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[ox] Materialismus vs. Idealismus (was: Re: Grundfrage)



Hi Annette und alle!

3 weeks (22 days) ago Annette Schlemm wrote:
Ich hab im Moment auch keine saubere präzise begriffliche Grundlage für eine
Begründung der Aufgabe der Grundfrage oder ihre Neuformulierung. Ich mache
in der Praxis allerdings die Erfahrung, daß ich "reinsten Idealismus" schon
öfter mal antreffe und auch immer große Probleme damit habe. Ich kann die
entsprechenden Ansichten einfach nicht teilen - weiß aber oft nicht, wie ich
mit der- oder demjenigen, die oder der diese Meinung vertritt, argumentieren
kann. Hier liegen sehr grundlegende Differenzen vor, die ich eigentlich nie
geschafft habe, besonders fruchtbar zu machen.

Mein Hauptproblem mit idealistischen Positionen ist ihr mangelnder
Bezug zur (materiellen) Realität. Am materialistischen Herangehen
schätze ich unter anderem die strenge Bindung an die real existierende
Welt (ich weiß, daß das letztlich auch als Setzung begriffen werden
kann - laß ich hier mal raus). Eine eingehende und permanente Analyse
dieser real existierenden Welt und deren begriffliche Einordnung ist
m.E. die zentrale Stärke materialistischen Herangehens. Um die Sache
gut (d.h. der Realität adäquat) zu machen, ist zwangsweise auch ein
Einlassen auf die Welt notwendig, ohne das politisches Handeln nach
meiner Überzeugung ohnehin nur Beschäftigungstherapie o.ä. ist.

Deswegen *funktionieren* idealistische Positionen eben auch nicht. Ich
kann mir lange ausdenken, wie die Welt sein sollte - das ändert sie
aber erstmal überhaupt nicht. Ich kann mir lange einreden, daß ich
fliegen kann wie ein Vogel und das bestimmt toll logisch ableiten -
können tue ich es deswegen real noch lange nicht. Oder: Die
Reißbretter gehören halt auf die Müllhalde der Geschichte.

Zu einer Analyse der Realität und deren begrifflicher Fassung gehört
auch, neue Vorschläge in ein solches Begriffssystem einzubetten und
damit auf Praktikabilität / Sinngehalt zu testen. Z.B. - weil ich den
Thread gerade gelesen habe - ist dann eben klar, daß Tausch im Zentrum
der Gesellschaft immer auf ein kapitalistisches Modell hinauslaufen
muß oder eben auf die verschiedenen verkappten Tauschmodelle mit ihren
Pferdefüßen. Eine solche Analyse geht eben nicht mit einer
idealistischen Haltung, die das "Es müßte doch..." in den Mittelpunkt
stellt.

Im allgemeinen gilt ja auch: Wenn "es müßte" *und* es tatsächlich
könnte, dann hätten wir's ja schon längst. Es ist ja schon so viel
schon mal gedacht worden - warum hat es sich denn nicht durchgesetzt?
Weil die Menschen nicht überzeugt / missioniert / intelligent genug
waren? Wohl kaum. Damit landen wir letztlich nur in Glaubenskriegen,
die eigentlich mit der Aufklärung erledigt sein sollten. Vielmehr:
weil es nicht ging oder nicht im Interesse der Menschen lag. Wenn - um
beim Beispiel zu bleiben - heute jemensch argumentiert, daß heute
gehen soll, was vor 200 Jahren bei Proudhon schon gescheitert ist,
dann muß sie schon sehr gute Argumente bringen, was denn heute so
fundamental anders ist als damals.

Finde ich BTW auch die Stärke unseres Ansatzes. Wir kommen klar aus
der Analyse eines real-existierenden (und noch dazu: wichtigen)
Phänomens. Unsere utopischen Anteile sind an dieses real-existierende
Modell angekoppelt und gewinnen nach meiner Überzeugung genau deswegen
auch den Drive, den wir mittlerweile beobachten können.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
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