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[ox] Bericht vom SW-Patente Symposium in Frankfurt



Hallo!

Gerade bin ich von meinem ersten Einsatz als "Oekonux-Korespondent"
zurück, den ich euch ja versprochen hatte. Der Bericht ist
allerdings alles andere als neutral, sondern massgeblich von meiner
persönlichen Meinung geprägt, somit werdet ihr ausführliche
Darstellungen von Patentbefürwortern leider nicht finden. Aber ich
hoffe damit könnt ihr leben. Die Texte der Vortragenden sind wohl
zumindestens teilweise auch im Netz. Die Adresse der Veranstaltung
ist www.softwarepatente.net.

Ich war also beim "Symposium: Softwarepatente - Motor oder Bremse
der Wirtschaft". Der gruselige Titel sagt dann auch schon ziemlich
viel aus über meinen ersten Eindruck. Eine so hohe
Schlipsträgerquote ist mir ansonsten an der Uni noch nirgends
begegnet, aber vielleicht war ich bisher auch immer nur in den
falschen Fachbereichen unterwegs. Ich hab mich dann zwischen den
Sponsorenständen zu einem Tisch durchgewuselt wo feinsäuberlich an
die 100 Namensschildchen alphabetisch sortiert ausgelegt waren.
Ziemlich bizarr :-)

Bevor es richtig los ging hab ich dann immerhin auch mal einen
positiven Eindruck gekriegt. In der Aula selbst lief eine recht
witzig gemachte Demo über den Beamer. Zeichenweise wurde da ein
Programm "eingetippt" und alle paar Zeilen blinkte eine Dialogbox
auf, die über die mit diesem Sourcecode verbundenen Patente
informierte und einen Paybutton für die Lizenzgebühren offerierte.
Zu lizensieren waren da z.B. "Der Satz des Pythagoras" oder "Der
Prozeß des Einlesens von Dateien" und ähnlich offensichtlich
triviales Zeugs. Leider ist das ja ziemlich nah an der Realität.

Als erstes gab es dann ein Grußwort eines Uni-Vizepräsidenten, das
wie üblich nicht sehr aufregend war. Erwähnenswert ist vielleicht
nur, dass er die MIT-Initiative nannte - die hier letztens auch
schon auf der Liste diskutiert wurde.

Danach gab es noch ein kleines Grußwort des
Wirtschaftsinformatikprofs, der das Ganze wohl in die Wege geleitet
hat (oder - eher wahrscheinlich - anderen gesagt hat, dass sie es in
die Wege leiten sollen). Er wurde schon ein wenig inhaltlicher aber
legte sich natürlich in keiner Weise fest.

1.

Der erste eigentliche Vortrag wurde dann von Bernd Lutterbeck von
der TU Berlin gehalten. Der ist wohl Jurist und Informatiker und war
wohl auch mal für die Regierung tätig (für welche? Die alte oder die
neue?). Er erklärte dann erst mal, was Patente und Urheberrecht so
sind. Er gebrauchte das Wort "intelectual property" für den Bereich
des Urheberrechts und "industrial property" für den Bereich der
Patente. Außer diesen beiden Bereichen gäbe es nur noch den dritten,
des "freien Wettbewerbs". Wie eng diese Sicht ist, ist mir leider
erst zu spät aufgefallen, sonst hätte ich mal nachfragen können,
naja. Interessant fand ich die Einordnung von Patenten als Ausnahme
vom freien Wettbewerb und Copyright als Ausnahme vom Patentrecht.

Lutterbeck stellte dann die Frage (ich hoffe das ich das wörtlich
richtig habe - die Wortwahl finde ich nämlich entlarvend): "Sind
Sotwarepatente ökonomisch gerechtfertigt und _also_ legitim?" Nun,
damit wurde auch der erste Vortrag voll der ökonomistischen
Überschrift der Veranstaltung gerecht. 

