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[ox] Re: Swpat durch die Hintertuer



Andreas Kleiner antwortete auf Kurt-Werner Poertner:

Wuerde die Justiz stur an den ihr vorgegebenen Gesetzen festhalten und
 sich auf eine moeglichst widerspruchsarme Auslegung beschraenken, so
 koennte sie den Gesetzgeber zwingen, seine Aufgabe wahrzunehmen.

Ich darf darauf aufmerksam machen, dass, wenn sich die Justiz nur
stur an die >Gesetze halten würde, wir heute noch den § 218 in seiner
alten Form, den § >175 (Homosexualitätsparagraph) und den
Kuppeleiparagraph usw. hätten. Also >das kann's ja nun auch nicht
sein.

Kurt-Werner Pörtner

 Zwischen Nicht-Anwendung (und Nichtmehr-Anwendung) auf der einen
 Seite und Falsch-Anwendung ist doch wohl zu unterscheiden.

 So kann der Richter zwar sagen "dieser Paragraph scheint mir überholt",
 aber er kann wohl kaum sagen "das maximale Strafmass erscheint mir
 zu niedrig, ich verdoppele es mal eben". (*)

Diese Unterscheidung verstehe ich nicht.

Wenn der das Gesetz nicht anwendet, verletzt er das Gesetz.

Natuerlich kann es manchmal mehrere einander widersprechende Gesetze
geben, woraus dann ein Gewichtungsspielraum entsteht.

So etwas sollte aber vom Gesetzgeber behoben werden.  Wenn jemand meint,
durch richterliche Rechtsfortbildung ueber "stockkonservative" Pragraphen
zum Thema Abtreibung o.ae. hinweggehen zu muessen, schrillt bei mir auch
eine Alarmglocke.  Falls gewisse "fortschrittliche Kraefte" wirklich
glauben, diese Paragraphen seien ueberholt, dann sollte es ihnen nicht
schwer faellen, die noetigen Mehrheiten zu einer Gesetzesaenderung
zusammenzubringen.  Fuer den Richter ist Konservativitaet eine Tugend,
wie auch Kolle in http://swpat.ffii.org/vreji/papri/kolle77/ treffend
schreibt.

Im Falle Swpat haben wir es mit einer glasklaren Gesetzesregel relativ
neuen Datums und eine 100 Jahre alten gewohnheitsrechtliche Begrenzung des
Patentwesens auf den Bereich der Technik (Naturgesetze-Anwendung) zu tun.
Es gibt in dieser Gesetzesregel weder Auslegungsschwierigkeiten noch
ernsthafte Fragen ob ihrer Angemessenheit.  Haette es solche gegeben, so
waere der Gesetzgeber zu konsultieren gewesen.

Ich zitiere hier noch einmal, was das

	"Lehrbuch des Patentrechts" (Bernhardt & Krasser 1986)
	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/krasser86/

dazu zu sagen hat -- man lese am besten selber noch einmal den ganzen
Text:

     Programmen für Datenverarbeitungsanlagen (im folgenden: DVA) ist --
     als solchen -- der Patentschutz nicht zugänglich. Durch die
     Einführung dieser Vorschrift mit Wirkung vom 1.1.1978 hat sich die
     vorher bestehende Rechtslage nicht wesentlich verändert. Der BGH
     hatte bereits 1976 Organisations- und Rechenprogramme für
     elektronische DVA, bei deren Anwendung lediglich von einer in
     Aufbau und Konstruktion bekannten DVA der bestimmungsgemäße
     Gebrauch gemacht wird, für nicht patentfähig erklärt. In einer
     Reihe weiterer Entscheidungen, denen ebenfalls noch das frühere
     Recht zugrundeliegt, wird diese Auffassung näher erläutert.

...

     Die Begrenzung des Patentschutzes auf das Gebiet der Technik hat
     zur Folge, dass wesentliche geistige Leistungen von hohem
     wirtschaftlichem Wert unberücksichtigt bleiben.

     So pflegen das Erarbeiten des Lösungsprinzips, das einem
     Computerprogramm zugrundeliegt, seine Umsetzung in Programmvorstufe
     wie Ablaufplan oder Datenflussplan und schließlich das
     maschinenlesbare Programm selbst beträchtlichen Aufwand zu
     erfordern. Die geistigen Leistungen, die dabei erbracht werden,
     sind gewiss nicht generell geringer als bei vielen patentwürdigen
     technischen Erfindungen. Wirtschaftlich ist
     Datenverarbeitungs-Software oft von bedeutendem Wert;  ...

     Der BGH lehnt es freilich ab, auf das Erfordernis des technischen
     Charakters zu verzichten.

     Es bilde das einzig brauchbare Abgrenzungskriterium gegenüber
     anderen eistigen Leistungen des Menschen, für die ein Patentschutz
     weder vorgesehen noch geeignet sei. Das PatG sei nicht als
     Auffangbecken für den Schutz aller sonst nicht begünstigten
     geistigen Leistungen, sondern als Spezialgesetz für den Schutz
     eines umgrenzten Kreises geistiger Leistungen gedacht.

