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Re: [ox] Wieder mal: Vergesellschaftung (was: Re: Autorenverguetung)



Hallo Stefan und alle,

 > Da gibt es
 > nun idealtypisch drei Möglichkeiten: entweder wird 1. produziert, was die
 > ProduzentInnen wollen, oder 2. es wird produziert, was die KonsumentInnen
 > wollen, oder 3. es wird vorher definiert, was "die Gesellschaft" will 
und nur
 > das produziert.
 
 Das ist die Frage nach der Vergesellschaftungsform. Deine
 Beschreibung passt auf die allgegenwärtige Existenz des
 "vereinzelten Einzelnen", des in den Produzenten und den Konsumenten
 zerrissenen Menschen. Sie passt aber auch _nur_ darauf. 

Ich hatte eine idealtypische Gegenüberstellung gemacht, die dieser 
Allgemeinheit nicht nur für den Kapitalismus zutrifft, sondern für jede 
Gesellschaft mit Arbeitsteilung, in der in Bezug auf bestimmte Produkte 
ProduzentInnen und KonsumentInnen nicht identisch sind. Ich stelle 
tatsächlich damit die Frage nach der Form der Vergesellschaftung, aber es ist 
die Frage und nicht die kapitalistische Antwortvariante, wie du unterstellst.

 Kannst Du
 Dir eine andere Vergesellschaftungsform vorstellen? Eine qualitativ
 andere als die wir jetzt haben? Als die, in der sich die - monetäre
 - "Zweckmäßigkeit" erst im Nachhinein auf dem Markt herstellt, ganz
 zu schweigen von der Nützlichkeit, Sinnigkeit und umfassenden
 Verträglichkeit? Eine ohne monetäres Maß?

Vorstellen kann ich mir allerhand, aber ich kann auch nachdenken und finde 
das notwendig, wie das dann funktionieren soll. Und ich unterstellte oben 
noch keineswegs monetäres und marktförmige Vermittlung. Dies wäre eine (real 
existierende) Antwort auf die Frage, aber die der ex-ante Vergesellschaftung 
qua sprachlicher Kommunikation und Vereinbarung wäre auch eine, wie ich auch 
unten schrieb und als m.E. unrealistisch (als einzige Antwort außer der 
Leugungng des Problems überhaupt) bzw. jedenfalls unzureichend qualifizierte. 
Dazu weiter unten mehr.
 
 Versuch mal den gesellschaftlichen Zusammenhang in kapitalistischer
 Form _nicht_ als quasi naturalen Zusammenhang zu sehen. Benni hat
 Dich ja schon auf die (wirklich uralte und von Marx schon
 karikierte) Robinsonade hingewiesen. Du hast darauf geantwortet:
 
 > Aber auch die vorgefundenen Reproduktionsstrukturen nicht zerfallen zu 
 > lassen, sondern sinnvoll weiter zu entwickeln, stellt das gleiche 
Problem.
 
 Nein! Es geht eben darum den ganzen vorgefundenen
 Reproduktionszusammenhang (alias Vergesellschaftungsform)
 aufzuheben, denn er ist in seiner destruktiven Potenz nicht
 weiterentwickelbar. Es geht darum, einen neuen
 Reproduktionszusammenhang zu schaffen - aus den Ruinen des Alten (ob
 Existenzgeld eine solche alte nutzbare Ruine ist, ist z.B. ein
 Streit). Da kommst Du aber nicht ran, wenn Du immer wieder alles in
 den alten Formen zu denken versuchst. 

Nein. 1. schrieb Benny (anders als du hier), es ginge darum, den 
vorgefundenen Reproduktionszusammenhang zu verändern statt ganz neu zu 
erschaffen, und darauf antwortete ich. 2. verstehst du anscheinend immer nur 
Form, wo ich vom Inhalt, vom über den Kapitalismus hinaus und auch ohne 
Wertform fortbestehenden Inhalt spreche, nämlich davon, dass es 
gesellschaftlich notwendige Arbeit und gesellschaftliche Arbeitsteilung gibt, 
und dass sich damit meine oben zitierte Frage stellt, heute noch ebenso wie 
zu Marx' Zeiten und auch in der Zukunft, soweit sie absehbar ist. Zwar fiele 
auch die Form weg, wenn der Inhalt wegfiele, aber nicht der Inhalt, wenn die 
Form wegfällt.