Dennoch war Lutterbecks Position noch eine der kritischsten dort. Er
hat die historische Entwicklung des Patentwesens aufgezeigt und
betont, dass es einerseits veraltet und auf heutige Verhältnisse
nicht mehr anwendbar sei und das es andererseits von
wissenschaftlicher Seite (also auch von der liberalen
Volkswirtschaft) immer in Frage gestellt und auch meistens abgelehnt
wurde. Dies habe für das Patentwesen als Ganzes bis heute
Gültigkeit. Er zitierte auch den amerikanischen Erfinder und
Politiker Benjamin Franklin, der eine ihm angebotenes Patent auf
einen Ofen, den er erfunden hatte, ablehnte, weil er es als Privileg
empfinde den Leuten, die vor ihm Erfindungen gemacht haben und auf
deren Arbeit er hätte aufbauen können, etwas zurückzugeben.

In der Patentfrage habe es aber schon immer eine Diskrepanz zwischen
intellektueller Einsicht und Praxis gegeben ("ach - nur da?" Hätte
ich rufen mögen, wenn ich nicht so wohlerzogen wäre). In diesem
Zusammenhang fiel dann auch noch das Wort von der
"Beratungsresistenz der Politik" dem eine Frau vom
Wirtschaftsministerium später in der Diskussion zu einem anderen
Vortrag dann auch noch widersprechen musste. Ihr Argument waren die
vielen Gutachten, die sie in Auftrag gegeben hätten. Ich glaube
Lutterbeck hatte eher den Verdacht, dass seine Gutachten zwar
bestellt aber nicht gelesen werden. Hat er so natürlich nicht
gesagt.

Eine weitere interessante Frage, die einem bewusst wird, wenn man
sich mit der Geschichte des Patentwesens befasst ist ihr Verhältnis
zur Idee der Nation. Das entstehende Patentwesen kam den sich
konstituierenden Nationalstaaten im 19. Jahrhundert gerade recht als
neues Betätigungsfeld, in dem sie sich wichtig machen konnten. Das
sei noch heute für die Diskussion prägend, da heute das Patentwesen
eine der letzten Bastionen der schwindenden Bedeutung der
Nationalstaaten sei.

Die besondere Problematik der Softwarepatente hat er natürlich auch
behandelt. Er nannte das das "digitale Dilemma". Einerseits sei
Software nämlich nur zufällig Text sondern eher eine
Verhaltensmaschiene und andererseits ein evolutionärer industrieller
Prozess. Das eine schliesse eine Zuordnung zum Urheberrecht, das
andere eine zum Patentrecht aus. Warum - ist mir zwar nicht ganz
klar geworden, aber da glaub ich ihm halt mal.

Der rechtliche Kompromiss - wie er in Europa gefunden wurde -
besteht wohl darin, dass Programme nur patentierbar sind als fester
Bestandteil einer technischen Erfindung, wie z.B. das Programm in
der Steuerung der Waschmaschiene. Die Praxis des europäischen
Patentamtes - und das war mir in dieser krassen Form neu -
unterscheidet sich jedoch garnicht so sehr von der der Patentämter
in den USA oder in Japan, wo Softwarepatente auch formal zugelassen
sind. Bei dem aktuellen Streit bei der europäischen Kommission geht
es also nicht darum, Softwarepatente überhaupt erst zuzulassen
sondern eher darum die schon bestehende Praxis des Amtes zu
legalisieren. Softwarepatente werden also schon weltweit zugelassen.

Lutterbeck betonte dann noch, das eine saubere Trennung zwischen
"computerimplementierbar" und "nicht-computerimplementierbar" (was
wohl zwei Schlüsselbegriffe im Gesetz sind) nicht geben könne.

Als nächstes führte er eine Analogie zu ökologischen Fragen ein.
Freier Zugang zu Innovationen sei das Selbe wie die freie Luft zum
Atmen. Und ähnlich wie sich dafür ein Umweltbewussstein erst
entwickeln musste sei so etwas auch für den Bereich der Infomationen
nötig. Nachhaltigkeit in diesem Bereich bedeute eben, zukünftigen
Generationen den Zugang zu Wissen aller Art offen zu halten.

