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Re: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?



Hallo Stefan,

In einer eMail vom 04.02.01 01:52:23 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt 
smerten oekonux.de:

Wenn du Notwendigkeiten nicht einsehen willst, die aber die 
 > anderen sehr wohl so sehen?
 
 Dann wäre meine erste Antwort, daß die das dann machen sollen, die es
 einsehen.
 
 Sollte das aus irgendeinem Grund nicht genügen, dann würde ich mit
 diesen Personen, die mich da zu etwas nötigen wollen, in einen Diskurs
 treten und mit ihnen zusammen klären, was warum zu tun ist und wie
 genau. Da ich mich für einen verantwortungsvollen und argumentativ
 zugänglichen Menschen halte, sollte das auch grundsätzlich klappen.
 Sind die Widersprüche groß, ist es auch schon eine politische Frage,
 die ohnehin anders verhandelt werden müßte. Auch das unterscheidet
 sich erheblich von staatlichen und kapitalistischen Verhältnissen.
 
 Aber nicht das wir uns mißverstehen: Ein solches diskursives Modell
 würde ich nicht für den Normalfall halten. Der Normalfall ist wie in
 unserer heutigen Gesellschaft das, was die Dominanzkultur vorgibt.
 
Das mit der Dominanzkultur ist keine Antwort, dazu weiter unten.

Das Problem wird vielleicht klarer, wenn wir von dir nicht als Produzentem, 
sondern als Konsumentem ausgehen, der z.B. einen neuen Computer braucht. Den 
kannst du nicht selber bauen, angefangen vom Ausbuddeln und Verarbeiten 
bestimmter Erze, Produktion von Kunststoffen, von Chips, von Bildschirmen 
etc. Also Lösung 1, diejenigen, die die Notwendigkeit formulieren, hier du, 
sollen es selber machen, funktioniert nicht. Also fängst du jetzt an, mit 
irgendwelchen Minenarbeitern in Südamerika Verhandlungen aufzunehmen und 
ihnen argumentativ klarzumachen, warum und was sie jetzt für dich tun sollten 
(wahrscheinlich meinst du auch nicht, dass die ihre Arbeit machen, weil sie 
ihnen Spaß macht), versuchst ebenso mal eben zu verhandeln, dass diverse 
Fabriken gebaut werden und für dich ihre Produktion aufnehmen etc., 
jedenfalls tausende verschiedene Personen in verschiedenen Teilen der Welt 
über lange Zeiträume hinweg in unterschiedlichster Weise für dich tätig 
werden (und dass auch noch so, dass der neue Computer noch zu deinen 
Lebzeiten fertig wird und bei dir ankommt). 

Das mag jetzt überspitzt erscheinen, aber so sähe das für einen Großteil der 
von uns konsumierten und für mehr oder minder notwendig gehaltenen Produkte 
aus. Kurzum: Dein Vorschlag mag in einer weitestgehend autarken Dorfgemeinde 
funktionieren können, aber am Stand der gesellschaftlichen und 
internationalen Arbeitsteilung geht er völlig vorbei.

Thema Grundsicherung:
Kein Problem. Großzügig bedeutet, dass auf man auf gesellschaftlichem 
Niveau 
 > gut davon leben kann, aber der gesellschaftliche Reichtum gibt 
 > selbstverständlich mehr her an zusätzlichen Annehmlichkeiten, die man 
sich  
 > nur wird leisten können, wenn man nicht von Grundsicherung lebt, sondern 
als 
 > Gegenleistung für gesellschaftlich anerkannte Beiträge zur 
 > Reichtumsproduktion einen darüber hinaus gehenden höheren Anspruch auf 
 > Aneignung  von Teilen dieses gesellschaftlich produzierten Reichtums 
erlangt. 
 > Platt und für heutige Verhältnisse monetär ausgedrückt: wenn man nicht 
nur 
 > 2000 DM im Monat, sondern 4000 ausgeben will, muss man dafür arbeiten 
(und 
 > zwar für die Gesellschaft, also die Bedürfnisse anderer, nicht 
unbedingt, was 
 > man selber für nötig hält oder einem Spaß macht).
 
