Re: [ox] zur Zukunft der Einzelinteressen
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Thu, 7 Jun 2001 05:23:59 EDT
Hallo Casimir und alle,
Das Allgemeininteresse, wenn man davon sprechen möchte,
existiert immer, wenn es Einzelinteressen gibt (sonst wären
nämlich diese keine Einzelinteressen), und schließt immer
alle Einzelinteressen ein.
Das definierst du hier so. Üblicherweise und bisher fließen längst nicht alle
Einzelinteressen da ein. "Allgemeininteresse" ist eine Leerformel, es kommt
immer darauf an, wie und durch wen bzw. auf welche Weise das inhaltlich
bestimmt bzw. artikuliert wird. Es so abstrakt wie du hier zu bestimmen,
bringt praktisch keinen Schritt weiter.
Die Frage nach dem Gegensatz
zwischen dem Allgemeininteresse und dem Einzelinteresse ist
also nicht so sehr die, ob das Allgemeininteresse das
Einzelinteresse einschließt. Das tut es nämlich schon
deshalb, weil es entweder die Gesamtheit (so etwa wie eine
Vektorsumme) oder ein Abstraktum aller dazugehörigen
Einzelinteressen ist.
Allgemeininteresse und Einzelinteressen sind jedenfalls nicht das selbe, da
sind wir uns wohl einig. Um das Problem mit deinem Bild der Vektorsumme zu
zeigen: Wenn die addierten Einzelinteressen gleichstark und gegensätzlich
sind, wäre die Vektorsumme null. Liegen die Einzelinteressen nicht
gegensätzlich, sondern nur sozusagen schräg, im Winkel zueinander, sind also
nicht von vornherein völlig gleichgerichtet, wofür es auch ohne Kapitalismus
keinen Grund gäbe, besteht im Ergebnis auch immer ein partieller Konflikt
zwischen Einzel- und Allgemeininteresse. Aber man kann das sowieso nicht so
"addieren", schon weil das multidimensional ist, nicht alles quantifizierbar,
und immer im Plural von vielfältigen besonderen und allgemeinen Interessen
die Rede sein müsste.
Der Gegensatz kann also nur verschwinden, wenn auch
umgekehrt *das Einzelinteresse das Gesamtinteresse
einschließt*. Und hier ist mit "Interesse" nicht mehr eine
Resultante aus objektiven Umständen gemeint, sondern das
real vom Subjekt begriffene Interesse, also das Interesse,
wie es durch das Bewußtsein des Einzelnen erscheint. Diese
Art der Versöhnung des Einzelinteresses mit dem
Allgemeininteresse ist aber in meinen Augen sowohl ein
_unabdingbares Ding_ als auch eine "logische Folge" der
gegewärtigen Entwicklung (welche nämlich gerade durch die
kommerzielle Verabsolutierung des Einzelinteresses die Leute
über kurz oder lang zwingt, das Gesamtinteresse zur Kenntnis
zu nehmen und als Bestandteil ihres Einzelinteresses zu
begreifen).
Selbst wenn die Einzelnen das Gesamtinteresse so in ihr Einzelinteresse
einschließen wollten (was noch bezweifelt werden könnte, ob das alle in
gleichen Maße täten, weil es in unterschiedlichem Maße ihren individuellen
Sonderinteressen entgegenstehen wird): Es setzt voraus, 1. dass es ein
bestimmtes Gesamtinteresse gibt (wie gesagt, wer und wie wird das inhaltlich
bestimmt?), 2. dass alle Einzelnen dieses kennen und nicht jeweils
unterschiedliches dafür halten: Es muss also eine gesellschaftliche
Verständigung darüber gegegen hat, worin das Gesamtinteresse besteht. Damit
sind wir wieder beim Ausgangsproblem. Woher nimmst du die Auffassung, dass
alle der gleichen Auffassung darüber wären, was das Gesamtinteresse
inhaltlich ist? Wenn man das aber, wie ich meine, keineswegs annehmen kann,
s.o.
»Menschen werden auch dann noch in vielfältiger Weise unter
unterschiedlichen Bedingungen leben und unterschiedliche
Lebensgeschichten haben und daraus unterschiedliche
Interessen artikulieren und diese durchzusetzen versuchen,
in Auseinandersetzung mit anderen. Es kommt darauf an, dies
nicht wegzubehaupten, sondern davon auszugehen und das in
möglichst rationalen und demokratischen Formen auszutragen.«
Das klingt leider ein wenig nach einer Art von Relativismus,
welche genausogut das "Menschenrecht auf Ignoranz"
postulieren und einklagen könnte, nämlich auf Ignoranz
gegenüber den Interessen anderer, oder einfach gegenüber dem
Allgemeininteresse. -- Ansonsten bräuchte ich ja keinen
Mechanismus, der die Auswirkungen dieser (bis heute
materiell bedingten) Ignoranz zu "zähmen" bestimmt ist.
Clever ist, daß dieser Mechanismus hier als "möglichst
rationale und demokratische Form" umschrieben wird, obwohl
er ja offenbar nur dazu dient einen irrationalen Gegensatz
zu _verwalten_.
M.E. ist die Unterschiedlichkeit der individuellen Interessen und das
Problem, trotzdem gemeinsame Interessen zu bilden, nicht als "irrational" zu
qualifizieren, sondern es besteht einfach. "Irrational" erweckt den falschen
Eindruck, unter irgendwelchen "rationalen" Verhältnissen würde es nicht
bestehen. Das sehe ich nicht.
Im übrigen "kommt es" auch "darauf an", in die Zukunft nicht
irgendwas 'hinzubehaupten', nur weil uns das aus heutiger
Sicht plausibel erscheint. Auch das Gegenargument gegen das
kritisierte "Wegbehaupten" will argumentativ fundiert sein.
Es geht schließlich um unsere zukünftige Entwicklung!
Ich versuche hier doch ständig zu argumentieren. Davon abgesehen hängt
"unsere zukünftige Entwicklung" allerdings so oder so nur sehr unwesentlich
davon ab, was wir oder wer auch immer dazu so diskutieren.
Beste Grüße
Ralf Krämer
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