Dann erwähnte er auch noch kurz "Open Source" als "neuer sozialer
Mechanismus zur Produktion von Wissen". Da kam fast ein Hauch von
Ökonux auf.

Sein Fazit war angesichts der vorher doch recht kritischen - ja
teilweise sogar radikalen - Anmerkungen dann wieder erstaunlich
sanft. Er hat sich als Konservativer geoutet und meinte, etwas zu
ändern sei meistens schlecht und deswegen könnte man doch einfach
alles lassen, wie es ist. Naja.

2.

Als nächstes kam dann ein progessives Alien dran. Supersmart,
superdynamisch, superenglisch (obwohl er aus München kommt). Den
hatte ich nur gesehen und schon gefressen. Meine Vorurteile haben
sich dann auch prompt bestätigt :-(

Er kam von Bertelsmann. Dementsprechend waren auch seine Positionen.
Auch wenn er mehrfach betohnt hat, dass er nicht als Bertelsmann
vortrage, sondern als Wissenschaftler.

Er hat vor allem mit vielen aufwendigen Grafiken erzählen wollen,
warum Digital-Rights-Management-Systeme unbedingt nötig und
überhaupt ganz toll sind.

In der Diskussion gab es einige kritische Nachfragen, was denn so
toll dran sei, dass man jetzt für etwas bezahlen müsse, was vorher
noch umsonst war und darauf wusste er nur, das müsse man den Kunden
halt vermitteln. Na, viel Spass. Auf meine Frage, wie denn solche
Systeme überhaupt funktionieren können angesichts der simplen
Tatsache, das im Endsystem immer eine unverschlüsselte Kopie
vorliegen müsse, wusste er nur zu sagen, dass das sicher schwierig
aber bestimmt lösbar sei. 

3. 

Dann kam ein Mensch von SAP. Der verfiel zunächst in Gejammere, dass
man unbedingt mehr patentieren müsse in Deutschland und
"untermauerte" das mit hübschen Statistiken die allesamt nah an der
Grenze zur Fälschung operierten. Es ging auf jeden Fall immer um die
völlig uninteressante Frage, welches Land denn jetzt am meisten
Patente hat und das Deutschland ja nur so wenige habe und überhaupt
die amerikanische Konkurrenz ja soviel härter sei als die deutsche.
Im Zusammenhang mit Lutterbecks Bemerkung über Nationalstaaten aber
vielleicht wieder interessant.

Interessante Fakten am Rande: SAP hält nur 4 Softwarepatente hat
aber seine Patentabteilung auch erst kürzlich aufgebaut. Die
Softwarepatente beim europäischen Patentamt haben in den letzten 5
Jahren absolut um die Hälfte abgenommen. Warum? Dummerweise hab ich
da vergessen nochmal nachzufragen.

4.

Jetzt kam die Stunde von Herrn Mayr, Präsident der Gesellschaft für
Informatik, der seine Position einer "moderaten Befürwortung" von
Softwarepatenten präsentierte. Er repräsentierte genau den Typ Prof,
den ich wärend meines eigenen Informatikstudiums zu hassen gelernt
habe. Nichts als Blendwerk und Null Ahnung.

Er vollführte das in Informatikerkreisen bekannte Gejammere darüber,
dass die bösen Programmierer ja nicht "ingenieursmäßig" genug
vorgingen würden und daraus ein enormer volkswirtschaftlicher
Schaden entstünde. Ich hab diesen Diskurs natürlich schon vor Jahren
als weitverzweigten Komplott dieser Sorte von Informatikern
durchschaut, einem weiszumachen, wieso man sie unbedingt braucht.
Zusammengefasst ist das unter dem Schlagwort "Software Engeneering"
und das reiht sich ziemlich gut ein in die lange Geschichte der
Informatik-Blähworte von "künstliche Intelligenz" bis hin zu "dot
net" und wie sie alle heissen.

