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Re: [ox] zur Zukunft der Einzelinteressen



Hallo Casimir und alle,

Das Allgemeininteresse, wenn man davon sprechen möchte,
 existiert immer, wenn es Einzelinteressen gibt (sonst wären
 nämlich diese keine Einzelinteressen), und schließt immer
 alle Einzelinteressen ein. 

Das definierst du hier so. Üblicherweise und bisher fließen längst nicht alle 
Einzelinteressen da ein. "Allgemeininteresse" ist eine Leerformel, es kommt 
immer darauf an, wie und durch wen bzw. auf welche Weise das inhaltlich 
bestimmt  bzw. artikuliert wird. Es so abstrakt wie du hier zu bestimmen, 
bringt praktisch keinen Schritt weiter.

 Die Frage nach dem Gegensatz
 zwischen dem Allgemeininteresse und dem Einzelinteresse ist
 also nicht so sehr die, ob das Allgemeininteresse das
 Einzelinteresse einschließt. Das tut es nämlich schon
 deshalb, weil es entweder die Gesamtheit (so etwa wie eine
 Vektorsumme) oder ein Abstraktum aller dazugehörigen
 Einzelinteressen ist.

Allgemeininteresse und Einzelinteressen sind jedenfalls nicht das selbe, da 
sind wir uns wohl einig. Um das Problem mit deinem Bild der Vektorsumme zu 
zeigen: Wenn die addierten Einzelinteressen gleichstark und gegensätzlich 
sind, wäre die Vektorsumme null. Liegen die Einzelinteressen nicht 
gegensätzlich, sondern nur sozusagen schräg, im Winkel zueinander, sind also 
nicht von vornherein völlig gleichgerichtet, wofür es auch ohne Kapitalismus 
keinen Grund gäbe, besteht im Ergebnis auch immer ein partieller Konflikt 
zwischen Einzel- und Allgemeininteresse. Aber man kann das sowieso nicht so 
"addieren", schon weil das multidimensional ist, nicht alles quantifizierbar, 
und immer im Plural von vielfältigen besonderen und allgemeinen Interessen 
die Rede sein müsste.
 
 Der Gegensatz kann also nur verschwinden, wenn auch
 umgekehrt *das Einzelinteresse das Gesamtinteresse
 einschließt*. Und hier ist mit "Interesse" nicht mehr eine
 Resultante aus objektiven Umständen gemeint, sondern das
 real vom Subjekt begriffene Interesse, also das Interesse,
 wie es durch das Bewußtsein des Einzelnen erscheint. Diese
 Art der Versöhnung des Einzelinteresses mit dem
 Allgemeininteresse ist aber in meinen Augen sowohl ein
 _unabdingbares Ding_ als auch eine "logische Folge" der
 gegewärtigen Entwicklung (welche nämlich gerade durch die
 kommerzielle Verabsolutierung des Einzelinteresses die Leute
 über kurz oder lang zwingt, das Gesamtinteresse zur Kenntnis
 zu nehmen und als Bestandteil ihres Einzelinteresses zu
 begreifen).

Selbst wenn die Einzelnen das Gesamtinteresse so in ihr Einzelinteresse 
einschließen wollten (was noch bezweifelt werden könnte, ob das alle in 
gleichen Maße täten, weil es in unterschiedlichem Maße ihren individuellen 
Sonderinteressen entgegenstehen wird): Es setzt voraus, 1. dass es ein 
bestimmtes Gesamtinteresse gibt (wie gesagt, wer und wie wird das inhaltlich 
bestimmt?), 2. dass alle Einzelnen dieses kennen und nicht jeweils 
unterschiedliches dafür halten: Es muss also eine gesellschaftliche 
Verständigung darüber gegegen hat, worin das Gesamtinteresse besteht. Damit 
sind wir wieder beim Ausgangsproblem. Woher nimmst du die Auffassung, dass 
alle der gleichen Auffassung darüber wären, was das Gesamtinteresse 
inhaltlich ist? Wenn man das aber, wie ich meine, keineswegs annehmen kann, 
s.o. 
 
   »Menschen werden auch dann noch in vielfältiger Weise unter
   unterschiedlichen Bedingungen leben und unterschiedliche
   Lebensgeschichten haben und daraus unterschiedliche
   Interessen artikulieren und diese durchzusetzen versuchen,
   in Auseinandersetzung mit anderen. Es kommt darauf an, dies
   nicht wegzubehaupten, sondern davon auszugehen und das in
   möglichst rationalen und demokratischen Formen auszutragen.«
 
 Das klingt leider ein wenig nach einer Art von Relativismus,
 welche genausogut das "Menschenrecht auf Ignoranz"
 postulieren und einklagen könnte, nämlich auf Ignoranz
 gegenüber den Interessen anderer, oder einfach gegenüber dem
 Allgemeininteresse. -- Ansonsten bräuchte ich ja keinen
 Mechanismus, der die Auswirkungen dieser (bis heute
 materiell bedingten) Ignoranz zu "zähmen" bestimmt ist.
 Clever ist, daß dieser Mechanismus hier als "möglichst
 rationale und demokratische Form" umschrieben wird, obwohl
 er ja offenbar nur dazu dient einen irrationalen Gegensatz
 zu _verwalten_.

M.E. ist die Unterschiedlichkeit der individuellen Interessen und das 
Problem, trotzdem gemeinsame Interessen zu bilden, nicht als "irrational" zu 
qualifizieren, sondern es besteht einfach. "Irrational" erweckt den falschen 
Eindruck, unter irgendwelchen "rationalen" Verhältnissen würde es nicht 
bestehen. Das sehe ich nicht.
 
 Im übrigen "kommt es" auch "darauf an", in die Zukunft nicht
 irgendwas 'hinzubehaupten', nur weil uns das aus heutiger
 Sicht plausibel erscheint. Auch das Gegenargument gegen das
 kritisierte "Wegbehaupten" will argumentativ fundiert sein.
 Es geht schließlich um unsere zukünftige Entwicklung!
 
Ich versuche hier doch ständig zu argumentieren. Davon abgesehen hängt 
"unsere zukünftige Entwicklung" allerdings so oder so nur sehr unwesentlich 
davon ab, was wir oder wer auch immer dazu so diskutieren.

Beste Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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