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[ox] GPL-Gesellschaft - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft -- Teil 1



GPL-Gesellschaft - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
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Stefan Merten <smerten oekonux.de>

1. GPL-Gesellschaft - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
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von Stefan Merten <smerten oekonux.de>

1.1. Vorbemerkungen
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1.1.1. Gewachsen aus dem Oekonux-Diskurs
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Der vorliegende Beitrag ist aus dem Diskurs gewachsen, der seit Sommer
1999 auf der Mailing-Liste liste oekonux.de[1] läuft. Ohne die
vielfältigen Impulse und Gedanken, die dort stetig entstehen, wäre
dieser Beitrag nicht möglich gewesen.

1.1.2. Beitrag zum Oekonux-Diskurs
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Gleichzeitig soll hiermit ein Beitrag zu eben diesem Diskurs geleistet
werden, wobei hauptsächlich zwei Aspekte verfolgt werden.

Linien, die aus der Vergangenheit in die Zukunft weisen
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Einige Phänomene, die bereits in der Vergangenheit aufgetreten oder
aber gegenwärtige Entwicklungen sind, werden daraufhin untersucht,
inwieweit sie Formen sind, die in einer GPL-Gesellschaft[2][3] zu
dominanten Formen werden können.

Ein Stückchen Vision, um Denkblockaden zu überwinden
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Der Großteil des Beitrags breitet aber einige Elemente einer Vision
einer GPL-Gesellschaft aus. Damit wird einerseits das Ziel verfolgt,
sich eine solche Gesellschaft heute vorstellbarer zu machen,
andererseits wird des öfteren an aktuelle Entwicklungen angeknüpft, so
daß dieser Teil auch als Ideensammlung für konkretes politisches
Handeln gelesen werden kann. Daneben wird auch deutlich, daß eine
solche Gesellschaft von den heute gegebenen Voraussetzungen her gar
nicht mehr so übermäßig utopisch ist.

1.1.3. Kein wissenschaftlicher Anspruch
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Der Beitrag kann leider keinen wissenschaftlichen Anspruch verfolgen.
Ich fände es ausgesprochen wünschenswert, wenn für die hier
angesprochenen Aspekte ausreichend Ressourcen zur Verfügung stünden,
die eine wissenschaftliche Untersuchung möglich machen würden. Dies
ist bislang leider nicht der Fall, sondern wie eigentlich alles im
Oekonux-Projekt ist auch dieser Beitrag in Freier Tätigkeit
entstanden, für die Einzelne sich in ihrem je konkreten Leben geistige
und zeitliche Ressourcen verschafft haben.

1.1.4. Einige Beispiele sollen die Richtung illustrieren
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An mehreren Stellen werden im Beitrag Beispiele verwendet. Diese
Beispiele sind lediglich als Illustration eines Gedankens gemeint und
dürfen nicht als normative Vorgaben verstanden werden. Wie immer ist
das eigenständige Nachdenken gefragt, das selbstredend zu ganz anderen
Ergebnissen kommen kann.

Fazit: Das hier ist ein Versuch!
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2. Vergangenheit
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Schon immer finden sich in der Geschichte der Menschen vielfältige
Phänomene. Welche dieser Phänomene historisch wirkungsmächtig werden,
hängt dabei von einer Vielzahl von Faktoren ab. Allerdings bilden sich
immer wieder Systeme heraus, in denen über lange Zeiträume ganz
spezifische Aspekte menschlicher Existenz dominant sind. Zu denken
wäre hier an die Religion, die in feudalen Gesellschaftsystemen eine
zentrale Rolle eingenommen hat, oder an das Geld, das in unserer noch
fortdauernden kapitalistischen Gesellschaftsformation die
Dominanzrolle übernommen hat. An beiden Beispielen wird insbesondere
deutlich, daß der zu bestimmten Zeiten dominante Aspekt zu anderen
Zeiten keine große Rolle gespielt hat bzw. spielt.

