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Re: [ox] Konferenz-Beitrag: Von der Waren- zur Wissensgesellschaft



Hi Hans-Gert und Liste!

3 weeks (22 days) ago Stefan Merten wrote:
Von der Waren- zur Wissensgesellschaft
======================================

Hans-Gert Gräbe
...
1. 'Oekonux' und 'New Economy' sind sich einig: Information und Wissen
und damit die Kompetenz der Individuen werden in der Gesellschaft von
morgen eine zentrale Rolle spielen.

Nun, ich kann nicht für die "New Economy" sprechen und auch nur für
ein kleines Stückchen Oekonux, aber den Kurzschluß zwischen
Information, Wissen und gar Kompetenz würde ich nicht teilen.
Information wird eine zentrale Rolle spielen - und spielt es schon
heute. Aber wie ist das mit Wissen und Kompetenz?

Kompetenz auf den je gesellschaftlich relevanten Feldern steht jeder
Gesellschaft gut zu Gesicht würde ich denken. Heute spielt in vielen
Bereichen technische Kompetenz eine große Rolle. Übrigens mit einem
immer deutlicheren Schwerpunkt auf rein verkopfter Intelligenz - die
physische Handhabung der Naturstoffe nehmen uns Maschinen ja mehr und
mehr ab und selbst vermittelte Handhabungen wie eine Drehbank sind ja
heute CNC.

Aber neben technischer gibt es ja auch noch soziale Kompetenz - um
eine von vielen rauszugreifen. Die finde ich *gerade* im Bereich der
Freien Software eine sehr wichtige Größe. Ich würde mal sagen, daß
z.B. eine erfolgreiche Maintainerschaft ohne soziale Kompetenz nicht
oder nur mit Mühe zu machen ist. Für diese Sorte Kompetenz spielt
Information aber nur eine untergeordnete Rolle. Hier sind Dinge wie
eine gute Wahrnehmung, Erfahrung im Umgang mit Menschen,
Moderationsfähigkeiten, etc. viel wichtigere Größen.

Und mit dem Wissen verhält es sich ähnlich. Ich schätze, daß die
Menschen vor 500 Jahren genauso viel Kilo Wissen im Kopf hatten wie
wir heute. Anderes halt. Welches, das heute nicht mehr
gesellschaftlich relevant ist und vermutlich des öfteren in den
Bereich der Esoterik verwiesen würde. Und in 500 Jahren wird kein
Mensch mehr wissen, was Geld ist oder gar eine Börse.

Information - und damit meine ich etwas vom Menschen losgelöstes -
spielt tatsächlich eine immer wichtigere Rolle. Einfach weil sie in
unserer Technik eine immer wichtigere Rolle spielt.

Letztlich müßten wir mal wieder Begriffe klären, aber ich denke - in
meinem gerade ausgebreiteten Sprachspiel -, daß eine
Wissensgesellschaft schon immer existiert, daß es geradezu sinnlos ist
von einer menschlichen Gesellschaft zu sprechen, die keine
Wissensgesellschaft ist, weil Wissen ein entscheidender Faktor für
menschliche Gesellschaft überhaupt ist.

Oh je, jetzt wird StefanMz mir wieder in die Parade fahren, weil ich
die Begriffe "Information" und "Wissen" schon wieder so falsch
verwende :-( .

4. Diese Prozesse lassen sich nicht im engen Korsett eines
Arbeitsbegriffs analysieren, der diese allein als "zweckgerichtete
Tätigkeit" versteht, da eine solche Betrachtung die Mechanismen der
Zwecksetzung samt der dahinter stehenden Gesellschafts- und
Vergesellschaftungsstrukturen ausblendet. Ein solcher Arbeitsbegriff -
Arbeit als "produktive Arbeit" - liegt aber der Marxschen
Kapitalanalyse zugrunde.

Dies ist jedoch kein theoretisches Defizit bei Marx, sondern
analytische Konsequenz der praktischen Blindheit marktwirtschaftlicher
Mechanismen für diese Zwecksetzung. Sie findet ihren Ausdruck in der
Reduktion aller dinglichen Zwecke auf eine einzige Form, die abstrakte
Wertform des Geldes.

Die Analyse heutiger ökonomischer Prozesse ist nur auf der Basis eines
erweiterten Arbeitsbegriffs möglich, der auch die reflektorischen
Leistungen der Gesellschaft in den Blick bekommt.

Na, hier sagst du doch was der Zweck einer solchen Tätigkeit ist:
reflektorische Leistungen. Ich sehe nicht, warum das keine Arbeit im
Sinne zweckgerichteter Tätigkeit sein kann. Der Zweck ist vielleicht
nur global angebbar und nicht auf ein Produkt runterzubrechen, an der
allgemeinsten Zweckgerichtetheit wissenschaftlicher Arbeit -
Erkenntnisgewinn - ändert das m.E. aber nichts.

