Message 01684 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT01668 Message: 4/42 L3 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re(2): [ox] Grundsicherung



Hans-Gert schreibt:
Andererseits ist prim?r der nationale (im Citoyen-Sinne) Rahmen heute
der, in dem um Fragen der Umverteilung gerungen werden kann. Dass das
keine leichte Sache ist, siehst Du an Lafontaine.  Du wirst mir
nat¸rlich sofort erwidern 'Struktur statt Ideologie, das geht
prinzipiell nicht'. Aber wir reden ja gerade auf dieser Liste ¸ber
'Struktur', die die Gro?en der Branche auf einmal veranlasst, Geld in
Infrastruktur (hier: die OS-Bewegung) zu pumpen. Deine Argumente sind
also vollkommen okay, aber ¸bersehen (vielleicht? dar¸ber schreiben
wir hier) subtile Prozesse, die an diesen ehernen Prinzipien der
Kapitalverwertung nagen. 

Mir fällt dazu zweierlei ein: Seinerzeit hat Reinhold Oberlercher,
(bevor er quasi zum modernen Alfred Rosenberg mutierte), 
im "Neuen Forum" einen Artikel geschrieben, den er oder Günter Nenning
so betitelte: "Hoch die Arbeitslosen: Über das Recht der industriellen
Reservearmee auf Unterhalt und Unterhaltung". Darin argumentierte
er in genau der von Lorenz Glatz monierten sozialdemokratischen Manier
nationalen Erfolgs - das heißt vom nationalen Nutzen& Gebrauchswert-
gesichtspunkt - für eine durchgehende Alimentation in Form einer
Grundsicherung. Tatsächlich hat  Oberlercher damals versucht, 
im Gewerkschaftslager Fuß zu fassen und sie für seinen Grund-
sicherungsgedanken zu gewinnen. von antikapitalistischer Dynamik
war schon damals keine Spur. 
Der Übergang zum Faschismus als Grundsicherung des 
Staatsbürgerdaseins hingegen erscheint mir dagegen sehr logisch.
Ein Milton Friedmann hat ja durchaus auch seine Affinitäten zu
einem Scheiden der Nation in solche, die dann auch ihren
Dienst erbringen, und andere.

Zweitens, und wichtiger:


Freistellung und Subvention von Sektoren (auch von Personen)
soll sich für die Ökonomie quasi als Sachzwang darstellen. Das
Desiderat teile ich, und auch das Gefühl, daß der zweite Absatz in dem
Spehr-Zitat, das diese Debatte ausgelöst hat (wer am gesellschaft-
lichen Reichtum ohne die Bedingungen erzwungener Kooperation
partizipieren will, betreibt eine Politik der unabhängigen Grund-
sicherung) eine gewissen Romantizismus enthält. Damit ist zunächst
mal auch gewaltsame Aneignung von Reichtum eingemeindet, und die
Zerfallsformen der Sekundären Barbarei zur "Aufhebungsbewegung"
hochstilisiert.

Wie aber der Nützlichkeitsfalle entkommen, die Überleben nur unter den
immer prekäreren Funktionalitäten für ein - längst in seiner sozialen
Dynamik
zur Reproduktion der (sagen wir ruhig soziologisch mal "einer") 
Gesamtgesellschaft unfähig gewordenen - Systems erlaubt ? Wie das
Transferieren
von Ressourcen vom Marktsektor in den sozialen Sektor ohne die
Fiktion einer sozialen Bewegung denken, die Rudi Dutschke unfreiwillig
als negative Koalition der Erniedrigten und Beleidigten parodierte?
Kann Open Source der Katalysator einer transformatorischen 
Reproduktionsform sein? Bekanntlich sind ja auch die bürgerlichen
Verhältnisse von feudalen Strukturen alimentiert worden und fanden
so zu ihrer Form, Stärke und politischem Willen, dieser sehr wichtige
Gedanke
wurde schon oft in der Liste als Analogie herangezogen.