Dabei habe ich jedenfalls Marx auf meiner Seite (aus seinem Brief an Ludwig 
Kugelmann, 1868): "Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen 
für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes 
Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiednen Bedürfnissen entsprechenden 
Massen von Produkten verschiedne und quantitativ bestimmte Massen der 
gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen. Daß diese Notwendigkeit der 
Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus 
nicht durch die bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, 
sondern nur ihre Erscheinungsweise ändern kann, ist self-evident. 
Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch 
verschiednen Zuständen ändern kann, ist nur die Form, worin jene Gesetze sich 
durchsetzen."

 Deine Argumente laufen immer
 wieder darauf hinaus: Der Kapitalismus ist der quasi-naturale
 Zusammenhang, der nicht aufhebbar, sondern nur verbesserbar ist.

Heißt es wie gesagt eben nicht.

 Wenn Du das so siehst, ok., dann reden hier etliche Menschen auf der
 Liste (nicht nur ich mit dir) aneinander vorbei. Wenn Du das nicht
 so siehst, wird mich Deine Vorstellung einer neuen Qualität, einer
 neuen Vergesellschaftungsform interessieren.
 
1. sind es schon in der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft 
verschiedene Vergesellschaftungsformen in verschiedenen Lebensbereichen und 
selbst in der Wirtschaft kombiniert, allerdings unter der Dominanz 
kapitalistischer Tausch- bzw. Wertvergesellschaftung. 2. kann ich mir 
durchaus Vergesellschaftung z.B. über Verhandlung, freie Vereinbarung 
vorstellen, aber auch eine andere Bedeutung politischer Vergesellschaftung 
und Planung etc. 3. vermute ich, dass auch in künftigen nichtkapitalistischen 
Gesellschaften verschiedene Vergesellschaftungsformen miteinander kombiniert 
sein werden, allerdings nicht mehr unter der Dominanz der kapitalistischen. 
Das hat Voraussetzungen, über die zu diskutieren ist und die in der Praxis zu 
entwickeln sind. Mehr dazu habe ich in meiner Mail Re: [ox] Re: Reproduktion, 
Arbeit, Leistungsprinzip? vom 10.12.00 geschrieben.

 > Bei  3. wird sich kein naturwüchsiger Konsens herstellen, das müsste 
jeweils
 > gegen Teile der Gesellschaft durchgesetzt werden.
 
 Paff! Wieder abgesehen von der Vermischung von Natur und
 Gesellschaft - wie kommst Du zu der Behauptung anders als über die
 Extrapolation der jetzigen Formen? 

Streiche "naturwüchsig", es ging mir nicht um Natur dabei. Ich gehe nicht von 
spezifisch kapitalistischen Verhältnisse aus mit dieser Einschätzung, sondern 
"nur" von spezifisch menschlichen Verhältnissen, die eine individuelle 
Persönlichkeitsentwicklung einschließen (im Sinne von Marx, dass sich der 
Mensch nur in Gesellschaft vereinzeln kann, selbstverständlich). Sorry, ich 
halte für unrealistisch, dass sich alle Mitglieder einer Gesellschaft über 
alle Prioritäten und Inhalte und Methoden ihrer Reproduktion 100% einig sind. 
Dass sie es unter kapitalistischen Verhältnissen aus spezifischen Gründen mit 
Sicherheit nicht sind (antagonistische Interessen, Konkurrenz etc.), erlaubt 
keineswegs den Umkehrschluss, ohne Kapitalismus wären sie es. Das zu glauben 
ist aus meiner Sicht pure Religion. Wie auch deine Mail an mehreren Stellen 
mich insoweit an Religion oder genauer die katholische Kirche im Umgang mit 
Kritikern erinnert, nämlich nicht in der Sache auf die geäußerten Zweifel und 
Fragen einzugehen (danach, ob die die von Stefan Mt. geäußerten Vorstellungen 
realistisch seien), sondern mehr oder minder mit der Vorhaltung zu antworten, 
wer solche Fragen stelle, sei eben ein Ungläubiger. Ich gestehe: Ich glaube 
weder an die Erlösung der Menschen durch den heiligen Geist noch durch die 
Abschaffung des Werts.

 Was ist denn "Konsens",
 "Mehrheitentscheidung", "Demokratie" etc. denn überhaupt? Warum
 funktioniert die Freie Software in der Regel genau nicht nach diesen
 Mechanismen? Ist eine gesellschaftliche Vermittlung vorstellbar, in
 der individuelle Interessen und Bedürfnisse gesellschaftlich sind?
 Eine Vermittlungsform, die strukturell nicht auf dem "Durchsetzen
 auf Kosten anderer", sondern der "individuellen Entfaltung als
 Voraussetzung für die Entfaltung aller" basiert?
 
