Re: [ox] Wieder mal: Vergesellschaftung (was: Re: Autorenverguetung)
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Tue, 6 Feb 2001 15:18:26 EST
Hallo Stefan und alle,
> Da gibt es
> nun idealtypisch drei Möglichkeiten: entweder wird 1. produziert, was die
> ProduzentInnen wollen, oder 2. es wird produziert, was die KonsumentInnen
> wollen, oder 3. es wird vorher definiert, was "die Gesellschaft" will
und nur
> das produziert.
Das ist die Frage nach der Vergesellschaftungsform. Deine
Beschreibung passt auf die allgegenwärtige Existenz des
"vereinzelten Einzelnen", des in den Produzenten und den Konsumenten
zerrissenen Menschen. Sie passt aber auch _nur_ darauf.
Ich hatte eine idealtypische Gegenüberstellung gemacht, die dieser
Allgemeinheit nicht nur für den Kapitalismus zutrifft, sondern für jede
Gesellschaft mit Arbeitsteilung, in der in Bezug auf bestimmte Produkte
ProduzentInnen und KonsumentInnen nicht identisch sind. Ich stelle
tatsächlich damit die Frage nach der Form der Vergesellschaftung, aber es ist
die Frage und nicht die kapitalistische Antwortvariante, wie du unterstellst.
Kannst Du
Dir eine andere Vergesellschaftungsform vorstellen? Eine qualitativ
andere als die wir jetzt haben? Als die, in der sich die - monetäre
- "Zweckmäßigkeit" erst im Nachhinein auf dem Markt herstellt, ganz
zu schweigen von der Nützlichkeit, Sinnigkeit und umfassenden
Verträglichkeit? Eine ohne monetäres Maß?
Vorstellen kann ich mir allerhand, aber ich kann auch nachdenken und finde
das notwendig, wie das dann funktionieren soll. Und ich unterstellte oben
noch keineswegs monetäres und marktförmige Vermittlung. Dies wäre eine (real
existierende) Antwort auf die Frage, aber die der ex-ante Vergesellschaftung
qua sprachlicher Kommunikation und Vereinbarung wäre auch eine, wie ich auch
unten schrieb und als m.E. unrealistisch (als einzige Antwort außer der
Leugungng des Problems überhaupt) bzw. jedenfalls unzureichend qualifizierte.
Dazu weiter unten mehr.
Versuch mal den gesellschaftlichen Zusammenhang in kapitalistischer
Form _nicht_ als quasi naturalen Zusammenhang zu sehen. Benni hat
Dich ja schon auf die (wirklich uralte und von Marx schon
karikierte) Robinsonade hingewiesen. Du hast darauf geantwortet:
> Aber auch die vorgefundenen Reproduktionsstrukturen nicht zerfallen zu
> lassen, sondern sinnvoll weiter zu entwickeln, stellt das gleiche
Problem.
Nein! Es geht eben darum den ganzen vorgefundenen
Reproduktionszusammenhang (alias Vergesellschaftungsform)
aufzuheben, denn er ist in seiner destruktiven Potenz nicht
weiterentwickelbar. Es geht darum, einen neuen
Reproduktionszusammenhang zu schaffen - aus den Ruinen des Alten (ob
Existenzgeld eine solche alte nutzbare Ruine ist, ist z.B. ein
Streit). Da kommst Du aber nicht ran, wenn Du immer wieder alles in
den alten Formen zu denken versuchst.
Nein. 1. schrieb Benny (anders als du hier), es ginge darum, den
vorgefundenen Reproduktionszusammenhang zu verändern statt ganz neu zu
erschaffen, und darauf antwortete ich. 2. verstehst du anscheinend immer nur
Form, wo ich vom Inhalt, vom über den Kapitalismus hinaus und auch ohne
Wertform fortbestehenden Inhalt spreche, nämlich davon, dass es
gesellschaftlich notwendige Arbeit und gesellschaftliche Arbeitsteilung gibt,
und dass sich damit meine oben zitierte Frage stellt, heute noch ebenso wie
zu Marx' Zeiten und auch in der Zukunft, soweit sie absehbar ist. Zwar fiele
auch die Form weg, wenn der Inhalt wegfiele, aber nicht der Inhalt, wenn die
Form wegfällt.