Die für mich einzig schlüssige Antwort ist: Grundsicherung kann es nur
geben, wenn der Zusammenhang von lokaler Reproduktion und dem
gesellschaftlich verfügbaren Reichtum an Modellen, Algorithmen und
geistigen Bausteinen für jede mögliche menschliche Aktivität als positiver
Rückkoppelungskreislauf erkannt ist. In meinem Referat auf der
Ökonux-Konferenz möchte ich die These aufstellen, daß jedes neue "globale
Dorf", in dem praktisch die Verfeinerung der Subsistenz durch
Neukombination und -konstruktion des stofflichen
Produktions-Reproduktions-Kreislaufes zwischen freien und angeeigneten
Naturprozessen erprobt und gelebt wird, eine gesellschaftliche Investition
ganz nach dem Muster der Investition von Kapital darstellt: die Zugewinne
an Wissen, an verfügbarer geistiger Kapizität für die gemeinsamen
geistigen Angelegenheiten, wiegen bei weitem den anfänglichen Transfer an
Wissens- und Produktionsmitteln auf. Das heißt aber auch: Grundsicherung
kann es nur als lokale geben. Es ist ein unerfüllbarer Traum, dem alten
Sozialstaat nachzuweinen, es kann höchstens effiziente Netzwerke und
"Rhizome" der wechselseitigen Anstiftung zum Aufbau neuer "Klöster" geben,
mit denen der gemeinsame ungeheure Wissensproduktionsprozeß auf einer
höheren gesellschaftlichen Stufenleiter fortgeführt werden kann, und in
deren Bereich die Sicherheit nachwächst, die anderswo verloren geht.

Du hast aber recht wenn Du zwei Fragen stellst: wie ist das mit dem
nationalen Rahmen und was ist mit dem Ressourcentransfer? dazu auch wieder
2 Gedanken:

ad 1: Im nationalen Rahmen die Frage zu stellen heißt sie nicht unbedingt
im nationalen Rahmen beantworten.
"Dass grosse Nationen sich auflösen, ist nicht schlecht, auch wenn dies
heute mit viel Blutvergiessen, Bürgerkriegen, Hungersnöten geschieht. Der
Grund für die Gewaltausbrüche liegt eben darin, dass grosse Systeme allzu
lange und mit viel zu viel Gewalt zusammengehalten worden sind. Die Gewalt
liegt in den "friedlichen Zwangsstrukturen" gefangen und tritt zutage,
wenn die Zwangsapparate in Krise geraten. Neben Jugoslawien gibt es auch
das Beispiel der baltischen Staaten oder der Tschecho-Slowakei, die sich
sich mit relativ wenig Blutvergiessen trennen konnten. Aber solange
internationale Organisationen oder Staaten und Ideologen sich darauf
versteifen, die Regionalisierungen aufhalten zu wollen, statt sie als
Heilungsprozess aktiv zu unterstützen, sind neue Katastrophen
programmiert." (PM, das neue Mittelalter, 1994)

2. Wenn aber die Regionalisierung und die zunehmende Autonomie als
heilsame Tendenz erkannt sind: Vielleicht gibt es noch einen marktförmigen
Bedarf, z.B. an Hardware, Dienstleistungen, Implementationen von
Technologien, die auch und gerade von gewissen Kapitalen als ihr
(möglicherweise letzter) Zukunftsmarkt entdeckt werden?

Wir brauchen eine Theorie des letzten Markts, desjenigen, der sozusagen
die Produzenten wieder voll zur Autonomie befähigt. Alvyn Toffler hat in
seiner "Third Wave" die Umrisse einer solchen Theorie geliefert. Er hat
nachgewiesen, daß das Industrieprodukt im Zeitalter der Automation
untergehen wird, daß customisation (die Produktion angepaßt an den Kunden)
und prosumerism (der Kunde bedient sich selbst) langfristig den Keim des
Endes der Märkte in sich tragen. Freilich ist das der esoterische Toffler,
den keiner zur Kenntnis nehmen will.








________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT01668 Message: 4/42 L3 [In index]
Message 01684 [Homepage] [Navigation]