Dieser Abschnitt soll zeigen, daß Aspekte, die aufgrund
theoretisch-empirischer Überlegungen zu Dominanten der
GPL-Gesellschaft werden sollen, bereits schon sehr lange existieren.
Dies mag als Anknüpfungspunkt für Überlegungen dienen, die die
Prinzipien der Entwicklung Freier Software auf andere Bereiche
übertragen möchten.

2.1. Frühere SelbstentfalterInnen
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Einer der zentralen Aspekte im Diskurs um die GPL-Gesellschaft ist der
der Selbstentfaltung[4]. Selbstentfaltung in verschiedenen
Ausprägungen[5] wird als zentrales Motiv für die Entwicklung und
letztlich auch den Erfolg Freier Software verstanden. Selbstentfaltung
ist aber nun wahrlich nichts, was die Freie Software erfunden hat,
sondern eine tief im Menschen angelegte Möglichkeit. Klar, daß sich
Ausprägungen dieser Möglichkeit auch zahlreich in der Vergangenheit
finden lassen. Hier seien einige dieser Ausprägungen herausgegriffen.

2.1.1. KünstlerInnen
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KünstlerInnen sind vielleicht das naheliegendste Beispiel für
klassische Selbstentfaltung. Ja, die KünstlerIn definiert sich
geradezu durch Selbstentfaltung.

In besonders reiner Form tritt dies bei einigen verarmten
KünstlerInnen zu Tage, denen ihr künstlerisches Schaffen so sehr
Berufung ist, daß ihre materielle Existenz darüber ins Hintertreffen
kommt[6]. Weniger wichtig ist der Aspekt der Selbstentfaltung dagegen
bei solchen KünstlerInnen, die in erster Linie für einen Markt
produzieren. Durch die Orientierung an Verkaufbarkeit treten hier mehr
oder weniger deutliche Brüche zwischen der künstlerischen
Selbstentfaltung und den Marktvorgaben auf.

Eine Kunstgattung, an der beide Phänomene leicht zu studieren sind,
ist die Musik. Hier kennen wir sowohl Menschen, die ausschließlich zur
Selbstentfaltung musizieren - in besonders reiner Form in der
Hausmusik zu finden - als auch Menschen, die Musik für einen
Massenmarkt produzieren bis hin zu den willfährigen Marionetten der
Musikindustrie, die uns tagtäglich aus den Radios und
Video-Clip-Kanälen des Fernsehens entgegentönen. Dazwischen gibt es
einen weiten Bereich, in dem sich Selbstentfaltung mit Fremdbestimmung
durch Marktinteressen auf vielfältige Weise mischt.

2.1.2. BastlerInnen und andere handwerkliche HobbyistInnen
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Aber auch nicht als künstlerisch verstandene, nichtsdestotrotz aber
schaffende Tätigkeiten können Ausprägungen von Selbstentfaltung sein.
Es hat immer wieder ausgedehnte BastlerInnen-Kulturen gegeben, die aus
konkreter Notwendigkeit[7], oft aber auch aus Freude am Schaffen tätig
geworden sind. Z.B. ist auch die Entwicklung von Computer-Hardware,
die heute als Personal Computer bezeichnet würde, über einige Zeit in
erheblichem Umfang durch private Bastelei geprägt worden.[8]

Die Beschäftigung mit Material, Technik und Problem gepaart mit
handwerklichem Können ist immer schon ein Bereich gewesen, in dem
Menschen ihrer Selbstentfaltung gefrönt haben. Allerdings waren solche
Basteleien bislang immer auf einem nicht-industriellen und damit
niedrigen Produktivitätsniveau angesiedelt.

Nun sind die industriellen Produktionsmittel, die Maschinen, die für
andere Bastelprodukte benötigt würden, eben auch in Anschaffung und
Unterhalt sehr aufwendig. Die massenhafte Verbreitung von PCs und
Internet, die gleichermaßen in der industriellen / kommerziellen
Software-Produktion wie bei Freien Software-EntwicklerInnen verwendet
werden, ist in dieser Beziehung ein neues Phänomen. Durch diese
Vergesellschaftung von Produktionsmitteln werden die HobbyistInnen in
die Lage versetzt, auf dem mindestens gleichen Produktivitätsniveau
tätig zu werden wie im die EntwicklerInnen im industriellen Bereich.