Dabei habe ich jedenfalls Marx auf meiner Seite (aus seinem Brief an Ludwig
Kugelmann, 1868): "Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen
für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes
Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiednen Bedürfnissen entsprechenden
Massen von Produkten verschiedne und quantitativ bestimmte Massen der
gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen. Daß diese Notwendigkeit der
Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus
nicht durch die bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben,
sondern nur ihre Erscheinungsweise ändern kann, ist self-evident.
Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch
verschiednen Zuständen ändern kann, ist nur die Form, worin jene Gesetze sich
durchsetzen."
Deine Argumente laufen immer
wieder darauf hinaus: Der Kapitalismus ist der quasi-naturale
Zusammenhang, der nicht aufhebbar, sondern nur verbesserbar ist.
Heißt es wie gesagt eben nicht.
Wenn Du das so siehst, ok., dann reden hier etliche Menschen auf der
Liste (nicht nur ich mit dir) aneinander vorbei. Wenn Du das nicht
so siehst, wird mich Deine Vorstellung einer neuen Qualität, einer
neuen Vergesellschaftungsform interessieren.
1. sind es schon in der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft
verschiedene Vergesellschaftungsformen in verschiedenen Lebensbereichen und
selbst in der Wirtschaft kombiniert, allerdings unter der Dominanz
kapitalistischer Tausch- bzw. Wertvergesellschaftung. 2. kann ich mir
durchaus Vergesellschaftung z.B. über Verhandlung, freie Vereinbarung
vorstellen, aber auch eine andere Bedeutung politischer Vergesellschaftung
und Planung etc. 3. vermute ich, dass auch in künftigen nichtkapitalistischen
Gesellschaften verschiedene Vergesellschaftungsformen miteinander kombiniert
sein werden, allerdings nicht mehr unter der Dominanz der kapitalistischen.
Das hat Voraussetzungen, über die zu diskutieren ist und die in der Praxis zu
entwickeln sind. Mehr dazu habe ich in meiner Mail Re: [ox] Re: Reproduktion,
Arbeit, Leistungsprinzip? vom 10.12.00 geschrieben.
> Bei 3. wird sich kein naturwüchsiger Konsens herstellen, das müsste
jeweils
> gegen Teile der Gesellschaft durchgesetzt werden.
Paff! Wieder abgesehen von der Vermischung von Natur und
Gesellschaft - wie kommst Du zu der Behauptung anders als über die
Extrapolation der jetzigen Formen?
Streiche "naturwüchsig", es ging mir nicht um Natur dabei. Ich gehe nicht von
spezifisch kapitalistischen Verhältnisse aus mit dieser Einschätzung, sondern
"nur" von spezifisch menschlichen Verhältnissen, die eine individuelle
Persönlichkeitsentwicklung einschließen (im Sinne von Marx, dass sich der
Mensch nur in Gesellschaft vereinzeln kann, selbstverständlich). Sorry, ich
halte für unrealistisch, dass sich alle Mitglieder einer Gesellschaft über
alle Prioritäten und Inhalte und Methoden ihrer Reproduktion 100% einig sind.
Dass sie es unter kapitalistischen Verhältnissen aus spezifischen Gründen mit
Sicherheit nicht sind (antagonistische Interessen, Konkurrenz etc.), erlaubt
keineswegs den Umkehrschluss, ohne Kapitalismus wären sie es. Das zu glauben
ist aus meiner Sicht pure Religion. Wie auch deine Mail an mehreren Stellen
mich insoweit an Religion oder genauer die katholische Kirche im Umgang mit
Kritikern erinnert, nämlich nicht in der Sache auf die geäußerten Zweifel und
Fragen einzugehen (danach, ob die die von Stefan Mt. geäußerten Vorstellungen
realistisch seien), sondern mehr oder minder mit der Vorhaltung zu antworten,
wer solche Fragen stelle, sei eben ein Ungläubiger. Ich gestehe: Ich glaube
weder an die Erlösung der Menschen durch den heiligen Geist noch durch die
Abschaffung des Werts.
Was ist denn "Konsens",
"Mehrheitentscheidung", "Demokratie" etc. denn überhaupt? Warum
funktioniert die Freie Software in der Regel genau nicht nach diesen
Mechanismen? Ist eine gesellschaftliche Vermittlung vorstellbar, in
der individuelle Interessen und Bedürfnisse gesellschaftlich sind?