1. sind individuelle Interessen und Bedürfnisse wohl immer gesellschaftlich 
bestimmt. Ist diese Gesellschaft nicht mehr kapitalistisch, folgt daraus wie 
gesagt nicht, dass es keine Interessenwidersprüche zwischen Individuen und 
zwischen Indivuduen und Gesellschaft mehr gibt. Daraus, dass sich eine Reihe 
von Fragen bei FS nicht stellen, folgt nicht, dass sie sich in einer 
Gesellschaft nicht stellen. Dass Entwicklung nicht als "Durchsetzen auf 
Kosten anderer", sondern im Sinne der "individuellen Entfaltung als 
Voraussetzung für die Entfaltung aller" verlaufen soll, ist ein Ziel, das für 
die gesellschaftliche Entwicklung anzustreben ist und das revolutionäre (was 
ein langwieriger Prozess ist) Veränderungen erfordert, aber dem die 
Gesellschaft sich nur wird annähern können. Ich sehe nicht, dass eine 
Vergesellschaftung möglich wäre, auf der die ganze Gesellschaft, alle 
Tätigkeiten und sozialen Beziehungen basieren, die sozusagen von vornherein 
alle Widersprüche und Konflikte vermeidet und die Realisierung dieses Ziels 
somit sicherstellt. Solange das jedenfalls nicht der Fall ist, sind m.E. 
Regelungen notwendig, damit umzugehen in den Fällen, wo verbindliche 
Regelungen notwendig sind. Sollte sich irgendwann herausstellen, dass das 
alles nicht mehr nötig ist, wär es ja schön, aber ich halte es für 
unrealistisch. Braucht man aber nicht drüber zu diskutieren, weil das wird 
sich ja dann zeigen. Solange es nicht so ist, ist Demokratie die beste 
Lösung. 

 > So sollte m.E. nur ein Teil
 > der Produktion bestimmt werden, indem a) bestimte Produktionen verboten
 > werden und b) bestimmte Produktionen von der Gesellschaft, konkret im
 > Wesentlichen organisiert als Staat auf verschiedenen Ebenen, unmittelbar
 > selbst organisiert oder bezahlt werden oder durch andere regulierende
 > Eingriffe zuwege gebracht werden. Beides passiert bereits, b) sollte m.E.
 > ausgedehnt werden, aber darum geht es dir wohl nicht. Es wäre m.E. auch 
 > kein Fortschritt, dies ohne Staat und damit scheinbar mit weniger Zwang
 > durchzusetzen (soweit das funktionieren könnte), nämlich mit 
unmittelbarer
 > sozialer Kontrolle in überschaubaren Gemeinschaften. Da ist mir ein
 > Rechtsstaat allemal lieber und bietet mehr Freiheitsmöglichkeiten.
 
 Mir ist jeder Staat unlieb, denn er nimmt mir die
 Entfaltungsmöglichkeiten, die ich brauche und die alle brauchen. Es
 bleibt nur die "Freiheit" des "vereinzelten Einzelnen" sich als
 Warensubjekt ("Monade") zu verhalten. Hat Marx schön in den
 Grundrissen beschrieben.
 
Solange og. mE. unrealistischer widerspruchs- und konfliktfreier 
Gesellschaftszustand nicht gegeben ist, ist mir nicht jeder, aber ein 
demokratischer Rechtsstaat lieber als keiner. Weil sonst prozessieren die 
Widersprüche ggf. in Formen, die noch wesentlich unangenehmer, herschafts- 
und auch gewaltförmiger sind.
 
 > davon aus, dass sich ohne Markt und Warenproduktion entweder diese
 > Übereinstimmung weitgehend auf der Basis dessen, was die Individuen 
sinnvoll
 > finden und was ihnen Spaß macht, von alleine herstellen wird (aus 
göttlicher
 > Fügung oder wie auch immer) oder in unmittelbarer Verhandlung zwischen 
den
 > KonsumentInnen und den ProduzentInnen hergestellt werden könne.
 > 
 > Das halte ich beides für gänzlich unrealistisch.
 