 Ah, da liegt der Hase im Pfeffer ;-) . 2000DM sind ja wohl kaum
 großzügig heutigentags. Auf 3000DM pro Kopf könnten wir uns aber
 vielleicht verständigen.
 
 Und ich möchte mal sehen, wo bei 3000DM garantiertem
 erwerbsarbeitsfreiem Einkommen pro Nase noch die Heerscharen sind, die
 unbedingt weitermalochen müssen. Ich vermute, daß das sehr
 überschaubar wird und monetäre Anreize sind dann faktisch gegessen.

2000 (für Einpersonenhaushalt, Familien mehr) wären ziemlich großzügig 
relativ zu heutigen Sozialhilfesätzen und dem Einkommen auch vieler 
Erwerbstätiger in unteren Lohnbereichen. Da mit diesem Geld Güter und Dienste 
gekauft werden, die andere überwiegend nicht aus Spaß, sondern weil sie dafür 
eben eine monetäre Gegenleistung erwarten, die über der Grundsicherung liegt, 
produziert haben, und aus deren Primäreinkommen die Grundsicherung finanziert 
werden muss, bedeutet je höher die Grundsicherung ist, dass um so mehr die 
Arbeitenden dafür zu arbeiten gezwungen sind, um das zu finanzieren. Also je 
höher die Grundsicherung, desto besser und sozial gerechter, ist falsch. 
Diese Zusammenhänge gelten im Prinzip auch unter nichtkapitalistischen 
Verhältnissen, sogar auch bei geldloser Ökonomie, solange Arbeit 
gesellschaftlich notwendig ist, also m.E. ohne absehbares Ende.

Wenn die Grundsicherung so hoch wäre, dass der von dir genannte Effekt 
eintritt, dass dann kaum noch Leute mehr arbeiten, wird es nicht 
funktionieren, weil dann wird auch diese Grundsicherung nicht finanziert 
werden können. Man könnte natürlich theoretisch Geldscheine drucken und 
verteilen, aber wenn dem kein entsprechendes Warenangebot gegenüber steht, 
stiegen die Preise und der Realwert der Grundsicherung sinkt entsprechend, 
bis es wieder funktioniert. Abgesehen davon, dass es schon vorher politisch 
nicht laufen würde, und zwar zurecht aus og. Gründen.

 
 Um's nochmal klar(er) zu sagen: Ich stelle mir vor, daß in einer
 GPL-Gesellschaft es "ganz normal" im Sinne einer Dominanzkultur sein
 wird, daß Leute die Früchte ihrer Tätigkeit der Allgemeinheit zur
 Verfügung stellen (Tausch wäre auch ohnehin aussichtslos). Daß es
 "ganz normal" sein wird, daß Menschen sich mit ihren Möglichkeiten
 selbstverantwortlich und kreativ in einen kooperativen
 gesellschaftlichen Prozeß einbringen werden. Und ich denke, daß das in
 der Freien-Software-Bewegung schon ansatzweise zu erkennen ist.
 
Wie gesagt, ich denke nicht, dass das ausreichen wird. Im FS-Bereich klappt 
das aus diversen spezifischen Gründen, aber in den meisten Bereichen von 
Güter- und Dienstleistungsproduktion sieht das anders aus, stellt sich og. am 
Beispiel deines neuen Computers beschriebene Problem. Unter linken 
KritikerInnen des Kapitalismus war eigentlich Konsens, dass in nichtkap. 
Produktionsweise die Befriedigung der Bedürfnisse (und nicht der Profit) 
Zweck der Produktion sein sollte. Dies sind aber wesentlich, z.T. 
überlebensnotwendige, Bedürfnisse an der Konsumtion bestimmter Güter und 
Dienste, die deswegen also produziert werden müssen, und zwar auch dann, wenn 
es niemandem Spaß macht oder niemand bloß argumentativ davon zu überzeugen 
ist, dass gerade er oder sie und gerade jetzt das tun solle. Diese 
Anforderung muss gelöst werden, möglichst nicht-kapitalistisch, aber du 
bekommst sie mit deinen Vorstellungen nicht gelöst.

Freundliche Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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