh ich Dich richtig, dass Du hier so etwas wie den
"Arbeiterstolz" retten möchtest? Ich möchte Dir nichts unterstellen,
aber Deine Wortwahl von "Malocheberufen" und "ordentlichen Berufen"
lässt mich fragen, warum Du diese also "ordentlich" bezeichnest und
warum Du sie gegen Stefans Vorschlag, sie in der GPL-Gesellschaft
abzuschaffen, verteidigne möchtest.

Kritisiert wurde von Stefan nicht die Tatsache, dass ein Mensch eine
bestimmte Tätigkeit gegen Geld ausübt. Nicht die Kassiererin soll
gegenüber der Floristin als ein besserer Mensch betrachtet werden
sondern die Tätigkeiten, die sie jeweils ausüben, unter dem Aspekt des
möglichen Grades der Selbstenfaltung verglichen werden. Wie Stefan
darstellt, hat die Tätigkeit der Floristin ein hohes Potenzial an
Selbstentfalung, selbst unter Verwertungsbedingungen. Die Tätigkeit der
Kassierin hingegen birgt kein solches Potenzial. Das Eingeben oder
Einscannen von Geldbeträgen in ein Kassensystem zum Zweck des Verkaufs
von Waren erlaubt keine eigene kreative oder soziale Tätigkeit, eben
keine Selbstentfaltung.

Wenn Du von "Malocheberufen" redest musst Du hier wohl unterscheiden.
Beide Tätigkeiten können unter Bedingungen der Verwertung zu
"Malocheberufen" werden, so mit diesem Begriff die unerfreulichen
Begleiterscheinungen wie Stress, nervende Kunden oder Vorgesetzte, der
Zwang zur Ausübung von nicht persönlich für sinnvoll oder angenehm
erachteten Tätigkeiten gemeint sind. Beide Tätigkeiten sind, da sie
unter den Bedingungen der Verwertung stattfinden, anfällig für diese
Verhinderung von Selbstentfaltung. Dass für die Tätigkeit der Kassierin
hier kaum noch etwas zu retten ist, liegt wohl an der starken Verzahnung
mit dem Prozess der Verwertung selbst und dessem Medium, dem Geld. Auch
die Floristin übt ihre Tätigkeit natürlich nicht frei von
Verwertungszwängen aus, ihre Haupttätigkeit liegt aber in einem etwas
anderen Bereich.

Es ist daher IMHO auch nicht sinnvoll, von "ordentlichen Berufen" zu
sprechen. Unter Verwertungsbedingungen ist kein Beruf, genauer keine
Tätigkeit "ordentlich", also für den sie ausübenden gut und ein Mittel
zur Selbstentfaltung.

Warum ist nun die Tätigkeit der Kassiererin in der GPL-Gesellschaft
unnötig? Dein Vorwurf der Technikgläubigkeit geht hier etwas an der
Sache vorbei. Es ist sicher nicht ein Ziel für die GPL-Gesellschaft, den
Verkauf von Waren per Kassen-Roboter erledigen zu lassen und eventuell
noch benötigte Kassiererinnen diese unterzuordnen. Genauso wenig ist es
aber sinnvoll, eine Rückkehr zum "guten alten" Tante-Emma-Laden
anzustreben. Auch in diesem findet der Austausch von Waren statt, auch
in diesem ist Tante Emma, da sie dem Zwang der Verwertung unterliegt,
nicht zur Selbstentfaltung in der Lage. Ob sie dabei die Rechnungen mit
Papier und Bleistift erstellt oder mit einer Scannerkasse, ist
gleichgültig.

Für die GPL-Gesellschaft ist ein ganz andere Punkt wichtig: die
Abschaffung der warenförmigen Beziehungen. In der GPL-Gesellschaft ist
eine Vermittlung von Dingen als Waren auf dem Markt nicht notwendig,
mithin ist auch die Tätigkeit der Kassiererin, die an dieser Vermittlung
als kleines Rätchen mitwirkt, unnötig. Ob die Menschen dann in einem von
Robotern betriebenen Super-"Markt" oder bei Tante Emma die Gegenstände
ihres Bedarfs abholen, spielt dabei keine Rolle.

Daraus aber abzuleiten, dass geistige Arbeit und Erfinden eher der
Selbstentfaltung dienen halte ich für falsch. Ganz im Gegenthume ist
mit der Selbstentfaltung die Befreihung von Zwängen - eben auch von
den Zwängen der Technik, unter die mensch sich stellt wenn mensch an-
und mit der Technik arbeitet - doch gemeint.

Sicherlich dienen geistige Tätigkeiten nicht notwendig mehr der
Selbstentfaltung als körperliche oder sich wiederholende
Handlagerdienste. Jeder wird und muss und soll die Tätigkeiten finden,
die ihm am meisten liegen, sei es Gedichte schreiben, Gemüse anbauen,
Roboter reparieren, auf der faulen Haut liegen oder Astroiden abbauen :-)
Wie Du ja selber sagst, geht es um die Befreiung von Zwängen. Der größte
Zwang ist der zur Verwertung des eigenen Ich.

und ich würde gerne den Begriff der 'Selbstverwirklichung' im Kontrast
zur 'Selbstentfaltung' stellen, als effektive Persönlichkeitsbildung
in der Tätigkeit, ohne Festlegung der Tätigkeitssteuernden Entität,
gemessen an dem entstehenden Menschlichen Glück.

Hm, damit machst Du ein eigentlich schon weggeräumtes Fass auf. IICR
wird der Begriff Selbstentfalung dem der Selbstverwirklichung hier
vorgezogen, weil dieser nur die Verwirklichung eines endlichen
Potenzials, dass im Menschen angelegt sei, umfasst. Ist dieses Potenzial
"verwirklicht", wäre alles erreicht. Selbstentfaltung hingegen hat diese
Grenze des Möglichen nicht.

3.1.3. InformatikerInnen können sich partiell selbstentfalten
ich persönlich wehre mich heftig dagegen, wenn jemensch sagen sollte,
das ein an die maschine und ihre Steuerung so stark gebundener Mensch
mehr Selbstentfaltungsmöglichkeiten als ein an das Wetter und die
Umwelt gebundener Bauer hat.

Wer sagt denn so etwas? ;-)

Gruß
Lutz

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