Eine Vermittlungsform, die strukturell nicht auf dem "Durchsetzen
auf Kosten anderer", sondern der "individuellen Entfaltung als
Voraussetzung für die Entfaltung aller" basiert?
1. sind individuelle Interessen und Bedürfnisse wohl immer gesellschaftlich
bestimmt. Ist diese Gesellschaft nicht mehr kapitalistisch, folgt daraus wie
gesagt nicht, dass es keine Interessenwidersprüche zwischen Individuen und
zwischen Indivuduen und Gesellschaft mehr gibt. Daraus, dass sich eine Reihe
von Fragen bei FS nicht stellen, folgt nicht, dass sie sich in einer
Gesellschaft nicht stellen. Dass Entwicklung nicht als "Durchsetzen auf
Kosten anderer", sondern im Sinne der "individuellen Entfaltung als
Voraussetzung für die Entfaltung aller" verlaufen soll, ist ein Ziel, das für
die gesellschaftliche Entwicklung anzustreben ist und das revolutionäre (was
ein langwieriger Prozess ist) Veränderungen erfordert, aber dem die
Gesellschaft sich nur wird annähern können. Ich sehe nicht, dass eine
Vergesellschaftung möglich wäre, auf der die ganze Gesellschaft, alle
Tätigkeiten und sozialen Beziehungen basieren, die sozusagen von vornherein
alle Widersprüche und Konflikte vermeidet und die Realisierung dieses Ziels
somit sicherstellt. Solange das jedenfalls nicht der Fall ist, sind m.E.
Regelungen notwendig, damit umzugehen in den Fällen, wo verbindliche
Regelungen notwendig sind. Sollte sich irgendwann herausstellen, dass das
alles nicht mehr nötig ist, wär es ja schön, aber ich halte es für
unrealistisch. Braucht man aber nicht drüber zu diskutieren, weil das wird
sich ja dann zeigen. Solange es nicht so ist, ist Demokratie die beste
Lösung.
> So sollte m.E. nur ein Teil
> der Produktion bestimmt werden, indem a) bestimte Produktionen verboten
> werden und b) bestimmte Produktionen von der Gesellschaft, konkret im
> Wesentlichen organisiert als Staat auf verschiedenen Ebenen, unmittelbar
> selbst organisiert oder bezahlt werden oder durch andere regulierende
> Eingriffe zuwege gebracht werden. Beides passiert bereits, b) sollte m.E.
> ausgedehnt werden, aber darum geht es dir wohl nicht. Es wäre m.E. auch
> kein Fortschritt, dies ohne Staat und damit scheinbar mit weniger Zwang
> durchzusetzen (soweit das funktionieren könnte), nämlich mit
unmittelbarer
> sozialer Kontrolle in überschaubaren Gemeinschaften. Da ist mir ein
> Rechtsstaat allemal lieber und bietet mehr Freiheitsmöglichkeiten.
Mir ist jeder Staat unlieb, denn er nimmt mir die
Entfaltungsmöglichkeiten, die ich brauche und die alle brauchen. Es
bleibt nur die "Freiheit" des "vereinzelten Einzelnen" sich als
Warensubjekt ("Monade") zu verhalten. Hat Marx schön in den
Grundrissen beschrieben.
Solange og. mE. unrealistischer widerspruchs- und konfliktfreier
Gesellschaftszustand nicht gegeben ist, ist mir nicht jeder, aber ein
demokratischer Rechtsstaat lieber als keiner. Weil sonst prozessieren die
Widersprüche ggf. in Formen, die noch wesentlich unangenehmer, herschafts-
und auch gewaltförmiger sind.
> davon aus, dass sich ohne Markt und Warenproduktion entweder diese
> Übereinstimmung weitgehend auf der Basis dessen, was die Individuen
sinnvoll
> finden und was ihnen Spaß macht, von alleine herstellen wird (aus
göttlicher
> Fügung oder wie auch immer) oder in unmittelbarer Verhandlung zwischen
den
> KonsumentInnen und den ProduzentInnen hergestellt werden könne.
>
> Das halte ich beides für gänzlich unrealistisch.
In der Logik von Warenproduktion und Markt gedacht ist das logisch.