     Durch Ausehnung des Technikbegriffs den Anwendungsbereich des
     Patentschutzes zu erweitern, hält der BGH ebenfalls nicht für
     richtig.

     Werde zu den Naturkräften, deren planmäßiger Einsatz die Technik
     kennzeichnet, auch die menschliche Verstandestätigkeit als solche
     gerechnet, so müsse -- bei kausaler Übersehbarkeit -- jede
     Anweisung zu planmäßigem Handeln als technisch angesehen werden.
     Damit werde der Patentschutz geistigen Leistungen eröffnet, deren
     Wesen und Begrenzung nicht zu erkennen und nicht zu übersehen sei.

     Auch im Schrifttum wird auf die Abgrenzungsfunktion des
     Erfordernisses technischen Charakters hingewiesen.

     Im Falle seiner Lockerung werde Schritt für Schritt allen Lehren
     für verstandesmäßige Tätigkeit der Patentschutz eröffnet; hiergegen
     bestünden Bedenken insbesondere wegen der Freihaltebedürfnisse in
     Bezug auf Arbeitsergebnisse und Methoden der Betriebswirtschaft
     (für Management, Organisation, Rechnungswesen, Finanzierung,
     Werbung, Marketing usw.), die von allen Wirtschaftsunternehmen
     benötigt würden, und auf Algborithmen, wie sie Computerprogrammen
     zugrundeliegen. ([116]Kolle 1977)

     Auf der anderen Seite wird eine Überprüfung des Ausschlusses
     nichttechnischer Handlungsanweisungen verlangt, da er vorwiegend
     historisch bedingt und nicht mehr zeitgemäß sei. ([117]Beier 1972,
     Wertenson GRUR 1972, 60ff und vgl auch A. Troller, Ist der
     immaterialgüterrechtliche "Numerus clausus" der Rechtsobjekte
     gerecht? in: Jus et Lex, Festgabe für M. Gutzwiller, Basel 1959, S.
     769-786 (772ff, 780))

     Für das geltende Recht wird es bei der vom BGH bekräftigten
     Begrenzung des Patentschutzes auf technische Erfindungen sein
     Bewenden haben müssen. Neben der ausdrücklichen Regelung in §1 Abs
     2 PatG und Art 52 Abs 2 EPÜ erlaubt es auch die bestehende
     institutionelle und organisatorische Ausgestaltung des
     Patentwesens, die durchweg auf das Gebiet der Technik zugeschnitten
     ist, nicht, hierüber durch richterliche Rechtsfortbildung
     hinauszugehen.

     Eine gesetzgeberische Fortentwicklung hätte jedenfalls daran
     festzuhalten, dass Ausschlussrechte von nicht übersehbarer
     Tragweite vermieden werden müssen; mindestens Entdeckungen,
     wissenschaftlichen Theorien und mathematischen Methoden müsste
     deshalb der Patentschutz verschlossen bleiben.

     Dagegen ist im Bereich der nichttechnischen Handlungsanweisungen
     und der Informationsvermittlung nicht notwendigerweise der
     mögliche Anwendungsbereich von Neuerungen so breit, dass die
     Reichweite eines Ausschlussrechts unkalkulierbar werden muss. Ob
     sich die Zulassung zum Patentschutz empfiehlt, hängt davon ab, wie
     die Schutz- und Belohnungsinteressen im Vergleich zu den
     Freihaltebedürfnissen zu werten sind.

     Tendenziell dürfte hierbei das Freihaltebedürfnis schwerer wiegen
     als bei technischen Erfindungen, weil Ausschlussrechte an
     Neuerungen, die der Mensch ohne Einsatz von Naturkräften benutzen
     kann, weniger als solche an technischen Erfindungen durch außerhalb
     seiner selbst liegende Objekte definiert sind und deshalb
     regelmäßig unmittelbarer und stärker in seine Handlungsfreiheit
     eingreifen. Insbesondere wären von Ausschlussrechten an
     kommerziellen Neuerungen erhebliche wettbewerbsbeschränkende
     Effekte zu befürchten.

     Kein hinreichendes Argument für die Gewährung von Patentschutz ist
     der Umstand, dass die geistige Leistung, der sie zugutekommen soll,
     anderweitig nicht oder nicht umfassend geschützt ist. Vielmehr
     können die Grenzen des nach geltendem Recht erreichbaren Schutzes
     auch Anzeichen dafür sein, dass den Freihaltungsinteressen der
     Vorrang gebührt.

     Insgesamt sprechen auch de lege ferenda nach gegenwärtigem
     Erkenntnisstand die stärkeren Gründe dagegen, den Bereich der
     nichttechnischen Handlungsanweisungen und der
     Informationsvermittlung ganz oder teilweise in den Patentschutz
     einzubeziehen. Jedenfalls könnte ein solcher Schritt nur auf Grund
     eingehender, auch rechtsstaatlicher, nach Sachgebieten
     differenzierter Analyse erwogen werden.

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/
79100 Unterschriften gegen Logikpatente: http://petition.eurolinux.org/


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
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