Dessen Subsumierung unter einen zu erweiternden Mittelbegriff ist für
die Zwecke der Analyse der heutigen Umbrüche kontraproduktiv, da genau
das Verhältnis dieser "Wissenstools" zu den bisherigen dinglichen
Produktionsmitteln der Analyse bedarf. Neben dem Kategorienpaar
Produkte/Mittel ist also ein weiteres Kategorienpaar Zwecke/Konzepte
(genauer: die in den Wissenstools vergegenständlichte Semantik und
Pragmatik) zu betrachten, das sich zwischen Produkte/Mittel als Target
von Zwecken/Konzepten und den Menschen als weiterhin einziges
kreatives Element in diesem Prozess der Auseinandersetzung mit der
Natur schiebt.

In der Perspektive flexibler automatisierter Produktionssysteme
verschiebt sich jedoch der instrumentelle Aspekt der
Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur eindeutig hin zu den
"Wissenstools", denen gegenüber die materielle Ausformung von
Produkten und Werkzeugen aus Sicht der notwendigen gesellschaftlichen
Aufmerksamkeit ähnlich marginal wird wie es heute bereits (im
Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter) der tatsächliche Einsatz der
industriellen Maschinerie zur (physischen) Bearbeitung/InFormung von
Naturprodukten ist.

Ich bin nicht sicher, ob ich dich hier verstehe, aber sind die
"Wissenstools" - ich vermute du redest von Software? - nicht eben nur
eine neue Form von Mitteln? Zugegeben eine qualitativ neue, aber
dennoch Mittel der Menschen zur Auseinandersetzung mit der Natur.

Die revolutionären Veränderungen unserer Zeit bestehen damit im Kern
in der Verschiebung dieser Mittelperspektive von einer
"Arbeitsgesellschaft" (im Sinne einer Gesellschaft der "unmittelbar
produktiven Arbeit") hin zu einer "Wissensgesellschaft", die durch das
zunehmende Heraustreten des Menschen aus dem unmittelbaren
Produktionsprozess zugunsten seines stärkeren Einstiegs in den
Reproduktionsprozess geprägt wird.

Ich habe etwas Schwierigkeiten mit dem Begriff "unmittelbar
produktiv". Was soll denn das genau bedeuten? Wenn ich mit den
Taschenmesser in einem Stück Holz rumschnitze, bin ich dann
unmittelbarer produktiv als wenn ich das eine Drehbank machen lasse?
Schieben sich nicht einfach nur immer mehr Mittelbarkeitsebenen
zwischen Mensch und Natur (und übrigens auch Mensch und Mensch!)? Da
sehe ich noch nicht so richtig den qualitativen Sprung.

7. Eine wichtige Ebene eines solchen Dominanzwechsels wird geprägt
durch den Übergang von einer Arbeits- zu einer Kompetenzgesellschaft:

In Zukunft hängt die "Vernutzbarkeit" des Einzelnen viel stärker ab
von seinen individuellen Kenntnissen, Erfahrungen, Fähigkeiten und
Fertigkeiten, also von seiner Kompetenz, als von seiner physischen
Arbeitskraft.

Na ja, physische Arbeitskraft ist ja auch eine Fähigkeit, Kompetenz,
Fertigkeit. Vor allem fachlich ausgebildete physische Arbeitskraft,
die heute wohl nur noch selten etwas mit Muskelkraft zu tun hat.

Technologische Voraussetzung der Teilhabe an einem solchen modernen
Produktionsprozess ist damit viel stärker die sich in individueller
Kompetenz ausdrückende Beherrschung (eines Teils) der "Macht der
Agentien" als die Bereitstellung einer (unterschiedslosen abstrakten)
physischen Arbeitskraft auf einem fiktiven "Arbeitsmarkt".

Ich will's mal auf Konkretes runterbrechen: Die Beherrschung eines
Word-Processors z.B. Das ist aber auch ziemlich unterschiedslos
abstrakt wie die pure Muskelkraft, von der du scheinbar redest.

Der daraus
resultierende Selbstverwirklichungsanspruch ist die Basis des
emanzipatorischen Potenzials der Wissensgesellschaft.

Das hört sich schon besser an. Vielleicht hast du ja doch einfach
recht ;-) .

Die Reproduktion
dieser "Macht der Agentien", insbesondere der aktiv verfügbaren
Wissensbasis der Gesellschaft und ihrer Teile, wird zur zentralen
gesellschaftlichen Aufgabe.

Das ist allerdings wahr. Die technische Kompetenz - aber auch die
soziale - muß heute organisiert werden und fällt nicht vom Himmel.
Klassisch eine Staatsaufgabe. Wie geht das in der GPL-Gesellschaft?
Lernen als Selbstentfaltung? Könnte ich mir jedenfalls vorstellen.

Die Hauptgewichte der ökonomischen Aktivitäten, die sogenannten
"geschäftskritischen Prozesse", verlagern sich damit von der
Produktion selbst hin zur Vorbereitung der Produktion. Während man im
Fordismus, der das 20. Jahrhundert maßgeblich prägte, noch Produkte
vorhielt (mit Massenproduktion, Massenkonsum, Werbung etc. im
Schlepptau), verlagert sich nun der Schwerpunkt hin zum Vorhalten von
Produktionsbedingungen, aus denen heraus "just in time" und
maßgeschneidert Produkte entsprechend individuellen Bedürfnissen
produziert werden können.

Das finde ich einen wichtigen Gedanken!


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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