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Re: [ox] Bericht vom SW-Patente Symposium in Frankfurt



Hi Benni,

herzlichen Dank für Deinen Korrespondentenbericht, den ich mit
großem Interesse gelesen habe. Überhaupt finde ich diese Berichte
verallgemeinerungswürdig, denn das ist eine ganz praktische Form der
Akkumulation von Wissen - jenseits von Tausch;-)

Rausgepickt ein paar kleine Bemerkungen:

Benni Baermann schrieb:
Der erste eigentliche Vortrag wurde dann von Bernd Lutterbeck von
der TU Berlin gehalten. Der ist wohl Jurist und Informatiker und war
wohl auch mal für die Regierung tätig (für welche? Die alte oder die
neue?). 

Wahrscheinlich auch schon für die alte. Für die (nicht mehr ganz so)
neue hat er mit seinem Team die Patentgutachten gemacht - vgl. den
Beitrag von Robert Gehring auf der ox-konf
http://www.opentheory.org/ox_event.phtml?eid=24

Interessant fand ich die Einordnung von Patenten als Ausnahme
vom freien Wettbewerb und Copyright als Ausnahme vom Patentrecht.

Da täten mich die Begründungen interessieren.

Lutterbeck stellte dann die Frage (ich hoffe das ich das wörtlich
richtig habe - die Wortwahl finde ich nämlich entlarvend): "Sind
Sotwarepatente ökonomisch gerechtfertigt und _also_ legitim?" Nun,
damit wurde auch der erste Vortrag voll der ökonomistischen
Überschrift der Veranstaltung gerecht.

Von Lutterbeck kann man nicht erwarten, jenseits der ökonomischen
Funktionalität zu denken. Er ist ein immanenter Innovator, er zeigt
*nur* auf, dass Patente etc. immanent (als für die Wertverwertung)
zunahmend dysfunktional werden. Darin ist er für uns aber
interessant, weil er teilweise die immanente Widersprüchlichkeit
aufzeigt.

Gültigkeit. Er zitierte auch den amerikanischen Erfinder und
Politiker Benjamin Franklin, der eine ihm angebotenes Patent auf
einen Ofen, den er erfunden hatte, ablehnte, weil er es als Privileg
empfinde den Leuten, die vor ihm Erfindungen gemacht haben und auf
deren Arbeit er hätte aufbauen können, etwas zurückzugeben.

Das ist ein sympatisches moralisches Argument, dass in der Freien
Software auch manchmal gebracht wird (z.B. von Kalle Dalheimer).
Doch darauf kann man keine Vergesesellschaftung aufsetzen, die
GPL-Gesellschaft schon gar nicht.

Die besondere Problematik der Softwarepatente hat er natürlich auch
behandelt. Er nannte das das "digitale Dilemma". Einerseits sei
Software nämlich nur zufällig Text sondern eher eine
Verhaltensmaschiene und andererseits ein evolutionärer industrieller
Prozess. Das eine schliesse eine Zuordnung zum Urheberrecht, das
andere eine zum Patentrecht aus. Warum - ist mir zwar nicht ganz
klar geworden, aber da glaub ich ihm halt mal.

Verhaltensmaschine? Wenn ich mir das mal mit dem von mir gerne
verwendeten Begriff der "algorithmischen Maschine" als
informationellem Part eines (z.B. industriellen) Proezsses
übersetze, dann kommt die doppelte Nichtzuordnung aus dem
spezifischen nicht-materiellen, informationellen Charakter. Software
verbraucht sich nicht (anders als die Maschine z.b.).

es also nicht darum, Softwarepatente überhaupt erst zuzulassen
sondern eher darum die schon bestehende Praxis des Amtes zu
legalisieren. Softwarepatente werden also schon weltweit zugelassen.

Deswegen das Jammern des SAP-Menschen: Es geht *nur* um ein
Hochschrauben der Zahlenbilanz der Patente. Und gegen die immanente
Absurdität wenden sich viele Patentkritiker. Das ist schonmal was,
aber eigentlich viel zu wenig.

Nachhaltigkeit in diesem Bereich bedeute eben, zukünftigen
Generationen den Zugang zu Wissen aller Art offen zu halten.

Wären die anderen borniert betriebswirtschaftlich denken (wieviele
Patente habe ich in der Schublade), denkt Lutterbeck eben
volkswirtschaftlich im globalen Sinne. Aber mehr nicht.

Dann erwähnte er auch noch kurz "Open Source" als "neuer sozialer
Mechanismus zur Produktion von Wissen". Da kam fast ein Hauch von
Ökonux auf.

Da hat er den Hagel auf den Kopf getroffen. Das wird mein Thema beim
Kongress ("Wem gehört das Wissen?"), hoffentlich sind Montag noch
ein paar da...: http://www.opentheory.org/ox_event.phtml?eid=2

Als nächstes kam dann ein progessives Alien dran.

Hihi...

GI-Präsi Mayr:
Er vollführte das in Informatikerkreisen bekannte Gejammere darüber,
dass die bösen Programmierer ja nicht "ingenieursmäßig" genug
vorgingen würden und daraus ein enormer volkswirtschaftlicher
Schaden entstünde. Ich hab diesen Diskurs natürlich schon vor Jahren
als weitverzweigten Komplott dieser Sorte von Informatikern
durchschaut, einem weiszumachen, wieso man sie unbedingt braucht.
Zusammengefasst ist das unter dem Schlagwort "Software Engeneering"
und das reiht sich ziemlich gut ein in die lange Geschichte der
Informatik-Blähworte von "künstliche Intelligenz" bis hin zu "dot
net" und wie sie alle heissen.

Da hat sich ja echt Null getan, seit ich aus der Uni raus bin - der
gleiche Scheiss wie vor zehn Jahren.

Absurd wurde es dann aber schliesslich, als sein Hauptargument für
Softwarepatente darin bestand, dass er meinte, das könnte die
Informatiker zu "ingenieursmäßigerem" Vorgehen anhalten und deswegen
seien die Patente zu befürworten. Das war einer der wildesten
logischen Kurzschlüsse, die ich je vernommen habe.

Das gehört wirklich in ein Kuriositätenkabinett!

Hartmut Pilch:
Seinen Ansatz fand ich ziemlich gut. Er wollte anhand einiger
konkreter vom europäischen Patentamt erteilten Patente die
Absurdität des ganzen Vorhabens aufzeigen. Leider ging diese gute
Idee etwas in den technischen Problemen unter.

Beeindruckend fand ich Hartmuts Satz: "Wenn dieses System unmöglich
gemacht wird, wird meine Lebensweise unmöglich gemacht."

Er bezog sich auch viel auf Lutterbecks Vortrag, weil der schon viel
vorweggenommen habe von dem, was er sagen wollte und ergänzte diesen
in einigen Punkten.

Ich hab hinterher kurz mit Hartmut gesprochen, weil ich ihm von
Ökonux erzählen wollte. Kannte er schon. Gerade guck ich noch mal in
mein Archiv und stelle fest, dass er hier ja auch schon geschrieben
hat. Vielleicht willst Du ja auch Deine Eindrücke hier mal
schildern, Hartmut? Würde mich freuen.

Ich weiss nicht, ob Hartmut noch auf der Liste ist - damals gabs
ziemlich Zoff ob des Menschenbildes, das Hartmut vertreten hatte.

Ciao,
Stefan

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