Absurd wurde es dann aber schliesslich, als sein Hauptargument für
Softwarepatente darin bestand, dass er meinte, das könnte die
Informatiker zu "ingenieursmäßigerem" Vorgehen anhalten und deswegen
seien die Patente zu befürworten. Das war einer der wildesten
logischen Kurzschlüsse, die ich je vernommen habe.

Abschliessend machte er dann noch ein paar Einschränkungen.
Softwarepatente müssten eine kürzere Laufzeit haben (5 statt 20
Jahre) und der Zugang zu Patentverfahren und -recherchen müsste
erleichtert werden.

5.

Nun sprach Hartmut Pilch vom FFII zu "Softwarepatente und die Open
Source Community". Sein Vortrag fing vielversprechend mit dem
runterfahren des Windows auf dem Beamerlaptop an. Dann mussten wir
ein Weilchen beim Linux-hochfahren zugucken, was die Aufmerksamkeit
der windowsgewöhnten Zuhörer glaube ich ziemlich ablenkte.

Leider hat dann auch Netscape prompt den Dienst verweigert, so dass
wir mit Lynx vorlieb nehmen mussten.

Seinen Ansatz fand ich ziemlich gut. Er wollte anhand einiger
konkreter vom europäischen Patentamt erteilten Patente die
Absurdität des ganzen Vorhabens aufzeigen. Leider ging diese gute
Idee etwas in den technischen Problemen unter. 

Beeindruckend fand ich Hartmuts Satz: "Wenn dieses System unmöglich
gemacht wird, wird meine Lebensweise unmöglich gemacht."

Er bezog sich auch viel auf Lutterbecks Vortrag, weil der schon viel
vorweggenommen habe von dem, was er sagen wollte und ergänzte diesen
in einigen Punkten.

Ich hab hinterher kurz mit Hartmut gesprochen, weil ich ihm von
Ökonux erzählen wollte. Kannte er schon. Gerade guck ich noch mal in
mein Archiv und stelle fest, dass er hier ja auch schon geschrieben
hat. Vielleicht willst Du ja auch Deine Eindrücke hier mal
schildern, Hartmut? Würde mich freuen.

6. 

Als letzter Vortragender sprach ein Eric Maskin vom MIT. 

Zunächst erzählte er, dass historisch hoch innovative Industrien
immer mit wenigen Patenten und vielen Imitaten gearbeitet haben,
wärend weniger innovative Industrien mehr patentierten.

Seit einer Gerichtsentscheidung in den 80'ern zu Softwarepatenten
steigen in der amerikanischen Softwareindustrie die Patente massiv
an aber die Investitionen in Innovationen nicht.

Die Besonderheit der Software-, Halbleiter- und Computerindustrie
sei vor allem ihre "Sequentialität". Damit meint er, dass in diesen
Industrien eine schnell aufeinanderfolgende Folge von Innovationen
vorkomme gegenüber den alten Industrien in denen Erfindungen eher
für sich stehen.

Anhand einiger interessanter spieltheoretischer Rechnereien mit
unendlichen Summen (natürlich nur auf harmlosem BWLerniveau mit
echten Zahlen - der austragende Prof hat sich aber tatsächlich dann
doch noch mit einer Nachfrage blamiert, die offensichtlich zeigte,
dass er keinen blassen Schimmer davon hat, was eine unendliche Reihe
ist) zeigte er dann, wie diese Sequentialität dazu führen kann, dass
Patente in solchen sequentiellen Industrien - im Gegensatz zu
herkömlichen - volkswirtschaftlich schädlich sind.

Das ganze errinnerte ein wenig an das iterierte Gefangenendillema.
Die Iteration dort entsprach der Sequentialität hier.

Der Vortrag war also eine mathematisch-volkstümliche Version von
"Wir stehen alle auf der Schulter von Riesen". Fazit: Unterhaltsam.
Wenn natürlich der spieltheoretische Ansatz sehr fragwürdig ist und
man sicher mit den selben Mitteln auch das Gegenteil nachweisen
kann.

Soweit mein Korespondentenbericht. Anmerkungen und Nachfragen
willkommen!

Grüße, Benni

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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