 In der Logik von Warenproduktion und Markt gedacht ist das logisch.
 Die Argumentation ist an dieser Stelle aber tautologisch: Der
 Kapitalismus produziert eine Vergesellschaftungsform, deren
 Bedingungen nur er daselbst erfüllen kann. Das passiert, wenn man
 Warenproduktion naturalisiert.
 
Nein. Ich gehe nur nicht davon aus, dass mit der Beseitigung von Kapital und 
Wert sozusagen das Paradies ausbricht. Das tust du aber implizit, mit og. 
quasi religiösem Umkehrschluss.

 > Ersteres ist auf
 > gesellschaftlcher Ebene mindestens ebenso unrealistisch wie schon auf
 > individueller, wo man - wie du ja auch zugibst - auch oft Tätigkeiten
 > verrichten verrichten muss, die einem keinen Spaß machen, z.B. im 
Haushalt,
 > aber auch wenn man selber seine Lebensmittel produziert.
 
 Das ist wieder so eine Robinsonade. Du ignorierst komplett die
 gesellschaftlichen Formen, Bedingungen und Möglichkeiten (alles drei
 zusammen!), in denen sich Menschen (re-)produzierend bewegen. Du
 stellst dann folgelogisch Individuum und Gesellschaft in ein
 Ausschliessungverhältnis - doch schon der individuelle Mensch bewegt
 sich qua seiner gesellschaftlichen Natur _immer_ in den
 gesellschaftlichen Vermittlungsformen. Die "individuelle Ebene"
 _ist_ also zugleich immer auch die "gesellschaftliche Ebene".

Was ist daran Antwort auf das von mir beschriebenen Problem??? Ich habe hier 
nicht die Gesellschaftlichkeit des Individuums in Frage gestellt.
 
 > ... Der Ausweg über die unmittelbare Vereinbarung, also
 > Zweiteres, ist auf dem gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen und
 > internationalen Arbeitsteilung ebenfalls geradezu absurde Vorstellung.
 
 Aus der Perspektive der warenproduzierenden Gesellschaft erscheint
 alles absurd, was nicht durch diese Form hindurchgeht. Wenn wir uns
 nicht mindestens im Kopfe von dieser Perspektive losmachen, dann hat
 alles Argumentieren wenig Sinn.

Das Problem besteht nicht darin, dass ich mich nicht im Kopf von der 
Warenproduktion lösen kann, sondern darin, dass die hier vorgetragene 
Alternative in ihrer bisherigen Schlichtheit mich nicht überzeugt.
 
 So erscheint Dir zur alternativlosen gesellschaftlichen Form der
 Ware nur die "Unmittelbarkeit" (des Tausches? des Vereinbarens der
 Ziele? der Produktion?) die Opposition zu bilden. Dabei ist es
 genuin menschlich, das Leben vermittels der Gesellschaft zu
 (re-)produzieren. Die Form, in der das geschieht, ist dabei
 keineswegs festgelegt, und sie hat sich historisch auch schon oft
 geändert. Ich kapiere immer wieder nicht, warum die jetzige quasi
 die endgültige, die naturale Form sein soll.

Darum geht es doch überhaupt nicht. Ich verstehe die Weigerung nicht, auf die 
relativ konkreten Einwände gegen die bisher hier mehr oder minder als 
Patenlösung behauptete Alternative einzugehen. Ich behaupte doch vor allem, 
dass die Alternativen nicht so einfach und widerspruchsfrei sein werden, wie 
einige hier zu glauben scheinen, nicht dass es keine gibt.
 
 Hier - genau hier - gilt es auf die alternativen wertfreien
 Vermittlungsformen der Freien Software zu gucken. Das ist IMO das
 Spannende.
 
Ich find ja auch spannend, was da passiert. Aber m.E. ist es nicht die Lösung 
aller Probleme bzw. nicht so einfach auf die ganze Ökonomie und Gesellschaft 
zu übertragen, wie einige hier anscheinend meinen. Und zwar aus sehr 
grundsätzlichen Gründen, nicht nur weil es noch ein paar Jährchen dauert ... 
Darum geht m.E. die Diskussion, und so konkret sollte sie m.E. auch geführt 
werden, und darauf sollten sich konkrete Argumente und Gegenargumente 
beziehen, und  og. quasi-religiöse Glaubenssätze über die idyllischen 
Zustände nach Beseitigung der Wertvergesellschaftung sind m.E. keine 
Argumente hierbei, jedenfalls überzeugen sie mich nicht.

Freundliche Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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