2.1.3. Tätigkeit im sozialen Bereich
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Doch es gibt noch ganz andere Felder menschlicher Aktivität, in denen
Selbstentfaltung eine Rolle spielt. So werden helfende Tätigkeiten im
sozialen Bereich oft als Selbstentfaltung wahrgenommen.

2.1.4. Tätigkeit im familiären Umfeld
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Auch die Tätigkeit im familiären Umfeld wird oft als ein Feld von
Selbstentfaltung beschrieben. Insbesondere der Umgang mit Kindern gilt
vielen als eine ganz spezifische, leider allzuoft fest an das
weibliche Geschlecht gekoppelte Form der Selbstentfaltung betrachtet.

An diesem Beispiel werden vielleicht besonders deutlich, wie
verschiedene Aspekte von Selbstentfaltung zusammenwirken: Spaß an der
Tätigkeit, Beseitigung von Notwendigkeit und Übernahme von
Verantwortung sind im Umgang mit Kindern kaum voneinander zu trennen.

An diesem Beispiel wird jedoch auch deutlich, wie der Stellenwert
bestimmter Inhalte von Selbstentfaltung sich historisch verändert. War
Kindererziehung noch vor einigen Jahrzehnten nicht nur
gesellschaftlich und individuell völlig unumstritten, so hat
insbesondere durch die Frauenemanzipation ein deutlicher
Wertewandel[9] stattgefunden, der sich sowohl gesellschaftlich als
auch individuell niederschlägt.

Fazit: Selbstentfaltung hat es schon immer gegeben
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Wir können also feststellen, daß es Selbstentfaltung in der
menschlichen Geschichte schon immer und auf vielfältigste Art und
Weise gegeben hat.

Wie am Beispiel der Familientätigkeit deutlich wird, unterliegen die
je konkreten Inhalte von Selbstentfaltung einem
gesellschaftlich-historischen Wandel. Dies gilt es gerade beim
Nachdenken über eine GPL-Gesellschaft im Auge zu behalten, da hiermit
Einflußgrößen auf Inhalte von Selbstentfaltung sichtbar werden. Soll
eine GPL-Gesellschaft ganz auf der Selbstentfaltung der Mitglieder
beruhen, so kann es bedeutsam sein, solche Einflußgrößen zu kennen und
ggf. auch im Interesse einer funktionsfähigen Gesamtgesellschaft zu
nutzen.

2.2. Freie Information
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Neben der Selbstentfaltung spielt die Freie Information in der
Entwicklung Freier Software und für deren Erfolg eine außerordentlich
wichtige Rolle. Die Offenlegung des Quellcodes[10] und dessen Freie
Verfügbarkeit trägt unmittelbar und auf verschiedenen Weisen zum
Erfolg Freier Software bei.

Nun hat es aber auch auf dem Feld der Information bzw. des Wissens[11]
schon immer Phänomene Freien Wissens gegeben. Einige Beispiele.

2.2.1. Wissenschaft
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Die Wissenschaft ist sicher einer der klassischen Bereiche Freier
Information. Der Freie Fluß[12] von geistiger oder
naturwissenschaftlicher Erkenntnis in einer Wissenschafts-Community
gehört seit jeher zum wissenschaftlichen Grundverständnis. Und die
wissenschaftlichen Communities aller Epochen hatten auch einen
einfachen Grund für diese Praxis: Es war einfach nützlich,
wissenschaftliche Erkenntnis zu verbreiten und durch
Peer-Review-Techniken[13] evolutionär zu verbessern. In vielen Fällen
wurden wissenschaftliche Errungenschaften auch von den EntdeckerInnen
auch als Teil einer kollektiven Leistung angesehen[14].