Die Argumentation ist an dieser Stelle aber tautologisch: Der
Kapitalismus produziert eine Vergesellschaftungsform, deren
Bedingungen nur er daselbst erfüllen kann. Das passiert, wenn man
Warenproduktion naturalisiert.
Nein. Ich gehe nur nicht davon aus, dass mit der Beseitigung von Kapital und
Wert sozusagen das Paradies ausbricht. Das tust du aber implizit, mit og.
quasi religiösem Umkehrschluss.
> Ersteres ist auf
> gesellschaftlcher Ebene mindestens ebenso unrealistisch wie schon auf
> individueller, wo man - wie du ja auch zugibst - auch oft Tätigkeiten
> verrichten verrichten muss, die einem keinen Spaß machen, z.B. im
Haushalt,
> aber auch wenn man selber seine Lebensmittel produziert.
Das ist wieder so eine Robinsonade. Du ignorierst komplett die
gesellschaftlichen Formen, Bedingungen und Möglichkeiten (alles drei
zusammen!), in denen sich Menschen (re-)produzierend bewegen. Du
stellst dann folgelogisch Individuum und Gesellschaft in ein
Ausschliessungverhältnis - doch schon der individuelle Mensch bewegt
sich qua seiner gesellschaftlichen Natur _immer_ in den
gesellschaftlichen Vermittlungsformen. Die "individuelle Ebene"
_ist_ also zugleich immer auch die "gesellschaftliche Ebene".
Was ist daran Antwort auf das von mir beschriebenen Problem??? Ich habe hier
nicht die Gesellschaftlichkeit des Individuums in Frage gestellt.
> ... Der Ausweg über die unmittelbare Vereinbarung, also
> Zweiteres, ist auf dem gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen und
> internationalen Arbeitsteilung ebenfalls geradezu absurde Vorstellung.
Aus der Perspektive der warenproduzierenden Gesellschaft erscheint
alles absurd, was nicht durch diese Form hindurchgeht. Wenn wir uns
nicht mindestens im Kopfe von dieser Perspektive losmachen, dann hat
alles Argumentieren wenig Sinn.
Das Problem besteht nicht darin, dass ich mich nicht im Kopf von der
Warenproduktion lösen kann, sondern darin, dass die hier vorgetragene
Alternative in ihrer bisherigen Schlichtheit mich nicht überzeugt.
So erscheint Dir zur alternativlosen gesellschaftlichen Form der
Ware nur die "Unmittelbarkeit" (des Tausches? des Vereinbarens der
Ziele? der Produktion?) die Opposition zu bilden. Dabei ist es
genuin menschlich, das Leben vermittels der Gesellschaft zu
(re-)produzieren. Die Form, in der das geschieht, ist dabei
keineswegs festgelegt, und sie hat sich historisch auch schon oft
geändert. Ich kapiere immer wieder nicht, warum die jetzige quasi
die endgültige, die naturale Form sein soll.
Darum geht es doch überhaupt nicht. Ich verstehe die Weigerung nicht, auf die
relativ konkreten Einwände gegen die bisher hier mehr oder minder als
Patenlösung behauptete Alternative einzugehen. Ich behaupte doch vor allem,
dass die Alternativen nicht so einfach und widerspruchsfrei sein werden, wie
einige hier zu glauben scheinen, nicht dass es keine gibt.
Hier - genau hier - gilt es auf die alternativen wertfreien
Vermittlungsformen der Freien Software zu gucken. Das ist IMO das
Spannende.
Ich find ja auch spannend, was da passiert. Aber m.E. ist es nicht die Lösung
aller Probleme bzw. nicht so einfach auf die ganze Ökonomie und Gesellschaft
zu übertragen, wie einige hier anscheinend meinen. Und zwar aus sehr
grundsätzlichen Gründen, nicht nur weil es noch ein paar Jährchen dauert ...
Darum geht m.E. die Diskussion, und so konkret sollte sie m.E. auch geführt
werden, und darauf sollten sich konkrete Argumente und Gegenargumente
beziehen, und og. quasi-religiöse Glaubenssätze über die idyllischen
Zustände nach Beseitigung der Wertvergesellschaftung sind m.E. keine
Argumente hierbei, jedenfalls überzeugen sie mich nicht.
Freundliche Grüße
Ralf Krämer
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