Auch heute noch wird in den Sonntagsreden dieser Anspruch der Freien
Veröffentlichung aufrecht erhalten, tatsächlich findet Wissenschaft
aber immer öfter hinter verschlossenen Türen statt. Dieser Verschluß
wissenschaftlicher Erkenntnis ist der Geldform geschuldet, die auch
diesen Bereich zunehmend überwuchert. Die daraus resultierende
Verknappung von Wissen kann für die jeweiligen InhaberInnen des
Wissens für eine gewisse Zeit eine Einkommensquelle bedeuten. Es ist
anzunehmen, daß diese abgeschlossene Wissenschaft auch in schlechteren
Ergebnissen resultiert als mit gleichem Ressourceneinsatz betriebene
Freie Wissenschaft.

Andererseits gibt es aber in der Wissenschafts-Community auch
interessante Entwicklungen, wo WissenschaftlerInnen ihre Ergebnisse
auf eigene Faust im Web publizieren. Mittlerweile gibt es sogar von
Seiten der WissenschaftlerInnen Forderungen an die
Wissenschaftsverlage [http://www.publiclibraryofscience.org/], die
publizierten Artikel nach einer gewissen Frist im Web zu
veröffentlichen.

2.2.2. Freie Kochrezepte
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Doch auch in scheinbar viel profaneren Bereichen menschlichen Lebens
spielt Freie Information eine bedeutende Rolle. Kochrezepte sind seit
jeher Information, die Frei verteilt werden, jedermensch zur Verfügung
stehen und die permanent weiterentwickelt werden.

Überhaupt gibt es bei den Kochrezepten viele verblüffende Parallelen
zu den Prinzipien der Entwicklung Freier Software. Die weltweite
Koch-Community verteilt Rezepte Frei untereinander und sie stehen
allen zum Nehmen zur Verfügung. Kochrezepte können selbstredend
angepaßt und beliebig verändert werden. Auch die Qualität der heute
verfügbaren Kochrezepte, wobei deren unüberschaubare Vielfalt bereits
eine Qualität für sich ist, wäre ohne diesen Freien Fluß sicher nicht
so hoch. Kochrezepte werden wie Freie Software für einen je konkreten
Nutzen, für ein konkretes Bedürfnis ersonnen und wer schon mal selbst
gekocht und damit ein Kochrezept zumindest angewendet hat, wird
bestätigen, daß es beim Kochen durchaus Selbstentfaltungsaspekte gibt.

Sogar zu bei der Freien Software üblichen und teilweise verkauften
Distributionen gibt es das Pendant der Kochbücher. Auch hier wird
weniger für die Information als für deren Zusammenstellung und mediale
Aufbereitung bezahlt. Durch das Internet und entsprechende
Kochrezept-Sites[15] ergeben sich weitere Ähnlichkeiten.

Allerdings spielt sich die Entwicklung von Kochrezepten im
nicht-industriellen, eher häuslich-handwerklichen Bereich ab. Dies ist
allerdings ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu Freier Software.

2.2.3. Freie Musik
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Auch Musik war über den größten Teil der Menschheitsgeschichte eine
Freie Information. Erst seit historisch kurzer Zeit wird mit Hilfe des
Copyrights diese Form der Information künstlich verknappt[16].

Vor dieser Zeit war Musik ein Gemeingut und der Freie Fluß von
Melodien, Rhythmen, Stilen und anderen Aspekten von Musik hat uns erst
die musikalische Vielfalt[17] beschert, die wir heute genießen können.

2.2.4. Freie Geschichten, Märchen
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Eine ähnliche Entwicklung läßt sich im Bereich der Geschichten
feststellen. Die Brüder Grimm beispielsweise sammelten nur seit
Generationen überlieferte Märchen auf und brachten sie in das Medium
Buch. Erst mit diesem Schritt wurde das vorherige Allgemeingut
Copyright-fähig und noch dazu wurde es oft einer Person zugerechnet.

In oral geprägten Kulturen gilt dagegen die GeschichtenerzählerIn nur
als InterpretIn des allgemeinen Geschichtenschatzes. Die persönliche
Leistung beschränkt sich in dieser Sicht auf die je konkrete
Ausgestaltung der Geschichte. Und tatsächlich ist auch Literatur ohne
den kulturellen Background nicht vorstellbar.

Fazit: Das Konzept Freier Information ist nicht neu
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Das Konzept Freier Information ist also nicht neu. Vielmehr ist das
Konzept des Copyrights historisch neu und die Vermarktung von
Information ist überhaupt erst möglich, seitdem es Medien gibt, an die
die Information fest gebunden werden kann (z.B. Bücher, CDs), die
knapp[18] sind und sich somit zur Ware eignen.

An diesen herkömmlichen Beispielen wird deutlich, wie nützlich das
Konzept Freier Information für die Menschheit schon in der
Vergangenheit war. Freie Software gibt der Menschheit diese
Information zurück und stößt damit die Tür für ein Modell auf, in der
Freie Information (wieder) dem Nutzen aller dient.

_____________________

[1] Die Mailing-Liste wird im Web unter http://www.oekonux.de
archiviert. Dort findet sich auch weiteres ein- und weiterführende
Text-Material.

[2] Der Begriff GPL-Gesellschaft ist im Oekonux-Diskurs geprägt
worden. Eine frühe Erwähnung findet sich in GNU/Linux - Meilenstein
auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft
[http://www.oekonux.de/texte/meilenstein/]. Der Begriff bezeichnet
eine gesellschaftliche Formation, die auf den Prinzipien der
Entwicklung Freier Software beruht. GPL bezeichnet dabei die GNU
General Public License [http://www.gnu.org/licenses/gpl.html], die die
formal-rechtliche Grundlage für einen großen Teil Freier Software
bildet.

[3] Eine nähere Betrachtung der Bezeichnung GPL-Gesellschaft zeigt,
daß in einer solchen Gesellschaft eine Lizenz wie die GPL nicht mehr
nötig sein dürfte. Auch aus anderen Gründen wurde die Bezeichnung
mehrfach kontrovers in der Oekonux-Liste debattiert. Aufgrund der
mittlerweile nennenswerten Verbreitung der Bezeichnung, halte ich eine
Beibehaltung für diesen Begriff aber für angezeigt.

[4] Wir grenzen bewußt vom Begriff der Selbstverwirklichung ab, da
Selbstverwirklichung einen letztlich beschränkten Prozeß bezeichnet -
wer irgendwann wirklich ist, hat's hinter sich. Selbstentfaltung ist
jedoch als unbeschränkter Prozeß zu verstehen, der während des
gesamten Menschenlebens stattfinden kann. Weiterhin ist
Selbstentfaltung immer als ein in die Gesellschaft eingebetteter
Prozeß gedacht, der sich von dem oft als ausschließlich
individualistisch verstandenen Begriff Selbstverwirklichung abhebt.

[5] Eine unvollständige Aufzählung verschiedener Aspekte von
Selbstentfaltung, die im Oekonux-Diskurs bisher aufgetaucht sind: Spaß
an bestimmten Tätigkeiten, Beseitigung von Notwendigkeit, Übernahme
von Verantwortung, Kooperation mit anderen, Interesse an hoher
Qualität.

[6] Auch für Software-Entwicklung wird immer wieder festgestellt, daß
sie mit künstlerischen Aspekten verbunden ist. Aus eigener Erfahrung
würde ich in der Tat bestätigen, daß gute Software eine Menge mit
Ästhetik zu tun hat, ja, daß eine ästhetisch aufgebaute Software auch
eine gute Software ist. Allerdings haben Software-EntwicklerInnen
gegenüber anderen KünstlerInnen den großen Vorteil, daß die Produkte
ihrer Kunstfertigkeit ausgesprochen gefragt sind.

[7] In diesem Zusammenhang ist auch an Kulturen z.B. bei
Hobby-GärtnerInnen zu erinnern, in der (vorübergehende) Überschüsse in
der Erntezeit Frei an Nachbarn und Bekannte verteilt wurden und immer
noch werden.

[8] Vgl. Free Hardware Design - Past, Present, Future
[http://www.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/seaman.html]

[9] Dieser Wertewandel wurde vor allem durch Änderungen in der
Ideologie erzielt. Die vorherrschende ideologische Bild der Frau als
Mutter wurde über die Jahre immer mehr durch ein Bild einer Frau
ergänzt, die nicht ausschließlich auf die Mutterrolle festgelegt ist.
Entsprechende Entwicklungen für Männer sind hier erst in
Spurenelementen zu erkennen.

[10] Ein Computer-Programm wird in einer Programmiersprache
geschrieben. Diese Form wird Quelle genannt und ist von Menschen
lesbar. Zur Ausführung durch den Computer wird diese Quelle in vielen
Fällen in das sogenannte Binary übersetzt, das dann im wesentlichen
nur noch von der Maschine "verstanden" werden kann. Proprietäre
Software wird in aller Regel nur in dieser binären Form ausgeliefert,
so daß der Zugang zu dem im Programm steckenden Wissen der KäuferIn
verborgen bleibt.

[11] Ich möchte als Arbeitsbegriff unter Wissen diejenige Information
verstehen, die ein Mensch in seinem Kopf hat. Der allgemeinere Begriff
der Information ist dagegen vom Menschen abgelöst und kann z.B. bei
der Maschinensteuerung, aber auch zur Steuerung der Eiweißproduktion
in der Zelle herangezogen werden.

[12] Mir liegt daran, hier nicht von einem "Austausch" zu sprechen, da
es sich einerseits eben nicht um einen Austausch handelt - nicht
jedeR, die etwas bekommt, gibt auch etwas - und andererseits der
Begriff des Austauschs das eigentlich Spannende eher vernebelt als
erhellt.

[13] Der in der Wissenschaft explizite Peer-Review, bei der
fachkompetente KollegInnen ihre Ergebnisse untereinander begutachten,
ist auch in der Freien Software an der Tagesordnung - durch die offen
liegenden Quellen ist dies ja auch einfach möglich. Es gab allerdings
schon bei den Handwerksgilden solche Peer-Review-Techniken, über die
u.a. die Einhaltung gewisser Qualitätsstandards durch alle
Gildemitglieder überprüft wurde.

[14] Bekannt ist der Newton zugeschriebene, vermutlich aber viel
ältere Ausspruch, daß er nur deswegen weiter sehen konnte als andere,
weil er auf den Schultern von Riesen stand.

[15] Vgl. z.B. http://www.chefkoch.de/

[16] Ziel dieser künstlichen Verknappung soll angeblich sein, daß die
MusikerInnen von ihrer Musik leben können. Mindestens die heutige,
konkrete Ausgestaltung der Verteilung der Einnahmen sichert aber vor
allem riesige Gewinnmargen der Musikindustrie.

[17] Auch hier schlägt sich übrigens das Verwertungsinteresse vor
allem der Musikindustrie negativ nieder. Anstatt uns mit einer
reichhaltigen musikalischen Kultur zu bereichern, ist es für die
Musikindustrie viel lukrativer, einen Einheitsbrei über den gesamten
Planeten zu kippen. Eine BeFreiung der Musik (auch) für die breite
Masse wäre eine auch kulturell interessante Forderung.

[18] Genau diesen Punkt knackt die durch Computer gegebene breite
Verfügbarkeit der digitalen Kopie. Die digitale Kopie verunmöglicht
eine Verknappung durch eine Verknappung von Informationsmedien. Der
sich ergebende Konflikt zu den herkömmlichen Vermarktungswegen wird
seit einiger Zeit im Bereich der Musik ausgetragen (Stichwort: Napster
[http://www.napster.com] vs. RIAA), wird sich aber in Kürze auf andere
Bereiche ausdehnen.

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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